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VfGH vom 10.12.2015, V59/2015

VfGH vom 10.12.2015, V59/2015

Leitsatz

Verstoß einer Verordnung des Bundeseinigungsamtes über die Änderung des Mindestlohntarifes für angestellte Tierärzt/innen gegen das Arbeitsverfassungsgesetz angesichts der seit Inkrafttreten des TierärztekammerG bestehenden Kollektivvertragsfähigkeit der Tierärztekammer; jede Änderung zugleich als Festsetzung des Mindestlohntarifs zu qualifizieren; Zulässigkeit des Individualantrags einer Tierärztegesellschaft; Aufhebung der Verordnung mangels gesetzlicher Grundlage

Spruch

I. 1. Die Verordnung des Bundeseinigungsamtes beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, mit der der Mindestlohntarif für angestellte Tierärzt/innen geändert wird, vom , BGBl II 251/2014 (M 1/2014/XXII/96/1), wird als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

3. Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

II. Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) ist schuldig, der erstantragstellenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856, bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag des Zweitantragstellers wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Gestützt auf Art 139 Abs 1 Z 3 B VG, begehren die Antragsteller, "die Verordnung des Bundeseinigungsamt[es] beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, mit der der Mindestlohntarif für Angestelltenverträge geändert wird, vom , BGBl II 251/2014 (M 1/2014/XXII/96/1) zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben."

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Originaltext):

1. § 22 Arbeitsverfassungsgesetz, BGBl 22/1974 idF BGBl I 111/2010, im Folgenden: ArbVG, lautet:

"3. HAUPTSTÜCK

DER MINDESTLOHNTARIF

Begriff und Voraussetzungen

§22. (1) Das Bundeseinigungsamt hat auf Antrag einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitnehmer bei Vorliegen der im Abs 3 angeführten Voraussetzungen Mindestentgelte und Mindestbeträge für den Ersatz von Auslagen festzusetzen. Die in der Erklärung festgesetzten Mindestentgelte und Mindestbeträge für den Ersatz von Auslagen werden als Mindestlohntarif bezeichnet.

(2) (Anm.: aufgehoben durch BGBl I Nr 111/2010)

(3) Ein Mindestlohntarif darf nur für Gruppen von Arbeitnehmern festgesetzt werden, für die ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann,

1. weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf Arbeitgeberseite nicht bestehen und

2. sofern eine Regelung von Mindestentgelten und Mindestbeträgen für den Ersatz von Auslagen durch die Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung nicht erfolgt ist."

2. Das Bundeseinigungsamt beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat mit Beschluss vom nach Durchführung einer Senatsverhandlung einen Mindestlohntarif (Mindestlohntarif für angestellte Tierärzt/innen; M 1/2012/XXII/96/1) festgesetzt. Diese Verordnung wurde am kundgemacht.

3. Mit BGBl I 86/2012, in Kraft getreten am , wurde das Tierärztekammergesetz geändert und der Österreichischen Tierärztekammer die Kollektivvertragsfähigkeit verliehen. § 12 Abs 2 Tierärztekammergesetz, BGBl I 86/2012, lautet nunmehr auszugsweise wie folgt:

"3. Abschnitt

Wirkungsbereich

Eigener Wirkungsbereich

§12. (1) […]

(2) Im eigenen Wirkungsbereich hat die Tierärztekammer insbesondere folgende Aufgaben wahrzunehmen:

1. – 18. […]

19. Abschluss von Kollektivverträgen als gesetzliche Interessenvertretung auf Arbeitgeberseite.

(3) […]"

§9 Tierärztekammergesetz, BGBl I 86/2012 idF BGBl I 80/2013, lautet auszugsweise:

"[…]

(5) Die Tierärztekammer gliedert sich hinsichtlich der ordentlichen Mitglieder in

1. die Abteilung der freiberuflich selbständigen Tierärztinnen und Tierärzte (Abteilung der Selbständigen) und

2. die Abteilung der Tierärztinnen und Tierärzte, die ihren Beruf in einem Arbeitsverhältnis ausüben (Abteilung der Angestellten).

(6) Mitglieder der Abteilung der Selbständigen sind Kammermitglieder, die ihren Beruf freiberuflich selbständig ausüben sowie Kammermitglieder, die Gesellschafter einer Tierärztegesellschaft sind.

(7) Mitglieder der Abteilung der Angestellten sind Kammermitglieder, die den tierärztlichen Beruf im Arbeitsverhältnis ausüben und nicht Mitglieder der Abteilung der Selbständigen (Abs6) sind."

4. Folgende Bestimmungen des Tierärztegesetzes, BGBl 16/1975 idF BGBl I 80/2013, sind im vorliegenden Fall maßgeblich :

"§5. (1) Die Kammer hat eine Liste der in Österreich zur Berufsausübung berechtigten Tierärztinnen und Tierärzte (Tierärzteliste) zu führen.

(2) Die Tierärzteliste hat folgende Daten zu enthalten:

[…]

16. Beteiligung an einer Tierärztegesellschaft gemäß § 15a;

[…]

§15a. (1) Zum Betreiben einer tierärztlichen Ordination oder eines privaten Tierspitals sind nur berufsberechtigte Tierärzte oder Gesellschaften, deren Gesellschafter berufsberechtigte Tierärzte sind, berechtigt. Eine Beteiligung Berufsfremder an einer Tierärztegesellschaft ist nur für stille Teilhaber möglich. Werden bei der Errichtung einer Ges.m.b.H auch Zweigstellen vorgesehen, so ist sicherzustellen, dass verantwortlicher Leiter nur ein tierärztlicher Gesellschafter sein darf, der auch jeweils nur eine Zweigstelle leiten darf und der wesentliche Anteile an der Gesellschaft halten muss.

(2) Die verantwortliche Leitung (Führung) eines privaten Tierspitals muss durch einen berufsberechtigten Tierarzt, der berechtigt ist, eine Hausapotheke zu führen, erfolgen."

"§18. (1) Die Kammer hat eine für das ganze Bundesgebiet gültige Honorarordnung für tierärztliche Leistungen zu erstellen. Die Honorarsätze sind unter Bedachtnahme auf die Art der tierärztlichen Leistung, vor allem die damit verbundene besondere Gefahr, den damit verbundenen Sach- und Zeitaufwand und die Art der Tiere festzusetzen. Die Honorarordnung bedarf der Genehmigung durch die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen. Die Genehmigung ist nach Anhörung der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, des Österreichischen Arbeiterkammertages, des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs zu erteilen, wenn den vorstehend angeführten Gesichtspunkten Rechnung getragen wurde.

(2) Die Honorarordnung findet keine Anwendung auf tierärztliche Leistungen, deren Entgelt durch Rechtsvorschriften des Bundes geregelt ist.

(3) Der Tierarzt ist verpflichtet, die Bestimmungen und Tarife der Honorarordnung einzuhalten.

(4) Gutachten über Angemessenheit einer Honorarnote für tierärztliche Leistungen hat die Kammer zu erstellen. Von Behörden angeforderte Gutachten sind unentgeltlich zu erstatten.

(5) (Anm.: aufgehoben durch BGBl I Nr 86/2012)"

5. Die Verordnung des Bundeseinigungsamtes beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, mit der der Mindestlohntarif für angestellte Tierärzt/innen geändert wird, vom , BGBl II 251/2014 (M 1/2014/XXII/96/1), lautet (ohne die Hervorhebungen im Original):

"251. Verordnung des Bundeseinigungsamtes beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, mit der der Mindestlohntarif für angestellte Tierärzt/innen geändert wird

Das Bundeseinigungsamt beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz ist gemäß § 22 Abs 1 Arbeitsverfassungsgesetz, BGBl Nr 22/1974, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 71/2013 ermächtigt, auf Antrag einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft den Mindestlohntarif festzusetzen, wenn für den betreffenden Wirtschaftszweig kein Kollektivvertrag wirksam ist.

Das Bundeseinigungsamt beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat mit Beschluss vom nach Durchführung einer Senatsverhandlung nachstehenden Mindestlohntarif festgesetzt:

Mindestlohntarif für angestellte Tierärzt/innen

M 1/2014/XXII/96/1

Geltungsbereich

§1. Dieser Mindestlohntarif gilt

1. Räumlich: für die Republik Österreich;

2. fachlich und persönlich: für Tierärzte/Tierärztinnen, die in einem Arbeitsverhältnis zu einem/einer Tierarzt/Tierärztin oder einer Tierärztegesellschaft stehen

Gehaltsschema/Entgelt

§2. (1) Für die Normalarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche gebührt nachstehendes monatliches Bruttogehalt:

- Im 1. und 2. Berufsjahr: € 2.160,40--

- Ab dem 3. Berufsjahr: € 2.423,90--.

Im ersten Berufshalbjahr beträgt das monatliche Bruttogehalt € 2.002,20--.

(2) Als Berufsjahre gelten die Zeiten, in welchen einschlägige Tätigkeiten in anderen Unternehmen ausgeübt wurden.

(3) Karenzen nach Mutterschutzgesetz oder Väter-Karenzgesetz, die aus Anlass der Geburt eines Kindes nach Beginn des Arbeitsverhältnisses beim Unternehmen in Anspruch genommen werden, sind im Ausmaß von höchstens 12 Monaten als Dienstjahre anzurechnen. Dies gilt für Karenzen, die ab dem oder danach beginnen. Diese Höchstgrenze gilt auch für Karenzen nach Mehrlingsgeburten.

Zulagen

§3.

1. Schmutzzulage:

Für Arbeiten, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Verschmutzung von Körper und Bekleidung des/der Angestellten zwangsläufig bewirken, gebührt eine monatliche Schmutzzulage von € 73,82,--.

2. Abgeltung der Rufbereitschaft:

Alle Mitarbeiter/innen erhalten für die Zeiten der Rufbereitschaft mindestens € 1,63 pro Stunde.

Allgemeine Bestimmungen

§4.

1. Sonderzahlungen

Alle Arbeitnehmer/innen erhalten pro Kalenderjahr eine Weihnachts- und eine Urlaubsremuneration je in der Höhe eines Monatsgehalts, berechnet nach dem durchschnittlichen Verdienst der letzten 13 Wochen vor Fälligkeit. Die Fälligkeit tritt bei der Weihnachtsremuneration am 1. Dezember ein, bei der Urlaubsremuneration spätestens am 1. Juni. Wird ein Arbeitsverhältnis während eines Kalenderjahres begonnen oder beendet, so gebührt der aliquote Teil der Urlaubsbeihilfe und der Weihnachtsremuneration.

2. Überstundenarbeit

Überstundenarbeit liegt vor, wenn die tägliche oder wöchentliche Normalarbeitszeit überschritten wird. Für Überstunden, die nicht in die Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr bzw. an Sonn- oder Feiertagen liegen, gebührt eine Überstundenentlohnung, diese besteht aus dem Grundstundenlohn und einem Zuschlag von 50 %. Für Überstunden, die in die Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr bzw. an Sonn- oder Feiertagen liegen, gebührt eine Überstundenentlohnung, diese besteht aus dem Grundstundenlohn und einem Zuschlag von 100 %. Der Grundstundenlohn beträgt 1/173 (ein Einhundertdreiundsiebzigstel) des Bruttogehaltes.

3. Gehaltsabrechnung

Der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin ist verpflichtet, bei jeder Gehaltsauszahlung dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin eine genaue, mit Datum versehene Abrechnung über das Gehalt, die Zulagen und Abzüge zu überge[b]en.

4. Vorrückungen

Die Gehaltserhöhung durch Eintritt in ein höheres Berufsjahr tritt mit dem ersten Tag desjenigen Monats in Kraft, in den der Beginn des neuen Berufsjahres fällt.

5. Teilzeitbeschäftigte

Teilzeitbeschäftigte erhalten den aliquoten Teil der angeführten Gehaltssätze. Für eine Arbeitsstunde ist 1/173 (ein Einhundertdreiundsiebzigstel) des jeweiligen Bruttomonatsgehaltes zu rechnen. Für Mehrstunden gelten die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.

6. Kilometergeld

Für Fahrten mit dem Privatfahrzeug im Auftrag des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin gebührt das amtliche Kilometergeld.

Geltungsbeginn

§5. Dieser Mindestlohntarif tritt mit in Kraft. Er ändert den Mindestlohntarif vom , M 1/2013/XXII/96/1, BGBl II Nr 265/2013."

III. Antragsvorbringen

Die Antragsteller begründen ihren Antrag wie folgt:

"III.

1. Zum Nachweis der Antragslegitimationen verweisen die Antragsteller darauf, dass im Rahmen einer Tierärztegesellschaft im Sinne von § 15a Tierärztegesetz, nämlich der *********** ************ **** (FN: 303857z), zwei Tierärztinnen und zwar seit , Mag. K. K., und seit , Mag. C. G., als unselbstständige Tierärztinnen beschäftigt werden. Der Zweitantragsteller ist geschäftsführender Gesellschafter der ********** *********** ************ ****. Beide angestellten Tierärztinnen werden exakt nach dem Mindestlohntarif bezahlt. Ohne den angepassten Mindestlohntarif würden beide angestellten Tierärztinnen weniger verdienen. Der angepasste Mindestlohntarif wird aber deshalb ausbezahlt, weil sich die Antragsteller nicht strafbar machen wollen.

2. Als Adressat der Verordnung sind die Antragsteller durch die Festlegung des Mindestlohntarifes unmittelbar nachteilig betroffen. Es besteht auch kein anderer Weg, die Frage der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung an den VfGH heranzutragen: Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen sind die Antragsteller verpflichtet bei Bestehen eines Mindestlohntarifes die darin festgesetzten Mindestlöhne auch zur Auszahlung zu bringen. Durch § 7i Abs 5 erster Satz AVRAG wird dies unter Strafe gestellt:

'Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs 3 AWG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen.'

Die Antragsteller setzen sich daher bei Nichtbezahlung des neu festgesetzten Mindestlohntarifes der Gefahr aus, verwaltungsrechtlich bestraft zu werden. Ferner würden sich die Antragsteller bei Nichteinhaltung des Mindestlohntarifs der Gefahr aussetzen, geklagt zu werden. Der Zweitantragsteller als geschäftsführender Gesellschafter setzt sich bei Anordnung der Nichtzahlung des durch Mindestlohntarif neu festgesetzten Mindestlohnes der Gefahr einer Bestrafung nach § 9 Abs 1 VStG iVm § 7i Abs 5 AVRAG aus. Aufgrund der weiten Auslegung des § 153 StGB durch die Gerichte ist auch die Gefahr einer gerichtlichen Strafbarkeit bei wissentlicher Nichtbezahlung nicht (mehr) gänzlich auszuschließen.

3. Die Antragslegitimation der Antragsteller ist aus den dargestellten Gründen gegeben.

IV.

1. Die angefochtene Verordnung ist gesetzwidrig, da sie gegen den unmissverständlichen Wortlaut des § 22 Arbeitsverfassungsgesetz verstößt.

2. Zum Sachverhalt:

a. Das Bundeseinigungsamt beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat mit Beschluss vom nach Durchführung einer Senatsverhandlung einen Mindestlohntarif (Mindestlohntarif für angestellte Tierärzt/inn/en; M 1/2012/XXII/96/1) festgesetzt. Diese Verordnung wurde am kundgemacht.

b. Das Bundeseinigungsamt hat diese Verordnung vor dem Hintergrund des § 22 Arbeitsverfassungsgesetz erlassen, da im Jahr 2012 auf Arbeitgeberseite keine kollektivvertragsfähige Körperschaft[] bestanden hat.

c. Mit BGBl 86/2012, kundgemacht am , wurde das Tierärzte-kammergesetz ('TÄKamG') geändert. Nach § 86 des TÄKamG ist das TÄKamG mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft getreten. Mit dieser Änderung wurde der Österreichischen Tierärztekammer die Kollektivvertragsfähigkeit verliehen:

Gemäß § 12 Abs 2 Ziffer 19 TÄKamG hat die Tierärztekammer im eigenen Wirkungsbereich den Abschluss von Kollektivverträgen als gesetzliche Interessenvertretung auf Arbeitgeberseite wahrzunehmen;

Gemäß § 31 Abs 5 litc obliegt diese Aufgabe dem Abteilungsrichter der Abteilung der Selbstständigen.

Somit besteht seit eine kollektivvertragsfähige Körperschaft auf Arbeitgeberseite, wobei noch kein rechtswirksamer Kollektivvertrag in Geltung ist (Anm.: Es finden aber bereits seit längerer Zeit Kollektivvertragsverhandlungen statt).

d. Obwohl eine kollektivvertragsfähige Körperschaft auf Arbeitgeberseite bereits bestand, wurde der Mindestlohntarif dennoch durch das Bundeseinigungsamt beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz mit Beschluss vom , BGBl 2013/265 (M 1/2013/XXII /96/1, neu angepasst und um 3,2% erhöht. Die auf § 22 Abs 1 Arbeitsverfassungsgesetz, BGBl Nr 22/1974, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I. Nr 71/2013 gestützte Verordnung wurde am kundgemacht.

e. Mit Beschluss vom , BGBl 2014/251 (M 1/2013/XXII/96/1) wurde der Mindestlohntarif entgegen § 22 ArbVG neuerlich angepasst und gegenüber 2013 um 2,1% erhöht. Die auf § 22 Abs 1 Arbeitsverfassungsgesetz, BGBl Nr 22/1974, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I. Nr 71/2013 gestützte Verordnung wurde am kundgemacht.

f. Der Mindestlohntarif wurde somit 2013 um 3,2% und 2014 um 2,1%, jeweils gegenüber dem Vorjahr, erhöht, obwohl auf Arbeitgeberseite eine kollektivvertragsfähige Körperschaft bestand. Es wurde somit der Mindestlohntarif zwei Mal neu festgesetzt. […]"

Weiters bringen die Antragsteller nach Zitierung der maßgeblichen Bestimmungen des Tierärztekammergesetzes und des § 22 ArbVG vor (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Als Gesellschafter der Erstantragstellerin, bei der es sich um eine Tierärztegesellschaft handelt, ist der Zweitantragsteller somit Mitglied der Abteilung der Selbstständigen Kammermitglieder. Die Österreich[ische] Tierärztekammer ist daher für den Zweitantragsteller die zuständige kollektivvertragsfähige Körperschaft. […]

Aus dem Wortlaut des Abs 3 [ArbVG] ergibt sich somit unmissverständlich, dass ein Mindestlohntarif nur für Gruppen von Arbeitnehmern festgesetzt werden darf, für die ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann.

4. Da seit der österreichischen Tierärztekammer durch Gesetz die Kollektivvertragsfähigkeit verliehen wurde, sind die in § 22 Arbeitsverfassungsgesetz geregelten Voraussetzungen zum Abschluss eines Mindestlohntarifes nicht mehr gegeben.

Diese gesetzliche Voraussetzung des § 22 Abs 3 Arbeitsverfassungsgesetz ist unabdingbar ( DRdA 2000, 162 Weiß ; G. Klein , ZAS 1983, 128).

Aus diesem Grunde kann für Arbeitsverhältnisse zu einer Körperschaft, der die Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt worden ist, kein Mindestlohntarif festgesetzt werden. Dies gilt auch, wenn die Körperschaft noch keinen Kollektivvertrag abgeschlossen hat (vgl Strasser in Strasser/Jabornegg/ Resch , ArbVG § 22 Rz 10).

Schon der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitgeber allein ist somit ausschlaggebend dafür, dass eine Festsetzung von Mindestlohntarifen nicht mehr erfolgen kann, gleichgültig, ob auch tatsächlich ein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde oder nicht (vgl Reissner in ZellKomm 2 § 22 ArbVG Rz 13). Die behördliche Festsetzung eines Mindestlohntarifs soll nur einen fehlenden Kollektivvertragspartner auf Arbeitgeberseite ersetzen, nicht jedoch einen vorhandenen, aber nicht abschlussbereiten Partner zu Verhandlungen zwingen (vgl OGH 8 ObA 338/98 h):

'Ein Mindestlohntarif darf – soweit hier von Interesse – nur für Arbeitnehmergruppen festgesetzt werden, für die ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann, weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf Arbeitgeberseite nicht bestehen (§22 Abs 3 Z 1 ArbVG). Bereits der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitgeber allein ist ausschlaggebend dafür, daß eine Festsetzung von Mindestlohntarifen nicht mehr erfolgen kann, gleichgültig, ob auch tatsächlich ein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde oder nicht. Die behördliche Festsetzung eines Mindestlohntarifes soll nur einen fehlenden Kollektivvertragspartner auf Arbeitgeberseite ersetzen, nicht jedoch einen vorhandenen, aber nicht abschlußbereiten Partner zu Verhandlungen zwingen ( Cerny in Cerny/ Haas-Laßnigg/B. Schwarz , ArbVG II 105)'.

Diese Interpretation des § 22 Arbeitsverfassungsgesetz ist auch der Regierungsvorlage (840 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII. GP ), sowie dem Bericht des Ausschusses der sozialen Verwaltung (993 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII. GP ) zu entnehmen:

Die Regierungsvorlage führt aus:

'Die Schaffung eines Rechtsinstruments, durch das Mindestlöhne mit zwingender Wirksamkeit für den Einzelarbeitsvertrag festgelegt werden können, erschien dem Gesetzgeber geboten, um Arbeitnehmern, deren Lohnbedingungen wegen des Fehlens einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft auf Arbeitgeberseite nicht durch Kollektivvertrag geregelt werden können, hinsichtlich der Lohngestaltung den erforderlichen sozialpolitischen Schutz zu gewähren'.

Im Bericht des Ausschusses der sozialen Verwaltung heißt es:

'Ein Mindestlohntarif kann sowohl Mindestentgelte als auch Mindestbeträge für den Ersatz von Auslagen, er kann aber auch nur Mindestentgelte oder nur Auslagenersätze regeln. Die Formulierung 'Mindestentgelte und Mindestbeträge' in Abs 1 zweiter Satz bedeutet nicht, daß ein Mindestlohntarif im Rechtssinne nur dann vorliegt, wenn er beides regelt. Wenn ein Verein die Kollektivvertragsfähigkeit besitzt, kann für ihn auf Grund der Bestimmung des Abs 3 ein Mindestlohntarif nicht mehr erlassen werden, u. zw. auch 'dann nicht, wenn der kollektivvertragsfähige Verein keinen Kollektivvertrag abgeschlossen hat'.

6. Sowohl aus der gebotenen wörtlichen Interpretation als auch den bisherigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, der Literatur und aus den Regierungsmaterialien ergibt sich also, dass ein Mindestlohntarif nur dann festgesetzt werden darf, wenn eine kollektivvertragsfähige Körperschaft auf Arbeitgeberseite nicht besteht. Das Vorliegen eines tatsächlich abgeschlossenen Kollektivvertrages ist nicht notwendig.

7. Der Umstand, dass nach der Judikatur ein bereits bestehender Mindestlohntarif erst bei tatsächlichem Abschluss eines Kollektivvertrages erlischt (OGH 9 ObA 202/00x) , ändert nichts an der Unzulässigkeit einer auf Erhöhung und damit Abänderung des bestehenden Mindestlohntarifs gerichteten Verordnung. Das gebietet schon ein Größenschluss: Wenn eine gesetzliche Voraussetzung für den Erlass einer Verordnung nicht gegeben ist, so wäre auch die Abänderung einer bestehenden Verordnung eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Rechtswidrigkeit (vgl Schrammel , ZAS 2005, 201 sowie ihm folgend Runggaldier/Potz in Tomandl , ArbVG § 24 Rz 7, die bei bestehender Kollektivvertragsfähigkeit auch eine Novelle des Mindestlohntarifs für unzulässig erachten). Der Oberste Gerichtshof hält daher selbst die bloße Wiederverlautbarung eines bestehenden Mindestlohntarifes für nicht möglich, wenn mittlerweile Kollektivvertragsfähigkeit des Arbeitgebers vorliegt (vgl OGH 9 ObA 4/07 i)."

Das Bundeseinigungsamt beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

"1. Zum Sachverhalt:

Das Bundeseinigungsamt hat den Mindestlohntarif für angestellte Tierärzt/innen mit der Verordnung vom , BGBl II Nr 223/2012 erlassen.

Das Tierärztekammergesetz, BGBl I Nr 86/2012, ist mit in Kraft getreten. Dieses ermächtigt die Tierärztekammer zum Abschluss von Kollektivverträgen auf Arbeitgeberseite (§12 Abs 2 Z 19), ein Kollektivvertrag wurde jedoch bisher nicht abgeschlossen.

In der Folge hat das Bundeseinigungsamt den gegenständlichen Mindestlohntarif zweimal geändert, und zwar mit Verordnung vom , BGBl II Nr 265/2013, sowie mit Verordnung vom , BGBl II Nr 251/2014. Mit diesen Änderungen wurden lediglich die Gehälter und Zulagen erhöht. Sonstige Änderungen wurden nicht vorgenommen.

2. Zu den Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Verordnung:

2.1. Die Antragsteller sehen eine Gesetzeswidrigkeit der Verordnung ausschließlich in einer Verletzung des § 22 Abs 3 Z 1 ArbVG. Nach dieser Bestimmung kann ein Mindestlohntarif nur erlassen werden, wenn ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann, weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf Arbeitgeberseite nicht bestehen.

Im Folgenden wird daher nur auf diese Voraussetzung für die Erlassung eines Mindestlohntarifes eingegangen.

2.2. Zum Zeitpunkt der Erlassung der Stammfassung des Mindestlohntarifes, BGBl II Nr 223/2012, hat auf Arbeitgeberseite keine kollektivvertragliche Interessenvertretung bestanden. Dies wird auch von den Antragstellern nicht bezweifelt (III. 2. b. des Antrages). Dieser Mindestlohntarif war daher keinesfalls gesetzeswidrig.

2.3. Das Bundeseinigungsamt bezweifelt nicht, dass die Tierärztekammer als kollektivvertragsfähige gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitgeber/innen im Sinne des § 4 Abs 1 des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG), BGBl Nr 22/1974, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 71/2013, anzusehen ist.

2.4. Nach § 24 Abs 3 ArbVG setzen Kollektivverträge (und Satzungen) für ihren Geltungsbereich einen Mindestlohntarif außer Kraft. Daraus ist abzuleiten, dass die Einrichtung einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft auf Arbeitgeberseite einen bereits bestehenden Mindestlohntarif nicht außer Kraft setzt, sondern erst der tatsächliche Abschluss eines Kollektivvertrages (OGH 9 ObA 202/00x, 9 ObA 236/02z, 9 ObA 43/05x, 9 ObA 4/07i). Der Mindestlohntarif BGBl II Nr 223/2012 wurde daher durch die Einrichtung der Tierärztekammer als kollektivvertragliche Interessenvertretung auf Arbeitgeberseite in seiner Rechtswirksamkeit nicht berührt.

2.5. Die Antragsteller weisen zunächst ausführlich darauf hin, dass bereits der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft und nicht erst der Abschluss eines Kollektivvertrages ausschlaggebend dafür ist, dass die Festsetzung eines neuen Mindestlohntarifes nicht mehr erfolgen kann. Dies ist nach dem von den Antragstellern zitierten Ausschussbericht und der Judikatur des OGH aber nicht fraglich.

2.6. Auf die im vorliegenden Verfahren maßgebliche Rechtsfrage, ob der weiterhin geltende Mindestlohntarif noch geändert werden darf, solange eine zwischenzeitlich eingerichtete kollektivvertragsfähige Interessenvertretung keinen Kollektivvertrag abgeschlossen hat, ob also Entgelterhöhungen durch Mindestlohntarife noch vorgenommen werden können, gehen die Antragsteller erst unter IV.7. ein und verneinen dies auf Grund eines 'Größenschlusses'.

Das Bundeseinigungsamt vertritt jedoch die Ansicht, dass zumindest eine Änderung eines Mindestlohntarifes auch dann zulässig ist, wenn nach der Erlassung der Stammfassung eine kollektivvertragsfähige Körperschaft auf Arbeitgeberseite entstanden ist, solange noch kein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde.

2.7. Die Antragsteller berufen sich auch dazu auf die Entscheidung des OGH 9 ObA 4/07i. Darin hat der OGH aber nur wiederholt, dass bereits der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft und nicht erst der Abschluss eines Kollektivvertrages ausschlaggebend dafür ist, dass die Neufestsetzung eines Mindestlohntarifes nicht mehr erfolgen kann.

Für die Frage der Änderung eines Mindestlohntarifes lässt sich aus dieser Entscheidung nichts gewinnen, da ihr ein anderer Sachverhalt zu Grunde lag.

Bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung wurden für Hausbesorger/innen die Erhöhungen der Mindestentgelte so gehandhabt, dass der bisherige Mindestlohntarif zur Gänze aufgehoben und ein neuer Mindestlohntarif erlassen wurde. Zu beurteilen war, ob Arbeitgeber/innen, die zwischenzeitlich einer freiwilligen Interessenvertretung der Arbeitgeber/innen (§4 Abs 2 ArbVG) beigetreten sind, noch von einem neuen Mindestlohntarif erfasst werden, der nach diesem Zeitpunkt festgesetzt wurde.

Der OGH hat die Anwendung des Mindestlohntarifes nur deshalb verneint, weil die vor dem Beitritt erlassenen Mindestlohntarife aufgehoben worden sind und daher seiner Ansicht nach nicht mehr in Geltung gestanden sind, und die nach dem Beitritt erlassenen Mindestlohntarife für jene Arbeitgeber/innen, die zwischenzeitlich einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft beigetreten sind, daher keine Wirkung mehr entfalten konnten. Die Gesetzmäßigkeit der neuen Mindestlohntarife wurde hier nicht in Frage gestellt, weil es ja bei einer freiwilligen Interessenvertretung immer andere Arbeitgeber/innen gibt, die ihr nicht beigetreten sind.

2.8. Im gegenständlichen Fall geht es jedoch um die Änderung eines zweifelsfrei weiterhin in Geltung stehenden Mindestlohntarifes. Mit der 'Parallelfrage', ob die Änderung eines Mindestlohntarifes für zwischenzeitlich einer kollektivvertragsfähigen freiwilligen Interessenvertretung beigetreten Arbeitgeber/innen wirksam ist, hat sich der OGH entgegen der Ansicht der Antragsteller überhaupt nicht befasst, weil er ja die damalige Rechtstechnik als Außerkrafttreten und nicht als Änderung des Mindestlohntarifes aufgefasst hat. Es besteht auch keine sonstige Judikatur zu dieser Frage.

2.9. Die Antragsteller berufen sich weiters auf Schrammel , ZAS 2005, 201, sowie ihm folgend Runggaldier/Potz in Tomandl , ArbVG § 24 Rz 7, die bei Bestehen einer kollektivvertragsfähigen Arbeitgeberkörperschaft auch eine Novellierung des Mindestlohntarifes nicht für möglich halten. Diese Meinungen sind aber weitergehender als der OGH (siehe dazu Resch in Zeller Kommentar, Rz 13 zu § 22) und daher als von dieser Entscheidung unabhängige Rechtsmeinungen anzusehen.

2.10. Ritzberger-Moser , RdA 2009/10, geht hingegen davon aus, dass bei einer anderen Regelungstechnik, nämlich bei der regelmäßigen Novellierung des ursprünglichen Mindestlohntarifes, der OGH zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen. Regelungszweck des Mindestlohntarifes sei es, so lange die einmal erfassten Arbeitsverhältnisse zu regeln, bis ein Kollektivvertrag in Kraft tritt. Unzulässig wäre nach Ritzberger-Moser allenfalls eine Abänderung des gesamten Regelungsinhaltes, nicht aber eine Lohnanpassung.

2.11. Auch Resch , aaO, hält Änderungen offensichtlich für zulässig. Dass eine Regelungstechnik, bei der ein bestehender Mindestlohntarif zwecks Benutzerfreundlichkeit (Zurverfügungstellung einer konsolidierten Fassung) unter Beibehaltung der Grundstruktur jährlich aufgehoben und mit den aktuellen Sätzen neu erlassen wird, dazu führt, dass der OGH nicht mehr vom Bestehen des Mindestlohntarifs ausging, lehnt er als überspitzten Formalismus ab. Daraus folgt aber, dass auch er bei Lohnerhöhungen durch Novellierung ein[e]s Mindestlohntarifes von einem anderen Ergebnis ausgeht und diese daher als zulässig ansieht.

2.12. Die sozialpolitische Aufgabe des Mindestlohntarifes, den Arbeitnehmer/innen, deren Lohnbedingungen wegen des Fehlens einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft auf Arbeitgeberseite nicht durch Kollektivvertrag geregelt werden können, hinsichtlich der Lohngestaltung den erforderlichen Schutz zu gewähren (EB zur Regierungsvorlage 840 Blg. NR, XIII. GP), gebietet es gerade, auch nach späterem Entstehen einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft auf Arbeitgeberseite Lohnerhöhungen durch Änderungen von Mindestlohntarifen zu ermöglichen, solange kein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde.

Kann nämlich der einmal erlassene Mindestlohntarif nicht mehr abgeändert werden, gebührt dauerhaft das festgesetzte Mindestentgelt, auch wenn – wie im Anlassfall zu OGH 9 ObA 4/07i – jahrzehntelang kein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde. Die betroffenen Arbeitnehmer/innen bleiben ungeachtet der Entwicklung des allgemeinen Lohnniveaus, der Inflation und der Lebenserhaltungskosten dauerhaft von jeder tariflichen Lohnerhöhung ausgeschlossen, wobei auch für eine Beurteilung der Angemessenheit eines Entgelts nach § 1152 ABGB kein Raum mehr bleibt.

Hat es hingegen nie einen Mindestlohntarif gegeben, kann diese negative Auswirkung auch durch eine jahrzehntelang abschlussunwillige Interessenvertretung nicht entstehen, da ja die allgemeinen Regelungen über die Festsetzung des Entgelts, insbesondere § 1152 ABGB wirksam bleiben.

Das Gesetz respektiert also zwar den abschlussunwilligen Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerverband ( Schrammel , aaO), hat der Mindestlohntarif aber einmal die Schutzfunktion im Bereich des Entgelts übernommen, muss er auch weiterentwickelt werden können, um ein dauerhaftes Einfrieren des Mindestentgelts zu verhindern."

Das Bundeseinigungsamt beantragt daher, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, dass die bekämpfte Verordnung nicht als gesetzwidrig aufzuheben sei.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Gemäß Art 139 Abs 1 Z 3 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art 139 Abs 1 Z 3 B VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.

1.2. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

1.3. Dass es sich bei den durch Einigungsämter erlassenen Mindestlohntarifen um Verordnungen im Sinne des Art 139 B VG handelt, steht außer Zweifel (vgl. VfSlg 5291/1966, 8652/1979 und 16.145/2001). Es ist auch unstrittig, dass die erstantragstellende Gesellschaft vom bekämpften Mindestlohntarif erfasst wird. Angesichts der arbeitsrechtlichen Folgen einer auch nur teilweisen (rechtswidrigen) Nichtentrichtung des Entgelts, der Ungewissheit der Anspruchsverfolgung durch die betroffenen Arbeitnehmer und der fraglichen Wirkung einer Zahlung unter Vorbehalt der Rückforderung (der sich Arbeitnehmer nicht ohne weiteres fügen müssen) erscheint die Provokation eines gerichtlichen Verfahrens kein zumutbarer Weg, die Gesetzwidrigkeit des Mindestlohntarifs an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (vgl. VfSlg 16.145/2001 mwN).

1.4. Gemäß § 7i Abs 5 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz begeht ein/e Arbeitgeber/in eine Verwaltungsübertretung, wenn er/sie eine/n Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt zu leisten. Die drohende Geldstrafe reicht von € 1.000 bis € 10.000 für jede/n Arbeitnehmer/in, wenn von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen sind.

1.5. Der Zweitantragsteller ist durch die angefochtene Verordnung nicht unmittelbar in seinen Rechten betroffen. Er ist zwar Gesellschafter der erstantragstellenden Gesellschaft. Dem Antragsvorbringen zu Folge werden unselbständige Tierärzte zwar von der erstantragstellenden Gesellschaft, nicht aber vom Zweitantragsteller beschäftigt. Die angefochtene Verordnung gilt ausweislich ihres § 1 "fachlich und persönlich" für Tierärzte bzw. Tierärztinnen, die in einem Arbeitsverhältnis zu einem Tierarzt bzw. einer Tierärztin oder einer Tierärztegesellschaft stehen. Da der Zweitantragsteller zwar Tierarzt ist, dem Antragsvorbringen zu Folge aber (selbst) keine unselbständigen Tierärzte beschäftigt, ist er nicht Adressat der angefochtenen Verordnung und auch nicht in seinen Rechten unmittelbar und aktuell betroffen. Der Antrag ist daher insoweit unzulässig.

1.6. Hinsichtlich der erstantragstellenden Gesellschaft sind keine Prozesshindernisse hervorgekommen, ihr Antrag erweist sich als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art 139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl. VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet:

2.2.1. Gemäß § 22 Abs 3 ArbVG darf das Bundeseinigungsamt einen Mindestlohntarif nur für Gruppen von Arbeitnehmern festsetzen, für die ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann, weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf Arbeitgeberseite nicht bestehen.

2.2.2. Mit der Änderung des Tierärztekammergesetzes durch die Novelle BGBl I 86/2012 wurde der Tierärztekammer die Aufgabe des Abschlusses von Kollektivverträgen als gesetzliche Interessenvertretung auf Arbeitgeberseite zugewiesen. Diese Novelle trat am in Kraft.

2.2.3. Mit Verordnung des Bundeseinigungsamtes beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, BGBl II 223/2012 wurde der Mindestlohntarif für angestellte Tierärzt/innen festgelegt. Eine Änderung des Mindestlohntarifes für angestellte Tierärzt/innen erfolgte durch die Verordnung BGBl II 265/2013. Mit der angefochtenen Verordnung BGBl II 251/2014 wurde der Mindestlohn für angestellte Tierärzt/innen zuletzt neu festgesetzt. Beide Verordnungen galten bzw. gelten ausweislich ihres § 1 "fachlich und persönlich" für Tierärzte bzw. Tierärztinnen, "die in einem Arbeitsverhältnis zu einem/einer Tierarzt/Tierärztin oder einer Tierärztegesellschaft stehen".

2.2.4. In ihrem Antrag behauptet die erstantragstellende Gesellschaft einen Widerspruch der angefochtenen Verordnung zu § 22 Abs 3 ArbVG mit der Begründung, dass ein Mindestlohntarif für Arbeitsverhältnisse zu einer Körperschaft, der die Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt worden sei, nicht festgesetzt werden könne. Dies gelte auch, wenn die Körperschaft noch keinen Kollektivvertrag abgeschlossen habe.

2.2.5. Das Bundeseinigungsamt räumt unter Hinweis auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofes ein, dass bereits der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft, und nicht erst der Abschluss eines Kollektivvertrages ausschlaggebend dafür ist, dass die Festsetzung eines neuen Mindestlohntarifes nicht mehr erfolgen könne.

2.2.6. Der Oberste Gerichtshof führt in seiner Entscheidung vom (9 ObA 4/07i) zutreffend aus, dass bereits der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitgeber ausschlaggebend dafür ist, dass eine Festsetzung von Mindestlohntarifen nicht mehr erfolgen kann, gleichgültig, ob auch tatsächlich ein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde oder nicht. Unter Hinweis auf die Literatur geht der Oberste Gerichtshof davon aus, dass erst der Abschluss eines Kollektivvertrags die Beendigung der Rechtswirkungen des Mindestlohntarifs bewirkt.

2.2.7. Das Bundeseinigungsamt geht – in Übereinstimmung mit der erstantragstellenden Gesellschaft – im Einklang mit den Festlegungen in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes davon aus, dass seit dem Inkrafttreten des Tierärztekammergesetzes am eine kollektivvertragsfähige Körperschaft auf Arbeitgeberseite iSd. § 22 Abs 3 Z 1 ArbVG besteht, ein Umstand, der einer "Festsetzung" eines Mindestlohntarifs für angestellte Tierärztinnen und Tierärzte entgegensteht.

2.2.8. Diese Ansicht ist zutreffend. Die Tierärztekammer ist gem. § 12 Abs 2 Z 19 Tierärztekammergesetz zum Abschluss von Kollektivverträgen "als gesetzliche Interessenvertretung auf Arbeitgeberseite" berufen. Damit richtet der Gesetzgeber auf Arbeitgeberseite eine kollektivvertragsfähige Körperschaft ein, die zum Abschluss von Kollektivverträgen mit Wirkung für alle Arbeitgeber zuständig ist, deren Berufsausübung dem Tierärztegesetz unterliegt, unabhängig davon, ob sie ihren Beruf zulässigerweise im Rahmen einer Gesellschaft ausüben. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass Tierärztegesellschaften zwar Arbeitgeber sein können, wie der Fall der erstantragstellenden Gesellschaft zeigt, nicht aber gem. § 9 Abs 1 Tierärztegesetz Mitglieder der Tierärztekammer sind. Im Tierärztegesetz finden sich zahlreiche Regelungen mit Bezug zu oder mit Wirkung auch für Tierärztegesellschaften, aus denen sich ergibt, dass nur Tierärzte Gesellschafter einer Tierärztegesellschaft sein und alle tierärztlichen Leistungen im Rahmen von Tierärztegesellschaften erbracht werden dürfen (zB § 5 Abs 2 Z 16, § 15a Tierärztegesetz). Die Gleichstellung von Tierspitälern (die regelmäßig von Kapitalgesellschaften getragen werden) mit Ordinationen (einzelner Tierärzte) in verschiedenen Regelungen hinsichtlich der Berufspflichten zeigt, dass tierärztliche Tätigkeiten ungeachtet der Rechtsform, in der diese erbracht werden, dem Tierärztegesetz unterliegen. Auch das Tierärztekammergesetz nimmt auf Tierärztegesellschaften Bezug, indem es ihre Gesellschafter zu Mitgliedern der Abteilung der Selbstständigen erklärt (§9 Abs 6 Tierärztekammergesetz).

2.3. Umstritten ist allein die Frage, ob mit der angefochtenen Verordnung ein Mindestlohntarif im Sinne von § 22 Abs 3 ArbVG "festgesetzt" wurde. Das Bundeseinigungsamt ist der Auffassung, dass zumindest eine Änderung eines Mindestlohntarifes auch dann zulässig sei, wenn nach der Erlassung der Stammfassung eine kollektivvertragsfähige Körperschaft auf Arbeitgeberseite entstanden sei, solange noch kein Kollektivvertrag abgeschlossen worden sei.

2.4. Mit dieser Auffassung ist das Bundeseinigungsamt nicht im Recht. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass mit dem Wort "festsetzen" in § 22 Abs 3 ArbVG nicht nur die Erlassung neuer Werte, sondern auch jede Änderung oder eine Wiederverlautbarung des Mindestlohntarifs gemeint ist. Dies legt auch die Formulierung des § 22 Abs 1 ArbVG letzter Satz nahe, demzufolge die in der Erklärung festgesetzten Mindestentgelte und Mindestbeträge für den Ersatz von Auslagen als Mindestlohntarif bezeichnet werden. Demnach ist auch jede Änderung zugleich eine Festsetzung des Mindestlohntarifs, die jedoch nicht (mehr) zulässig ist, wenn mittlerweile auf Arbeitgeberseite eine kollektivvertragsfähige Körperschaft besteht.

2.5. Die angefochtene Verordnung verstößt sohin gegen § 22 Abs 3 ArbVG.

V. Ergebnis

1. Die Verordnung des Bundeseinigungsamtes beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, mit der der Mindestlohntarif für angestellte Tierärzt/innen geändert wird, vom , BGBl II 251/2014 (M 1/2014/XXII/96/1) ist zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben, weil die ganze Verordnung der gesetzlichen Grundlage entbehrt (Art139 Abs 3 Z 1 B VG).

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnung gründet sich auf Art 139 Abs 5 letzter Satz B VG.

3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 139 Abs 5 erster Satz B VG und § 4 Abs 1 Z 4 BGBlG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 61a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436, sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240, enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:V59.2015