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VfGH vom 04.12.2006, V59/06

VfGH vom 04.12.2006, V59/06

Sammlungsnummer

18026

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der Änderung eines Flächenwidmungsplanes mangels ausreichender Grundlagenforschung; Vorliegen einer so genannten "Anlasswidmung" zur Errichtung eines Pferdestalles

Spruch

Der Flächenwidmungsplan der Gemeinde Tschagguns in der Fassung der "Verordnung der Gemeindevertretung Tschagguns vom über eine Änderung des Flächenwidmungsplanes", Beschluss der Gemeindevertretung vom , aufsichtsbehördlich genehmigt durch Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom , ZVIIa-602.89, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , insoweit damit Teilflächen der Grundstücke Nr. 215/1 und 220/1 und die Bauparzelle .923 als Baufläche-Mischgebiet (Landwirtschaft) festgelegt wurden, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B329/05 protokollierte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer der Grundstücke Nrn. .1189 und 213/2, jeweils GB Tschagguns. Seine Grundstücke grenzen an das Grundstück Nr. 215/1 an. Mit Bescheid vom , Z 131-9-B/6-2004, erteilte der Bürgermeister der Gemeinde Tschagguns den Bauwerbern gemäß den §§28 und 29 Vorarlberger Baugesetz die Baubewilligung zur Errichtung eines neuen Stallgebäudes auf dem Grundstück Nr. 215/1, GB Tschagguns, bei Einhaltung von im Bescheid genannten Vorschreibungen. Im Zuge dieses Verfahrens ist ua. das letztgenannte Grundstück teilweise umgewidmet worden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie die Verletzung in Rechten durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die Verordnung der Gemeindevertretung Tschagguns vom über eine Änderung des Flächenwidmungsplanes sei gesetzwidrig, weil die Gemeinde Tschagguns kein Ermittlungsverfahren (Grundlagenforschung) durchgeführt habe, sodass die Verordnung ohne Ermittlung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen erlassen worden wäre. In Wahrheit habe die Behörde die Planänderung nur durchgeführt, um den Miteigentümern V. die Errichtung eines Pferdestalles auf der GSt-Nr. 215/1 zu ermöglichen, weshalb es sich um eine kleinräumige, punktbezogene und vom Anlass her initiierte Änderung des Flächenwidmungsplanes (somit um eine unzulässige Anlasswidmung) handle.

II. 1. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, gemäß Art 139 Abs 1 B-VG die Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Tschagguns in der Fassung der "Verordnung der Gemeindevertretung Tschagguns vom über eine Änderung des Flächenwidmungsplanes", Beschluss der Gemeindevertretung vom , aufsichtsbehördlich genehmigt durch Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom , ZVIIa-602.89, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , insoweit damit Teilflächen der Grundstücke Nr. 215/1 und 220/1 und die Bauparzelle .923 als Baufläche-Mischgebiet (Landwirtschaft) festgelegt werden, von Amts wegen zu prüfen.

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ging vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist und er bei seiner Entscheidung darüber den Flächenwidmungsplan der Gemeinde Tschagguns in der Fassung der "Verordnung der Gemeindevertretung Tschagguns vom über eine Änderung des Flächenwidmungsplanes", insoweit damit Teilflächen der Grundstücke Nrn. 215/1 und 220/1 und die Bauparzelle .923 als Baufläche-Mischgebiet (Landwirtschaft) festgelegt werden, anzuwenden hätte.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen die in Prüfung gezogene Widmung der Grundstücke Nrn. 215/1 und 220/1 sowie der Bauparzelle .923 in der "Verordnung der Gemeindevertretung Tschagguns vom über eine Änderung des Flächenwidmungsplanes" folgende Bedenken:

"Der Verfassungsgerichtshof nimmt vorläufig an, dass eine entsprechende Grundlagenforschung zur Klärung der Voraussetzungen für eine Änderung des Flächenwidmungsplanes unterblieben ist. Die vorgelegten Akten lassen nicht erkennen, dass die für die im Flächenwidmungsplan vorgenommenen Änderungen bedeutsamen Gegebenheiten hinreichend erhoben und dem Gemeinderat vor Beschlussfassung zur Kenntnis gebracht wurden. Sowohl im Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Bau- und Raumplanungsausschusses als auch in der Niederschrift der Sitzung der Gemeindevertretung, in der die Änderung des Flächenwidmungsplanes beschlossen wurde, finden sich keine Hinweise auf eine Grundlagenforschung. Die Beilage zum Schreiben der Gemeinde Tschagguns an die Vorarlberger Landesregierung, in dem um Genehmigung der Änderung des Flächenwidmungsplanes ersucht wird, enthält zwar knappe Ausführungen zur Eignung, scheint aber nicht mehr als pauschale Feststellungen der Unbedenklichkeit der Änderung des Flächenwidmungsplanes ohne entsprechende tatsächliche Grundlagenforschung zu beinhalten ['... und auch die Widmung der Baufläche-Mischgebiet (Landwirtschaft) passt in die umliegenden Widmungskategorien.'; 'Die Verträglichkeit der Widmung mit benachbarten Widmungen bzw. bestehenden Nutzungen ist durchaus gegeben.'; 'Interessen Dritter werden durch die Umwidmung nicht nachteilig berührt.'; 'Raumplanerische Bedenken bestehen gegen diese Umwidmung nicht.'].

Der Verfassungsgerichtshof hegt darüber hinaus das Bedenken, dass im Flächenwidmungsplan der Gemeinde Tschagguns in der Fassung der 'Verordnung der Gemeindevertretung Tschagguns vom über eine Änderung des Flächenwidmungsplanes' Teilflächen der Grundstücke Nr. 215/1 und 220/1 und die Bauparzelle .923 lediglich aus Anlass der geplanten Errichtung eines Pferdestalles als Baufläche-Mischgebiet (Landwirtschaft) festgelegt wurden. Aus den vorgelegten Akten ergibt sich, dass der erste Schritt vor dem Verfahren zur Änderung des Flächenwidmungsplanes ein Bauansuchen der Gebrüder V. zur Errichtung eines Pferdestalles war, das der Bürgermeister der Gemeinde Tschagguns an die Agrarbezirksbehörde mit der Bitte weiterleitete, ein Gutachten zu erstellen, ob die geplante Bauführung als notwendig im Sinne des § 18 Abs 3 Vlbg RaumplanungsG 1996 angesehen werden könne. Diese Behörde befand, dass die Baumaßnahme als nicht notwendig beurteilt werden müsste, stellte jedoch in Aussicht, dass nach Ansicht von DI U. G. von der Raumplanungsstelle im Amt der Vorarlberger Landesregierung eine Umwidmung des Baugrundstückes von Freifläche-Landwirtschaft in Baumischgebiet-Landwirtschaft erfolgen könne. Dieser erstellte sodann einen Vorschlag für die Änderung des Flächenwidmungsplanes, der in den (umfangreicheren) Antrag auf Umwidmung ua. der Gebrüder V. einfloss und zum Anlass der Einleitung des Umwidmungsverfahrens wurde."

2. Der Beschwerdeführer verfasste einen Schriftsatz, in dem er vollinhaltlich die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken gegen das gesetzmäßige Zustandekommen der "Verordnung der Gemeindevertretung Tschagguns vom über eine Änderung des Flächenwidmungsplanes" teilt und nochmals auf die fehlende Grundlagenforschung und das Vorliegen einer geradezu klassischen punktuell bezogenen Anlasswidmung hinweist.

3. Die Gemeinde Tschagguns nahm zum Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes folgendermaßen Stellung: Es sei richtig, dass der Anlass der Umwidmung der Wunsch der Gebrüder V. nach der Errichtung eines Pferdestalles gewesen sei. Nachdem vom landwirtschaftlichen Sachverständigen der Agrarbezirksbehörde Bregenz aufgrund der Hobbypferdehaltung die Notwendigkeit gemäß § 18 Abs 3 Vlbg RaumplanungsG 1996 nicht attestiert werden hätte können, sei von DI U. G. von der Raumplanungsstelle im Amt der Vorarlberger Landesregierung eine Besichtigung an Ort und Stelle vorgenommen worden und daraufhin der Gemeinde Tschagguns ein Vorschlag für eine Umwidmung in Baufläche-Mischgebiet (Landwirtschaft) gemacht worden. Bereits dieser Vorschlag sei mit dem Hinweis gemacht worden, nicht nur eine punktuelle, sondern eine flächenbezogene Änderung des Flächenwidmungsplanes vorzunehmen. Die Gemeinde Tschagguns habe daraufhin eine umfangreiche Grundlagenforschung unter Einbeziehung der betroffenen und benachbarten Grundeigentümer durchgeführt. Es sei für die Erhaltung des Gebietscharakters unerheblich, ob eine Widmung als Freifläche-Landwirtschaftsgebiet oder als Baufläche-Mischgebiet (Landwirtschaft) vorliege, sodass es für den benachbarten Beschwerdeführer keine Veränderung gegeben hätte, weil es sowohl bei der ursprünglichen als auch bei der neuen Widmung möglich sei, landwirtschaftliche Gebäude und Anlagen zu errichten und einer Landwirtschaft zuzuordnende Tiere (auch Pferde) zu halten. Das Behördenverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Das Abstimmungsergebnis von 20:1 zeige, dass sich die Gemeindevertretung sicher gewesen sei, durch die Änderung im Flächenwidmungsplan die Raumplanungsziele bestmöglich zu verfolgen. Schließlich sei auf den Umstand hinzuweisen, dass die Gemeinde Tschagguns schon vor Jahren von der bis dahin üblichen Praxis abgegangen sei, Umwidmungsbegehren von Grundeigentümern je nach Anlass in der Gemeindevertretung zu behandeln. Damit keine "klassischen Anlasswidmungen" vorgenommen würden, würden lediglich zwei Mal im Jahr (im April und im November) Änderungen des Flächenwidmungsplanes in der Gemeindevertretung behandelt und allenfalls beschlossen.

4. Die Vorarlberger Landesregierung äußerte sich wie folgt:

Die Umwidmungsanträge von V. und Z. hätten - in Absprache mit der Abteilung Raumplanung und Baurecht (VIIa) des Amtes der Vorarlberger Landesregierung - Anlass für eine umfassende Bereinigung des Flächenwidmungsplanes im gegenständlichen Gebiet gegeben, sodass von einer bloßen Anlasswidmung im Hinblick auf die geplante Errichtung eines Pferdestalles nicht gesprochen werden könne. Die Widmung Bauland-Mischgebiet (Landwirtschaft) unterscheide sich - soweit Anlagen oder Gebäude für land- und forstwirtschaftliche Zwecke betroffen seien - nicht wesentlich von der Widmung als Freifläche-Landwirtschaftsgebiet, sodass die neue Widmung zu keiner Verschlechterung der Situation für den Nachbarn führen würde. Die Errichtung eines Pferdestalles durch einen (zumindest nebenberuflich tätigen) Landwirt sei auf den von der strittigen Umwidmung betroffenen Flächen schon nach der ursprünglichen Widmung als Freifläche-Landwirtschaftsgebiet zulässig gewesen.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes, dass die zu B329/05 protokollierte Beschwerde zulässig ist und dass die in Prüfung gezogene Verordnung bei der Behandlung der Beschwerde präjudiziell ist, haben sich als zutreffend erwiesen.

2. Auch die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, dass eine entsprechende Grundlagenforschung zur Klärung der Voraussetzungen für eine Änderung des Flächenwidmungsplanes unterblieben ist und dass die Umwidmung lediglich aus Anlass der geplanten Errichtung eines Pferdestalles erfolgt ist, treffen zu. Diese Bedenken vermag die Gemeinde Tschagguns mit ihrer Äußerung, dass eine umfangreiche Grundlagenforschung unter Einbeziehung der betroffenen und benachbarten Grundeigentümer durchgeführt worden sei und zur Vermeidung "klassischer Anlasswidmungen" die Praxis der Behandlung von Umwidmungsbegehren in der Gemeindevertretung auf maximal zwei Mal im Jahr beschränkt worden sei, nicht zu entkräften. Den Akten sind nur die im Einleitungsbeschluss bereits wiedergegebenen pauschalen Feststellungen der Unbedenklichkeit der Änderung des Flächenwidmungsplanes zu entnehmen. Eine "umfangreiche Grundlagenforschung" ist nicht dokumentiert. Auch vermag die Zusammenziehung von Änderungen des Flächenwidmungsplanes auf zwei Termine im Jahr die Gemeinde nicht von der Verpflichtung zur Grundlagenforschung zu entbinden (vgl. ua., VfSlg. 17.571/2005, beide zur BauO f. Wien).

3. Die Verpflichtung der Vorarlberger Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG und § 60 Abs 2 VfGG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.