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VfGH vom 15.12.1999, V56/99

VfGH vom 15.12.1999, V56/99

Sammlungsnummer

15693

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung der WasserleitungsO der Gemeinde Ramsau am Dachstein betreffend den Haftungsausschluß der Gemeinde für Störungen und Unterbrechungen in der Wasserabgabe und für Veränderungen in der Wasserbeschaffenheit mangels gesetzlicher Grundlage; Weitergeltung der WasserleitungsO nach Inkrafttreten des Stmk GemeindewasserleitungsG 1971 trotz Fehlens einer expliziten Übergangsregelung

Spruch

In Pkt. I. Allgemeines Z 7 der Wasserleitungsordnung der öffentlichen Wasserversorgungsanlage der Gemeinde Ramsau am Dachstein, in Kraft getreten gemäß den Verordnungen des Landeshauptmannes von Steiermark, LGBl. 43/1964, und der Steiermärkischen Landesregierung, LGBl. 44/1964, am , wird der letzte Satz als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Steiermärkische Landesregierung ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Bezirksgericht Schladming ist zur Z 1 C374/98s ein Verfahren über eine Klage anhängig, in welcher der Kläger, ein Zahnarzt, Schadenersatzansprüche gegen die Gemeinde Ramsau am Dachstein geltend macht. Ein durch Grabearbeiten verursachter Rohrbruch an der Ortswasserleitung habe das Leitungswasser derart verschmutzt, daß es zu Schäden an seinen Dentalgeräten gekommen sei. Die beklagte Gemeinde verteidigt sich mit dem Hinweis auf den letzten Satz in Pkt. I. Z 7 der Wasserleitungsordnung der Gemeinde Ramsau, der einen Haftungsausschluß für jene Fälle normiere, in denen es zu Störungen oder Unterbrechungen in der Wasserabgabe bzw. zu Veränderungen in der Wasserbeschaffenheit komme.

Aus Anlaß dieser Klage hat das Bezirksgericht Schladming mit Schriftsatz vom gemäß Art 139 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, "die Wortfolge 'Für Störungen und Unterbrechungen in der Wasserabgabe oder für Veränderungen in der Wasserbeschaffenheit haftet die Gemeinde nicht' in I. Allgemeines Pkt. 7 der Wasserleitungsordnung vom der Antragsgegnerin hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Landesgesetz vom über die von der Gemeinde errichteten öffentlichen Wasserleitungen (Steiermärkisches Gemeindewasserleitungsgesetz 1971, Stmk. LGBl. Nr. 42/ 1971 idF LGBl. Nr. 82/1995) zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben".

2. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten:

2.1. § 9 des Gesetzes über die von den Gemeinden errichteten öffentlichen Wasserleitungen (Steiermärkisches Gemeindewasserleitungsgesetz 1971; im folgenden:

GemeindewasserleitungsG), LGBl. 42/1971 idF LGBl. 82/1995, lautet:

"§9

(1) Zur näheren Durchführung dieses Gesetzes haben die Gemeinden unter Bedachtnahme auf die Wasserversorgungsverhältnisse Wasserleitungsordnungen zu erlassen, die insbesondere zu enthalten haben:

1. Die Feststellung des Verpflichtungsbereiches der öffentlichen Wasserleitung (§1 Abs 1 und 2);

2. die allfällige Einschränkung des Wasserbezuges auf bestimmte Wasserverbrauchszwecke oder bestimmte Wassermengen (§1 Abs 3);

3. Bestimmungen über die Anmeldung und Herstellung des Hausanschlusses oder Abänderung desselben und des Beginnes des Wasserbezuges aus der öffentlichen Wasserleitung (§1 Abs 6);

4. Bestimmungen über die Anmeldung der Befreiungsansprüche (§2 Abs 1 und 4);

5. die Festsetzung des Tages, an dem jährlich die Bewohnerzahl und der Viehstand ermittelt werden, falls der Wasserzins nach der Bewohnerzahl und dem Viehstand eingehoben werden soll (§5 Abs 2);

6. Bestimmungen über die Aufstellung der Wasserzähler und die Durchführung der Kontrolle des Wasserbezuges (§7 Abs 2);

7. die Festsetzung der Bedingungen, unter denen der Bezug des Wassers aus den öffentlichen Auslaufbrunnen zulässig ist;

8. nähere Bestimmungen über die Führung der Rohrleitungen und Rohrweiten unter Rücksichtnahme auf die Löschwasserbereitstellung, weiters über die Aufstellung und Benützung der Hydranten.

(2) Die Wasserleitungsordnungen der Gemeinden bedürfen, soweit sie sich auf die Ausführungsbestimmungen des Abschnittes I beziehen, des vorherigen Einvernehmens mit der Landesregierung."

2.2. Die Wasserleitungsordnung der öffentlichen Wasserversorgungsanlage der Gemeinde Ramsau am Dachstein (im folgenden: WasserleitungsO) lautet (das antragstellende Gericht hat den Text vorgelegt) auszugsweise (der bekämpfte Satz ist hervorgehoben):

"Der Gemeinderat der Gemeinde Ramsau am Dachstein hat in der öffentlichen Gemeinderatssitzung am und am für die bestehende öffentliche Wasserleitung Ramsau-Leiten im Sinne des Landesgesetzes vom , LGBl. Nr. 8/1932, in der Fassung des Landesgesetzes vom LGBl. Nr. 8 folgende Wasserleitungsordnung beschlossen:

I. Allgemeines

1.) - 6.) ...

7.) Die Eigentümer der an die öffentliche Wasserleitung Ramsau-Leiten angeschlossenen Gebäude und Anlagen sind grundsätzlich berechtigt, das ganze, für die Liegenschaft etc. benötigte Trink- und Nutzwasser, der öffentlichen Wasserleitung zu entnehmen. Die Gemeinde behält sich jedoch vor, eine Beschränkung des Wasserverbrauches auf bestimmte Verbrauchszwecke oder bestimmte Wassermengen anzuordnen, wenn dies durch Rücksichten des Öffentlichen Wohles geboten erscheint. Bei eintretender Feuersgefahr hat die Gemeinde das Recht, über den ganzen Wasservorrat zu verfügen und eine teilweise oder allgemeine Schließung der Hausleitungen vorzunehmen.

Für Störungen und Unterbrechungen in der Wasserabgabe oder für Veränderungen in der Wasserbeschaffenheit haftet die Gemeinde nicht."

Pkt. II. enthält Bestimmungen über Anschlußleitungen und Hausleitungen, Pkt. III. über Wassermesser, Pkt. IV. über Wasserleitungsgebühren, Pkt. V. über Verfahren und Pkt. VI. über den Wirksamkeitsbeginn.

3. Das Bezirksgericht Schladming bringt hinsichtlich der Zulässigkeit seines Antrages vor, daß es die mit der Klage zivilrechtlich geltend gemachten Ersatzansprüche auf der Grundlage der gegenständlichen WasserleitungsO zu beurteilen habe. Dabei sei insbesondere die Frage relevant, ob die beklagte Gemeinde für die Verschmutzung des Leitungswassers und den dadurch verursachten Schäden an den Dentalgeräten des Klägers hafte oder nicht.

In der Sache geht das antragstellende Bezirksgericht davon aus, daß die Gemeinde Ramsau aufgrund des GemeindewasserleitungsG ermächtigt sei, eine WasserleitungsO zu erlassen, dies aber nur in dem von diesem Gesetz vorgegebenen Rahmen. Das Bezirksgericht ist nun der Ansicht, daß mit dem in der WasserleitungsO im letzten Satz der Z 7 im Pkt. I. normierten Haftungsausschluß der vom GemeindewasserleitungsG vorgegebene Rahmen überschritten und so selbständig neues Recht geschaffen worden sei. Dieser Satz sei daher gesetzwidrig.

4. Mit Schreiben vom , zugestellt jeweils am , hat der Verfassungsgerichtshof die Gemeinde Ramsau am Dachstein sowie die Steiermärkische Landesregierung unter Hinweis auf die Säumnisfolgen gemäß § 20 Abs 2 VerfGG aufgefordert, innerhalb von acht Wochen eine schriftliche Äußerung zum Gegenstand zu erstatten und innerhalb derselben Frist die betreffenden Verordnungsakten vorzulegen. Dieser Aufforderung sind bislang weder die Gemeinde Ramsau am Dachstein noch die Steiermärkische Landesregierung nachgekommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Gemäß Art 139 Abs 1 iVm Art 89 Abs 2 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzmäßigkeit von Verordnungen auf Antrag von Gerichten, wenn diese gegen die Anwendung solcher Normen aus dem Grunde der Gesetzmäßigkeit Bedenken haben.

1.2. Die WasserleitungsO der Gemeinde Ramsau am Dachstein ist ungeachtet des Umstandes, daß im Antrag mehrmals im Zusammenhang mit der WasserleitungsO von einer "Liefervereinbarung" die Rede ist, eine Verordnung und damit ein möglicher Anfechtungsgegenstand iSd Art 139 Abs 1 B-VG.

1.3. Die WasserleitungsO wurde nach ihrer Präambel am und am vom Gemeinderat der Gemeinde Ramsau am Dachstein aufgrund des Landesgesetzes, betreffend die von den Gemeinden errichteten öffentlichen Wasserleitungen, LGBl. 8/1932 idF LGBl. 8/1947, beschlossen. Dieses Gesetz ist zwar am vom - im wesentlichen inhaltsgleichen - GemeindewasserleitungsG abgelöst worden; die WasserleitungsO hat dadurch aber nicht ihre Geltung verloren.

Da der Gesetzgeber das GemeindewasserleitungsG ohne Legisvakanz erlassen hat und dieses Gesetz die Wasserleitungsordnungen als notwendig voraussetzt, ist anzunehmen, daß die bestehenden Verordnungen weiter gelten sollen. Es kann dem Gesetzgeber nämlich nicht unterstellt werden, daß sämtliche Wasserleitungsordnungen mit Inkrafttreten des GemeindewasserleitungsG uno actu wegfallen sollten, zumal auch die rückwirkende Erlassung von Wasserleitungsordnungen ohne gesetzliche Ermächtigung nicht zulässig wäre. Auf Grund dieser Konstellation nimmt der Verfassungsgerichtshof an, daß der Gesetzgeber, obzwar er keine explizite Übergangsregelung getroffen hat, von der Weitergeltung der bestehenden Wasserleitungsordnungen ausgegangen ist (vgl. VfSlg. 12634/1991), welche nunmehr am GemeindewasserleitungsG zu messen sind.

1.4. Die Anfechtung einer Verordnung ist nur insoweit zulässig, als sie das Gericht in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hat (Art139 Abs 1 B-VG). Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Entscheidung über die Präjudizialität der angefochtenen Vorschrift das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag nach Art 140 bzw. nach Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989, 15054/1997).

Laut Antrag begehrt der Kläger Ersatz für Schäden an seinen Dentalgeräten, die durch Verschmutzung des Leitungswassers entstanden seien. Dem antragstellenden Gericht kann nicht entgegengetreten werden, wenn es der Auffassung ist, daß es bei der Entscheidung der Rechtssache den angefochtenen Satz, und zwar zur Gänze, anzuwenden habe. Sohin ist der Antrag - da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen - zulässig.

2. In der Sache:

Das Bedenken des Bezirksgerichtes Schladming geht dahin, daß für den letzten Satz der Z 7 im Pkt I. der WasserleitungsO keine gesetzliche Grundlage bestehe.

Dieses Bedenken trifft zu. § 9 GemeindewasserleitungsG ermächtigt die Gemeinden dazu, "(z)ur näheren Durchführung dieses Gesetzes (...) unter Bedachtnahme auf die Wasserversorgungsverhältnisse Wasserleitungsordnungen" zu erlassen, wobei der Inhalt der Wasserleitungsordnungen in § 9 Abs 1 demonstrativ aufgezählt ist. Für die angefochtene Bestimmung der WasserleitungsO findet sich im GemeindewasserleitungsG weder eine ausdrückliche Ermächtigung in § 9 Abs 1 noch ist sie durch die übrigen Bestimmungen des Gesetzes gedeckt. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob der Landesgesetzgeber überhaupt zuständig gewesen wäre, eine Regelung zu schaffen, die als gesetzliche Grundlage der angefochtenen Bestimmung in Frage käme.

Der letzte Satz der Z 7 im Pkt I. der WasserleitungsO entbehrt der gesetzlichen Deckung. Er war daher als gesetzwidrig aufzuheben.

3. Die Verpflichtung der Steiermärkischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt gründet auf Art 139 Abs 5 letzter Satz B-VG iVm § 60 Abs 2 VerfGG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Fundstelle(n):
KAAAE-29669