VfGH vom 01.07.1993, V55/92
Sammlungsnummer
13501
Leitsatz
Abweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Flächenwidmungsplanänderung hinsichtlich der Widmung eines Grundstücks als "Wohngebiet für förderbare Wohnbauten"; keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen die der Umwidmung zugrundeliegende Bestimmung des Tir RaumOG; keine dynamische Verweisung; keine Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz und das Eigentumsrecht
Spruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstückes Nr. 3364/26, EZ 1161, KG Kitzbühel-Land. Gemäß Art 139 B-VG begehren sie die Aufhebung der Verordnung des Gemeinderates der Stadt Kitzbühel vom , genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , ZVe-546-61/410, mit der eine Änderung des Flächenwidmungsplanes der Stadt Kitzbühel beschlossen wurde, soweit durch diese Verordnung das im Eigentum der Antragsteller stehende Grundstück als "Wohngebiet für förderbare Wohnbauten" gemäß § 12 Abs 3 Tiroler Raumordnungsgesetz, LGBl. 4/1984 (TROG), gewidmet wird.
Ihre Antragslegitimation begründen die Antragsteller unter Berufung auf die entsprechende Judikatur des Verfassungsgerichtshofes damit, daß ihnen kein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung ihrer Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der bekämpften Widmung zur Verfügung stehe und daß diese Widmung insofern direkt in ihre Rechtssphäre eingreife, als sie ein konkret geplantes Bauvorhaben der Antragsteller unzulässig mache.
b) In der Sache bringen die Antragsteller zunächst vor, daß § 12 Abs 3 TROG, auf dessen Grundlage die bekämpfte Widmung erfolgt sei, kompetenzwidrig sei, weil er eine dynamische Verweisung auf den jeweils geltenden Inhalt von "wohnbauförderungsrechtlichen Vorschriften" enthalte. Zum Zeitpunkt der Schaffung des § 12 Abs 3 TROG, nämlich am , sei zur Erlassung derartiger wohnbauförderungsrechtlicher Bestimmungen gemäß der Kompetenzartikel des B-VG nämlich der Bund zuständig gewesen. Erst mit (richtig wohl: ) sei die betreffende Kompetenzrechtslage durch die B-VG-Novelle BGBl. 685/1988 (richtig wohl: BGBl. 640/1987) zugunsten der Länder geändert worden. Kompetenzwidrigkeiten seien nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung eines Gesetzes zu beurteilen und nicht nach jener im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. Die bekämpfte Gesetzesstelle möge daher in einem von Amts wegen durchzuführenden Gesetzesprüfungsverfahren wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden. Im übrigen sei § 12 Abs 3 TROG auch nach der geltenden Rechtslage verfassungswidrig, da der Bund im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung jederzeit Selbstbindungsgesetze mit wohnbauförderungsrechtlichem Inhalt erlassen könne, die sodann von der in § 12 Abs 3 leg.cit. vorgenommenen Verweisung jedenfalls in kompetenzwidriger Weise mitumfaßt wären.
§ 12 Abs 3 TROG verstoße aber auch gegen das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums, weil er ein möglicherweise legitimes öffentliches Interesse, nämlich die Beschaffung von erschwinglichem Wohnraum für die einheimische Bevölkerung, mit "ungeeigneten und inadäquaten" Mitteln zu verwirklichen suche. Allein mit der Begrenzung der Nutzfläche von zu errichtenden Wohnungen könne das Ziel der Wohnraumbeschaffung sicherlich nicht erreicht werden, zumal das Gesetz keinerlei Zwangsmaßnahmen vorsehe, um die gemäß § 12 Abs 3 TROG gewidmeten Flächen tatsächlich einer entsprechenden Verwendung zuzuführen. Die bekämpfte Regelung widerspreche auch dem Gleichheitsgrundsatz, da sie zur Zielerreichung ungeeignet, also nicht sachlich gerechtfertigt, und überdies - so die Antragsteller - unverhältnismäßig sei. Aus denselben Gründen, also mangels sachlicher Rechtfertigung, verstoße die kritisierte Gesetzesbestimmung auch gegen das Grundrecht auf Niederlassungsfreiheit gemäß Art 6 Abs 1 StGG. Da die angefochtene Verordnung somit auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhe, das vom Verfassungsgerichtshof von Amts wegen aufgehoben werden möge, regen die Antragsteller über ihren Antrag hinaus die Aufhebung der gesamten Verordnung gemäß Art 139 Abs 3 lita B-VG an.
2. Der Gemeinderat der Stadt Kitzbühel legte dem Verfassungsgerichtshof die auf die angefochtene Verordnung bezughabenden Akten vor, verweist hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des § 12 Abs 3 TROG auf das Erkenntnis VfSlg. 12569/1990 und begehrt, dem Antrag möge nicht Folge gegeben werden.
3. Die Tiroler Landesregierung legte ebenfalls die auf die bekämpfte Verordnung bezughabenden Verwaltungsakten vor und weist in ihrer Äußerung zunächst darauf hin, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen grundsätzlich die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof als Maßstab herangezogen wird. Lediglich unter ganz speziellen Voraussetzungen, die im vorliegenden Fall aber jedenfalls nicht erfüllt seien, habe der Verfassungsgerichtshof die kompetenzrechtliche Zulässigkeit eines Gesetzes an der Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des betreffenden Gesetzes gemessen. Im übrigen habe bereits der Verfassungsgerichtshof selbst im Erkenntnis VfSlg. 12569/1990 § 12 Abs 3 TROG nicht für kompetenzwidrig erachtet.
Den von den Antragstellern geäußerten Bedenken hinsichtlich des Gleichheitsgrundsatzes und der Niederlassungsfreiheit begegnet die Landesregierung mit dem Einwand, daß die bekämpfte Regelung durchaus sachgerecht und adäquat sei. Es sei ohne Zweifel zweckmäßig, die zulässige Gesamtnutzfläche von Wohnungen im Hinblick auf die betreffenden wohnbauförderungsrechtlichen Vorschriften mit 150 m2 zu beschränken, da eine derartige Wohnungsgröße im allgemeinen dem Wohnbedürfnis auch mehrköpfiger Familien genüge. Größere Wohnungen hingegen seien für jenen Teil der Bevölkerung, der die Wohnbauförderung in Anspruch nimmt, in der Regel unerschwinglich. Daß schließlich kein Zwang bestehe, die gemäß § 12 Abs 3 TROG gewidmeten Grundstücke tatsächlich entsprechend zu bebauen, sei nicht weiter verwunderlich, da Zwangsmaßnahmen wie Enteignungen dem Raumordnungsrecht grundsätzlich fremd und aus kompetenzrechtlichen Gründen auch untersagt seien. Von einer überschießenden Regelung könne ebenfalls nicht gesprochen werden, da gemäß dem Wortlaut des § 12 Abs 3 TROG nur ein Teil des Gemeindegebietes als Wohngebiet für förderbare Wohnbauten gewidmet werden dürfe.
Aufgrund dieser Erwägungen beantragt die Tiroler Landesregierung die Abweisung des Antrages.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Antrag ist zulässig (zur Zulässigkeit der Anfechtung von Flächenwidmungsplänen in Tirol durch Grundeigentümer vgl. VfSlg. 12569/1990 mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).
2. Die für das Grundstück der Antragsteller geltende Widmung ist in § 12 Abs 3 TROG vorgesehen. Diese Gesetzesstelle hat folgenden Wortlaut:
"Im Flächenwidmungsplan kann für Teile des Wohngebietes festgelegt werden, daß auf den in diesem Gebiet liegenden Grundflächen nur Wohnbauten errichtet werden dürfen, bei denen die darin vorgesehenen Wohnungen hinsichtlich ihrer Größe und ihres Verwendungszweckes nach den wohnbauförderungsrechtlichen Vorschriften förderbar sind. Für diese Teile des Wohngebietes kann im Flächenwidmungsplan überdies im Interesse der Errichtung von Wohngebäuden in verdichteter Bauweise die höchstzulässige Größe neu zu schaffender Bauplätze festgelegt werden."
Mit kompetenzrechtlichen Bedenken gegen § 12 Abs 3 TROG hat sich der Verfassungsgerichtshof in dem sowohl vom Gemeinderat als auch von der Tiroler Landesregierung zitierten, bereits genannten Erkenntnis VfSlg. 12569/1990 ausführlich auseinandergesetzt. In diesem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, daß § 12 Abs 3 TROG entgegen der Rechtsansicht der damaligen Antragsteller lediglich an eine wohnbauförderungsrechtliche Regelung anknüpft und eine - der Raumordnung zuzurechnende - Vorschrift hinsichtlich der Größe und Ausgestaltung von Wohnungen darstellt.
Mit dieser Feststellung (vgl. zur Zulässigkeit des "Anknüpfens" an Normen einer fremden Rechtssetzungsautorität VfSlg. 12384/1990 S. 598ff.) ist auch der Behauptung der Antragsteller, daß § 12 Abs 3 TROG eine - verfassungsrechtlich unzulässige (vgl. zB VfSlg. 12293/1990) - dynamische Verweisung auf die Vorschriften eines anderen Gesetzgebers enthalte, der Boden entzogen.
3. Die übrigen Bedenken der Antragsteller, daß § 12 Abs 3 TROG unsachlich, inadäquat und überdies unverhältnismäßig sei und daher sowohl gegen den Gleichheitsgrundsatz als auch gegen das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums verstoße, teilt der Verfassungsgerichtshof ebenfalls nicht.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes richtet sich der Gleichheitsgrundsatz auch an den Gesetzgeber, verbietet diesem aber nicht, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl. zB VfSlg. 7864/1976, 7996/1977). Es ist dem Gesetzgeber lediglich verwehrt, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg. 8457/1978, 10064/1984, 10084/1984).
Der Sinn und Zweck des § 12 Abs 3 TROG besteht in der Bereitstellung von Bauland für jene Arten von Wohnbauten, die an sich auch förderbar sind. Die Schaffung einer eigenen Widmungskategorie, die sich nach der Größe und Ausgestaltung von Wohnungen richtet, ist daher geeignet, dem öffentlichen Interesse zu dienen. Es kann auch keine Rede davon sein, daß der Tiroler Landesgesetzgeber mit der Schaffung dieser Widmungskategorie ein völlig ungeeignetes Mittel gewählt hat oder daß er mit dieser Vorgangsweise den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten hat. Ob die kritisierte Regelung den bestmöglichen Weg zur Zielerreichung darstellt, ist vom Verfassungsgerichtshof unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes nicht zu beurteilen (vgl. zB VfSlg. 6541/1971, 7885/1976, 8457/1978, 11369/1987).
b) Durch die Widmung ihres Grundstückes gemäß § 12 Abs 3 TROG wird insofern in das Eigentumsrecht der Antragsteller eingegriffen, als Errichtung und Nutzung von Bauwerken auf diesem Grundstück nur auf eine bestimmte eingeschränkte Art und Weise zulässig sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. dazu VfSlg. 6780/1972 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 9189/1981, 12100/1989) gilt der erste Satz des Art 5 StGG ebenso für Eigentumsbeschränkungen, auf die sich allerdings auch der im zweiten Satz des zitierten Artikels enthaltene Gesetzesvorbehalt erstreckt. Der Gesetzgeber kann daher unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. VfSlg. 9911/1983, 11402/1987, 12100/1989) verfassungsrechtlich einwandfreie Eigentumsbeschränkungen verfügen.
Die oben unter Pkt. a) dargelegen Erwägungen über die Sachlichkeit der Regelung gelten auch unter dem Aspekt des Eigentumsrechtes. Es dient, worauf der Verfassungsgerichtshof bereits hingewiesen hat, dem öffentlichen Interesse, wenn bestimmte Teile des Gemeindegebietes langfristig in einer Weise bebaut werden, die hinsichtlich der Größe und Ausgestaltung von Wohnungen im Regelfall den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung entspricht. Wenn die Antragsteller schließlich auf den Umstand verweisen, daß für die tatsächliche Umsetzung einer Flächenwidmung nach § 12 Abs 3 TROG keinerlei Zwangsmaßnahmen wie zB Enteignungen vorgesehen sind, ist darauf zu erwidern, daß - von einzelnen, im besonderen öffentlichen Interesse gelegenen Verwendungszwecken (wie etwa bei Vorbehalts- oder Sonderflächen) abgesehen - die Widmungsvorschriften des Raumordnungsrechtes an sich nicht zwangsweise, also nicht durch Enteignung zu verwirklichen sind, sondern von ihren Rechtswirkungen her lediglich dazu berufen sind, abweichende bauliche Nutzungen zu verhindern (s. Fröhler-Oberndorfer, Österreichisches Raumordnungsrecht, Band 1, 1975, S. 165).
c) Vor dem Hintergrund der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Grundrecht auf Aufenthaltsfreiheit gemäß Art 6 Abs 1 StGG (s. VfSlg. 7135/1973, 7535/1975, 8566/1979, 9123/1981) erweisen sich auch die diesbezüglichen Bedenken der Antragsteller als unbegründet, da ihre Berechtigung, in jedem Ort innerhalb des Staatsgebietes dauernd zu wohnen sowie sich dort selbst vorübergehend aufzuhalten, durch die Flächenwidmung ihres Grundstückes gemäß § 12 Abs 3 TROG nicht berührt wird.
III. Da die von den Antragstellern ausschließlich gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage der bekämpften Verordnung vorgebrachten Bedenken daher insgesamt nicht zutreffen, war dem Antrag keine Folge zu geben.
Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.