VfGH vom 20.11.2014, V55/2014
Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer nicht durch den zuständigen Gemeinderat erlassenen Halte- und Parkverbotsverordnung; Voraussetzungen für die Erlassung einer Verordnung in Form einer dringenden Verfügung seitens des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck nicht gegeben
Spruch
I. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom , Z VI-824/1988-STV, betreffend Verkehrsmaßnahmen in der Fallmerayerstraße aus brandsicherheitstechnischen Gründen war gesetzwidrig.
II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Beim Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: LVwG Tirol) ist eine Maßnahmenbeschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt: Am wurde der in Innsbruck in der Fallmerayerstraße geparkte PKW der Beschwerdeführerin durch ein Organ der Verkehrsinspektion Innsbruck abgeschleppt, weil er im Bereich eines vor dem Zufahrtstor zum Bundesoberstufenrealgymnasium Innsbruck, Fallmerayerstraße 7, mit "Halten und Parken verboten" mit der Zusatztafel "Abschleppzone – Feuerwehrzone" beschilderten Straßenabschnittes abgestellt gewesen sei.
Aus Anlass dieses Verfahrens entstanden beim LVwG Tirol Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom , Z VI-824/1988-STV, betreffend Verkehrsmaßnahmen in der Fallmerayerstraße aus brandsicherheitstechnischen Gründen.
2. Gestützt auf Art 139 Abs 1 Z 1 B VG stellt das LVwG Tirol den Antrag, "die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom , Zl VI-824/1988-STV, wonach folgende Verkehrsregelung verfügt wird: 'Halten und Parken verboten' (§52/13b StVO 1960) – mit Zusatztafel 'Abschleppzone – Feuerwehrzone' – Fallmerayerstraße: ostseitig, im Bereich der Schulhofeinfahrt des Oberstufenrealgymnasiums auf eine Länge von ca. 9 m Dieser Verordnung entgegenstehende Verkehrsregelungen werden hiedurch gleichzeitig außer Kraft gesetzt.' ihrem ganzen Inhalt nach als gesetzwidrig aufzuheben."
Dazu bringt das LVwG Tirol unter Hinweis auf § 94d Abs 1 Z 4 StVO 1960 vor, dass es sich bei der Fallmerayerstraße um eine Gemeindestraße handle und daher der Gemeinderat zur Erlassung des Halte- und Parkverbotes zuständig sei. Tatsächlich sei das Halte- und Parkverbot jedoch – unrechtmäßig – durch den Bürgermeister der Stadt Innsbruck im Wege des "Notverordnungsrechtes" gemäß § 33 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 erlassen worden. Die Schule, vor deren Zufahrtstor das Halte- und Parkverbot bestünde, befände sich bereits seit dem Jahr 1877 im Gebäude in der Fallmerayerstraße 7. Aus dem Verordnungsakt ergäbe sich, dass schon im Jahr 1986 anlässlich einer Brandschutzübung angeregt worden sei, die Einfahrt in den Schulhof unbedingt freizuhalten. Diese Problematik sei allerdings erst im Jänner 1988 vom Brandschutzbeauftragten der Schule wieder aufgeworfen worden. Aus dem dem Verordnungsakt zu entnehmenden, über drei Monate dauernden Schriftwechsel zwischen den zuständigen Magistratsabteilungen und dem Feuerwehrkommando gehe zudem hervor, dass hinsichtlich der zu setzenden Maßnahmen unterschiedliche Auffassungen bestanden hätten.
Aus § 33 Abs 3 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 sei abzuleiten, dass als Voraussetzung für die Erlassung einer "Notverordnung" ein Nachteil für die Sache bzw. ein Schaden für die Stadt so unmittelbar und akut drohen müsse, dass die rechtzeitige Einberufung des Gemeinderates nicht möglich sei. Die bloße Möglichkeit des Eintritts einer allgemeinen Gefährdungssituation – wie etwa im vorliegenden Fall Brandgefahr ohne Vorliegen einer akuten Gefährdung aufgrund bestimmter Umstände – möge hingegen wohl ein sofortiges Handeln des zuständigen Organs erfordern, könne jedoch nicht dazu führen, dass damit die Zuständigkeit des Gemeinderates als oberstes Organ im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (Art118 Abs 5 B VG) beseitigt werde. Eine rasche Befassung des Innsbrucker Gemeinderates wäre gemäß § 20 Abs 1 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 jedenfalls möglich gewesen. Aus dem Verordnungsakt gehe zudem nicht hervor, weshalb in dieser Angelegenheit nicht zumindest die zeitgerechte Einberufung des Stadtsenates möglich gewesen sei.
Unter Hinweis auf die §§23 Abs 3, 24 Abs 3 sowie 89a Abs 2a StVO 1960 verweist das LVwG Tirol darauf, dass das Abstellen eines Fahrzeuges vor einer Hofeinfahrt bereits vor Erlassung der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom , Z VI-824/1988-STV, rechtliche Konsequenzen nach sich gezogen habe; die Verordnung habe diese Bestimmungen lediglich verschärft und verdeutlich.
3. Die Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck erstattete eine Gegenschrift, in der sie ausführt, dass der "damalige" Brandschutzbeauftragte der Schule auf die Gefahren der durch parkende Autos verstellten Feuerwehrzufahrt hingewiesen habe. Bei Erlassung der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom , Z VI-824/1988-STV, habe es sich jedenfalls um eine Angelegenheit gehandelt, die ihrer Natur nach – um die Gefährdung von Schülern und Lehrern im Brandfall zu vermeiden – einer sofortigen Erledigung bedurft habe.
Die Bürgermeisterin verweist in ihrer Gegenschrift zudem darauf, dass aufgrund der Errichtung einer zweiten Zufahrt zum Bundesoberstufenrealgymnasium Innsbruck die Verordnung des Bürgermeisters vom , Z VI-824/1988-STV, am aufgehoben und eine neue Verordnung erlassen worden sei.
II. Rechtslage
1. § 94d Z 4 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), BGBl 209/1969, in der zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung geltenden zehnten StVO-Novelle, BGBl 174/1983, lautete:
"§94d. Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde
Sofern der Akt der Vollziehung nur für das Gebiet der betreffenden Gemeinde wirksam werden und sich auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll, sind folgende Angelegenheiten von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen:
1.-3. […]
4. die Erlassung von Verordnungen nach § 43, mit denen Beschränkungen für das Halten und Parken oder ein Hupverbot erlassen werden,
5.-20. […]"
2. § 18 Abs 1 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 in der zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung geltenden Stammfassung, LGBl 53/1975, lautete:
"§18
Wirkungskreis des Gemeinderates
(1) Der Gemeinderat ist in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches das oberste beschließende Organ der Stadt. Er ist zur Beschlußfassung und zur Überwachung der Vollziehung in allen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde berufen, soweit die Beschlußfassung nicht durch Gesetz ausdrücklich einem anderen Organ zugewiesen ist."
3. § 20 Abs 1 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 in der zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung geltenden Stammfassung, LGBl 53/1975, lautete auszugsweise:
"§20
Einberufung des Gemeinderates
(1) Der Gemeinderat tritt auf Einberufung durch den Bürgermeister nach Bedarf, mindestens aber in jedem Kalendermonat zusammen. In den Monaten August und September jedes Jahres findet keine Gemeinderatssitzung statt, es sei denn, daß die Abhaltung einer solchen zur Behandlung unaufschiebbarer Angelegenheiten im öffentlichen Interesse erforderlich wäre. […]"
4. § 33 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck, LGBl 53/1975, in der zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung geltenden Fassung, LGBl 38/1982, lautete:
"§33
Verfügungen in dringenden Fällen
(1) In dringenden Fällen, in denen die zeitgerechte Einberufung des Gemeinderates nicht möglich ist, kann der Bürgermeister in Angelegenheiten, die der Beschlußfassung des Gemeinderates zustehen, einen Beschluß des Stadtsenates einholen und in Fällen, in denen auch dessen zeitgerechte Einberufung nicht möglich ist, anstelle dieser Organe handeln.
(2) In dringenden Fällen, in denen die zeitgerechte Einberufung des Stadtsenates nicht möglich ist, kann der Bürgermeister in Angelegenheiten, die der Beschlußfassung des Stadtsenates zustehen, anstelle dieses Organes handeln.
(3) Ein dringender Fall im Sinne der Abs 1 und 2 liegt vor, wenn die Erledigung der Angelegenheit ohne Nachteil für die Sache oder ohne Gefahr eines Schadens für die Stadt nicht aufgeschoben werden kann oder die Angelegenheit ihrer Natur nach einer sofortigen Erledigung bedarf.
(4) Der Bürgermeister hat die getroffene Verfügung ohne Verzug dem zuständigen Organ zur Kenntnis zu bringen."
5. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom , Z VI-824/1988-STV, betreffend Verkehrsmaßnahmen in der Fallmerayerstraße aus brandsicherheitstechnischen Gründen lautet (Hervorhebung im Original):
"VERORDNUNG
Auf Grund der §§43 (1) litb und 94 d StVO 1960 i.d.g.F. wird im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs folgende Verkehrsregelung verfügt:
'Halten und Parken verboten' (§52/13 b StVO 1960)
– mit Zusatztafel 'Abschleppzone – Feuerwehrzone' –
Fallmerayerstraße: ostseitig, im Bereich der Schulhofeinfahrt des Oberstufenreal-
gymnasiums auf eine Länge von ca. 9 m
Dieser Verordnung entgegenstehende Verkehrsregelungen werden hiedurch gleichzeitig außer Kraft gesetzt.
Verfügung gemäß § 33 des Innsbrucker Stadtrechtes.
Der Bürgermeister:
[…]"
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art 139 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.2. Aus § 94d Z 4 StVO 1960 iVm § 18 Abs 1 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 ergibt sich die Zuständigkeit des Gemeinderates zur Erlassung des Halte- und Parkverbotes.
Gemäß § 33 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 kann in dringenden Fällen, in denen die zeitgerechte Einberufung des Gemeinderates nicht möglich ist, der Bürgermeister in Angelegenheiten, die der Beschlussfassung des Gemeinderates bedürfen, einen Beschluss des Stadtsenates einholen und in Fällen, in denen auch dessen zeitgerechte Einberufung nicht möglich ist, anstelle dieser Organe handeln.
Gemäß § 20 Abs 1 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 tritt der Gemeinderat auf Einberufung durch den Bürgermeister nach Bedarf, mindestens aber in jedem Kalendermonat zusammen.
2.3. Aus dem vorgelegten Verordnungsakt ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen im vorliegenden Fall die Möglichkeit der Einberufung einer Sitzung des Gemeinderates nicht bestanden hätte. Auch in der Gegenschrift der Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck wird in keiner Weise dargelegt, dass besondere Umstände vorgelegen hätten, die die Einberufung verhindert hätten. Es ergeben sich daher keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen von Tatsachen, die ein Einschreiten des Bürgermeisters gemäß § 33 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 rechtfertigen würden (vgl. VfSlg 10.646/1985, 13.161/1992, 13.792/1994, 14.063/1995, 14.423/1996, 14.574/1996, 14.749/1997, 17.841/2006, 19.387/2011).
Darüber hinaus lässt weder der Verordnungsakt, die Gegenschrift der Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck noch der durch die Verordnung geregelte Gegenstand einen Hinweis darauf zu, dass die für die Erlassung einer Verordnung gemäß § 33 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 erforderliche "Dringlichkeit" (§33 Abs 3 leg. cit.) vorgelegen wäre.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Da die Verordnung nicht durch den hiefür zuständigen Gemeinderat erlassen wurde und die Voraussetzungen für die Erlassung einer Verordnung in Form einer dringenden Verfügung seitens des Bürgermeisters nicht gegeben waren, ist auszusprechen, dass die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom , Z VI-824/1988-STV, betreffend Verkehrsmaßnahmen in der Fallmerayerstraße aus brandsicherheitstechnischen Gründen gesetzwidrig war.
2. Da die genannte Verordnung nicht mehr in Kraft ist, hat sich der Verfassungsgerichtshof auf den oben bezeichneten Ausspruch zu beschränken (Art139 Abs 4 B VG).
3. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieser Feststellung stützt sich auf Art 139 Abs 5 B VG iVm § 2 Abs 1 litj Landes-Verlautbarungsgesetz 2013.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2014:V55.2014