VfGH vom 02.03.2000, V52/99
Sammlungsnummer
15735
Leitsatz
Gesetzwidrigkeit der Bestimmung der Sondernotstandshilfeverordnung über die Beurteilung der Gebührlichkeit der Sondernotstandshilfe anhand des Vorhandenseins geeigneter Kinderbetreuungsmöglichkeiten mangels gesetzlicher Deckung bis zum Inkrafttreten einer Gesetzesnovelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz
Spruch
§2a der Sondernotstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 361/1995 in der Fassung der Novelle BGBl. II Nr. 200/1997, war bis gesetzwidrig.
Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B1524/98 und B1598/98 Verfahren über Beschwerden von Müttern anhängig, die im Hinblick auf ihre im Jahre 1996 geborenen Kinder nach dem Bezug von Karenzgeld Sondernotstandshilfe begehren. Angesichts des Vorliegens von Bescheinigungen der Gemeinde nach § 2 der Sondernotstandshilfeverordnung, wonach bei einer namentlich genannten Tagesmutter eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit für die Kinder bestehe, wurde ihr Antrag abgewiesen. Die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gab ihren Berufungen, in welchen sie die Eignung der Tagesmutter bestritten, nach Einholung einer Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft keine Folge.
Aus Anlaß dieser Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof am die Prüfung des § 2a der Sondernotstandshilfeverordnung beschlossen und seine Bedenken im Anschluß an jene, die er im Erkenntnis VfSlg. 15.363/1998 für die frühere Fassung des § 2a Sondernotstandshilfeverordnung bereits als begründet gefunden hatte, wie folgt formuliert:
"1. Nach § 2 der Verordnung hat die Gemeinde über Aufforderung durch das Arbeitsmarktservice 'zu bescheinigen, ob eine Unterbringungsmöglichkeit für das Kind besteht' (Näheres im vorgenannten Erkenntnis). Daran knüpft § 2a folgendermaßen an (zunächst Fassung BGBl. 264/1996):
'Durchführung durch das Arbeitsmarktservice
§2a. (1) Die Beurteilung der Gebührlichkeit von Sondernotstandshilfe hat jedenfalls anhand einer verbindlichen Bescheinigung der Gemeinde über das Vorhandensein oder Fehlen einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit (§2) zu erfolgen.
(2) Das Arbeitsmarktservice hat sich bei seiner Entscheidung über den Anspruch auf Sondernotstandshilfe hinsichtlich der Frage, ob mangels Vorhandensein einer Unterbringungsmöglichkeit keine Beschäftigung aufgenommen werden kann, in vollem Umfang auf die Bescheinigung der Gemeinde zu stützen. Es hat davon auszugehen, daß bei der Abgabe der Bescheinigung sämtliche Voraussetzungen für die Eignung der Unterbringungsmöglichkeit von der Gemeinde berücksichtigt wurden und daher eigene Beurteilungen nicht zu erfolgen haben. Im Berufungsverfahren ist allenfalls in bezug auf die Berufungseinwendungen die ergänzende Stellungnahme der Gemeinde als Entscheidungsgrundlage einzuholen.
(3) Wird von dem/der Antragsteller/in die Eignung der von der Gemeinde bekanntgegebenen Unterbringungsmöglichkeit bestritten, so ist die Partei zur Durchführung des im § 2 Abs 2 geregelten Verfahrens an die die Bescheinigung ausstellende Stelle zu verweisen.
(4) Wird von der Gemeinde das voraussichtliche Vorhandensein einer Unterbringungsmöglichkeit erst für einen späteren Zeitpunkt bestätigt, so ist zunächst die Sondernotstandshilfe zuzuerkennen und vor dem voraussichtlich angegebenen Termin die Gemeinde zur Abgabe einer neuerlichen, nunmehr verbindlichen Bescheinigung im Wege der Partei aufzufordern.'
Die am im BGBl. II unter Nr. 200 kundgemachte Novelle formuliert den letzten Satz des Abs 2 neu wie folgt:
'Im Berufungsverfahren ist in bezug auf Berufungseinwendungen hinsichtlich der Unterbringungsmöglichkeit die Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde einzuholen.'
Entfallen sind demnach - abgesehen von der Nennung der Bezirksverwaltungsbehörde anstelle der Gemeinde - nur die Worte 'allenfalls' und 'ergänzende' (Stellungnahme) sowie die Wortfolge 'als Entscheidungsgrundlage' im sonst gleichgebliebenen Satz.
2. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß die Neufassung des letzten Satzes in Abs 2 des § 2a mangels besonderer Anordnung nach Ablauf des Tages der Kundmachung der Novelle in Kraft getreten und in den vorliegenden, erst 1998 eingeleiteten Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.
Der Gerichtshof nimmt ferner vorläufig an, daß sich der Inhalt des § 2a insgesamt durch diese Novelle nicht wesentlich geändert hat, die Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde im Falle einschlägiger Berufungseinwendungen (anders als früher die der Gemeinde) nunmehr jedenfalls einzuholen und nicht mehr bloß als Ergänzung (der Bescheinigung der Gemeinde), sondern losgelöst von dieser zu werten ist (weshalb möglicherweise durch eine gegenteilige Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde die bindende Wirkung der Bescheinigung gelöst wird), wogegen der Entfall der Wortfolge 'als Entscheidungsgrundlage' vorläufig keinen rechten Sinn erkennen läßt.
Auch in dieser Fassung scheint es der die Zuständigkeit zur Entscheidung der Frage der Unterbringungsmöglichkeit auf andere Behörden verlagernden Verordnungsbestimmung aber an einer gesetzlichen Deckung zu mangeln. Als solche Deckung scheint auch die Neufassung des § 39 ArbeitslosenversicherungsG durch die Novelle BGBl. I 47/1997 nicht in Betracht zu kommen, da § 39 in der neuen Fassung zwar mit in Kraft getreten ist, für Ansprüche aufgrund von Geburten vor dem (für welche die Sondernotstandshilfeverordnung gleichfalls gilt) das Gesetz aber weiterhin in der am geltenden Fassung anzuwenden bleibt (§79 Abs 39 idF BGBl. I 47/1997) und die Neufassung in allen einschlägigen Teilen außerdem - wie es scheint - unverändert geblieben ist und weiterhin nichts enthält, was gegenüber der bereits als gesetzwidrig festgestellten alten Fassung nunmehr die in Rede stehende Verordnungsbestimmung decken könnte."
Mit dem am ausgegebenen Stück des Bundesgesetzblattes I wurde unter Nr. 153 ein Bundesgesetz kundgemacht, worin unter anderem das ArbeitslosenversicherungsG 1977 neuerlich geändert wurde. Diese Änderung nimmt auf jene Fassung bezug, die § 39 AlVG durch die Novelle BGBl. I 47/1997 erhalten und in der Abs 6 folgendermaßen gelautet hatte:
"(6) Dem Antrag auf Gewährung der Sondernotstandshilfe ist eine Bescheinigung der Hauptwohnsitzgemeinde über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit für das Kind beizulegen. Die Hauptwohnsitzgemeinde ist im Hinblick auf den gemäß § 2 Abs 2 des Finanzausgleichsgesetzes 1993, BGBl. Nr. 30, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 853/1995, zu leistenden Kostenersatz an das Arbeitsmarktservice verpflichtet, eine solche Bescheinigung auszustellen. Sie ist dabei an die Sondernotstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 361/1995, in der jeweils geltenden Fassung gebunden."
Diesem Abs 6 fügt die Novelle BGBl. I 153/1999 (Art4 Z 4) nunmehr folgende Sätze an:
"Die Gewährung der Sondernotstandshilfe durch die regionale Geschäftsstelle ist bei Vorliegen einer solchen Bescheinigung über das Vorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit nicht zulässig. Im Berufungsverfahren ist bei Berufungseinwendungen betreffend die Unterbringungsmöglichkeit eine Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde einzuholen und in freier Beweiswürdigung zu entscheiden."
Art 4 Z 5 der Novelle BGBl. I 153/1999 ergänzt die Inkrafttretensbestimmungen des § 79 AlVG um einen Abs 49 folgenden Inhalts:
"§39 Abs 6 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 153/1999 tritt mit in Kraft."
II. Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist unter Hinweis auf die Ergänzung des § 39 Abs 6 AlVG durch die Novelle BGBl. I 153/1999 der Auffassung, seit bestehe eine gesetzliche Deckung für § 2a Sondernotstandshilfeverordnung; daß die Wendung "und in freier Beweiswürdigung zu entscheiden" in der Verordnung fehle, hindere eine gesetzeskonforme Anwendung nicht. Der Gerichtshof wolle daher nur die Gesetzwidrigkeit bis zum Inkrafttreten der Novelle BGBl. I 153/1999 feststellen. Für den Fall der Aufhebung beantragt die Bundesministerin eine Frist von sechs Monaten für das Außerkrafttreten zur Ermöglichung der erforderlichen legistischen Vorkehrungen.
III. Die Verordnungsprüfungsverfahren sind zulässig. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs treffen auch zu. Seit ist ihnen jedoch der Boden entzogen.
1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerdeverfahren und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung zweifeln ließe.
Für den in den Verordnungsprüfungsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt (der Erlassung der angefochtenen Bescheide Juni und Juli 1998 in Ansehung von Geburten vor dem ) sind auch die geäußerten Bedenken nicht zerstreut worden. Daran hat - schon wegen des auf Geburten ab dem beschränkten Geltungsbereiches - auch die Novelle BGBl. I 47/1997 nichts geändert. § 2a Sondernotstandshilfeverordnung hatte im unveränderten Geltungsbereich jedenfalls nach wie vor keine gesetzliche Deckung.
2. Seit findet die Verordnungsbestimmung jedoch in § 39 Abs 6 in der Fassung der Novelle BGBl. I 153/1999, die den ganzen Text ohne weitere Einschränkung seines Anwendungsbereiches in Geltung gesetzt hat, eine solche Deckung. Jedenfalls mit dieser Fassung des § 39 AlVG werden zugleich die Bedenken aus dem Blickwinkel der rechtsstaatlichen Anforderungen an Regelungen zerstreut, die das Handeln zweier Verwaltungsbehörden miteinander verbinden (VfSlg. 14.318/1995): Vor dem Hintergrund des nunmehr maßgebenden Schlußsatzes des § 39 Abs 6 ("in freier Beweiswürdigung zu entscheiden") ist der uneingeschränkte Rechtsschutz jedenfalls gewährleistet. Wie es sich bis diesbezüglich verhalten hat, kann hingegen mangels gesetzlicher Grundlage (ebenso wie in VfSlg. 15.363/1998) auch für das vorliegende Verfahren dahingestellt bleiben.
Es ist daher nur festzustellen, daß § 2a Sondernotstandshilfeverordnung bis gesetzwidrig war.
Die Verpflichtung zur Kundmachung stützt sich auf Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG und § 60 Abs 2 VerfGG.
Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VerfGG).
Fundstelle(n):
SAAAE-29623