VfGH vom 25.09.1986, V49/86
Sammlungsnummer
10966
Leitsatz
Art148i und Art 148e B-VG; Vbg. Landesverfassung Art 58 Abs 2; Antrag des Landesvolksanwaltes von Vbg. auf Aufhebung der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde St. Gerold betreffend Verkehrsverbote, Verkehrsbeschränkungen und Vorrangregelungen; Zulässigkeit des Antrages; Antrag ist jenen Fällen gleichzuhalten, aus deren Anlaß das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 43 Abs 1 litb StVO eingeleitet wurde; mangelnde gesetzliche Grundlage nach Aufhebung dieser Bestimmungen mit Erk. des VfGH (VfSlg. 10949/1986); Aufhebung der Verordnung als gesetzwidrig
Spruch
Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde St. Gerold vom , kundgemacht durch Aufstellung von entsprechenden Verkehrszeichen gemäß §§52 Z 1, 52 Z 10a, 52 Z 23, 53 Z 10, 52 Z 2, und 52 Z 15 StVO 1960, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Vbg. Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit einem auf Art 139 B-VG gestützten Antrag begehrt der Landesvolksanwalt von Vbg. die Aufhebung der gemäß § 43 Abs 1 litb Z 1 und 2 StVO 1960 erlassenen Verordnung des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Gerold vom betreffend Erlassung von Verkehrsverboten, Verkehrsbeschränkungen und Vorrangregelungen auf den Güterwegen Plankenberg, Gassnerberg, Lehenhof, Untere Planken und Quadrätscha.
Der Landesvolksanwalt bringt in seinem Antrag vor, die Verordnung verstoße gegen das auch den Verordnungsgeber bindende Gebot der Sachlichkeit, weil eine bestimmte Personengruppe von der Benützung der Straße ausgeschlossen sei.
Der Landesvolksanwalt von Vbg. unterbreitet die Anregung, ein Normenprüfungsverfahren hinsichtlich des in § 43 Abs 1 litb Z 2 StVO 1960 enthaltenen Begriffes "bestimmte Gruppen" einzuleiten, weil er der Überzeugung ist, daß der Begriff - ungeachtet des in ihm enthaltenen Wortes "bestimmte" - in Wahrheit eine formalgesetzliche Delegation darstelle, und das Verhalten des Verordnungsgebers nicht in der gebotenen Form im voraus bestimme.
2. Der Bürgermeister der Gemeinde St. Gerold hat eine Gegenschrift erstattet, in der beantragt wird, die gegenständliche Beschwerde (richtigerweise den Antrag) abzuweisen.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die Legitimation des Landesvolksanwaltes von Vbg. zur Antragstellung ergibt sich aus Art 58 Abs 2 der Vbg. Landesverfassung idF LGBl. 30/1984, sowie aus Art 148i Abs 2 B-VG iVm. Art 148e B-VG. Der Antrag ist somit zulässig, wenngleich im Antrag zunächst nur Bedenken gegen die ungleiche Behandlung von Gruppen von Verkehrsteilnehmern geltend gemacht werden, ergibt sich aus der Anregung, die gesetzliche Grundlage der angefochtenen Verordnung zu prüfen, der Vorwurf der Gesetzwidrigkeit hinsichtlich der gesamten Verordnung.
2. Die Verordnung hat folgenden Wortlaut:
"Verordnung
betreffend die Erlassung von Verkehrsverboten, Verkehrsbeschränkungen und Vorrangregelungen auf den Güterwegen Plankenberg, Gassnerberg, Lehenhof, Untere Planken und Quadrätscha.
Gemäß § 43 Abs 1 litb Z 1 und 2 StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960, in der derzeit geltenden Fassung, in Verbindung mit § 1 Abs 1 der Verordnung der Vorarlberger Landesregierung über den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinden in Angelegenheiten der Straßenpolizei, LGBl. Nr. 20/1970, wird im Interesse der Beschaffenheit der Straße und der Widmung des an der Straße gelegenen Gebietes sowie zur Gewährleistung der Sicherheit des Verkehrs verordnet:
I. Das Befahren der Güterwege Plankenberg, Gassnerberg, Lehenhof, Untere Planken und Quadrätscha der Propstei ist für sämtliche Fahrzeuge verboten.
Vom Fahrverbot ausgenommen sind:
a) Mitglieder der Güterweggenossenschaften und deren Familienangehörige
b) Einwohner der Gemeinde St. Gerold
c) in St. Gerold wohnhafte Gäste
d) Jagdpächter und Jagdberechtigte im Gemeindegebiet St. Gerold
e) Zubringerdienste
f) Behördenfahrzeuge
II. Auf den Güterwegen Plankenberg, Gassnerberg, Lehenhof, Untere Planken und Quadrätscha ist das Überschreiten der Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h verboten.
III. Fahrzeuge auf den Güterwegen Plankenberg, Gassnerberg, Lehenhof, Untere Planken und Quadrätscha haben Fahrzeuge auf der B 193, Faschinastraße, gemäß § 19, Abs 4 StVO 1960 den Vorrang zu geben.
IV. Der Güterweg Quadrätscha darf ab 100 m nach der B 193 (ab VKW) bis zur Propstei nur in Fahrtrichtung Propstei befahren werden.
V. Der Güterweg Untere Planken ist ab der Propstei bis zur B 193 ohne Einschränkung in beiden Richtungen befahrbar.
VI. Übertretungen dieser Verordnung werden gemäß § 99 Abs 3, lita StVO 1960 mit einer Geldstrafe bis zu S 10.000,-, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen, bestraft.
VII. Diese Verordnung tritt nach § 44 Abs 1 StVO 1960 mit der Anbringung der entsprechenden Verkehrszeichen gemäß §§52 Z 1, 52 Z 10a, 52 Z 23, 53 Z 10, 52 Z 2, und 52 Z 15 dieses Gesetzes in Kraft.
Mit ihrem Inkrafttreten wird die Verordnung der Gemeinde St. Gerold vom aufgehoben."
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ist nicht ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt die Verordnung mit der Anbringung der entsprechenden Verkehrszeichen in Kraft getreten ist.
3. § 43 Abs 1 litb der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159, idF der Nov. BGBl. 412/1976 wurde mit Erk. des VfGH, VfSlg. 10949/1986, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft. Die mündliche Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren, das zur Aufhebung der angeführten Bestimmung der StVO 1960 geführt hat, fand am statt.
4. Der vorliegende Antrag ist beim VfGH am - also noch vor der Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren - eingelangt.
Der Antrag hätte - wie die bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung anhängig gewordenen Beschwerdefälle (vgl. VfSlg. 10616/1985) - den Anlaß zur Einleitung des Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 43 Abs 1 litb StVO 1960 gemäß Art 140 B-VG von Amts wegen gebildet. Der Antrag ist daher jenen Fällen gleichzuhalten, aus deren Anlaß das angeführte Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet wurde.
Es ist daher im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß im Hinblick auf die mit dem angeführten Erkenntnis bereits erfolgte Aufhebung des § 43 Abs 1 litb StVO 1960 die gesetzliche Grundlage für die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde St. Gerold vom weggefallen ist.
Die Verordnung war schon allein aus diesem Grunde aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art 139 Abs 5 B-VG.