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VfGH vom 27.02.2009, V453/08

VfGH vom 27.02.2009, V453/08

Sammlungsnummer

18713

Leitsatz

Aufhebung der NÖ Warengruppen-Verordnung wegen eines Verstoßes gegen eine Bestimmung des Niederösterreichischen Raumordnungsgesetzes 1976 infolge genereller Einordnung der Warengruppe Möbel unter die zentrumsrelevanten Waren

Spruch

Die NÖ Warengruppen-Verordnung, LGBl. 8000/95-0, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt für das Land Niederösterreich verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B925/08 ein

Beschwerdeverfahren gemäß Art 144 Abs 1 B-VG anhängig, welchem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Mit Bescheid vom erteilte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Amstetten der beschwerdeführenden Gesellschaft die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung von Zu- und Umbauten bei der bestehenden Handelseinrichtung (einem Einrichtungshaus) im Ausmaß von 2.230 m².

Mit Bescheiden vom und verlängerte der Bürgermeister von Amstetten die Frist für den Baubeginn jeweils um zwei Jahre, zuletzt bis .

Am beantragte die beschwerdeführende Gesellschaft eine weitere Fristverlängerung für den Baubeginn.

Diesen Antrag wies der Bürgermeister mit Bescheid vom mit der Begründung ab, dass seit der 14. Novelle des § 17 NÖ Raumordnungsgesetz 1976 (in der Folge kurz: NÖ ROG 1976) die Errichtung von Handelseinrichtungen mit einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 1.000 m² nur mehr in Zentrumszonen mit einer Widmung der betroffenen Grundstücke als "Bauland-Kerngebiet-Handelseinrichtung" bewilligungsfähig sei. Die Grundstücke, auf denen das Einrichtungshaus errichtet ist, seien im Flächenwidmungsplan als "Bauland-Betriebsgebiet" ausgewiesen; eine Zentrumszone sei nicht festgelegt. Dem Antrag auf Verlängerung der Frist für den Beginn der Bauausführung könne daher auf Grund der neuen Rechtslage nicht mehr stattgegeben werden.

Die dagegen erhobene Berufung wies der Stadtrat der Stadtgemeinde Amstetten ab. In der Begründung führte der Stadtrat aus, dass der genehmigte Bestand des Möbelhauses der beschwerdeführenden Gesellschaft Verkaufsflächen von 12.937 m² aufweise; daher überschreite der geplante Zubau um weitere 2.230 m² die Grenzen der Erweiterung von 10 % bzw. 500 m².

Die dagegen erhobene Vorstellung wies die Niederösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom u. a. gestützt auf § 17 Abs 5 NÖ ROG 1976 iVm der NÖ Warengruppen-Verordnung (in der Folge kurz: NÖ WG-VO) als unbegründet ab.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die oben unter Punkt 1 genannte, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde, die die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und auf Erwerbsfreiheit (Art6 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, einer gesetzwidrigen Verordnung (nämlich der NÖ WG-VO) und im "Recht auf Verlängerung der Frist für den Beginn der Ausführung eines bewilligten Bauvorhabens gemäß § 24 Abs 4 NÖ Bauordnung 1996" behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

3. Aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, die Gesetzmäßigkeit der NÖ Warengruppen-Verordnung, LGBl. 8000/95-0, von Amts wegen zu prüfen.

3.1. Der Verfassungsgerichtshof nahm vorläufig an, dass die Beschwerde zu B925/08 zulässig sei und dass er bei seiner Entscheidung darüber die in Prüfung gezogene Verordnung deshalb anzuwenden hätte, da die Niederösterreichische Landesregierung als Vorstellungsbehörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides vom die NÖ WG-VO insofern angewendet hat, als sie bei der Abweisung des Antrages auf Verlängerung der Baubeginnsfrist davon ausging, dass mangels Aufzählung von Möbeln in dieser Verordnung § 17 Abs 5 NÖ ROG 1976 nicht anzuwenden sei.

3.2. Seine Bedenken gegen die in Prüfung gezogene NÖ WG-VO formulierte der Verfassungsgerichtshof wie folgt:

"Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung genommene Verordnung vorläufig das Bedenken, dass diese nicht der gesetzlichen Grundlage des § 17 Abs 5 NÖ ROG 1976, der im Übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich scheint, entspricht. Diese Bestimmung definiert die nicht zentrumsrelevanten Waren als solche, die nach ihrer Beschaffenheit bzw. nach ihrer Packungs- oder Gebindegröße vom Kunden unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges abtransportiert werden müssen. Die von der beschwerdeführenden Gesellschaft primär vertriebenen Waren nämlich Möbel und Einrichtungsgegenstände dürften nach der gesetzlichen Vorgabe unter die nicht zentrumsrelevanten Waren fallen, sind in der Aufzählung der NÖ WG-VO jedoch nicht enthalten.

Betrachtet man die 'Erläuterungen zum Entwurf einer NÖ Warengruppen-Verordnung', so dürfte die Niederösterreichische Landesregierung bei der Festlegung der nicht zentrumsrelevanten Waren insofern gesetzwidrig vorgegangen sein, als 'bei der Festlegung der Warengruppen, im Sinne eines erleichterten Vollzuges durch die Baubehörden, von der Anführung solcher Warengruppen Abstand genommen wurde, welche in der Praxis nur gemeinsam mit zentrumsrelevanten Waren angeboten werden'.

Da die NÖ WG-VO jene Warengruppen aufzählend regelt, die nach ihrer Beschaffenheit bzw. nach ihrer Packungs- oder Gebindegröße vom Kunden unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges abtransportiert werden müssen, Möbel aber, welche typischerweise zumindest auch unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges abtransportiert werden müssen, darunter nicht anführt, scheint diese Verordnung § 17 Abs 5 NÖ ROG 1976 zu widersprechen und daher gesetzwidrig zu sein. Die in den Erläuterungen zum NÖ ROG 1976 dargestellten raumordnungspolitischen Erwägungen hätten allenfalls dazu führen können, den Verkauf von zentrumsrelevanten Waren in einem Einrichtungshaus einzuschränken; sie dürften jedoch nicht die generelle Einordnung der Warengruppe Möbel unter die zentrumsrelevanten Waren rechtfertigen."

4. Die Niederösterreichische Landesregierung legte den Verordnungsakt vor und erstattete eine Äußerung in der sie zum Problemkreis der Nichtaufnahme von Möbeln und Einrichtungsgegenständen in die NÖ WG-VO (lediglich) Nachstehendes ausführt:

"Der Möbelhandel lässt sich hinsichtlich der Warengruppen-Verordnung nicht nur wegen seines typischen Mischangebotes schwer einordnen, sondern Möbelhäuser sind im Hinblick auf das Segment Möbel eher als bloße Ausstellungsräume zu qualifizieren, wo in erster Linie besichtigt, allenfalls bestellt und/oder gekauft und die Ware vielfach erst (später) geliefert und montiert wird, hingegen aus dem vielfältigen Angebot der zentrumsrelevanten Haushalts- und sonstigen Artikel zentrumsrelevante Waren mitgenommen werden."

Die beschwerdeführende Gesellschaft im Anlassfall erstattete ebenfalls eine Stellungnahme, in der sie anregt, die Bestimmung des § 17 Abs 5 letzter Satz NÖ ROG 1976 gemäß Art 140 Abs 1 B-VG im Rahmen eines Gesetzesprüfungsverfahrens auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Begründend führt sie dazu aus, es sei die Aufhebung des § 17 Abs 5 letzter Satz NÖ ROG 1976 jedenfalls geboten, da die Erlassung einer präzisierenden Durchführungsverordnung allenfalls gemäß Art 18 Abs 2 B-VG auch ohne einfachgesetzliche Ermächtigung denkbar wäre.

II. Zur Rechtslage:

1. § 24 Abs 4 NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-13, lautet:

"§24

Ausführungsfristen

...

(4) Die Baubehörde hat die Frist für den Beginn der Ausführung eines bewilligten Bauvorhabens zu verlängern, wenn dies vor ihrem Ablauf beantragt wird, das Bauvorhaben nach wie vor dem Flächenwidmungsplan - und im Geltungsbereich eines Bebauungsplans auch diesem - und den Sicherheitsvorschriften nicht widerspricht.

..."

2. § 17 NÖ Raumordnungsgesetz 1976, LGBl. 8000-23, lautet:

"§17

Gebiete für Handelseinrichtungen

(1) In Zentrumszonen kann die Widmung Bauland-Kerngebiet mit dem Zusatz 'Handelseinrichtungen' bezeichnet werden. In dieser Widmung bestehen für die Errichtung von Handelsbetrieben keine Beschränkungen hinsichtlich der Verkaufsfläche oder Bruttogescho[ß]fläche. Die übrigen Nutzungsmöglichkeiten gemäß § 16 Abs 1 Z. 2 bleiben zulässig.

(2) Innerhalb des geschlossenen, bebauten Ortsgebietes - ausgenommen in der Widmung Bauland-Kerngebiet-Handelseinrichtungen - darf die Bruttogeschoßfläche von Handelsbetrieben nicht mehr als 1.000 m² betragen.

(3) Außerhalb der in Abs 2 bezeichneten Bereiche darf die Verkaufsfläche für zentrumsrelevante Waren 80 m² nicht übersteigen.

(4) Bilden mehrere Handelsbetriebe eine bauliche, funktionelle oder organisatorische Einheit, darf die Summe der Bruttogeschoßflächen in den Fällen gemäß Abs 2 nicht mehr als 1.000 m² und die Summe der Verkaufsflächen an Standorten gemäß Abs 3 nicht mehr als 80 m² betragen. Eine funktionelle Einheit ist dann gegeben, wenn im umgebenden Bereich die Gebäude ausschließlich oder dominierend für Handelseinrichtungen genutzt werden und mehrheitlich über private (eigene oder gemeinsame) Abstelleinrichtungen für die Kraftfahrzeuge der Kunden verfügen.

(5) Unabhängig von ihrer Lage unterliegen Handelsbetriebe keinen Größenbeschränkungen, wenn sie - abgesehen von dem im Abs 3 bezeichneten Ausmaß - ausschließlich Waren anbieten, welche nach ihrer Beschaffenheit bzw. nach ihrer Packungs- oder Gebindegröße vom Kunden unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges abtransportiert werden müssen (nicht zentrumsrelevante Waren). Diese Warengruppen sind durch Verordnung der Landesregierung festzulegen.

(6) Unabhängig von den Bestimmungen der Abs 2 und 3 ist der Direktverkauf von am Standort des Produktionsbetriebes produzierten Waren zulässig. Weiters ist der Verkauf von Waren, die diese wirtschaftlich ergänzen oder als Zubehör zu bewerten sind, zulässig. Dies allerdings nur soweit, als der Charakter als Produktionsbetrieb eindeutig gewahrt bleibt. Darüber hinaus sind Handelseinrichtungen zulässig, wenn diese ihre Waren ausschließlich an Wiederverkäufer abgeben."

§ 30 Abs 8 NÖ Raumordnungsgesetz 1976, LGBl. 8000-23, lautet:

"§30

Übergangsbestimmungen

...

(8) Für bereits bestehende Gebäude von Handelseinrichtungen, die den Bestimmungen des § 17 nicht entsprechen, jedoch gemäß den bis zum gültigen raumordnungsrechtlichen Bestimmungen errichtet wurden, gilt:

1. Bei der Wiedererrichtung eines Gebäudes auf dem selben Bauplatz oder bei Zu- und Umbauten darf das bestehende, der Baubewilligung entsprechende Ausmaß der Verkaufsfläche beibehalten, aber nicht vergrößert werden, sofern sich aus den nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes ergibt. Eine Erweiterung der baubehördlich bewilligten Verkaufsfläche um 10 %, maximal jedoch um 500 m² ist jedenfalls noch zulässig, wenn dafür bis ein entsprechender Antrag bei der Baubehörde gestellt wird.

2. Handelseinrichtungen, die bisher nicht zentrumsrelevante Waren angeboten haben, dürfen zentrumsrelevante Waren nur auf einer Verkaufsfläche von maximal 80 m² anbieten.

3. Handelseinrichtungen, die bisher sowohl zentrumsrelevante Waren als auch nicht zentrumsrelevante Waren angeboten haben, dürfen das Verhältnis zwischen diesen Warengruppen nicht zugunsten der zentrumsrelevanten Waren verändern; waren keine Lebensmittel zulässig, darf bei den zentrumsrelevanten Waren der Anteil der Lebensmittel künftig nur maximal 80 m² betragen.

Diese Bestimmungen gelten sinngemäß auch für jene Handelsprojekte, die zwar noch nicht errichtet wurden, aber über eine aufrechte Baubewilligung verfügen.

..."

3. Die NÖ Warengruppen-Verordnung, LGBl. 8000/95-0, lautet:

"Warengruppen, die nach ihrer Beschaffenheit bzw. nach ihrer Packungs- oder Gebindegröße vom Kunden unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges abtransportiert werden müssen (nicht zentrumsrelevante Waren), sind:

Fahrzeuge inkl. Zubehör

Baustoffe, Bauelemente und Eisenwaren

Bodenbeläge

Brenn- und Treibstoffe

Stein- und Betonwaren

Pflanzen und Gartenbedarfsartikel

Holzrohstoffe"

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

Die vorläufigen Annahmen, dass die zu B925/08 protokollierte Beschwerde zulässig sei und dass der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung darüber die in Prüfung gezogene Verordnung anzuwenden hätte, treffen zu.

Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgetreten sind, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. In der Sache:

Der Verfassungsgerichtshof sieht sein Bedenken, dass die in Prüfung gezogene Verordnung nicht der gesetzlichen Grundlage des § 17 Abs 5 NÖ ROG 1976 entspricht, bestätigt. Die Niederösterreichische Landesregierung bekräftigt mit ihrer Ausführung, wonach sich der Möbelhandel hinsichtlich der NÖ WG-VO nicht nur wegen seines typischen Mischangebotes schwer einordnen lasse, die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, dass die in den Erläuterungen zum NÖ ROG 1976 dargestellten raumordnungspolitischen Erwägungen allenfalls dazu führen hätten können, den Verkauf von zentrumsrelevanten Waren in einer Handelseinrichtung (Einrichtungshaus) einzuschränken; diese Erwägungen rechtfertigen jedoch nicht die generelle Einordnung der Warengruppe Möbel unter die zentrumsrelevanten Waren.

Bereits die Aufzählung in der NÖ WG-VO zeigt, dass bestimmte Warengruppen nicht selten auch im Verbund mit Warengruppen zum Verkauf angeboten werden, für deren Abtransport kein Kraftfahrzeug benötigt wird (zB Gartenbedarfsartikel).

Das Vorbringen, dass Möbelhäuser im Hinblick auf das Segment Möbel eher als bloße Ausstellungsräume zu qualifizieren seien, in denen in erster Linie besichtigt, allenfalls bestellt und/oder gekauft und die Ware erst (später) geliefert und montiert werde, vermag die vom Verfassungsgerichtshof dargelegten Bedenken nicht zu zerstreuen, trifft doch diese Sicht auch für andere Warengruppen zu.

Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Gesellschaft im Anlassfall, der Verfassungsgerichtshof möge die Bestimmung des § 17 Abs 5 letzter Satz NÖ ROG 1976 einem Gesetzesprüfungsverfahren unterziehen, ist anzumerken, dass der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Prüfungsbeschluss vom , zu B925/08 dargetan hat, dass die genannte Bestimmung verfassungsrechtlich unbedenklich scheint. Art 18 Abs 2 B-VG ermächtigt Verwaltungsbehörden zur Erlassung von (Durchführungs-)Verordnungen innerhalb ihres Wirkungskreises, wohingegen § 17 Abs 5 letzter Satz NÖ ROG 1976 die (NÖ) Landesregierung dazu verhält, eine der genannten Bestimmung entsprechende Festlegung "nicht zentrumsrelevanter Waren" in Verordnungsform vorzunehmen.

3. Die Bestimmung einer Frist für das Außer-Kraft-Treten der aufgehobenen Verordnung, um dem Verordnungsgeber geeignete Vorkehrungen zu ermöglichen, gründet sich auf Art 139 Abs 5 letzter Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des damit im Zusammenhang stehenden Ausspruchs erfließt aus Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG und § 60 Abs 2 VfGG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.