VfGH vom 18.12.1992, V45/92
Sammlungsnummer
13324
Leitsatz
Gesetzwidrigkeit der Bestimmung einer Verordnung über die Durchführung der Sozialversicherung in bestimmten Zollausschlußgebieten betreffs Festsetzung eines Umrechnungskurses
Spruch
Der zweite Satz des § 1 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 113/1970, über die Durchführung der Sozialversicherung im Zollausschlußgebiete der Gemeinden Jungholz und Mittelberg wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1095/91 eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom , ZIVb-69-34/1991, richtet, in welchem - einen Bescheid der Vorarlberger Gebietskrankenkasse vom bestätigend - begründend ausgeführt wird, daß die Feststellung der für den Beschwerdeführer maßgeblichen Beitragsgrundlagen gemäß § 44 Abs 1 Z 1 iVm § 49 Abs 1, 3, 4 und 6 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, idgF iVm der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 113/1970, über die Durchführung der Sozialversicherung im Zollausschlußgebiete der Gemeinden Jungholz und Mittelberg sowie unter Bedachtnahme auf § 108 b Abs 3 ASVG in Deutschen Mark (DM) zu erfolgen habe, wobei zufolge der zitierten Verordnung Schillingbeträge in die Währung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Schlüssel S 5,-- = DM 1,-- umzurechnen seien.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, die Gesetzmäßigkeit des zweiten Satzes des § 1 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 113/1970, über die Durchführung der Sozialversicherung im Zollausschlußgebiete der Gemeinden Jungholz und Mittelberg von Amts wegen zu prüfen.
2.2. § 1 dieser Verordnung - der in Prüfung gezogene Satz ist hervorgehoben - lautet:
"§1. Bei Durchführung der Sozialversicherung im Zollausschlußgebiete werden die Versicherungsbeiträge, sonstige von den Versicherten oder deren Dienstgebern zu zahlende Beträge sowie die Versicherungsleistungen in der Währung der Bundesrepublik Deutschland festgestellt. Zu diesem Zwecke werden die in sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften und in den Satzungen der Versicherungsträger in Schillingwährung ausgedrückten Beträge in die Währung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Schlüssel:
fünf Schilling gleich einer Deutschen Mark umgerechnet."
Die Verordnung, welche die in Prüfung gezogene Regelung enthält, beruft sich auf die in Z 21 des Schlußprotokolles des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit vom , BGBl. Nr. 382/1969, enthaltene Verordnungsermächtigung. Diese lautet:
"Zur Durchführung der österreichischen Sozialversicherung in den Gemeinden Jungholz (politischer Bezirk Reutte) und Mittelberg (politischer Bezirk Bregenz) kann die zuständige österreichische Behörde durch Verordnung Näheres bestimmen. ..."
In der 41. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 111/1986, wurde unter ArtV Z 18 festgelegt, daß dem Neunten Teil des ASVG ein Abschnitt VI mit folgendem Wortlaut angefügt werde:
"ABSCHNITT VI
Sonderbestimmung für Zollausschlußgebiete
§ 506 b. Zur Durchführung der Sozialversicherung in Zollausschlußgebieten kann der Bundesminister für soziale Verwaltung das Nähere, wie insbesondere die Festsetzung von Schillingbeträgen in Beträgen in der jeweils im Zollausschlußgebiet geltenden Fremdwährung unter Berücksichtigung des Kursverhältnisses und des Verhältnisses der Kaufkraft der Fremdwährung zur inländischen Währung, durch Verordnung regeln."
§ 506 b ASVG erhielt durch die 44. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 609/1987, die Bezeichnung "§506 c".
2.3. Das in seinem Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken des Verfassungsgerichtshofes stützte sich auf § 506 c ASVG. Dem Verfassungsgerichtshof schien die Festlegung eines Umrechnungskurses von fünf Schilling gleich einer Deutschen Mark für das Zollausschlußgebiet der Gemeinden Jungholz und Mittelberg in der in Prüfung gezogenen Regelung gegen die Anordnung des § 506 c ASVG zu verstoßen, bei der Festsetzung von Schillingbeträgen in Beträgen der jeweils im Zollausschlußgebiet geltenden Fremdwährung das Kursverhältnis sowie das Verhältnis der Kaufkraft zwischen der inländischen Währung und der Fremdwährung zu berücksichtigen.
3. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat die auf die geprüfte Verordnung bezughabenden Akten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch abgesehen und den Antrag gestellt, im Falle der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmung für deren Außerkrafttreten eine Frist in der rechtlich zulässigen Höchstdauer einzuräumen.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
4.1. Die beim Verfassungsgerichtshof zu B1095/91 anhängige Beschwerde ist zulässig. Da der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über diese Beschwerde den zweiten Satz des § 1 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 113/1970, über die Durchführung der Sozialversicherung im Zollausschlußgebiete der Gemeinden Jungholz und Mittelberg anzuwenden hat und da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das von Amts wegen eingeleitete Verfahren zur Prüfung der genannten Verordnungsbestimmung zulässig.
4.2. Das im Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken erweist sich als begründet.
§ 506 c ASVG ermächtigt den Bundesminister für soziale Verwaltung (nunmehr: Bundesminister für Arbeit und Soziales) dazu, durch Verordnung zum Zwecke der Durchführung der Sozialversicherung in Zollausschlußgebieten zu regeln, nach welchem Schlüssel Schillingbeträge in Beträge der jeweils im Zollausschlußgebiet geltenden Fremdwährung festzusetzen sind, wobei bei der Berechnung dieses Schlüssels sowohl das Wechselkursverhältnis als auch das Verhältnis der Kaufkraft der beiden Währungen zu berücksichtigen sind.
Die in Prüfung gezogene Regelung legt diesen Schlüssel mit "fünf Schilling gleich einer Deutschen Mark" fest.
§ 506 c ASVG gilt - wenn auch bis zum Inkrafftreten der 44. Novelle zum allgemeinen Sozialversicherungsgesetz als § 506 b - seit (ArtVIII der 41. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 111/1986).
Der Devisenmittelkurs für Deutsche Mark pendelte dem Statistischen Monatsheft 2/1992 der Oesterreichischen Nationalbank zufolge zwischen den Jahren 1986 und 1991 - ausgedrückt in Schilling für 100 Währungseinheiten - zwischen den Werten 703,13 und 703,77. Im Jänner 1992 betrug er 703,726, im Februar dieses Jahres 703,645. Während des gesamten Zeitraumes lag er somit deutlich über dem in der in Prüfung gezogenen Regelung festgelegten Umrechnungskurs von "fünf Schilling gleich einer Deutschen Mark". Größere Schwankungen wies - den auf einer Sonderauswertung aus der Datenbank "Cronos" von EUROSTAT Luxemburg basierenden Angaben des Österreichischen Statistischen Zentralamtes zufolge - hingegen das Verhältnis der Kaufkraft der Währungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich im Vergleichszeitraum auf. Das Preisniveau in der Bundesrepublik Deutschland lag im Jahre 1986 um 0,8 % über dem österreichischen. 1987 lag es um 0,5 %, 1988 um 1 % und 1989 um 0,7 % unter dem österreichischen und 1990 um 1,7 % und 1991 um 1,8 % darüber. Somit wich die Kaufkraftparität nur geringfügig von der Wechselkursparität ab, sodaß auch durch sie der in der in Prüfung gezogenen Regelung festgesetzte Umrechnungsschlüssel keine Deckung findet.
Es ist daher offensichtlich, daß das im Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zutrifft und die geprüfte Verordnungsstelle nicht dem Gesetz entspricht.
5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsstelle gründet sich auf Art 139 Abs 5 letzter Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Bundesministers für Arbeit und Soziales zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG und § 60 Abs 2 VerfGG.
Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs 4 erster Satz VerfGG).