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VfGH vom 14.07.2020, V396/2020 ua

VfGH vom 14.07.2020, V396/2020 ua

Leitsatz

Keine Bedenken gegen § 1 COVID-19-MaßnahmenG im Hinblick auf Art 18 Abs 2 B VG; hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage für die Festlegung von Betretungsverboten für Betriebsstätten zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19; Feststellung der maßgebenden Umstände durch den zuständigen BM bei Erlassung des Betretungsverbots; Gesetzwidrigkeit des § 2 Abs 4 COVID-19-Maßnahmenverordnung betreffend das Betretungsverbot für bestimmte Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen, deren Kundenbereich 400 m2 übersteigt; Entscheidung des zuständigen BM aus Verordnungsakt nicht nachvollziehbar; Ungleichbehandlung von Betriebsstätten des Handels, deren Kundenbereich im Inneren 400 m² übersteigt, und insbesondere Bau- und Gartenmärkten sachlich nicht gerechtfertigt; Zulässigkeit des Individualantrags trotz Außerkrafttretens der angefochtenen Bestimmung im Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH

Spruch

I.1. Die Wortfolge ", wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m2 beträgt" sowie der vierte Satz – "Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben." – in § 2 Abs 4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020, idF BGBl II Nr 151/2020 waren gesetzwidrig.

2. Die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen sind nicht mehr anzuwenden.

II.Der Bund (Bundesminister für Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, den antragstellenden Parteien in dem zu V396/2020 protokollierten Verfahren zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 3.117,60 sowie den antragstellenden Parteien in dem zu V398/2020 protokollierten Verfahren zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 3.248,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

Sowohl die in dem zu V396/2020 protokollierten Verfahren antragstellenden Parteien als auch die in dem zu V398/2020 protokollierten Verfahren antragstellenden Parteien begehren mit ihren, jeweils auf Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG gestützten, größtenteils wortgleichen Anträgen die Aufhebung der Wortfolge ", wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m2 beträgt" und – die Verknüpfung "und/oder" in den Anträgen ist, weil die antragstellenden Parteien jeweils ausdrücklich ausführen, dass sie beide bekämpften Stellen für gesetzwidrig halten, kumulativ zu lesen – des vierten Satzes – "Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben." – in § 2 Abs 4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, idF BGBl II 151/2020. Weiters stellen die antragstellenden Parteien jeweils einen Eventualantrag.

II. Rechtslage

Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (im Folgenden: COVID-19-Maßnahmenverordnung-96), BGBl II 96/2020, idF BGBl II 151/2020 lautet auszugsweise (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"§1. Das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben ist untersagt.

§2. (1) § 1 gilt nicht für folgende Bereiche:

1. öffentliche Apotheken

2. Lebensmittelhandel (einschließlich Verkaufsstellen von Lebensmittelproduzenten) und bäuerlichen Direktvermarktern

3.. Drogerien und Drogeriemärkte

4. Verkauf von Medizinprodukten und Sanitärartikeln, Heilbehelfen und Hilfsmitteln

5. Gesundheits- und Pflegedienstleistungen

6. Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen die von den Ländern im Rahmen der Behindertenhilfe–, Sozialhilfe–, Teilhabe– bzw Chancengleichheitsgesetze erbracht werden

7. veterinärmedizinische Dienstleistungen

8. Verkauf von Tierfutter

9. Verkauf und Wartung von Sicherheits- und Notfallprodukten

10. Notfall-Dienstleistungen

11. Agrarhandel einschließlich Schlachttierversteigerungen sowie der Gartenbaubetrieb und der Landesproduktenhandel mit Saatgut, Futter und Düngemittel

12. Tankstellen und angeschlossene Waschstraßen

13. Banken

14. Postdiensteanbieter einschließlich deren Postpartner, soweit diese Postpartner unter die Ausnahmen des § 2 fallen sowie Postgeschäftsstellen iSd § 3 Z 7 PMG, welche von einer Gemeinde betrieben werden oder in Gemeinden liegen, in denen die Versorgung durch keine andere unter § 2 fallende Postgeschäftsstelle erfolgen kann, jedoch ausschließlich für die Erbringung von Postdienstleistungen und die unter § 2 erlaubten Tätigkeiten, und Telekommunikation.

15. Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Rechtspflege

16. Lieferdienste

17. Öffentlicher Verkehr

18. Tabakfachgeschäfte und Zeitungskioske

19. Hygiene und Reinigungsdienstleistungen

20. Abfallentsorgungsbetriebe

21. KFZ- und Fahrradwerkstätten

22. Baustoff-, Eisen- und Holzhandel, Bau- und Gartenmärkte

23. Pfandleihanstalten und Handel mit Edelmetallen.

(2) Die Ausnahmen nach Abs 1 Z 3, 4, 8, 9, 11, 22 und 23 sowie Abs 4 gelten an Werktagen von 07.40 Uhr bis längstens 19.00 Uhr. Restriktivere Öffnungszeitenregeln aufgrund anderer Rechtsvorschriften bleiben unberührt.

(3) Die Ausnahmen nach Abs 1 Z 2 gilt an Werktagen von 07.40 Uhr bis längstens 19.00 Uhr, sofern es sich nicht um eine Verkaufsstelle von Lebensmittelproduzenten handelt. Restriktivere Öffnungszeitenregeln aufgrund anderer Rechtsvorschriften bleiben unberührt.

(4) § 1 gilt unbeschadet Abs 1 nicht für den Kundenbereich von sonstigen Betriebsstätten des Handels, wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt. Als sonstige Betriebsstätten des Handels sind Betriebstätten zu verstehen, die dem Verkauf, der Herstellung, der Reparatur oder der Bearbeitung von Waren dienen. Sind sonstige Betriebsstätten baulich verbunden (z. B. Einkaufszentren), ist der Kundenbereich der Betriebsstätten zusammenzuzählen, wenn der Kundenbereich über das Verbindungsbauwerk betreten wird. Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben.

(5) Abs 1 gilt nur, wenn folgende Voraussetzungen eingehalten werden:

1. Mitarbeiter mit Kundenkontakt sowie Kunden eine den Mund- und Nasenbereich gut abdeckende mechanische Schutzvorrichtung als Barriere gegen Tröpfcheninfektion tragen; dies gilt nicht für Kinder bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr.

2. ein Abstand von mindestens einem Meter gegenüber anderen Personen eingehalten wird.

(6) Abs 4 gilt nur, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen nach Abs 5 der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 20 m² der Gesamtverkaufsfläche zur Verfügung stehen; ist der Kundenbereich kleiner als 20 m², so darf jeweils nur ein Kunde die Betriebsstätte betreten.

(7) In den Bereichen nach Abs 1 Z 5 und 6 gelten

1. abweichend von Abs 5 Z 1 die einschlägigen berufs- und einrichtungsspezifischen Vorgaben und Empfehlungen, und

2. Abs 5 Z 2 und 3 nicht.

[…]

§5. (1) Diese Verordnung tritt mit Ablauf des außer Kraft.

(2) Die Änderungen dieser Verordnung durch die Verordnung BGBl II Nr 112/2020 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.

(3) § 4 dieser Verordnung in der Fassung der Verordnung BGBl II Nr 130/2020 tritt mit Ablauf des in Kraft. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung bestehende Verordnungen eines Landeshauptmannes oder einer Bezirksverwaltungsbehörde über Betretungsverbote von Beherbergungsbetrieben bleiben unberührt.

(4) Die § 1 bis 3 treten mit Ablauf des außer Kraft.

(5) § 4 tritt mit Ablauf des außer Kraft.

(6) Die Änderungen dieser Verordnung durch die Verordnung BGBl II Nr 151/2020 treten mit Ablauf des in Kraft."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die antragstellenden Parteien in den zu V396/2020 und V398/2020 protokollierten Verfahren führen in ihren Anträgen vom bzw im Wesentlichen (gleichlautend) Folgendes aus:

1.1. Die erstantragstellende Partei in dem zu V396/2020 protokollierten Verfahren ist Betreiberin eines Motorrad-Handelsbetriebes in Wien. Der Zweitantragsteller ist der für das Handelsgewerbe handelsrechtliche Geschäftsführer der GmbH. Ein sonstiger "verantwortlicher Beauftragter" gemäß § 9 VStG ist nicht bestellt worden.

Die erstantragstellende Partei in dem zu V398/2020 protokollierten Verfahren ist Betreiberin eines Motorrad-Handelsbetriebes in Graz. Der Zweitantragsteller ist der für das Handelsgewerbe gewerberechtliche Geschäftsführer und ebenso handelsrechtlicher Geschäftsführer der GmbH. Der Drittantragsteller ist ebenso handelsrechtlicher Geschäftsführer. Ein sonstiger "verantwortlicher Beauftragter" gemäß § 9 VStG ist nicht bestellt worden.

1.2. Die Betriebsstätten der beiden erstantragstellenden Parteien hätten eine Kundenfläche von ca. 800 m2 bzw 750 m2. Eine Verkleinerung des Kundenbereiches auf unter 400 m2 sei jeweils möglich, aber die jeweils erstantragstellende Partei habe vor dem keine derartige Verkleinerung vorgenommen. Durch die angeordnete Betriebsschließung mache die jeweilige erstantragstellende Partei hohe Umsatzverluste. Auf Grund der Tatsache, dass der Kundenbereich über 400 m2 ausweise und auch eine Verkleinerung des Kundenbereiches nach Kundmachung der Verordnung nicht zur Anwendbarkeit des § 2 Abs 4 erster Satz COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 führe, sei es den antragstellenden Parteien somit seit dem untersagt, ihre Betriebsstätten für Kunden offen zu halten.

Die antragstellenden Parteien sowohl zu V396/2020 als auch zu V398/2020 seien antragslegitimiert, da sich die bekämpften Bestimmungen der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 ausdrücklich auf § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 12/2020, stütze, wonach sich – so der Ausschussbericht (AB 102 BlgNR 27. GP) – Verordnungen des Bundesministers, die Betretungsverbote beinhalteten, "nicht nur an die Kunden, sondern auch an die Wirtschaftstreibenden richte[n]". Es werde den antragstellenden Parteien direkt untersagt, den Betrieb für Kunden offen zu halten. Daher würden die angefochtenen Bestimmungen direkt in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien eingreifen.

Verstöße seien gemäß § 3 Abs 2 COVID-19-Maßnahmengesetz auf Seiten des Inhabers mit bis zu € 30.000,– zu bestrafen. Die jeweiligen erstantragstellenden Parteien seien Inhaberinnen der Betriebsstätten. Durch die undeutliche Begrifflichkeit "Inhaber einer Betriebsstätte" sei es möglich, dass auch die Zweitantragsteller bzw der Drittantragsteller im Verfahren V398/2020 als handels- und gewerberechtliche Geschäftsführer in die persönliche Haftung genommen würden. Dadurch seien sämtliche Antragsteller direkt durch die Verordnung betroffen. Es sei gängige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, dass es einem Normunterworfenen nicht zumutbar sei, einen Strafbescheid zu provozieren.

1.3. Ihre Bedenken in der Sache legen die antragstellenden Parteien übereinstimmend wie folgt dar:

1.3.1. Mit der Abänderung der Verordnung BGBl II 96/2020 durch BGBl II 151/2020 habe der Bundesminister neben den bisher ausgenommenen Bereichen des § 2 Abs 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 nun auch unter anderem Baustoff-, Eisen- und Holzhandel, Bau- und Gartenmärkte in Z 22 ausgenommen. Demnach sei es (auch) diesen möglich, ohne Flächenbegrenzung und ohne mengenmäßige Begrenzung auf einen Kunden pro 20 m2 seit die Betriebe wieder für die Kunden zu öffnen. Der Bundesminister ordne für diese Betriebe nur an, dass Mund- und Nasenschutz von Kunden und Mitarbeitern zu tragen sei und dass zwischen Kunden und Mitarbeitern bzw jeweils untereinander ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten sei.

Die "sonstigen Betriebsstätten des Handels" seien, sofern sie nicht unter § 2 Abs 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 fielen, in ihrer grundrechtlichen Erwerbsfreiheit (Art6 StGG) massiv und unsachlich eingeschränkt. Die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 stehe ohne Zweifel im öffentlichen Interesse. Aus diesem Grund habe der Bundesminister in § 2 Abs 5 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 für alle Betriebe geregelt, dass es im Kundenbereich eine Maskenpflicht gebe und ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden müsse. Weil nicht davon auszugehen sei, dass der Bundesminister vorsätzlich die Kunden der "Ausnahmebereiche" des § 2 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 gefährden wolle, sei dadurch klargestellt, dass diese Anordnung ausreiche, um die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Es sei daher willkürlich und unsachlich, dass einzelne bezeichnete Betriebe des Handels (jene des § 2 Abs 1 Z 22 der Verordnung gehörten unzweifelhaft dazu) keiner Beschränkung der Größe und auch nahezu keiner Beschränkung der Kundendichte unterliegen würden, während andere Betriebe des Handels zusätzlichen Restriktionen unterworfen seien.

Die Differenzierung von Betrieben gemäß § 2 Abs 1 Z 22 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 gegenüber sonstigen Betrieben des Handels sei unsachlich und nicht gerechtfertigt, da die durch § 2 Abs 1 Z 22 vom Verbot der Verordnung ausgenommenen Betriebe nicht per se zu systemerhaltenden Betrieben gehörten (genauso wenig wie Waschanlagen oder Fahrradwerkstätten). Es liege daher eine unsachliche Ungleichbehandlung vor.

Diese Differenzierung in "sonstige Betriebsstätten des Handels" und (insbesondere) jene des § 2 Abs 1 Z 22 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 sei ein wesentlicher Unterschied in der Behandlung dieser jeweiligen Handelsbranchen, da ohne diese Differenzierung entweder die Baumärkte (und sonstige Märkte der Z 22) nur dann geöffnet sein dürften, wenn sie einen Kundenbereich unter 400 m2 hätten, oder aber alle "sonstigen Betriebsstätten des Handels" ungeachtet der Größe des Kundenbereiches unter Einhaltung der sonstigen Bedingungen, – und sei es unter Einhaltung der strengen Anforderungen des § 2 Abs 6 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 – für Kunden geöffnet haben dürften.

1.3.2. Selbst unter der Annahme, dass – mit Ausnahme der Bereiche des § 2 Abs 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 – der Kundenbereich der sonstigen Betriebe des Handels sachlich gerechtfertigt maximal 400 m2 aufweisen dürfe, sei die Anordnung in § 2 Abs 4 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, wonach alle Änderungen des Kundenbereiches nach dem nicht bewirken würden, dass der "sonstige Betrieb des Handels" trotz faktisch auf unter 400 m2 eingeschränktem Kundenbereich den Betrieb für den Kundenverkehr öffnen dürfe, gesetzwidrig, weil sie ebenso gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Es gebe aber keinen sachlich gerechtfertigten Grund, zwischen Betrieben nach dem Datum der Einschränkung des Kundenbereiches zu differenzieren, wenn man davon ausgehe, dass sowohl bei den Geschäften, die vor dem bereits unter 400 m2 Kundenfläche gehabt hätten, als auch bei jenen, die den Kundenbereich auf unter 400 m2 nach diesem Datum eingeschränkt hätten, in weiterer Folge die gleiche Beschränkung der Kundendichte (jeweils ein Kunde pro 20 m2) anzuwenden sei.

2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat als verordnungserlassende Behörde die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine zu beiden Verfahren (V 396/2020 und V398/2020) gleichgelagerte Äußerung erstattet, in der er, teilweise unter Bezugnahme auf seine, in den zu den Zahlen V395/2020 und V408/2020 geführten Verordnungsprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof erstatteten Äußerungen, den Bedenken der antragstellenden Parteien wie folgt entgegentritt:

2.1. Zur Zulässigkeit des Antrages führt der BMSGPK wie folgt aus (ohne Hervorhebungen im Original):

"[…] Zur aktuellen und unmittelbaren Betroffenheit:

[…]

Das Außer-Kraft-Treten schadet im Hinblick auf die Antragslegitimation nur dann nicht, wenn die angefochtene Bestimmung auch nach dem Außer-Kraft-Treten noch eine nachteilige rechtliche Wirkung für den Antragsteller hat (s nur VfSlg 12.227/1989, VfSlg 16.229/2001), wenn also der 'Rechtsfolgenbereich' über den zeitlichen 'Bedingungsbereich' hinausreicht (vgl Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 Rz 1023 und 437). Diesfalls trifft den Antragsteller eine besondere Darlegungspflicht (vgl etwa VfSlg 15.116/1998, VfSlg 12.634/1991 und 11.365/1987).

[…] Die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 ist mit Ablauf des außer Kraft getreten (§13 Abs 2 Z 1 Lockerungsverordnung, BGBl II Nr 197/2020). Nach diesem Zeitpunkt fortbestehende rechtliche Wirkungen der aufgehobenen Verordnung werden nicht behauptet und sind auch nicht ersichtlich. Mit Außer-Kraft-Treten der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 fielen die darin vorgesehenen Betretungsverbote weg.

[…] Nach Ansicht des BMSGPK ist der Antrag daher mangels unmittelbarer aktueller Betroffenheit zur Gänze zurückzuweisen.

[…] Zur Darlegung der Bedenken und zum Anfechtungsumfang

[…]

Die Antragsteller monieren im Wesentlichen eine unsachliche Ungleichbehandlung von sonstigen Betriebsstätten des Handels im Sinne des § 2 Abs 4 und (vor allem) Betrieben im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22. Die Bedenken richten sich dem Grunde in weiten Bereichen gegen § 2 Abs 1 Z 22 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020. Nach Ansicht des BMSGPK entspricht der Antrag damit zum einen nicht den Anforderungen aus § 57 VfGG, zum anderen erweist sich auch der Anfechtungsumfang als zu eng: Um die behauptete Verfassungswidrigkeit zu beseitigen, hätten die Antragsteller auch die als unsachlich empfundenen Bestimmungen des § 2 Abs 1 mit anfechten müssen. Nach Ansicht des BMSGPK ist der Antrag auch insoweit unzulässig.

"

2.2. In der Sache tritt der BMSGPK den Bedenken der antragstellenden Parteien wie folgt entgegen (ohne Hervorhebungen im Original):

"[Anmerkung: Auszug aus Äußerung zu V408/2020] […] Zu den Bedenken hinsichtlich 'Flächenbegrenzung und Zonierungsverbot'

[…] Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz (Art2 StGG; Art 7 B-VG):

[…]

Die Beschränkung des § 2 Abs 4 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 auf einen Kundenbereich im Inneren von maximal 400 m² ist vor dem Hintergrund der Entwicklungen der Rechtslage seit Erlassung der Stammfassung der Verordnung zu beurteilen: Aufgrund der epidemiologischen Situation und Risikobewertung […] war es zum Schutz der Gesundheit und des Lebens notwendig, flächendeckende Maßnahmen zur größtmöglichen Reduktion der sozialen Kontakte zu ergreifen. Vor diesem Hintergrund normierte die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 weitreichende Betretungsverbote für Betriebsstätten von Waren- und Dienstleistungsunternehmen auf der Grundlage des § 1 Covid-19-Maßnahmengesetz. Gemäß § 2 Abs 1 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 waren vom allgemeinen Betretungsverbot Bereiche ausgenommen, die der Aufrechterhaltung der Grundversorgung dienen.

[…] Die gewählte Regelungstechnik eines zeitlich befristeten, umfassenden Verbots mit Ausnahmen gewährleistete dabei unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit (vgl § 1 Covid-19-Maßnahmengesetz: 'soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist') eine kontinuierliche Überprüfung der Erforderlichkeit der Maßnahmen unter Berücksichtigung der epidemiologischen Entwicklungen und etwaiger neuer Erkenntnisse über die Krankheit: So wurde die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 zunächst mit einer Woche befristet (§4 Abs 3), mit der Verordnung BGBl II Nr 110/2020 wurde die Geltungsdauer unter Berücksichtigung des weiteren Infektionsanstiegs bis verlängert. Mit BGBl II Nr 151/2020 wurde die Befristung bis verlängert, wobei erste Lockerungen der Betretungsverbote (im Sinne weiterer Ausnahmen) mit erfolgten. Die jeweiligen Maßnahmen erfolgten unter ständiger Beobachtung der epidemiologischen Situation und ermöglichten eine stets angemessene, schrittweise Reaktion auf die tatsächlichen Verhältnisse. So konnte eine stete Abwägung der Gefahren für Leben und Gesundheit mit den entgegenstehenden Grundrechtspositionen vorgenommen werden, entsprechende Einschränkungen konnten auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert werden.

[…] Die Ausnahme des § 2 Abs 4 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 für sonstige (nicht im Sinne des § 2 Abs 1 der Befriedigung der Grundbedürfnisse bzw der für Verrichtungen des täglichen Lebens notwendigen) Betriebsstätten des Handels wurde mit BGBl II Nr 151/2020 geschaffen. Im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung BGBl II Nr 151/2020 erlaubte es die epidemiologische Situation noch nicht, alle Betriebsstätten des Einzelhandels gleichzeitig wieder für den Kundenverkehr zu öffnen: Mit Stand gab es in Österreich 13.138 bestätigte Fälle (gemäß Einlangedatum) und 262 Todesfälle (ohne bestätigte Fälle mit anderer Todesursache, gemäß Einlangedatum). Die Zuordnung der Todesfälle erfolgt nach dem Todesdatum; Todesfälle aus anderem Grund als SARS-CoV-2 werden exkludiert […].

Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) unterstützt die EU-Mitgliedstaaten bei ihrer Risikoeinschätzung und damit einhergehenden Maßnahmenplanung. Österreich berücksichtigt Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der ECDC bei der Weiterentwicklung der Strategie zur Krisenbewältigung. In die Risikobewertung des ECDC fließen verschiedene zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbare internationale Quellen mit ein; diese geben einen Überblick zum jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft hinsichtlich der Erforschung der Erkrankung als auch hinsichtlich der Optionen zur Maßnahmensetzung.

Es ist zu betonen, dass die Situation eine dynamische ist und diese auf nationaler und internationaler Ebene ständig neu bewertet werden muss. Als Grundlage für politische Entscheidungen zur Maßnahmensetzung fließen neben Empfehlungen der WHO, der ECDC die Einschätzungen und Erkenntnisse der nationalen Expertinnen und Experten sowie die jeweils aktuelle Datenlage und Prognosen mit ein.

In der Risikobewertung des ECDC vom […] werden Fieber, Husten, Halsweh Abgeschlagenheit als häufigste Symptome genannt. Darüber hinaus mehrten sich weiterhin die Berichte über asymptomatische Fälle. Erste Schätzungen zur Schwere der Erkrankungen basierend auf damals vorhandenen epidemiologischen Daten aus EU/EWR-Staaten und UK ergaben:

•32 % aller Fälle wurden hospitalisiert (Daten von 26 Ländern)

•2,4 % aller Fälle verliefen kritisch (Daten von 16 Ländern)

•11 % der hospitalisierten Fälle (Daten von 21 Ländern) verliefen tödlich

•Die vorhandenen Daten zeigten ein erhöhtes Risiko der Hospitalisierung für über Sechzigjährige.

•Die Anzahl der Todesfälle bei der Altersgruppe 65-79 Jahre lag bei 44 % und bei der Altersgruppe ab 80 bei 46 %.

Die ECDC Risikobewertung vom ergab folgende Ergebnisse:

•Das Risiko einer schweren Erkrankung im Zusammenhang mit einer
COVID-19-Infektion für Menschen in der EU / im EWR und im Vereinigten Königreich wurde für die allgemeine Bevölkerung als moderat und für ältere Erwachsene und Personen mit definierten Risikofaktoren (Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische respiratorische Erkrankungen, Übergewicht) als sehr hoch angesehen.

•Das Risiko des zunehmenden Auftretens einer 'Community Transmission' von COVID-19 in der EU/EWR und UK wurde mit gesetzten Eindämmungsmaßnahmen als moderat, jedoch ohne Implementierung von Eindämmungsmaßnahmen als sehr hoch angesehen.

•Das Risiko einer Überlastung der Gesundheits- und Sozialsysteme in der EU/EWR und UK wurde mit gesetzten Eindämmungsmaßnahmen als hoch und ohne ausreichende Implementierung von Eindämmungsmaßnahmen als sehr hoch angesehen.

Die Implementierung von strengen Maßnahmen konnte in mehreren Ländern (darunter auch Österreich) beobachtet werden, was zu einer wesentlichen Reduktion der Transmission von Covid-19 geführt hat. In der damaligen Situation sollte weiterhin ein starker Fokus auf konsequentes Testen, Überwachungsstrategien (inkl. Kontaktpersonennachverfolgung), allgemeine Maßnahmen in der Bevölkerung (physical distancing), Stärkung des Gesundheitssystemes und Information der Öffentlichkeit sowie des Gesundheitspersonales gesetzt werden.

Des Weiteren wurde festgehalten, dass solch strenge Maßnahmen gravierende gesellschaftliche Auswirkungen (ökonomisch und sozial) mit sich bringen. Laut dem Rapid Risk Assessment vom hätte eine frühzeitige Lockerung der Maßnahmen eine anhaltende Übertragung zur Folge gehabt. Bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs sind gewisse Maßnahmen im Bereich physical distancing für mehrere Monate notwendig, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Etwaige Lockerungen müssten behutsam und evidenzbasiert geplant werden. Die Lockerung aller Maßnahmen wurde zum damaligen Zeitpunkt als zu früh eingestuft.

[…] Angesichts der weiterbestehenden Gefährdungslage galt es, die sozialen Kontakte zum Schutz der Gesundheit einerseits nach wie vor möglichst niedrig zu halten, andererseits einen Ausgleich mit den entgegenstehenden Grundrechten insbesondere der Erwerbsfreiheit zu schaffen.

[…] Bei der Verfolgung seiner Ziele kommt dem Normsetzer ein rechtspolitischer Spielraum zu. Im Rahmen der Verfolgung des Ziels der Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 liegt es insbesondere bei der schrittweisen 'Lockerung' der Betretungsverbote im Wertungsspielraum des Verordnungsgebers, ob entsprechende Beschränkungen in kürzeren Zeitintervallen, aber dafür in kleinerem Ausmaß oder in längeren Zeitabständen, aber dafür in größerem Ausmaß zurückgenommen werden. Mit den Novellen zur Verordnung wurden (im Vergleich etwa mit Deutschland) Lockerung in kleineren, dafür aber häufigeren Schritten gesetzt: So wurde die Ausnahme vom Betretungsverbot gemäß § 2 Abs 4 mit normiert, also 29 Tage nach Inkrafttreten der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 am , wobei die Verordnung insgesamt bis befristet war (alle übrigen Betriebsstätten des Handels durften mit wieder betreten werden).

[…] Vor dem Hintergrund der epidemiologischen Situation und Risikobewertung ist bei der Normierung schrittweiser Ausnahmen von den Betretungsverboten für sonstige, nicht in § 2 Abs 1 aufgezählte (versorgungskritische) Betriebsstätten des Handels das Abstellen auf die Größe des Kundenbereichs ein taugliches Differenzierungsmerkmal: Gemeinsam mit der erforderlichen Beschränkung auf 20 m² pro Kunde gewährleistet die Größenbeschränkung des § 2 Abs 4 der zitierten Verordnung im Hinblick auf das Ziel der Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 insgesamt eine vertretbare Kundenfrequenz.

[…] Die Festsetzung der Grenze von 400 m² liegt dabei im Wertungsspielraum des Verordnungsgebers (vgl wieder VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002): Zur Gewährleistung einer vertretbaren Kundenfrequenz sollten zunächst Klein- und Kleinstbetriebe vom Betretungsverbot ausgenommen werden. Die Grenze von 400 m² findet sich etwa in § 1 Abs 1 Z 13 der Verordnung des BMWFW über genehmigungsfreie Arten von Betriebsanlagen (2. Genehmigungsfreistellungsverordnung) auf der gesetzlichen Grundlage des § 74 Abs 7 GewO (Betriebsanlagen von einzelnen Gewerbetreibenden mit einer Betriebsfläche von bis zu 400 m2, die innerhalb einer rechtkräftig genehmigten Gesamtanlage gemäß § 356e Abs 1 GewO 1994 gelegen sind). Auch wenn die betriebsanlagenrechtlichen Bestimmungen andere Zwecke verfolgen als die seuchenrechtlichen Maßnahmen des Covid-19-Maßnahmengesetzes und der Verordnung BGBl II Nr 96/2020, sind sie tauglicher Orientierungspunkt für die gesetzgeberische Vorstellung von kleinen Handelsgeschäften (vgl AB 761 20. GP 8; AB 1149 BlgNR 21. GP 4). Mit dem Abstellen auf die Z 13 (und nicht Z 1) wurde die – aus epidemiologischer Sicht erforderliche – Gleichbehandlung von Betriebsstätten in verbundenen Bauwerken erzielt, die auch im Einklang mit der Kundenbereichsregelung in § 2 Abs 4 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 steht.

[…] Die Differenzierung nach der Größe ist ein geeignetes Mittel zur Erreichung des Ziels der weiteren Verhinderung der Verbreitung von Covid-19: Je größer diese Grenze vom Verordnungsgeber festgelegt wird, desto größer ist insgesamt die Zahl der sozialen Kontakte (nicht nur in oder vor der Betriebsstätte selbst, sondern insgesamt im öffentlichen Raum). Dabei steht weniger die Problematik des ausreichenden Abstands in der Betriebsstätte, sondern die damit bewirkte Erhöhung der Mobilität und damit der sozialen Kontakte insgesamt im Vordergrund. Damit wäre aber auch die von der Antragstellerin monierte Einhaltung der Hygienebestimmungen in der Betriebsstätte kein taugliches gelinderes Mittel zur Zielerreichung gewesen. Vor dem Hintergrund des gewichtigen öffentlichen Interesses des Gesundheitsschutzes und der engen zeitlichen Befristung (14. 4. bis ) wiegt im Ergebnis die Ungleichbehandlung der sonstigen Betriebsstätten des Handels untereinander im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung weniger schwer als das damit verfolgte Ziel des Gesundheitsschutzes.

[…] Auch dass bauliche Veränderungen nach dem nicht berücksichtigt wurden, ist sachlich gerechtfertigt: Größere Betriebsstätten ziehen mehr Kunden an als kleine; ihre Anziehungskraft verringert sich aber nicht dadurch, dass der Kundenbereich verkleinert wird: Eine solche Verkleinerungsmöglichkeit schafft für den Inhaber der Betriebsstätte zwei Möglichkeiten. Entweder er belässt sein Produktsortiment wie es ist und verkleinert nur den Kundenbereich (der restliche Bereich wäre dann zum Lagerraum umfunktioniert), oder er verkleinert sein Produktsortiment entsprechend.

Im ersten Fall kann eine derartige Verkleinerung zur unerwünschten Folge von Kundenstaus vor den Betriebsstätten und zu einer 'Nadelöhrsituation' an den Eingangsbereichen führen, die im diametralen Gegensatz zum verfolgten Ziel der Eindämmung der sozialen Kontakte steht. Im zweiten Fall ist zu bedenken, dass Kunden größere Betriebsstätten in Erwartung eines bestimmten Sortiments aufsuchen, dessen Bereitstellung bei Verkleinerung des Kundenbereichs nicht in seinem vollen Umfang gewährleistet werden kann. Auch die fehlende Vorhersehbarkeit des tatsächlich angebotenen Warenumfangs ist ein Faktor zur unnötigen Erhöhung der Kundenfrequenz, wenn die Erwartungen des Kunden an das Produktsortiment enttäuscht wird. Das Datum trägt dem Umstand Rechnung, dass die auf Kleinbetriebe abzielende Kundenbereichsbeschränkung von 400 m² nicht gezielt im Hinblick auf die Verordnung BGBl II Nr 151/2020 umgangen werden sollte.

[…] Aus diesen Gründen sind nach Ansicht des BMSGPK sowohl die Größenbeschränkung auf maximal 400 m² als auch die Nichtberücksichtigung baulicher Veränderungen nach dem in § 2 Abs 4 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 sachlich gerechtfertigt.

[…] Zu den Bedenken im Hinblick auf die Freiheit der Erwerbstätigkeit (Art6 StGG):

[…]

Bei den aus dem Betretungsverbot gemäß § 1 der Verordnung BGBl Nr II 96/2020 resultierenden Beschränkungen handelt es sich um Erwerbsausübungsschranken, zumal die Antragstellerin nicht am Zugang zum Beruf gehindert wird. Der BMSGPK verkennt nicht das Gewicht der aus der fehlenden Möglichkeit des Vor-Ort-Verkaufs resultierenden Beschränkungen, dem steht jedoch das damit verfolgte gewichtige öffentliche Interesse des Gesundheitsschutzes gegenüber. Die Größenbeschränkung des § 2 Abs 4 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 ist ein geeignetes Mittel zur Erreichung des Ziels der Verhinderung der Verbreitung von Covid-19, da dadurch eine vertretbare Kundenfrequenz und damit eine vertretbare Zahl an sozialen Kontakten gewährleistet wird. Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung wird sinngemäß auf die [oben dargestellten] […] verwiesen. In Abwägung der gewichtigen, mit der Größenbeschränkung des § 2 Abs 4 verfolgten öffentlichen Interessen einerseits und den – zeitlich befristeten – Beschränkungen der Erwerbsausübungsfreiheit andererseits ist der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Ansicht des BMSGPK gerechtfertigt. Die behauptete Verletzung des Art 6 StGG liegt somit nicht vor. Dieselben Erwägungen gelten auch für das 'Zonierungsverbot'. […].

[…] Zu den Bedenken im Hinblick auf das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG; Art 1 1. ZPEMRK):

[…]

[…] Bei den durch das Betretungsverbot bewirkten Nutzungsbeschränkungen handelt es sich um Eigentumsbeschränkungen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird zur Rechtfertigung des Eingriffs sinngemäß auf die Ausführungen zur Erwerbsfreiheit […] verwiesen."

"[Anmerkung: Auszug aus Äußerung zu V395/2020] […] Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz (Art2 StGG; Art 7 B-VG):

[…] Die Antragsteller behaupten eine unsachliche Ungleichbehandlung von Betriebsstätten des Handels im Sinne des § 2 Abs 1 und des § 2 Abs 4 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020.

[…]

Die Differenzierung zwischen Betriebsstätten des Handels im Sinne des § 2 Abs 1 und 'sonstigen Betriebsstätten des Handels' im Sinne des § 2 Abs 4 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 ist vor dem Hintergrund der Entwicklungen der Rechtslage seit Erlassung der Stammfassung der Verordnung zu beurteilen: Aufgrund der epidemiologischen Situation und Risikobewertung […] war es zum Schutz der Gesundheit und des Lebens notwendig, flächendeckende Maßnahmen zur größtmöglichen Reduktion der sozialen Kontakte zu ergreifen. Vor diesem Hintergrund normierte die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 weitreichende Betretungsverbote für Betriebsstätten von Waren- und Dienstleistungsunternehmen auf der Grundlage des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz. Gemäß § 2 Abs 1 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 waren vom allgemeinen Betretungsverbot Bereiche ausgenommen, die der Aufrechterhaltung der Grundversorgung dienen.

[…] Die gewählte Regelungstechnik eines zeitlich befristeten, umfassenden Verbots mit Ausnahmen gewährleistete dabei unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit (vgl § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz: 'soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist') eine kontinuierliche Überprüfung der Erforderlichkeit der Maßnahmen unter Berücksichtigung der epidemiologischen Entwicklungen und etwaiger neuer Erkenntnisse über die Krankheit: So wurde die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 zunächst mit einer Woche befristet (§4 Abs 3), mit der Verordnung BGBl II Nr 110/2020 wurde die Geltungsdauer unter Berücksichtigung des weiteren Infektionsanstiegs bis verlängert. Mit BGBl II Nr 151/2020 wurde die Befristung bis verlängert, wobei erste Lockerungen der Betretungsverbote gemäß § 1 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 (im Sinne weiterer Ausnahmen) mit erfolgten. Die jeweiligen Maßnahmen erfolgten unter ständiger Beobachtung der epidemiologischen Situation und ermöglichten eine stets angemessene, schrittweise Reaktion auf die tatsächlichen Verhältnisse. So konnte eine stete Abwägung der Gefahren für Leben und Gesundheit mit den entgegenstehenden Grundrechtspositionen vorgenommen werden, entsprechende Einschränkungen konnten auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert werden.

[…] Im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung BGBl II Nr 151/2020 erlaubte es die epidemiologische Situation noch nicht, alle Betriebsstätten des Einzelhandels gleichzeitig wieder zu öffnen […]. Angesichts der weiterbestehenden Gefährdungslage galt es, die sozialen Kontakte zum Schutz der Gesundheit einerseits nach wie vor möglichst niedrig zu halten, andererseits einen Ausgleich mit den entgegenstehenden Grundrechten insbesondere der Erwerbsfreiheit zu schaffen. Mit BGBl II Nr 151/2020 wurden daher zunächst weitere Ausnahmen vom Betretungsverbot in § 2 Abs 1 Z 22 und 23 sowie die Ausnahme des § 2 Abs 4 normiert.

[…] § 2 Abs 1 Z 22 und 23 dienten der Gleichstellung mit vergleichbaren Betriebsstätten wie den bisher in § 2 Abs 1 der Verordnung taxativ aufgezählten: So ist das angebotene Warensortiment insbesondere der Baumärkte mit jenem der Z 9 vergleichbar (Instandhaltungs- und Notfallprodukte), jenes der Baustoff-, Eisen- und Holzhandels sowie der Baumärkte diente der dringenden Versorgung des (unbeschränkt weiter ausgeübten) Bau-Nebengewerbes und trug damit der Bedeutung des Warensortiments für die weiter ungehinderte Grundversorgung Rechnung. Mit der Z 22 wurde auch der Bedeutung der Gartenmärkte für Verrichtungen des täglichen Lebens Rechnung getragen. Auch § 2 Abs 1 Z 23 diente der Gleichstellung mit vergleichbaren Leistungen der Banken (vgl § 2 Abs 1 Z 13).

[…] Anders als die Ausnahme für sonstige Betriebsstätten im Sinne des § 2 Abs 4 knüpfen die auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse ausgerichteten Ausnahmen des § 2 Abs 1 knüpfen nicht an die Größe des Kundenbereichs an und enthalten auch keine dem § 2 Abs 6 entsprechende Einschränkung auf 20 m² Gesamtverkaufsfläche pro Kunde. Wiewohl auch für sie besondere Vorkehrungen gelten (§2 Abs 5), lässt damit der Verordnungsgeber bei Betriebsstätten im Sinne des § 2 Abs 1 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 eine erhöhte Kundenfrequenz zu. Die sachliche Rechtfertigung dafür liegt in der Bedeutung der Waren oder Dienstleistungen für die Grundversorgung bzw für Verrichtungen des täglichen Lebens. Die Erfahrungen aus dem EU-Ausland (insbesondere aus Italien), zu Beginn der Maßnahmen aber auch in Österreich, haben gezeigt, dass es bei Einschränkungen in diesen Bereichen besonderer Vorsicht bedarf, zumal alleine die Befürchtung von Beschränkungen in der Bevölkerung den gegenteiligen Effekt eines Kundenandrangs ('Hamsterkäufe') auslöst. Eine Einschränkung der erlaubten Kundenanzahl im Bereich der kritischen Infrastruktur stünde damit aber im diametralen Gegensatz zum Ziel der Verhinderung der Verbreitung von COVID-19.

[…] Die Differenzierung zwischen Betriebsstätten im Sinne des § 2 Abs 1 und 'sonstigen Betriebsstätten' des Handels ist daher nach Ansicht des BMSGPK sachlich gerechtfertigt. Sie sichert im Sinne des Ziels der Verhinderung der Verbreitung eine vertretbare Kundenfrequenz und ist insbesondere auch im Hinblick auf die zeitliche Befristung der Maßnahmen verhältnismäßig."

IV. Erwägungen

Die in sinngemäßer Anwendung der § 187 und 404 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge sind zulässig und auch begründet:

A. Zur Zulässigkeit

1. Mit ihren auf Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG gestützten Anträgen begehren die antragstellenden Parteien, näher bezeichnete Bestimmungen in § 2 Abs 4 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl II 96/2020, idF BGBl I 151/2020 als gesetzwidrig aufzuheben. Im Zeitpunkt der Einbringung ihrer Anträge beim Verfassungsgerichtshof, dem (Verfahren V396/2020) bzw (Verfahren V398/2020), standen die angefochtenen Bestimmungen idF BGBl II 151/2020 in Kraft. Die COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 und damit auch die damit angefochtenen Bestimmungen sind auf Grund des § 13 Abs 2 Z 1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung), BGBl II 197/2020, mit Ablauf des außer Kraft getreten.

2. Die antragstellenden Parteien erachten sich durch die Einschränkung in § 2 Abs 4 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, idF BGBl II 151/2020, derzufolge sonstige Betriebsstätten des Handels vom allgemeinen Betretungsverbot des § 1 der Verordnung nicht ausgenommen sind, wenn ihr Kundenbereich im Inneren über 400 m2 beträgt, auch wenn sie die in § 2 Abs 5 und Abs 6 der Verordnung vorgesehenen Auflagen einhielten, in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Erwerbsfreiheit, Schutz des Eigentums und auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Ein anderer zumutbarer Weg, die Frage der Rechtswidrigkeit der bekämpften Bestimmungen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, bestünde nicht, insbesondere sei es nicht zumutbar, durch Verletzung eines gesetzlichen Verbotes ein (Verwaltungs-)Strafverfahren provozieren zu müssen. Wegen der Strafbestimmung des § 3 Abs 2 COVID-19-Maßnahmengesetz seien auch die Zweitantragsteller in den beiden Verordnungsprüfungsverfahren bzw der Drittantragsteller im Verfahren zu V398/2020 antragslegitimiert.

3. Gemäß Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Voraussetzung der Antragslegitimation ist daher, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

Nach § 57 Abs 1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden.

4. Die (Haupt-)Anträge sind zulässig:

4.1. Durch die angefochtene Regelung des zweiten Halbsatzes des § 2 Abs 4 erster Satz der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 wird den antragstellenden Parteien – anders als sonstigen Unternehmen des Handels, bei deren Betriebstätten der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m2 beträgt – über den Ablauf des hinaus gemäß § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 untersagt, dass Kunden ihre Betriebstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen betreten. Dieses Verbot greift unmittelbar in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien ein und es steht ihnen – im Hinblick darauf, dass § 3 Abs 2 COVID-19-Maßnahmengesetz Inhaber einer Betriebsstätte, die eine verbotene Betretung nicht untersagen, mit Verwaltungsstrafen bis zu € 30.000,– bedroht – kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, die behauptete Rechtswidrigkeit des Eingriffes an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Die Zweitantragsteller bzw der Drittantragsteller im Verfahren V398/2020 sind als Geschäftsführer der erstantragstellenden Parteien als verwaltungsstrafrechtlich belangbare Vertreter der Gesellschaften antragslegitimiert (siehe VfSlg 13.635/1993).

4.2. Entgegen der Auffassung des BMSGPK ist in einer Konstellation wie der vorliegenden der Antrag auch nicht deswegen mangels aktueller Betroffenheit unzulässig, weil die angefochtenen Bestimmungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten sind:

4.2.1. Aus dem Wortlaut des Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG ("verletzt zu sein behauptet") ergibt sich, dass die angefochtenen Verordnungsbestimmungen zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreifen müssen (siehe statt vieler zu Verordnungsbestimmungen VfSlg 12.634/1991, 13.585/1993, 14.033/1995; zu Gesetzesbestimmungen VfSlg 9096/1981, 12.447/1990, 12.870/1991, 13.214/1992, 13.397/1993).

Der Verfassungsgerichtshof geht weiters davon aus, dass die bekämpften Verordnungsbestimmungen auch im Zeitpunkt seiner Entscheidung für den Antragsteller noch entsprechend wirksam sein müssen (vgl für Verordnungsbestimmungen VfSlg 12.413/1990, 12.756/1991, 12.877/1991, 14.712/1996, 14.755/1997, 15.852/2000, 16.139/2001, 19.391/2011; für Gesetzesbestimmungen VfSlg 12.999/1992, 16.621/2002, 16.799/2003, 17.826/2006, 18.151/2007; ), was in der Regel dann nicht mehr der Fall ist, wenn die bekämpften Bestimmungen bereits außer Kraft getreten oder wesentlich geändert worden sind und damit das Ziel des Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG schon erreicht ist (zB VfSlg 17.653/2005, 18.284/2007, 18.837/2009; 15.491/1999, 19.391/2011). Es ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch bereits außer Kraft getretene Regelungen die Rechtssphäre des Antragstellers aktuell berühren (vgl zB VfSlg 16.581/2002, 18.235/2007; 10.313/1984, 15.888/2000, 17.798/2006; allgemein auch zB 15.116/1998, 17.826/2006; 12.976/1992). Solches hat der Verfassungsgerichtshof bislang insbesondere dann angenommen, wenn es sich um einen auf einzelne Kalenderjahre bezogenen Anspruch handelt (VfSlg 16.581/2002), oder wenn die außer Kraft getretene Bestimmung die Rechtssphäre des Antragstellers weiterhin etwa in Beziehung auf privatrechtliche Verträge, die der Anfechtende während des Zeitraums der Geltung abgeschlossen hat, unmittelbar berührt (VfSlg 12.976/1992).

Insbesondere erachtet der Verfassungsgerichtshof eine entsprechende Wirksamkeit angefochtener Verordnungsbestimmungen und damit die Antragslegitimation ungeachtet des Umstandes, dass die Verordnung bereits außer Kraft getreten ist, bei zeitraumbezogenen Regelungen für gegeben, weil diese für den entsprechenden Zeitraum weiterhin anzuwenden sind (siehe VfSlg 10.820/1986 sowie insbesondere die Rechtsprechung zu sogenannten Systemnutzungstarifen im Energierecht VfSlg 15.888/2000, 15.976/2000, 17.094/2003, 17.266/2004, 17.798/2006, 19.840/2013).

4.2.2. Wie Art 139 Abs 4 (und ebenso Art 140 Abs 4) B-VG deutlich macht, kann bzw muss dem Rechtsschutzziel eines Antrages nach Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG in bestimmten Konstellationen auch durch den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes Rechnung getragen werden, dass die bekämpften Verordnungsbestimmungen gesetzwidrig waren.

Die von den antragstellenden Parteien bekämpften Verordnungsbestimmungen sind Teil eines gesetzlichen und verordnungsmäßigen Regelungssystems, das zur Bewältigung einer krisenhaften Situation, der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und ihrer Auswirkungen, dadurch gekennzeichnet ist, dass der Gesetzgeber Ermächtigungen für die Verwaltung erlassen hat, auf die Verordnungen gestützt werden, die Ge- und Verbote enthalten, die unmittelbar (verfassungsgesetzlich gewährleistete) Rechte einschränken und die Nichteinhaltung dieser Anordnungen unter Strafe stellen. Anlass und Zielsetzung dieses Regelungssystems verlangen von der Vollziehung eine laufende Beobachtung und Anpassung ihrer Maßnahmen, was eine rasche Abfolge von Bestehen und Änderung einzelner Verordnungen und Verordnungsbestimmungen bewirkt.

Ein Antrag nach Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG soll (wie auch ein solcher nach Art 140 Abs 1 Z 1 litc B-VG) Rechtsschutz gewährleisten, wenn dieser gegen individuelle Rechtseingriffe durch (Gesetzes- oder) Verordnungsbestimmungen sonst nicht oder nur auf unzumutbarem Weg (zur diesbezüglichen Subsidiarität des Individualantrages vgl Rohregger, Art 140 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 163) erlangt werden kann. Insofern hat der Verfassungsgerichtshof mehrfach festgestellt, dass der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin gipfelt, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet (VfSlg 11.196/1986, 16.245/2001).

Dem Rechtsschutzinteresse der antragstellenden Parteien an der Klärung, ob der durch die angefochtenen Verordnungsbestimmungen bewirkte Eingriff in ihre (Grund-)Rechtssphäre, den zunächst hinzunehmen sie unter Strafsanktion verpflichtet sind, recht- und letztlich verfassungsmäßig erfolgte, kann angesichts des Umstandes, dass ansonsten Rechtsschutz nur bei Setzen einer strafbaren Handlung zu erlangen (gewesen) wäre, nur in einem Verfahren nach Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG Rechnung getragen werden. Dieses Rechtsschutzinteresse, das insoweit über den kurzen Zeitraum hinausreicht, in dem die angefochtenen Bestimmungen in Kraft gestanden sind (vgl das von einem ähnlichen Rechtsschutzgedanken getragene System der Maßnahmenbeschwerde oder die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Versammlungsuntersagungen, zB VfSlg 20.312/2019), bewirkt, dass im vorliegenden Fall die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes berührt wird, und begründet – noch (vgl VfSlg 10.819/1986, 11.365/1987) – die Wirksamkeit der angefochtenen Bestimmungen, auch wenn diese zwischenzeitig außer Kraft getreten sind.

4.3. Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen in § 2 Abs 4 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 sind zwar mit Ablauf des außer Kraft getreten. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen greifen sie dennoch unmittelbar in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien ein und beeinträchtigen ihre rechtlich geschützten Interessen auch noch aktuell. Den antragstellenden Parteien steht auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, ihre Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

5. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt dargelegt hat (siehe nur VfSlg 20.161/2017 mwN), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

5.1. Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen eine untrennbare Einheit bilden. Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle etwa als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 17.512/2005, 19.413/2011, 20.161/2017).

5.2. Die antragstellenden Parteien erheben Bedenken gegen den zweiten Halbsatz – ", wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m2 beträgt" – in § 2 Abs 4 erster Satz der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96. Sie bringen weiters (selbstständige) Bedenken gegen den vierten Satz des § 2 Abs 4 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 vor. Die (Haupt-)Anträge erweisen sich vor diesem Hintergrund als zulässig. Damit braucht auf die Eventualanträge nicht eingegangen zu werden.

6. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge auf Aufhebung des zweiten Halbsatzes in Satz 1 und des Satzes 4 in § 2 Abs 4 der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 als zulässig.

B. In der Sache

Die antragstellenden Parteien bringen im Wesentlichen dieselben Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen vor, wie sie die antragstellende Partei in dem beim Verfassungsgerichtshof zu V411/2020 protokollierten Verfahren dargelegt hat.

Der Verfassungsgerichtshof kann daher auf die diesbezüglichen Erwägungen zur Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen im heutigen Erkenntnis zu dieser Zahl verweisen (siehe Punkte IV.B.5. bis IV.B.10. des heutigen Erkenntnisses zu V411/2020).

V. Ergebnis

1. § 2 Abs 4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist durch § 13 Abs 2 Z 1 COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl II 197/2020, mit Ablauf des außer Kraft getreten. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art 139 Abs 4 B-VG auf die Feststellung zu beschränken, dass die Wortfolge ", wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m2 beträgt" sowie der vierte Satz – "Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben." – in § 2 Abs 4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, idF BGBl II 151/2020 gesetzwidrig waren.

2. Der Ausspruch, dass die unter Punkt 1. genannte Wortfolge sowie der vierte Satz in § 2 Abs 4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nicht mehr anzuwenden sind, stützt sich auf Art 139 Abs 6 zweiter Satz B-VG.

3. Der Ausspruch, dass der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Gesetzwidrigkeit und des damit im Zusammenhang stehenden Ausspruches verpflichtet ist, kann hier entfallen, weil diese Verpflichtung bereits im heutigen Erkenntnis zu V411/2020 enthalten ist.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 61a VfGG. In den zugesprochenen Kosten in dem zu V396/2020 protokollierten Verfahren ist Umsatzsteuer in Höhe von € 479,60, ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 218,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten. In den zugesprochenen Kosten in dem zu V398/2020 protokollierten Verfahren ist Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40, ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 327,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:V396.2020
Schlagworte:
COVID (Corona), Determinierungsgebot, Legalitätsprinzip, VfGH / Präjudizialität, Rückwirkung, VfGH / Weg zumutbarer, VfGH / Individualantrag

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