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VfGH vom 03.10.1986, V39/86

VfGH vom 03.10.1986, V39/86

Sammlungsnummer

11029

Leitsatz

Verordnung des Gemeinderates Seewalchen/Attersee vom , mit welcher der Teilbebauungsplan "Seewalchen a. A. - Süd-Ost" vom Juli 1955 aufgehoben wurde; Beurteilung des Umstandes, daß der (im Anlaßbeschwerdeverfahren bekämpften) Baubewilligung kein Bebauungsplan zugrunde lag, nur anhand der in Prüfung gezogenen Verordnung - Präjudizialität dieser Verordnung; der Begriff "Änderung" in § 23 Oö. ROG umfaßt auch die ersatzlose Aufhebung eines Bebauungsplanes; keine Genehmigung der aufhebenden Verordnung iS des § 23 Abs 1 Oö. ROG - gesetzwidriges Zustandekommen der Verordnung mangels Einhaltung des in § 23 Oö. ROG vorgesehenen Verfahrens; Aufhebung der Verordnung

Spruch

Die Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Seewalchen am Attersee vom , mit welcher der Teilbebauungsplan "Seewalchen a. A. - Süd-Ost" vom Juli 1955 aufgehoben wurde, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Seewalchen am Attersee vom wurde den Beteiligten des Anlaßverfahrens,

G und M A, die Bewilligung zur Errichtung eines Zubaues auf der Parzelle Nr. .../26, KG Seewalchen, erteilt, wobei ua. festgestellt wurde, daß der Teilbebauungsplan "Seewalchen a. A. - Süd-Ost" vom Juli 1955 - der ansonsten der Baubewilligung zugrunde gelegt hätte werden müssen - durch Gemeinderatsbeschluß vom ersatzlos aufgehoben wurde. Der von den Bf. des Anlaßverfahrens als Anrainern gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde aufgrund des Gemeinderatsbeschlusses vom keine Folge gegeben. Der von den Bf. des Anlaßverfahrens gegen den Berufungsbescheid eingebrachten Vorstellung hat die Oberösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom ebenfalls keine Folge gegeben.

2. Die Beschwerde gegen diesen Vorstellungsbescheid ist beim VfGH zu B709/83 protokolliert; die Bf. erachten sich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt und beantragen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH.

3. Der VfGH hat am beschlossen, gemäß Art 139 Abs 1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Seewalchen am Attersee vom , mit welcher der Teilbebauungsplan "Seewalchen a. A. - Süd-Ost" vom Juli 1955 aufgehoben wurde, von Amts wegen zu prüfen.

4. Die Oberösterreichische Landesregierung hat in einer Äußerung die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung verteidigt; auf ihr Vorbringen wird im weiteren noch einzugehen sein.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich folgender für das Verordnungsprüfungsverfahren relevanter Sachverhalt:

Im Zuge des (erstinstanzlichen) Verfahrens über die von den Ehegatten A beantragte Baubewilligung stellte sich heraus, daß das geplante Bauvorhaben mit den Bestimmungen des Teil-Bebauungsplanes "Seewalchen a. A. - Süd-Ost" vom Juli 1955, genehmigt von der Oö. Landesregierung am , nicht in Einklang zu bringen war.

Daraufhin hat der Gemeinderat am die (ersatzlose) Aufhebung dieses Teilbebauungsplanes beschlossen, weil - wie es im Sitzungsprotokoll des Gemeinderates heißt - "dieser bereits überwiegend ausgeschöpft wurde und der restliche Teil mit der derzeitigen Flächenwidmung nicht übereinstimmt". Einem Schreiben des Bürgermeisters der genannten Gemeinde an die Baurechtsabteilung des Amtes der Oö. Landesregierung vom ist zusätzlich zu entnehmen, daß die Erstellung eines den heutigen Anforderungen entsprechenden Bebauungsplanes nach Auffassung des Bürgermeisters "zu den Kosten in keinem Verhältnis" stünde und daher "vom wirtschaftlichen und zweckmäßigen Standpunkt" nicht zu verantworten sei.

Die Verordnung vom wurde am gemäß § 94 der Oö. Gemeindeordnung 1979 kundgemacht, mit Erlaß der Oö. Landesregierung vom , offenbar iS des § 101 des genannten Gesetzes, wurde festgestellt, daß die Überprüfung der Verordnung durch die Landesregierung keine Gesetzwidrigkeit ergeben hat. Dieser Beschl. der Landesregierung stellte offenkundig keine Genehmigung iS der §§21 Abs 5, 23 Abs 1 des Oö. Raumordnungsgesetzes dar.

2. Zur Frage der Präjudizialität der von ihm in Prüfung gezogenen Verordnung ist der VfGH in seinem Prüfungsbeschluß von folgenden Annahmen ausgegangen.

"Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß die Baubehörde den Teil-Bebauungsplan aus dem Jahre 1955 der Baubewilligung hätte zugrunde legen müssen, wenn dieser Teilbebauungsplan nicht durch die in Prüfung gezogene Verordnung aufgehoben worden wäre. Die Baubehörde - und auch der VfGH - können offenkundig den Umstand, daß der Baubewilligung kein Bebauungsplan zugrunde lag, nur an Hand der Verordnung vom beurteilen; diese ist somit präjudiziell iS des Art 139 Abs 1 B-VG. Daß sich der Inhalt dieser Verordnung in der Aufhebung einer anderen Vorschrift erschöpft, ändert daran nichts (vgl. VfSlg. 10.002/1984, S 319)."

Im Prüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was diese Annahmen des VfGH widerlegte, auch die Oberösterreichische Landesregierung hat diesbezüglich nichts vorgebracht. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

3. Der seine Bedenken wie folgt begründet:

"a) Der VfGH geht zunächst davon aus, daß es mit den Intentionen des Oö. Raumordnungsgesetzes, LGBl. 18/1972 (Oö. ROG), nicht in Widerspruch steht, vorhandene Bebauungspläne ersatzlos aufzuheben.

Nach § 19 Abs 1 Oö. ROG haben nämlich die Gemeinden Bebauungspläne (nur) aufzustellen, soweit zur Sicherung einer zweckmäßigen und geordneten Bebauung die Aufschließung bestimmter Gebiete für die Bebauung und die Regelung der Art der Bebauung erforderlich ist. Ebenso ist zu berücksichtigen, daß die in der Übergangsbestimmung des § 26 Oö. ROG den Gemeinden auferlegte Verpflichtung, innerhalb einer Fünf-Jahres-Frist Flächenwidmungspläne zu erlassen, sich nicht auf Bebauungspläne erstreckt.

b) Die in Prüfung gezogene Verordnung scheint aber gesetzwidrig zustandegekommen zu sein.

Der Teil-Bebauungsplan Seewalchen a. A. - Süd-Ost vom Juli 1955 galt nach der Übergangsbestimmung des § 26 Abs 2 Oö. ROG als Bebauungsplan iS des Oö. ROG. Dieses Gesetz enthält in seinem § 21 Bestimmungen über das Verfahren zur Erlassung und in seinem § 23 Regelungen über das Verfahren bei Änderung von Bebauungsplänen. Ausdrückliche Vorschriften über die vom Verordnungsgeber einzuschlagende Vorgangsweise bei der ersatzlosen Aufhebung von Plänen enthält das Oö. ROG nicht.

Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß dieser Umstand keineswegs bedeutet, daß die Eliminierung einer Planungsnorm aus dem Rechtsbestand unter Außerachtlassung der Bestimmungen des Oö. ROG vor sich gehen kann. Der Entfall eines Bebauungsplanes dürfte nämlich im Effekt einer Abänderung eines solchen Planes zumindest gleichzuhalten sein, zumal die ersatzlose Aufhebung eines Bebauungsplanes durchaus eine 'Änderung' der rechtlichen Situation für die Bebauung des betroffenen Gebietes mit sich bringt.

Aus dieser Überlegung scheint sich die Schlußfolgerung zu ergeben, daß im Falle der ersatzlosen Aufhebung eines Bebauungsplanes auch die Verfahrensbestimmungen des Oö. ROG über die Änderung der Bebauungspläne (insbesondere jene über die Auflage zwecks Ermöglichung von Einwendungen) sinngemäß zu beachten sind. Dies scheint jedoch bei Erlassung der in Prüfung gezogenen Verordnung nicht geschehen zu sein."

4. Die Oberösterreichische Landesregierung gesteht in ihrer Äußerung zunächst den vom VfGH angenommenen Sachverhalt zu und hält den Bedenken des VfGH folgendes entgegen:

"Soweit der VfGH die Auffassung vertritt, der Entfall eines Bebauungsplanes sei im Effekt einer Abänderung eines solchen zumindest gleichzuhalten, zumal die ersatzlose Aufhebung des Bebauungsplanes durchaus eine 'Änderung' der rechtlichen Situation für die Bebauung des betroffenen Gebietes mit sich bringt, ist dieser Auffassung die Überlegung entgegenzuhalten, daß die 'Änderung' in einem solchen Fall darin besteht, daß auf Grund der Aufhebung der Festlegungen des Bebauungsplanes für die Beurteilung der Zulässigkeit eines bestimmten Bauvorhabens in dessen früheren Geltungsbereich nunmehr die sich aus den Baugesetzen (im materiellen Sinn) ergebenden Bauvorschriften (O.ö. Bauordnung, O.ö. Bauverordnung, usw.) gelten. Anders als bei einer Änderung eines Bebauungsplanes - oder bei der Erstellung eines solchen - treten durch die Beseitigung des Bebauungsplanes jene Bauvorschriften (wieder) in Wirksamkeit, welche für ein bestimmtes Gebiet, auch ohne Bestehen eines Bebauungsplanes, zu beachten sind. Während also bei der Erstellung oder Abänderung eines Bebauungsplanes eine von wesentlichen baurechtlichen Bestimmungen abweichende Planungsregelung getroffen werden kann (z.B. hinsichtlich der Bestimmungen der §§29, 30 und 32 O.ö. Bauordnung), welche aus Rechtsschutzgründen ('Interessen Dritter') eines besonderen Verfahrens (§23 O.ö. Raumordnungsgesetz) bedarf, ist bei der Aufhebung zumindest eines Bebauungsplanes lediglich auf öffentliche Interessen, nämlich auf solche, die der Sicherung einer zweckmäßigen und geordneten Bebauung dienen, Rücksicht zu nehmen. Schließlich gebietet § 19 Abs 1 O.ö. Raumordnungsgesetz der Gemeinde die Aufstellung von Bebauungsplänen durch Verordnung nur insoweit, als dies zur Sicherung einer zweckmäßigen und geordneten Bebauung und die Regelung der Art der Bebauung erforderlich ist.

Zusammenfassend kann daher gesagt werden, daß nur durch die Aufstellung und Änderung eines Bebauungsplanes baurechtliche Sonderregelungen zur geordneten Erschließung ('Parzellierung') bestimmter Gebiete getroffen werden, deren Erlassung zum Schutz öffentlicher Interessen und Interessen Dritter einem durch bestimmte Schritte gekennzeichneten Verfahren unterliegt. Die Änderung eines Bebauungsplanes ist daher seiner Aufhebung durchaus nicht gleichzuhalten. Hätte der Gesetzgeber eine Gleichstellung gewollt, hätte er dies in den Bestimmungen des § 23 O.ö. Raumordnungsgesetz sicher zum Ausdruck gebracht.

So gesehen ist aber auch die Argumentation, daß bei Aufhebung eines Bebauungsplanes die Verfahrensbestimmungen, die für die Aufstellung oder Änderung eines solchen gelten, sinngemäß angewendet werden müßten, keineswegs zwingend. Dadurch, daß das O.ö. Raumordnungsgesetz eben nur für die Aufstellung und die Änderung eines Bebauungsplanes ausdrücklich ein bestimmtes Verfahren vorsieht, nicht aber auch für die Aufhebung eines solchen Planes, wurde keine 'echte' Gesetzeslücke geschaffen, sondern liegt vielmehr - durchaus beabsichtigt - eine sog. 'unechte' Rechtslücke vor, deren Schließung durch analoge Rechtsanwendung unzulässig ist (VfSlg. 7915/1976)."

5. Diese Einwendungen der Oberösterreichischen Landesregierung sind nicht geeignet, die Bedenken des VfGH zu zerstreuen.

Wie die Oberösterreichische Landesregierung zu Recht ausführt, enthält § 23 Oö. ROG besondere Verfahrensbestimmungen für den Fall der Abänderung eines Bebauungsplanes, um "Interessen Dritter" zu schützen. Genau die gleichen Rechtsschutzinteressen sprechen aber für die Anwendung der Verfahrensbestimmungen des § 23 Oö. ROG, wenn die Rechtslage durch ersatzlose Aufhebung eines Planes eine Änderung erfährt. Daran vermögen die übrigen Argumente der Landesregierung nichts zu ändern.

Nach Auffassung des VfGH ist daher aufgrund dieser Erwägungen unter dem Begriff "Änderung" in § 23 Oö. ROG auch die ersatzlose Aufhebung eines Bebauungsplanes zu verstehen. Den diesbezüglichen Erwägungen des Unterbrechungsbeschlusses bleibt nichts hinzuzufügen.

Damit geht aber auch das Vorbringen der Oberösterreichischen Landesregierung ins Leere, wenn das Oö. ROG die ersatzlose Aufhebung eines Planes nicht regle, dann stelle dies eine "unechte" Gesetzeslücke dar, die der Gesetzgeber durchaus beabsichtigt geschaffen habe und deren Schließung durch analoge Rechtsanwendung unzulässig sei. Der VfGH nimmt keine "analoge Rechtsanwendung" vor, sondern bereits die Auslegung des Begriffes "Änderung" in § 23 Oö. ROG führt zu dem dargestellten Ergebnis.

6. Bei Erlassung der in Prüfung gezogenen Verordnung wäre das in § 23 Oö. ROG geregelte Verfahren einzuhalten gewesen. Da dieses Verfahren nicht eingehalten wurde, ist die Verordnung gesetzwidrig zustandegekommen, weswegen sie als gesetzwidrig aufzuheben ist.

Der Ausspruch über die Kundmachung beruht auf Art 139 Abs 5 B-VG.