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VfGH vom 26.09.1987, v36/87

VfGH vom 26.09.1987, v36/87

Sammlungsnummer

11443

Leitsatz

AutomatenV Thüringerberg vom ; keine Deckung des (weiten) Untersagungsbereiches in § 52 Abs 4 GewO (unter Hinweis auf VfSlg. 10594/1985); Aufhebung der Worte "und das gewerbliche Betreiben" im ersten Absatz der V als gesetzwidrig

Spruch

I. Die Worte "und das gewerbliche Betreiben" im ersten Absatz der V des Bürgermeisters der Gemeinde Thüringerberg vom , mit welcher auf Grund des § 52 Abs 4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. Nr. 619/1981 das Betreiben von Süßigkeitenautomaten untersagt wird, werden als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim VfGH ist zu B934/86 ein Verfahren über eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg richtet. Mit diesem Bescheid wurde der Bf. wegen der Verwaltungsübertretung nach § 367 Z 15 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619 (künftig: GewO), iVm der V des Bürgermeisters der Gemeinde Thüringerberg vom (künftig: AutomatenVO) mit einer Geldstrafe von S 5.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Arreststrafe von 10 Tagen, bestraft.

2.1. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, die Worte "und das gewerbliche Betreiben" im ersten Absatz der AutomatenVO von Amts wegen zu prüfen.

2.2. Die AutomatenVO (die in Prüfung gezogenen Worte sind hervorgehoben) lautet:

"Verordnung

der Gemeinde Thüringerberg

über das Verbot

des Anbringens und des Betriebes von Süssigkeitenautomaten im

Gemeindegebiet Thüringerberg

Gemäß den Bestimmungen der Gewerbeordnung 1973 und die hiezu mit BG vom , BGBl. Nr. 619/81 beschlossene Nov. 1981 wird gemäß § 52 Abs 4 lit. 1, 4 und 5 das Anbringen und das gewerbliche Betreiben von Süssigkeitenautomaten im Bereich der Ortsmitte Thüringerberg, in 300 Meter Entfernung im Umkreis der örtlichen Volksschule untersagt.

In diesem Bereich befindliche und bereits in Betrieb stehende Süssigkeitenautomaten sind innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Kenntnis dieses Verbotes zu entfernen.

Zuwiderhandlungen gegen diese V gelten als Verwaltungsübertretung und werden gemäß § 367 Zl.15 der Gewerbeordnung mit Geldstrafen bis S 20 000.- oder Arrest bis zu vier Wochen bestraft.

Diese V tritt mit in Kraft."

2.3. Die in Prüfung gezogene Regelung stützt sich auf § 52 Abs 4 der Gewerbeordnung 1973 idF der GewerbeordnungsNov.

BGBl. 619/1981, der lautet:

"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch V die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,

3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5. im näheren Umkreis der in Z 4 angeführten Plätze und Räume

untersagen."

2.4. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die AutomatenVO wie folgt umschrieben:

"Der VfGH hat das Bedenken, daß das Verbot des Betriebes von Süßigkeitenautomaten im Umkreis von 300 m von der Volksschule Thüringerberg dem Einleitungssatz des Abs 4 des § 52 GewO widerspricht, wonach die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten nur untersagt werden darf, soweit dies für die im Gesetz genannten Zielsetzungen 'erforderlich' ist (vgl. hiezu VfSlg. 10050/1984). Es ist nicht einsichtig, daß ein solches Erfordernis im Umkreis von 300 m von Volksschulen gegeben ist.

Die Regelung dürfte dem Gesetz auch insoferne widersprechen, als bei der verfügten Verbotszone nicht mehr davon ausgegangen werden kann, daß sie den 'näheren Umkreis' im Sinn des § 52 Abs 4 Z 1 oder Z 5 GewO betrifft (vgl. dazu ). Der VfGH hegt daher das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Regelung mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht in Einklang zu bringen ist. Die V des Bürgermeisters der Gemeinde Thüringerberg vom scheint daher mit Gesetzwidrigkeit ihres Inhaltes belastet zu sein.

Da die Festlegung der Verbotszone (im Umkreis von 300 m von der Volksschule) sich - wie der Verordnungstext ergibt sowohl auf das 'gewerbliche Betreiben' als auch auf das 'Anbringen' von Süßigkeitenautomaten bezieht, für den Beschwerdefall jedoch nur der erstgenannte Tatbestand präjudiziell ist, sieht sich der VfGH nur veranlaßt, die Wortfolge 'und das gewerbliche Betreiben' in Prüfung zu ziehen, da es - um den dargelegten Bedenken Rechnung zu tragen - genügt, zutreffendenfalls diese Wortfolge aufzuheben und dadurch die Regelung auf das Anbringen von Süßigkeitenautomaten zu beschränken."

3. Das Verfahren ist zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Worte der V zweifeln ließe.

4.1. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat im Verfahren eine Äußerung erstattet. Er nimmt zu den Bedenken des VfGH wie folgt Stellung:

"Die hier aufgeworfene Frage, ob eine Verbotszone in diesem Ausmaß 'erforderlich' ist bzw. ob bei diesem Ausmaß der Verbotszone noch von einem 'näheren Umkreis' gesprochen werden kann, kann vom Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten mangels konkreter Ortskenntnisse nicht abschließend beurteilt werden. Es erscheint aber durchaus denkbar, daß bestimmte konkrete Situationen Verbotszonen mit einem größeren Umkreis als in dem dem zitierten Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis zugrunde gelegenen Fall, wo hinsichtlich der Schulen ein Umkreis von 150 m festgelegt war, notwendig machen, also iSd § 52 Abs 4 Einleitungssatz GewO 1973 als erforderlich erscheinen lassen. Dies gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob hier noch von einem 'näheren Umkreis' gesprochen werden kann. Hiebei wird nach Ansicht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten der vom Gesetz vorgesehene Schutzzweck im Hinblick auf die konkrete Situation zu beachten sein.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen sieht das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten im vorliegenden Verfahren von einer konkreten Antragstellung ab."

4.2. Der Bürgermeister hat von der ihm eröffneten Möglichkeit, eine Äußerung zu erstatten, keinen Gebrauch gemacht.

5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:

Der Sache nach hat der VfGH gegen diese AutomatenVO dieselben Bedenken geäußert, die ihn im Fall VfSlg. 10594/1985 zur Aufhebung der dort geprüften V bewogen haben. In diesem Erkenntnis hat der VfGH zur Frage, was unter "näherem Umkreis" verfassungskonform zu verstehen ist, folgendes ausgeführt:

"Sicher wird an die Einschätzung einer Gemeinde, in welchem Ausmaß eine Untersagungsverordnung erforderlich ist, kein allzu strenger Maßstab anzulegen sein, solange die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß Kinder, um deren Schutz es dem Gesetzgeber geht, den Aufstellungsort eines Warenautomaten von den im Gesetz genannten Orten aus, an denen sie sich erfahrungsgemäß häufig aufhalten, leicht, also ohne besondere Mühe und ohne besonderen Zeitaufwand, (was einer Distanz von höchstens 200 m entspricht) erreichen können. Die Festlegung eines Umkreises von 300 m scheint dem VfGH in jedem Fall als zu weitgehend, da sich der Automat in einem solchen Fall nicht mehr in einer solchen Nahebeziehung zu den von Kindern am häufigsten frequentierten Plätzen befindet."

Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser Auslegung des § 52 Abs 4 GewO abzugehen. Im Verfahren wurde nichts

vorgebracht, was im konkreten Fall die Festlegung eines Umkreises von 300 m gerechtfertigt hätte.

Die Worte "und das gewerbliche Betreiben" der AutomatenVO entsprechen somit nicht dem Gesetz.

6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 idF BGBl. 297/1984 in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.