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VfGH vom 16.12.1994, V298/94

VfGH vom 16.12.1994, V298/94

Sammlungsnummer

14000

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h für das gesamte Stadtgebiet von Graz mit Ausnahme der Vorrangstraßen verfügenden Verordnung; keine Sanierung der von der Bezirksverwaltungsbehörde erlassenen Verordnung durch eine, der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich erteilte Verordnungsermächtigung;

Fristsetzung für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnung;

Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf alle beim UVS für die Steiermark anhängigen Fälle

Spruch

Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom , Z A10/1-I-1120/5-1991, kundgemacht durch das Vorschriftszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung" gemäß § 52 Z 10 a StVO 1960 und eine Zusatztafel "Ausgenommen Vorrangstraßen" in Verbindung mit den Ortstafeln gemäß § 53 Z 17 a StVO 1960 sowie durch Verlautbarung im Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz, Nr. 16, vom , wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Die aufgehobene Verordnung ist auf alle zum Zeitpunkt der Aufhebung beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark anhängigen Fälle nicht mehr anzuwenden.

Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bürgermeister der Stadt Graz erließ mit Verordnung vom , Z A10/1-I-1120/5-1991, kundgemacht durch Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen am sowie durch Verlautbarung im Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz, Nr. 16, vom , folgende Verkehrsbeschränkung:

"V e r o r d n u n g

Gemäß § 43 Abs 1 litb Zl. 1 und § 43 Abs 2 lita StVO 1960, in der Fassung BGBl. Nr. 423/1990, wird, für das durch die Ortstafeln gemäß § 53 Abs 17a StVO 1960 umschlossene Stadtgebiet von Graz, eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h durch Beschränkungszeichen nach § 52 Abs 10a StVO 1960 mit dem Zusatz 'Ausgenommen Vorrangstraßen' verordnet.

Die Vorrangstraßen sind im Anhang A, der einen Bestandteil dieser Verordnung bildet, streckenmäßig umfassend beschrieben.

Die entsprechenden Verkehrszeichen sind direkt bei den Ortstafeln anzubringen.

Die Kundmachung erfolgt durch die Aufstellung der Verkehrszeichen.

...

Für den Bürgermeister:

(Bgm.-Stv. ...)"

2. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B1372/93 protokollierte Beschwerde gemäß Art 144 B-VG gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark anhängig, mit dem der Beschwerdeführer für schuldig erkannt wurde, "die durch Vorschriftszeichen vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h (mit dem Zusatz 'ausgenommen Vorrangstraßen') um 15 km/h überschritten" zu haben und dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 52 Z 10a StVO 1960 iVm § 99 Abs 3 lita StVO 1960 begangen zu haben.

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung verletzt und regt die "Einleitung eines Normenkontrollverfahrens gemäß Art 139 B-VG" an.

3. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Beschluß vom , B1372/93, von der Präjudizialität der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom , Z A10/1-I-1120/5-1991, bei seiner Entscheidung über die angeführte Beschwerde aus.

Er beschloß, die genannte Verordnung gemäß Art 139 Abs 1 B-VG auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen, weil er das Bedenken hegte, daß eine "für alle Straßen einer Gemeinde (mit Ausnahme der Vorrangstraßen) schlechthin erlassene Geschwindigkeitsbeschränkung" gesetzwidrig ist, "wenn und soweit nicht kraft der Verkehrs- und Gefahrensituation auf allen von der Verordnung im einzelnen erfaßten Straßen die Geschwindigkeitsbeschränkung erforderlich ist". "Allgemeine Gesichtspunkte in Zusammenhang mit verkehrspolitischen Überlegungen und der Verkehrsbelastung einer Gemeinde" dürften nicht ausreichen, "um eine vom Gesetzgeber selbst festgelegte Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet (§20 Abs 2 StVO 1960) aus Gründen der Verkehrssicherheit" gemäß § 43 Abs 1 oder 2 StVO 1960 durch Verordnung weiter zu beschränken. Er nahm vorläufig an, daß "eine Geschwindigkeitsbeschränkung gemäß § 43 Abs 1 litb und § 43 Abs 2 lita StVO 1960 ... auch innerhalb einer Gemeinde 'nur auf bestimmten, - soll heißen: diesbezüglich von anderen Gebieten oder Straßen deutlich abgehobenen -, Gebieten, Straßen oder Straßenstrecken zulässig" sein dürfte, "'wenn und insoweit' eine besondere Gefahrensituation (sei es hinsichtlich der Verkehrssicherheit, sei es hinsichtlich der Umwelt) auf einer diesbezüglich bestimmten, - und somit von anderen deutlich unterschiedenen -, Straße oder Straßenstrecke oder auf Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes vorliegt".

Es erschien dem Verfassungsgerichtshof ausgeschlossen, daß im gesamten Ortsgebiet, also im gesamten Bereich des verbauten Gebietes von Graz, Verhältnisse herrschen, welche die Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf allen Straßen (mit Ausnahme von Vorrangstraßen) im Sinne des § 43 Abs 1 litb und § 43 Abs 2 lita StVO 1960 erforderlich machen.

4. Mit den zu V167/94 und zu V168/94 beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Anträgen begehrt der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark gemäß Art 139 Abs 1 B-VG iVm Art 129 a Abs 3 und Art 89 Abs 2 B-VG die Aufhebung der "Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom , Z A10/1-I-1120/5-1991, wegen Gesetzwidrigkeit". Anlaß für die Antragstellung bilden bei ihm anhängige Verfahren gegen Bescheide, mit denen den Berufungswerbern vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zur Last gelegt wird, am bzw. am als Lenker von Fahrzeugen die durch Straßenverkehrszeichen im dortigen Bereich festgesetzte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 10 km/h bzw. 14 km/h überschritten zu haben.

5. Der Bürgermeister der Stadt Graz begegnet in seiner Äußerung zu V123/94 den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes mit dem Hinweis, "daß aufgrund des Rechtsgutachtens eines anerkannten Rechtslehrers, die Zulässigkeit des Modellversuches Tempo 30, ausgenommen Vorrangstraßen, als vorliegend angenommen worden ist". Auf Grund der positiven Erfahrungen dieses Modellversuches sei es gelungen, "in einer Reihe von Initiativen den Bundesgesetzgeber davon zu überzeugen, daß die in Graz als Modellversuch eingeführte Geschwindigkeitsbeschränkung nachhaltig der Hebung der Verkehrssicherheit dient". Dies habe auch zu einer Änderung der Rechtslage durch die 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994 geführt. Damit habe "der Bundesgesetzgeber den Grazer Modellversuch bundesweit mit Vorbildfunktion ausgestattet" und dafür die notwendige gesetzliche Grundlage geschaffen. Die Stadt Graz beabsichtige, auf Grund der neuen Rechtslage eine Verordnung gemäß § 20 Abs 2 a StVO 1960 idF der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, zu erlassen, wobei vorgesehen sei, "das Vorliegen der vom Gesetzgeber vorgegebenen Bedingungen durch entsprechende Nachweise (Gutachten) zu erhärten".

Der Bürgermeister der Stadt Graz beantragt daher im Falle einer Aufhebung der Verordnung, "die im Art 139 Abs 5, dritter Satz, B-VG vorgesehene Frist zur Gänze zu gewähren, um (eine) Ersatzverordnung aufgrund der geänderten Ermächtigungsnorm in einem mängelfreien Verfahren erlassen zu können".

In den Äußerungen zu V167/94 und V168/94 verweist er auf die im Verfahren zu V123/94 vorgetragenen Ausführungen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Da sowohl der Beschwerdeführer der zu B1372/93 beim Verfassungsgerichtshof protokollierten - zulässigen - Beschwerde als auch die Berufungswerber in den vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark anhängigen Berufungsverfahren UVS 30.10-110/93 und UVS 30.11-177/93 wegen Übertretung der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom , Z A10/1-I/1120/5-1991, bestraft wurden, ist diese Verordnung sowohl im genannten Beschwerdefall als auch in den Berufungsfällen vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark präjudiziell.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind sowohl das amtswegig eingeleitete, als auch die über Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art 139 Abs 1 B-VG zulässig.

2.a. Gemäß § 43 Abs 1 litb StVO 1960 hat die Behörde "für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes" durch Verordnung Verkehrsbeschränkungen, wie ua. auch Geschwindigkeitsbeschränkungen zu erlassen, "wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden ... Verkehrs ... erfordert". Gemäß § 43 Abs 2 lita StVO 1960 hat die Behörde durch Verordnung "für bestimmte Gebiete, Straßen oder Straßenstrecken" "zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe," derartige Verkehrsbeschränkungen zu erlassen, "wenn und insoweit es zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist". Dem letzten Satz der zitierten Gesetzesbestimmung zufolge ist "bei der Erlassung solcher Verordnungen ... einerseits auf den angestrebten Zweck und andererseits auf die Bedeutung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse Bedacht zu nehmen".

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seiner bisherigen Judikatur zu § 43 StVO 1960 (VfSlg. 8086/1977, 9089/1981, 12944/1991; ua.) betont, daß die Behörde bei Erlassung verkehrsbeschränkender Verordnungen die im einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die tatsächliche Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen hat. Er ist weiters davon ausgegangen (vgl. auch VfSlg. 11493/1987, 12485/1990; ua.), daß die gemäß § 43 Abs 2 StVO 1960 vorgeschriebene Interessenabwägung sowohl eine nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren bzw. der Belästigungen für Bevölkerung oder Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung "der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse" notwendig macht. Er sprach schließlich (in VfSlg. 8984/1980) aus und wiederholte in seinen Erkenntnissen vom , B1218/91, und vom , V117/92 ua., daß die bei einer "bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für welche die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen sind, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen".

In seinem Erkenntnis vom , V117/92 ua., hat der Verfassungsgerichtshof unter Verweis auf seine Vorjudikatur ferner dargetan, daß das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung verkehrsbeschränkender Maßnahmen "für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes" (§43 Abs 1 StVO 1960) bzw. "für bestimmte Gebiete, Straßen oder Straßenstrecken" (§43 Abs 2 lita StVO 1960) auch ohne metergenaue Untersuchung der Gefahrensituationen an den betreffenden Straßen festgestellt werden kann. Vielmehr, so führte der Verfassungsgerichtshof in jenem Erkenntnis aus, "läßt der gesetzliche Hinweis auf die Verhältnisse an 'bestimmten Straßen' oder an 'Straßen eines bestimmten Gebietes' neben den für Verkehrsbeschränkungen in Betracht kommenden (- bloßen -) 'Straßenstrecken' erkennen, daß in pauschalierender Betrachtungsweise auch für längere Straßen und für Gebiete, in denen mehrere Straßen verlaufen, Verkehrsbeschränkungen verfügt werden können, wenn diese 'erforderlich' sind, um einer spezifischen Gefahrensituation zu begegnen. Diese Gefahrensituation muß sich für die betreffende Straße oder für das diesbezüglich abgegrenzte und deshalb 'bestimmte' Gebiet deutlich von der allgemeinen, für den Straßenverkehr typischen Gefahrenlage unterscheiden."

Es ist, wie der Verfassungsgerichtshof desgleichen feststellte, dem Verordnungsgeber verwehrt, gestützt auf § 43 StVO 1960 eine Geschwindigkeitsbeschränkung für die Straßen eines größeren Gebietes (- dort eines gesamten Landesgebietes -) zu erlassen, ohne auf die spezifische Verkehrs- und Gefahrensituation auf den von der Verordnung im einzelnen erfaßten Straßen abzustellen. Dies muß auch für eine für alle Straßen einer Gemeinde (mit Ausnahme der Vorrangstraßen) schlechthin erlassene Geschwindigkeitsbeschränkung gelten, wenn und soweit nicht kraft der Verkehrs- und Gefahrensituation auf allen von der Verordnung im einzelnen erfaßten Straßen die Geschwindigkeitsbeschränkung erforderlich ist. Entsprechend den im Erkenntnis vom , V24/92 ua., angestellten Überlegungen reichen sohin allgemeine Gesichtspunkte in Zusammenhang mit verkehrspolitischen Überlegungen und der Verkehrsbelastung einer Gemeinde nicht aus, "um eine vom Gesetzgeber selbst festgelegte Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet (§20 Abs 2 StVO 1960)" gemäß § 43 Abs 1 oder 2 StVO 1960 durch Verordnung herabzusetzen (vgl. S. 7 des Erkenntnisses).

Eine Geschwindigkeitsbeschränkung gemäß § 43 Abs 1 litb und § 43 Abs 2 lita StVO 1960 ist sohin auch innerhalb einer Gemeinde "nur auf 'bestimmten', - soll heißen: diesbezüglich von anderen Gebieten oder Straßen deutlich abgehobenen -, Gebieten, Straßen oder Straßenstrecken zulässig, 'wenn und insoweit' eine besondere Gefahrensituation (sei es hinsichtlich der Verkehrssicherheit, sei es hinsichtlich der Umwelt) auf einer diesbezüglich bestimmten, - und somit von anderen deutlich unterschiedenen -, Straße oder Straßenstrecke oder auf Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes vorliegt" ( ua.).

Der bezogenen Vorjudikatur des Verfassungsgerichtshofes ist schließlich (mit näherer Begründung) auch zu entnehmen, daß aus einer Vorschrift, welche wie § 44 StVO 1960 lediglich die Form der Kundmachung von Verordnungen zum Gegenstand hat, "nicht auf den von Gesetzes wegen zulässigen Inhalt der Verordnung rückgeschlossen werden" darf.

b. Wie dem die Erlassung der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom begründenden Bericht des Magistrats Graz vom (gerichtet an den dafür allerdings unzuständigen Gemeinderat) zu entnehmen ist, sollte an Stelle der ursprünglich erprobten "Tempo 30-Testgebiete" und der damit "inselartig" festgelegten Geschwindigkeitsbeschränkungen "eine möglichst großflächige Ausweisung von Verkehrsberuhigungsgebieten" angestrebt werden, "um einerseits die Verkehrsteilnehmer generell an eine langsamere, den heutigen Verkehrsverhältnissen und Sicherheitsbedürfnissen in der Stadt angepaßte Fahrweise zu gewöhnen und andererseits eine Gleichbehandlung möglichst großer Teile der Bevölkerung zu erreichen" (S. 2 des Berichts). Als Hauptziel wurde die "Hebung der Verkehrssicherheit" bezeichnet und darauf verwiesen, daß "in der Fachwelt ... auch Einigkeit darüber (besteht), daß das Geschwindigkeitslimit innerhalb geschlossener Ortschaften von 50 km/h nicht mehr den heutigen Erfordernissen der Verkehrssicherheit entspricht" (S. 5 des Berichts). Als wesentliche Gründe "für das Grazer 'Tempo 30'-Modell einer gleichzeitigen Einführung in allen Wohngebieten" werden im Bericht dessen "Verständlichkeit" ("Je einfacher und klarer ein Tempolimit geregelt ist, desto größer sind die Chancen, daß es auch eingehalten wird."), "Gerechtigkeit" ("'Tempo 30 für alle Grazer Wohngebiete - Vorrangstraßen ausgenommen' ist kein Privileg für wenige. Zonen, die sich nur auf bestimmte Stadtviertel beschränken, schaffen Ungerechtigkeiten."), "sofortige Wirksamkeit" und "Sparsamkeit" ("Bei zonenweiser Einführung von 'Tempo 30' würden rund 2.500 zusätzliche Verkehrszeichen benötigt, ... .") angeführt.

Mit diesen Überlegungen wurde übersehen, daß es allein dem Gesetzgeber obliegt, in Abänderung des § 20 Abs 2 StVO 1960 (, durch den im Ortsgebiet eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h festgelegt wird,) die rechts- und verkehrspolitisch möglicherweise angezeigte Verbesserung der Verkehrssicherheit durch eine allgemeine Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet zu berücksichtigen oder zumindest die Behörde zu einer Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit im gesamten Ortsgebiet zu ermächtigen, wie dies mittlerweile durch § 20 Abs 2 a StVO 1960, in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, auch geschehen ist.

Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom widerspricht sohin den Bestimmungen des § 43 Abs 1 litb Z 1 und des § 43 Abs 2 lita StVO 1960, die sie selbst als ihre Rechtsgrundlagen anführt.

3. Der Verfassungsgerichtshof hatte jedoch zu prüfen, ob die genannte, ursprünglich wie gezeigt ohne gesetzliche Deckung erlassene Verordnung durch den - im Hinblick auf seine Verfassungsmäßigkeit hier nicht zu untersuchenden - § 20 Abs 2 a StVO 1960 in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, der gemäß § 103 Abs 2 a StVO 1960 in der Fassung der 19. StVO-Novelle mit in Kraft trat, im nachhinein die erforderliche gesetzliche Grundlage erhielt (vgl. etwa VfSlg. 6259/1970 und 7887/1976 mit Verweis auf die Vorjudikatur).

§ 20 Abs 2 a StVO 1960 in der angeführten Fassung lautet:

"(2 a) Die Behörde kann, abgesehen von den in § 43 geregelten Fällen, durch Verordnung für ein gesamtes Ortsgebiet eine geringere als die nach Abs 2 zulässige Höchstgeschwindigkeit festlegen, sofern dies auf Grund der örtlichen oder verkehrsmäßigen Gegebenheiten nach dem Stand der Wissenschaft zur Erhöhung der Verkehrssicherheit oder zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe und zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt oder aus anderen wichtigen Gründen geeignet erscheint. Sofern dadurch der beabsichtigte Zweck der Verordnung nicht gefährdet wird, sind einzelne Straßen, Straßenabschnitte oder Straßenarten vom Geltungsbereich der Verordnung auszunehmen."

Im Bericht des Verkehrsausschusses (1711 BlgNR 18. GP, S. 5) heißt es dazu:

"Nunmehr wird klargestellt, daß Geschwindigkeitsbeschränkungen auch global für ein gesamtes Ortsgebiet verordnet werden können. Es muß dabei nicht mehr jede Straßenstrecke einzeln untersucht werden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen."

Im Wege einer Ergänzung des § 94 d StVO 1960 wurde durch die 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, unter der nunmehrigen Z 1 ferner festgelegt, daß zur Erlassung von Verordnungen nach § 20 Abs 2 a StVO 1960 die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zuständig ist, soweit sich die "globale" Geschwindigkeitsbeschränkung für das gesamte Ortsgebiet nur auf Gemeindestraßen bezieht. Eine Verordnung über die Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit in einem Ortsgebiet muß von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich erlassen werden, nicht jedoch - wie die vorliegende Verordnung vom - vom Bürgermeister als Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 94 b StVO 1960.

Der Verfassungsgerichtshof ist sowohl wegen der geschilderten (neuen) Zuständigkeitsbestimmung des § 94 d Z 1 StVO 1960 in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, als auch wegen der Vorschrift des § 103 Abs 2 a StVO 1960 in der Fassung der 19. StVO Novelle, BGBl. 518/1994, deren zweiten Satz zufolge Verordnungen auf Grund der neuen Bestimmungen - erst - ab dem der Kundmachung folgenden Tag erlassen, "jedoch frühestens mit in Kraft gesetzt werden" dürfen, der Auffassung, daß § 20 Abs 2 a StVO 1960 in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, weder eine rückwirkende gesetzliche Sanierung der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom bewirkt hat noch dieser Verordnung mit Wirkung ab , dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 20 Abs 2 a StVO 1960, für die Zukunft die erforderliche gesetzliche Grundlage verschaffte. Die Beschränkung auf die bloße Feststellung, daß die Verordnung gesetzwidrig war, (- weil die ursprüngliche Gesetzlosigkeit der Verordnung durch eine spätere Gesetzesänderung beseitigt wurde - vgl. VfSlg. 3402/1958), scheidet sohin im vorliegenden Fall aus (vgl. auch VfSlg. 13139/1992 zur Feststellung der seinerzeitigen Verfassungswidrigkeit eines später verfassungsmäßig gewordenen Gesetzes). Unabhängig davon, ob die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom in der seit geltenden Vorschrift des § 20 Abs 2 a StVO 1960 in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, eine hinlängliche inhaltliche Gesetzesgrundlage findet, ist es jedenfalls nicht möglich, daß eine von der Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 94 b Abs 1 litb StVO 1960 erlassene gesetzwidrige Verordnung durch eine, auch der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich erteilte Verordnungsermächtigung saniert wird.

4. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom , Z A10/1-I/1120/5-1991, war sohin gemäß Art 139 Abs 1 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben.

5. In Anbetracht der gesetzlichen Neuregelung des § 20 Abs 2 a StVO 1960 in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, und der in der Äußerung des Bürgermeisters der Stadt Graz kundgetanen Absicht der Stadt Graz, nach Durchführung der notwendigen Erhebungen im gesamten Ortsgebiet eine geringere als die nach § 20 Abs 2 StVO 1960 zulässige Höchstgeschwindigkeit festzulegen, hat der Verfassungsgerichtshof von der Ermächtigung des Art 139 Abs 5 B-VG Gebrauch gemacht und für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnung die hier maximale Frist von sechs Monaten bestimmt. Im Hinblick darauf, daß die Aufhebung aus technischen Gründen erst nach dem kundgemacht werden kann, wird die gesetzte Frist sechs Monate nicht übersteigen (vgl. die analoge Vorgangsweise in ua.).

6. Mit Rücksicht auf den zu V289/94 gestellten, erst am beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 139 Abs 6 B-VG die Wirkung der Aufhebung auf alle bei dieser Behörde zum Zeitpunkt der Aufhebung anhängigen Fälle ausgedehnt. Ein förmlicher Abspruch über den zu V298/94 gestellten Antrag erübrigte sich daher (vgl. VfSlg. 11918/1988, ua.).

7. Die Verpflichtung der Steiermärkischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Verordnung ergibt sich aus Art 139 Abs 5 B-VG.

8. Diese Entscheidungen konnten gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefällt werden.