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VfGH vom 28.11.1985, V27/85

VfGH vom 28.11.1985, V27/85

Sammlungsnummer

10703

Leitsatz

Flächenwidmungsplan Altmünster vom ; auch Inhaber eines Industriebetriebes kann Unzulässigkeit der Errichtung eines Wohnhauses im Industriegebiet geltend machen; tatsächlichen Gegebenheiten iS des § 2 Oö. ROG (Emissionen des in seinem Bestand akzeptierten Sägewerksbetriebes sowie die Tatsache, daß bisher keine bereits vorhandene Bebauung des Nachbargrundstückes berücksichtigt werden muß) bei Widmung des Grundstückes als gemischtes Baugebiet nicht Rechnung getragen - Verstoß gegen das in § 16 Abs 2 Oö. ROG statuierte Gebot der möglichst weitgehenden Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigung; Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsplanes, soweit er dieses Grundstück betrifft

Spruch

Der Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Altmünster vom idF des Änderungsplanes Nr. 4 vom (kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis ) wird, soweit er das Grundstück Nr. 112/7, KG Ebenzweier, betrifft, als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Oö. Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im LGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim VfGH ist zu B521/83 ein Beschwerdeverfahren anhängig, welchem folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Altmünster ist den Beteiligten des Anlaßverfahrens die Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück Nr. 112/7, KG Ebenzweier, bewilligt worden. Die dagegen von der bf. Gesellschaft (einem Sägewerksunternehmen) als Anrainerin erhobene Berufung wurde aufgrund eines Beschlusses des Gemeinderates mit Bescheid vom abgewiesen. Die Oö. Landesregierung hat mit Bescheid vom der von der bf. Gesellschaft gegen den Berufungsbescheid erhobenen Vorstellung keine Folge gegeben.

Gegen den Vorstellungsbescheid richtet sich die Beschwerde, in welcher sich die bf. Gesellschaft im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen V in ihren Rechten verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt.

2. Der VfGH hat am beschlossen, die Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Altmünster vom idF des Änderungsplanes Nr. 4 vom , soweit er das Grundstück Nr. 112/7, KG Ebenzweier, betrifft, von Amts wegen zu prüfen.

3. Die Oö. Landesregierung hat in einer Äußerung die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsstelle verteidigt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Mit dem vom Gemeinderat der Marktgemeinde Altmünster am beschlossenen Änderungsplan Nr. 4 (genehmigt mit Bescheid der Oö. Landesregierung vom , kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis ) wurde das - westlich des Betriebsgeländes der bf. Gesellschaft gelegene - Grundstück Nr. 112/7, KG Ebenzweier, als gemischtes Baugebiet gewidmet (nachdem dieses Grundstück vorher die Widmung Wohngebiet aufgewiesen hatte).

2. Die Behörde hat die im Anlaßverfahren erteilte Bewilligung ua. auf die im Flächenwidmungsplan festgelegte Widmung des Baugrundstückes gestützt und hat den von der bf. Gesellschaft im Bauverfahren unter dem Aspekt der gewerberechtlichen Beeinträchtigung vorgebrachten Einwendungen, die gegen die Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes gerichtet waren, keine Folge gegeben. Die Besonderheit der im Anlaßverfahren vorgebrachten Einwendungen besteht darin, daß nicht - wie in anderen Fällen - von dem zu bebauenden Grundstück ausgehende Emissionen befürchtet werden, sondern Emissionen des Betriebes der bf. Gesellschaft auf das Nachbargrundstück.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH können subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendungen des Anrainers insbesondere auf Vorschriften gestützt werden, welche die widmungsgemäße Verwendung von Grundstücken vorschreiben (s. VwSlg. 4815 A/1958, 6958 A/1966, 9275 A/1972 und 9382 A/1977 sowie /0021), zumal die Planvorschriften nicht nur der Wahrung öffentlicher Interessen, sondern auch dem Schutz des Nachbarn dienen. Von dieser Überlegung ausgehend meint Krzizek, "System des Österreichischen Baurechts", 1974, Band 2, S 132 f., daß auch der Inhaber eines Industriebetriebes die Unzulässigkeit der Errichtung eines Wohnhauses im Industriegebiet geltend machen kann, weil er mit Vorschreibungen und Auflagen der Gewerbebehörde zum Schutze der Nachbarschaft gegen Immissionen rechnen muß. Der VfGH teilt unter der hier gegebenen Konstellation diese Auffassung, zumal die bf. Gesellschaft gegebenenfalls weitere Auflagen gemäß § 79 Abs 2 Gewerbeordnung zu gewärtigen hätte. Die Baubehörde hatte sich daher mit den Einwendungen der bf. Gesellschaft im Anlaßverfahren auseinanderzusetzen; auch der VfGH wird im Beschwerdeverfahren den Flächenwidmungsplan (soweit er das Baugrundstück betrifft) anzuwenden haben.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

3. Der seine Bedenken im wesentlichen wie folgt begründet:

"Die beschwerdeführende Gesellschaft betreibt in Altmünster, KG Ebenzweier, auf einer Reihe von an der Salzkammergutbahn gelegenen Grundstücken seit langem ein Sägewerk, welches beträchtliche Lärm-Emissionen für die Umgebung erzeugt. Die Grundstücke der beschwerdeführenden Gesellschaft sind als Betriebsbaugebiet gewidmet. Bereits anläßlich des Zustandekommens des Flächenwidmungsplanes vom hat sich die beschwerdeführende Gesellschaft im Hinblick auf diese Emissionen - erfolglos - bemüht, die Widmung westlich und östlich ihres Betriebsgeländes gelegener - allerdings damals zum Teil schon bebauter - Flächen als Wohngebiet zu verhindern. Nach einem im Juli 1980 über Auftrag der beschwerdeführenden Gesellschaft von einem Unternehmen für akustische Messungen erstellten schalltechnischen Gutachten liegen die Emissionswerte östlich 'beim nächsten Nachbarn' bei 56 dB (A); bei den Nachbarn westlich der Bahnlinie sind auf der dem Gutachten angeschlossenen Lärmkarte Emissionswerte bis 61 dB (A) ausgewiesen.

In der Folge wurde durch den Änderungsplan Nr. 4 das westlich des Betriebsgeländes der beschwerdeführenden Gesellschaft - von diesem nur durch die Bahnlinie getrennt - gelegene Grundstück Nr. 112/7 von Wohngebiet in gemischtes Baugebiet umgewidmet. Das - durch einen Teilungsplan neu entstandene - Grundstück Nr. 112/7 liegt unmittelbar an der Westseite der Bahnlinie gegenüber dem Betriebsbaugebiet der beschwerdeführenden Gesellschaft, vom Sägewerk (nur) 20 Meter entfernt.

...

Es mag durchaus sein, daß - wovon der Gemeinderat bei seiner Beschlußfassung am auch ausgegangen ist - die Widmung gemischtes Baugebiet (§16 Abs 2 Oö. ROG) den gegebenen Umständen eher entsprochen hat als die frühere Widmung Wohngebiet. Der VfGH verkennt auch nicht, daß bei einem unmittelbaren 'Zusammenstoßen' von bereits zu Wohnzwecken verbauten Flächen und Industriearealen von der Planung her eine gegenseitige Beeinträchtigung in vielen Fällen kaum vermeidbar ist.

Wenn aber, wie im Fall der Liegenschaft Nr. 112/7, zwischen einem - noch dazu mit starken Emissionen verbundenen - Betriebsbaugebiet und einem bewohnten Gebiet unverbaute Flächen liegen, dann scheint es, daß deren Widmung als gemischtes Baugebiet (auf welchem auch Wohngebäude errichtet werden dürfen) mit dem Gebot der möglichsten Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen nicht vereinbar ist. Dazu kommt, daß die örtliche Raumordnung bei einer derartigen Vorgangsweise auch den oben wiedergegebenen Grundsätzen des § 2 Abs 4 Z 6 und Abs 6 Z 1 Oö. ROG offensichtlich nicht Rechnung tragen kann.

Der VfGH geht auf Grund dieser Erwägungen vorläufig davon aus, daß die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle einerseits mit dem im letzten Satz des § 16 Abs 2 Oö. ROG festgelegten Erfordernis der möglichsten Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen nicht in Einklang steht sowie andererseits entgegen § 13 Z 2 Oö. ROG auf die in den Bestimmungen des § 2 Abs 4 Z 6 und Abs 6 Z 1 enthaltenen Raumordnungsgrundsätze nicht hinreichend Bedacht nimmt."

4. Die Oö. Landesregierung hat diesen Bedenken im wesentlichen entgegengehalten, die durch den Änderungsplan Nr. 4 vorgenommene Umwidmung des bezughabenden Grundstückes von Wohngebiet auf gemischtes Baugebiet sei von den bereits vorhandenen Bebauungen ausgegangen, zumal eine passendere Widmung dieses Grundstückes als gemischtes Baugebiet bei Betrachtung der möglichen Widmungen nicht habe gefunden werden können. Der Verordnungsgeber sei auch dem Gesetzesauftrag des § 16 Abs 2 des Oö. Raumordnungsgesetzes, LGBl. 18/1972 (Oö. ROG), wonach eine gegenseitige Beeinträchtigung möglichst vermieden werden soll, nachgekommen, weil das Gesetz eine vollkommene Ausschließung einer gegenseitigen Beeinträchtigung nicht fordere, was im übrigen in der Praxis auch nicht realisierbar wäre. Die durch den Änderungsplan Nr. 4 vorgenommene Umwidmung habe eine Besserstellung für die bf. Gesellschaft gebracht. Dies sei vom Verordnungsgeber auch beabsichtigt gewesen, da das gemischte Baugebiet primär für nicht wesentlich störende Betriebe vorgesehen sei und ein nicht wesentlich störender Betrieb den bestehenden Betrieb der bf. Gesellschaft sicherlich nicht beeinträchtigt hätte. Die Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück habe offensichtlich niemand für möglich gehalten. Es sei im konkreten Fall schwierig, seitens der Planung eine Lösung zu finden, welche eine gegenseitige Beeinträchtigung hintanhalte.

5. Die Einwendungen der Oö. Landesregierung sind nicht geeignet, die Bedenken des VfGH zu zerstreuen.

Zunächst ist festzuhalten, daß Gegenstand der Bedenken des VfGH und damit des vorliegenden Verordnungsprüfungsverfahrens nicht die Änderung der Widmung von Wohngebiet in gemischtes Baugebiet, sondern die nunmehrige Widmung des Grundstückes Nr. 112/7 als solche ist, zumal im Falle der Aufhebung einer V frühere Verordnungsbestimmungen ohnehin nicht wieder in Wirksamkeit treten.

Der VfGH verkennt nicht, daß im Regelfall die Widmungen Wohngebiet und gemischtes Baugebiet unmittelbar nebeneinander bestehen. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang in seinem Beschluß vom eingeräumt, daß bei einem unmittelbaren "Zusammenstoßen" von bereits zu Wohnzwecken verbauten Flächen und Betriebsarealen von der Planung her eine gegenseitige Beeinträchtigung in vielen Fällen kaum vermeidbar ist.

Hier liegen aber Besonderheiten vor, welche als tatsächliche Gegebenheiten (§2 Oö. ROG) bei Beachtung des in § 16 Abs 2 Oö. ROG statuierten Gebotes der möglichsten Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigung zu berücksichtigen sind: Diese Gegebenheiten bestehen darin, daß einerseits von dem - vom Verordnungsgeber in seinem Bestand akzeptierten - Sägewerksbetrieb Emissionen ausgehen, welche die im gemischten Baugebiet üblicherweise entstehenden Emissionen übersteigen, sowie andererseits darin, daß auf dem Grundstück Nr. 112/7 keine dort bereits vorhandene Bebauung berücksichtigt werden muß. In Anbetracht dieser Situation hat der Verordnungsgeber mit der Widmung des Grundstückes als gemischtes Baugebiet dem Gebot des § 16 Abs 2 Oö. ROG nicht Rechnung getragen.

Angesichts der Nähe des Grundstückes zu dem (als Betriebsbaugebiet gewidmeten) Sägewerk und den von diesem ausgehenden beträchtlichen Emissionen ist die Landesregierung auch nicht im Recht, wenn sie meint, der Bestimmung des § 2 Abs 6 Z 1 Oö. ROG (wonach Gebiete mit besonderer Standorteignung für die Ansiedlung von Betrieben der Industrie vor Nutzungen gesichert werden sollen, die eine standortgerechte Verwendung behindern oder unmöglich machen) sei dadurch Rechnung getragen worden, daß der Gemeinderat eine Umwidmung von ursprünglich Wohngebiet auf gemischtes Baugebiet vorgenommen habe. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß auch nach Auffassung der Landesregierung die Widmungskategorie gemischtes Baugebiet für nicht wesentlich störende Betriebe vorgesehen ist.

6. Da die Bedenken des VfGH durch die Ergebnisse des Verordnungsprüfungsverfahrens somit insgesamt nicht entkräftet wurden, ist die in Prüfung gezogene Bestimmung als gesetzwidrig aufzuheben.