VfGH vom 29.11.2021, V233/2021
Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Linzer Fahrverbotsverordnung mangels hinreichend genauer Darlegung ihres – nicht planlich dargestellten – örtlichen Geltungsbereichs; Straßenbezeichnungen des Normtextes stimmen nicht mit realem Straßenverlauf überein
Spruch
I.Die Verordnung des Magistrates der Stadt Linz vom , Z101-5/19, war gesetzwidrig.
II.Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, "der Verfassungsgerichtshof möge die Verordnung des Magistrats der Stadt Linz vom , GZ: 101-5/19," als gesetzwidrig aufheben.
II. Rechtslage
1. Die Verordnung des Magistrates der Stadt Linz vom , Z101-5/19, lautet (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"VERORDNUNG
Aus den im Akt ersichtlichen Gründen wird gemäß §43 StVO 1960 i.d.g. Fassung verordnet:
In der Stechergasse ist in beiden Richtungen zwischen Landwiedstraße und Stadlerstraße das Fahren – ausgenommen Anliegeverkehr und Radfahrer – verboten.
(§52 lita Z1 StVO).
Die Verkehrsregelung (Verkehrsverbote, -beschränkung) gilt dauernd."
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom , mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159/1960 in der jeweils maßgeblichen Fassung, lauten:
"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.
(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung
a) […]
b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,
1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,
2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;
c) – d) […].
(1a) – (11) […]
§52. Die Vorschriftszeichen
Die Vorschriftszeichen sind
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,
b) Gebotszeichen oder
c) Vorrangzeichen.
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen
1. 'FAHRVERBOT (IN BEIDEN RICHTUNGEN)'
[Zeichen]
Dieses Zeichen zeigt an, dass das Fahren in beiden Fahrtrichtungen verboten ist; das Schieben eines Fahrrades ist erlaubt.
2. – 25b. […]"
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht (im Folgenden: Beschwerdeführer) wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom zur Last gelegt, er sei am um 17.30 Uhr in "4020 Linz, Stechergasse, aus der Werndlstraße kommend in Richtung Landwiedstraße", mit einem nach dem Kennzeichen näher bestimmten Kraftfahrzeug gefahren und habe dabei "den Straßenzug trotz des deutlich sichtbar aufgestellten Verbotszeichens 'Fahrverbot' (in beiden Richtungen), ausgenommen Anliegeverkehr und Radfahrer, befahren, obwohl [er] nicht unter diese Ausnahme" gefallen sei. Über den Beschwerdeführer wurde daher gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von € 70,– (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von einem Tag und acht Stunden) verhängt.
2. Aus Anlass des Beschwerdeverfahrens gegen dieses Straferkenntnis stellt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den vorliegenden Antrag.
2.1. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht führt zur Zulässigkeit des Antrages aus, dass die angefochtene Verordnung für die Beurteilung der Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers heranzuziehen sei und daher in dem Beschwerdeverfahren zur Anwendung gelange.
2.2. In der Folge legt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich seine Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof veranlasst haben, wie folgt dar:
Die angefochtene Verordnung stehe in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach der örtliche Geltungsbereich einer auf §43 Abs1 litb StVO 1960 gestützten verkehrsbeschränkenden Maßnahme möglichst genau zu umschreiben sei. Der örtliche Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung sei nicht ausreichend bzw falsch determiniert.
Mit der angefochtenen Verordnung werde gemäß §43 Abs1 StVO 1960 "in der Stechergasse in beiden Richtungen zwischen Landwiedstraße und Stadlerstraße" ein Fahrverbot, ausgenommen Anliegerverkehr und Radfahrer, verordnet. Diese Verkehrsregelung gelte dauernd und sei durch den Magistrat Linz, Tiefbauamt, durch Aufstellung von Verkehrszeichen kundgemacht worden.
Das mit der angefochtenen Verordnung verordnete Fahrverbot könne jedoch nicht für den darin angeordneten Geltungsbereich gelten, da dieser faktisch so nicht existiere: Dies ergebe sich zum einen aus einer Überprüfung der tatsächlichen Straßenverläufe durch das antragstellende Landesverwaltungsgericht. Zum anderen sei auch in einer Stellungnahme des Magistrates der Stadt Linz eingeräumt worden, dass die Stechergasse nicht in die Stadlerstraße einmünde. Die Stechergasse verlaufe zwischen Landwiedstraße und Werndlstraße und die Stadlerstraße verlaufe lediglich teilweise parallel zur Stechergasse. Dass der örtliche Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung durch das Anführen der Stechergasse und die Begrenzung durch die Landwiedstraße in groben Zügen angegeben sei, vermöge die angefochtene Verordnung nicht zu legitimieren, weil der Beginn und das Ende des Fahrverbotes unbestimmt bleiben würden.
3. Die verordnungserlassende Behörde hat die ihr vorliegenden Aktenteile betreffend das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten Verordnung vorgelegt und folgende Äußerung erstattet:
"Die Verordnung vom war mit einem Fehler behaftet, da die Stechergasse in die Werndlstraße und nicht – wie angeführt - in die Stadlerstraße mündet.
Zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der fehlerhaften Verordnung wurde daher ein Verfahren zur Neuverordnung eingeleitet.
Mit der Neuverordnung des Fahrverbotes, ausgenommen Anliegeverkehr und RadfahrerInnen in der Stechergasse – zw. Landwiedstraße und Werndlstraße sowie der unbenannten Verbindungsstraße zw. Stechergasse und Ramsauerstraße am , GZ0066894/2021 wurde die verfahrensgegenständliche Verordnung vom , GZ101-5/19 behoben."
4. Die Oberösterreichische Landesregierung hat weder Akten vorgelegt noch eine Äußerung erstattet.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof geht beginnend mit VfSlg 20.182/2017 davon aus, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (vgl zB VfSlg 12.382/1990, 16.875/2003, 19.058/2010, 19.072/2010, 19.230/2010 uva.; vgl auch , sowie die Rechtsprechung zu nicht ordnungsgemäß kundgemachten Gesetzen VfSlg 16.152/2001, 16.848/2003 und die darin zitierte Vorjudikatur). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich.
Die angefochtene Verordnung ist durch Aufstellung von Straßenverkehrszeichen gemäß §52 lita Z13b StVO 1960 kundgemacht worden, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzung zweifeln ließe.
1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
Der Antrag ist begründet.
2.2. Das Landesverwaltungsgericht äußert das Bedenken, dass die angefochtene Verordnung nicht ausreichend determiniert sei, weil der darin angegebene Geltungsbereich ("in der Stechergasse in beiden Richtungen zwischen Landwied-straße und Stadlerstraße") mangels Einmündens der Stechergasse in die Stadlerstraße faktisch nicht existiere.
2.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes muss der Inhalt einer Verordnung als Gesetz im materiellen Sinn das weitere Vollzugsgeschehen im Sinne des Art18 Abs1 B-VG ausreichend vorherbestimmen (vgl VfSlg 7072/1973, 19.592/2011) und insbesondere dem Normunterworfenen die Möglichkeit geben, sich dem Recht gemäß zu verhalten (VfSlg 19.592/2011, 19.721/2012 mwN).
2.2.2. Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung, wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert, dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen (§43 Abs1 litb Z1 StVO 1960).
2.2.3. Nach dieser Bestimmung ist der Verordnungsgeber verpflichtet, den örtlichen Geltungsbereich einer auf §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 gestützten verkehrsbeschränkenden Maßnahme möglichst genau zu umschreiben. Es ist daher unzulässig, den örtlichen Geltungsbereich nur in groben Zügen anzuführen, vielmehr ist es erforderlich festzulegen, auf welcher Strecke, beginnend und endend mit bestimmten Punkten, die Verkehrsteilnehmer die vorgesehene Verkehrsbeschränkung einzuhalten haben (zu Geschwindigkeitsbeschränkungen vgl etwa ; , 88/03/0007; , 2008/02/0011). Die Verordnung muss so bestimmt sein, dass für den Normunterworfenen bereits anhand des Verordnungstextes selbst – und einer allenfalls von der Verordnung mitumfassten planlichen Darstellung oder dergleichen (vgl auch VfSlg 7072/1973, 10.469/1985, 18.840/2009) – zweifelsfrei zum Ausdruck kommt, für welche Bereiche bzw welche Strecke diese Anordnung bzw Verkehrsbeschränkung gilt, sodass er sich danach richten kann (VfSlg 8658/1979).
2.2.4. Der Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung entspricht diesen Anforderungen an die genaue Festlegung der Strecke, auf der das Fahrverbot gilt, nicht, zumal der angefochtenen Verordnung auch keine planliche Darstellung zugrunde liegt (vgl VfSlg 20.251/2018 mwN):
Der durch die Wortfolge "in der Stechergasse in beiden Richtungen zwischen Landwiedstraße und Stadlerstraße" bestimmte Geltungsbereich ist faktisch nicht existent, weil die Stechergasse nicht in die Stadlerstraße, sondern in die Werndlstraße einmündet. Dies wurde auch von der verordnungserlassenden Behörde in ihrer Äußerung eingeräumt. Für den Normunterworfenen kommt daher anhand des Verordnungstextes nicht zweifelsfrei zum Ausdruck, für welchen Bereich das Fahrverbot gilt. Daraus folgt die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung, weil sie nicht den Erfordernissen an eine möglichst genaue Umschreibung des örtlichen Geltungsbereiches iSd Rechtsprechung entspricht (vgl VfSlg 20.251/2018).
2.2.5. Mit Verordnung vom , Z0066894/2021, wurde das "Fahrverbot[…], ausgenommen Anliegeverkehr und RadfahrerInnen in der Stechergassse – zw. Landwiedstraße und Werndlstraße sowie der unbenannten Verbindungsstraße zw. Stechergasse und Ramsauerstraße" neu verordnet und die angefochtene Verordnung vom aufgehoben.
Der Verfassungsgerichtshof hat daher festzustellen, dass die angefochtene Verordnung wegen Verstoßes gegen Art18 B-VG iVm §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 gesetzwidrig war (Art139 Abs4 B-VG).
V. Ergebnis
1. Die Verordnung des Magistrates der Stadt Linz vom , Z101-5/19, war gesetzwidrig.
2. Die Verpflichtung der Oberösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B-VG und §59 Abs2 iVm §61 VfGG und §4 Abs1 Z2 litb Oberösterreichisches Verlautbarungsgesetz.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2021:V233.2021 |
Schlagworte: | Fahrverbot, Verkehrsbeschränkungen, Geltungsbereich (örtlicher) einer Verordnung, VfGH / Gerichtsantrag |
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