VfGH vom 30.11.1993, v23/93
Sammlungsnummer
13623
Leitsatz
Aufhebung der ortspolizeilichen Verordnung eines Bürgermeisters mangels gehöriger Kundmachung; kein Hinweis auf verordnungserlassende Behörde in der Kundmachung
Spruch
Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Wundschuh vom , Z 120-2, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Die Gemeinde Wundschuh ist schuldig, den antragstellenden Parteien die mit S 16.500,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Antragsteller sind nach eigener Darstellung Eigentümer der Liegenschaft EZ 458, GB 63241 Kasten. Über diese Liegenschaft führte der sogenannte "Wiesenhofweg", ein Privatweg mit öffentlichem Verkehr. Um eine Teilung ihrer Liegenschaft zu vermeiden, verlegten die Antragsteller den Wiesenweg an ihre nördliche Grundstücksgrenze und begrünten nach Fertigstellung des neuen Weges die aufgelassene Trasse.
2. Am wurde zu Z 120-2 folgende Verordnung erlassen:
"Verordnung
Gemäß § 43 StVO 1960, BGBl. Nr. 159, in der geltenden Fassung, wird wegen 'Gefahr im Verzuge' die Durchfahrt für den öffentlichen Verkehr auf der neu angelegten Hofstraße der Parzelle 810/3 der KG Kasten (private Verbindungsstraße zwischen Wiesenhofweg und L 380 (Wundschuhstraße) Höhe Km 2,900) vorübergehend untersagt bzw verordnet.
Aufgrund der oa gesetzlichen Bestimmungen wird vorübergehend
1.) an der westlichen Hofzufahrt zur Parz. 810/3 der KG Kasten am Wiesenhofweg ein Allgem Fahrverbot gemäß § 52 a) Zif 1 der StVO 1960 - ausgenommen Anrainer u Einsatzfahrzeuge
verordnet.
2.) Weiters ist der ehemalige Wiesenhofweg für den öffentlichen Verkehr wieder vorübergehend freizumachen. Eine Absperrung oder Abplankung ist derzeit nicht gestattet.
Diese Verordnung ist gemäß § 44 der StVO 1960 durch die entsprechenden Straßenverkehrszeichen kundzumachen und tritt am Tage der Anbringung in Kraft.
Mit der Anbringung, Erhaltung und späteren Entfernung der Straßenverkehrszeichen wird die Gemeinde Wundschuh betraut.
Geht an: ...
Der Bürgermeister"
3. Mit dem auf Art 139 B-VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller die Aufhebung der "Verordnung der Gemeinde Wundschuh vom , Zl. 120-2, hinsichtlich ihres Punktes 2.". Zur Begründung ihrer Antragslegitimation führen die Antragsteller aus, daß ihnen "mit der angefochtenen Verordnung ... eine Rechtspflicht auferlegt (wurde), nämlich den Wiesenhofweg für den öffentlichen Verkehr freizumachen und eine Absperrung oder Abplankung zu unterlassen". Dadurch werde unmittelbar und aktuell in ihre Rechtssphäre eingegriffen, ohne daß es hiefür einer weiteren behördlichen Entscheidung bedürfe. Da ihnen für den Fall des Zuwiderhandelns die Verhängung einer Verwaltungsstrafe drohe und ihnen auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung stehe, sich gegen die Verordnung zur Wehr zu setzen, sei die Antragslegitimation gegeben.
4. Der Gemeinderat der Gemeinde Wundschuh weist in seiner Äußerung darauf hin, daß es sich bei der angefochtenen Verordnung um eine vom Gemeinderat erlassene ortspolizeiliche Verordnung gemäß Art 118 Abs 6 B-VG handelt. Aus dem Protokoll über die Sitzung des Gemeinderates vom ergibt sich jedoch, daß die angefochtene Verordnung wegen (nicht näher beschriebener) "Gefahr im Verzug" vom Bürgermeister der Gemeinde Wundschuh erlassen wurde und der Gemeinderat diese in der Folge auf Antrag des Bürgermeisters genehmigt hat.
5. Die Steiermärkische Landesregierung hat auf die Erstattung einer Äußerung verzichtet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Antragsteller sind im Sinne des Art 139 Abs 1 letzter Satz B-VG legitimiert, den zu V23/93 eingebrachten Individualantrag zu stellen, da die bekämpfte Verordnungsstelle für sie nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist (VfSlg. 9253/1981, 10187/1984).
2. § 92 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 schreibt
vor, daß "Verordnungen der Gemeinde ... zu ihrer
Rechtswirksamkeit der öffentlichen Kundmachung ... durch Anschlag
an der Amtstafel" bedürfen. Das Gesetz verlangt zwar nicht ausdrücklich, daß dabei auch bekanntzugeben ist, welches behördliche Organ der Gemeinde Verordnungsgeber ist, dem Gesetz ist aber ein solcher Inhalt beizumessen. Die Gesetzmäßigkeit der Verordnung hängt nämlich auch von der Zuständigkeit des Verordnungsgebers ab. Diesbezüglich muß die Verordnung der Kontrolle der Normunterworfenen zugänglich sein. Diesem Erfordernis muß bei der Kundmachung durch Anschlag an der Amtstafel dadurch Rechnung getragen werden, daß der Verordnungsgeber genannt wird (VfSlg. 6555/1971, 7281/1974, 7903/1976). Im gegenständlichen Fall enthält die Kundmachung der Verordnung keinerlei Hinweis darauf, welche Behörde die Verordnung erlassen hat. Obgleich also die Verordnung existent geworden ist, kann ihre Kundmachung nicht als gehörig angesehen werden.
Die Verordnung ist daher gemäß Art 139 Abs 3 litc B-VG zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Klärung der Frage, ob nach den Bestimmungen der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 der Bürgermeister zur Erlassung dieser Verordnung ermächtigt war.
3. Die Verpflichtung zur Kundmachung ergibt sich aus Art 139 Abs 5 B-VG.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 61a VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten sind S 2.750,- an Umsatzsteuer enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.