VfGH vom 28.06.1986, V23/86

VfGH vom 28.06.1986, V23/86

Sammlungsnummer

10953

Leitsatz

Wr. BauO; Beschluß des Gemeinderates der Stadt Wien vom betreffend Verhängung einer zeitlich begrenzten Bausperre - entgegen § 8 Wr. BauO keine Absichtserklärung (bezüglich beabsichtigter Änderungen des Bebauungsplanes) enthalten; Gesetzwidrigkeit der V (mit Hinweis auf VfSlg. 7287/1974)

Spruch

Der Beschluß des Gemeinderates der Stadt Wien vom , PrZ 2654/82, betreffend die Verhängung einer zeitlich begrenzten Bausperre über das Gebiet zwischen Handelskai, Innstraße, Engerthstraße und Friedrich-Engels-Platz im 20. Bezirk, KatG Brigittenau (kundgemacht im ABl. der Stadt Wien Nr. 40/1982), idF Beschlusses des Gemeinderates der Stadt Wien vom , PrZ 2641/84 (kundgemacht im ABl. der Stadt Wien Nr. 42/1984) wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Wr. Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung im LGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Abs 2 und 4 im § 8 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930, wurden durch ArtI Z 15 der Bauordnungsnovelle 1976, LGBl. 18, zur Gänze neu gefaßt; sie haben folgenden Wortlaut:

"(2) Der Gemeinderat kann über Stadtgebiete, für die der Bebauungsplan abgeändert werden soll, eine zeitlich begrenzte Bausperre mit der Wirkung verhängen, daß keine Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen stattfindet und Neu-, Zu- oder Umbauten oder Grundabteilungen nicht oder nur insoweit bewilligt werden, als sie nicht die Durchführung der beabsichtigten Änderungen erschweren oder verhindern. Durch die Verhängung einer Bausperre über ein Stadtgebiet, das in einer Schutzzone liegt, werden die aus der Festsetzung der Schutzzone erfließenden Verpflichtungen nicht berührt."

"(4) Die zeitlich begrenzte Bausperre wird mit dem Tage der Kundmachung rechtswirksam und tritt, sofern sie nicht früher aufgehoben wird, nach zwei Jahren außer Kraft, wenn nicht durch neuerlichen Beschluß des Gemeinderates die Verlängerung der Sperre ausgesprochen wird. Die Sperre kann jedoch nur zweimal auf je ein weiteres Jahr verlängert werden. Zwischen dem Ablauf einer solchen Bausperre und der neuerlichen Verhängung einer Bausperre über dieselben Liegenschaften muß ein Zeitraum von mindestens fünf Jahren liegen. Innerhalb dieser Frist ist die neuerliche Verhängung der zeitlich begrenzten Bausperre nur aus zwingenden Verkehrsrücksichten und nur dann möglich, wenn sich diese erst nach Ablauf der verhängten Bausperre neu ergeben haben, oder zur Sicherstellung von Maßnahmen nach dem Stadterneuerungsgesetz oder dem Bodenbeschaffungsgesetz, wenn diese Maßnahmen für eine geordnete Entwicklung der Stadt zweckmäßig sind."

Verbal änderte die Bauordnungsnovelle 1976 die frühere Fassung dieser Abs. (der Abs 2 galt in der Stammfassung der BauO, der Abs 4 idF der Nov. GBl. der Stadt Wien 1/1935) jedoch bloß folgendermaßen: Im Abs 2 trat an die Stelle des Wortes "Fluchtlinienbekanntgabe" die Wendung "Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen"; ein zweiter Satz wurde angefügt. Den beiden Sätzen des Abs 4 wurden zwei weitere Sätze angegliedert.

2. Unter Bezugnahme auf Bestimmungen im § 8 der BauO für Wien faßte der Gemeinderat der Stadt Wien am den Beschluß über eine Bausperre, der im ABl. der Stadt Wien unter Nr. 40/1982 vom mit folgendem Wortlaut kundgemacht wurde:

"Gemäß § 8 Abs 3 der BO für Wien wird bekanntgegeben, daß mit Beschluß des Gemeinderates vom , PrZ 2654/82, unter Anwendung des § 8 Abs 2 der BO für Wien entsprechend dem Magistratsantrag über das Gebiet zwischen Handelskai, Innstraße, Engerthstraße und Friedrich-Engels-Platz im 20. Bezirk, KatG Brigittenau, die zeitlich begrenzte Bausperre verhängt wurde.

Die vorgenannte Bausperre tritt mit dem Tag der Kundmachung in Kraft."

Diese Bausperre wurde zweimal, und zwar mit Beschlüssen des Gemeinderates vom , PrZ. 2641, (ABl. der Stadt Wien Nr. 42/1984 vom ) und vom , PrZ. 2658, (ABl. der Stadt Wien Nr. 41/1985 vom ) um jeweils ein Jahr, somit letztlich bis verlängert.

3. Die Bauoberbehörde für Wien versagte der Bf. des Anlaßverfahrens B441/85 mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom die Baubewilligung zur Errichtung einer Tankstelle auf der Liegenschaft Wien 20, Handelskai 86. Sie begründete dies unter Berufung auf die - mit dem Gemeinderatsbeschluß vom verlängerte - Bausperre gemäß dem Beschluß vom ; die Genehmigung des Bauvorhabens würde die geplante Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes (Änderung der Baulinien (Straßenfluchtlinien) im Bereich des Handelskai 86) erschweren bzw. verhindern.

Aus Anlaß dieses Beschwerdefalles, in dem die Bf. unter Bezugnahme auf das Erk. VfSlg. 7287/1974 die Gesetzwidrigkeit des Gemeinderatsbeschlusses über die Bausperre behauptete, leitete der VfGH gemäß Art 139 Abs 1 B-VG von Amts wegen das gegenwärtige Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit dieses Beschlusses idF des Gemeinderatsbeschlusses vom ein. Der Gerichtshof nahm vorläufig an, daß er bei der Entscheidung über die anscheinend zulässige Beschwerde den bezogenen, für die Versagung der angestrebten Baubewilligung maßgeblichen Gemeinderatsbeschluß anzuwenden hätte, der als V zu qualifizieren sei (VfSlg. 7287/1974 mit Bezugnahme auf VfSlg. 2386/1952). In materiell-rechtlicher Hinsicht ging der VfGH davon aus, daß die Abs 2 und 4 im § 8 der BauO für Wien, auf denen der Gemeinderatsbeschluß beruht, durch die Bauordnungsnovelle 1976 zwar zur Gänze neu gefaßt worden seien, in der maßgeblichen Beziehung jedoch inhaltlich gegenüber der früheren, das Erk. VfSlg. 7287/1974 bestimmenden Fassung keine Änderung erfahren hätten. Demnach treffe anscheinend auch die in diesem Erk. enthaltene Aussage weiterhin zu, daß anläßlich der Verhängung der Bausperre die beabsichtigten Änderungen des Bebauungsplanes in der kundgemachten V zum Ausdruck zu bringen seien. Da eine solche, vom Gesetz anscheinend gebotene Absichtserklärung im kundgemachten Gemeinderatsbeschluß nicht enthalten sei, bestünden gegen ihn aus den gleichen wie den im Erk. VfSlg. 7287/1974 dargelegten Gründen Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit.

4. Der Gemeinderat der Stadt Wien wurde mit der am zugestellten Verfügung unter Fristsetzung zur Äußerung aufgefordert; eine solche langte jedoch auch nach Ablauf der gesetzten Frist bis zur Fällung dieses Verordnungsprüfungserkenntnisses nicht ein.

II. Die Bedenken des VfGH erweisen sich als gerechtfertigt.

1. Sowohl die Prozeßvoraussetzungen des Anlaßverfahrens als auch die des Prüfungsverfahrens sind gegeben.

2. Der Gerichtshof hält an der vorläufigen Annahme seines Einleitungsbeschlusses fest, daß die wiedergegebenen Bestimmungen im § 8 der BauO für Wien durch die Bauordnungsnovelle 1976 in der hier maßgeblichen Beziehung gegenüber der früheren, das Erk. VfSlg. 7287/1974 bestimmenden Fassung keine inhaltlichen Änderungen erfuhren; die in diesem Erk. dargelegte Auffassung trifft somit auch für die geltende Gesetzeslage zu. Der VfGH findet auch keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen, und betont, daß die allfällige Ansicht, die Verordnungsermächtigung sei unter dem Aspekt der relativen Unbestimmtheit noch nicht ausgereifter Planungsabsichten zu werten, mit dem Grundsatz der verfassungskonformen Gesetzesauslegung nicht im Einklang stünde. Die Ermächtigung, eine Bausperre zu verhängen, muß - wie dies im Erk. VfSlg. 7287/1974 eingehend dargelegt wurde - so verstanden werden, daß die zu erlassende V - dem verfassungsrechtlichen Determinierungsgebot (Art18 Abs 1 B-VG) entsprechend - den Maßstab für die baubehördliche Entscheidung im Einzelfall liefert und so auch die nachprüfende Kontrolle der Entscheidung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ermöglicht.

3. Die in Prüfung gezogene V ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.

Der Ausspruch über die Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art 139 Abs 5 B-VG.