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VfGH vom 14.03.2017, V23/2016

VfGH vom 14.03.2017, V23/2016

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer über das landesgesetzliche Bettelverbot hinausgehenden Bestimmung in der ortspolizeilichen Verordnung der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz betreffend ein zeitlich undifferenziertes Verbot des stillen Bettelns an Tagen bestimmter öffentlicher Veranstaltungen; Abweisung des Antrags des Landesvolksanwaltes hinsichtlich des Bettelverbotes während der Zeit der Abhaltung bestimmter Märkte wegen Vorliegens eines die Benützung eines öffentlichen Ortes durch andere Personen erschwerenden, spezifischen Missstandes

Spruch

I. 1. § 1 litb der Verordnung der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz vom , verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 2. Dezember bis , wird als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Vorarlberger Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art 139 Abs 1 Z 6 B VG iVm Art 148i B VG sowie Art 60 Abs 2 Vorarlberger Landesverfassung gestützten Antrag begehrt der Landesvolksanwalt von Vorarlberg, die §§1, 2 und 3 der Verordnung der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz vom , verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 2. Dezember bis , (im Folgenden: Bregenzer Bettelverbots-VO) als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Das Vorarlberger Gesetz über Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei (im Folgenden: Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz), LGBl 1/1987 idF LGBl 121/2015, regelt im dritten Abschnitt die Bettelei (idF LGBl 61/2013 bzw. § 7 Abs 1 idF LGBl 121/2015). Diese Bestimmungen lauten:

"§7

Bettelverbot

(1) Es ist verboten, an öffentlichen Orten oder im Umherziehen von Haus zu Haus oder von Wohnung zu Wohnung wie folgt zu betteln:

a) in aufdringlicher oder aggressiver Weise, wie durch Anfassen, unaufgeforder-tes Begleiten, Nachgehen oder Beschimpfen;

b) unter Mitführung einer unmündigen minderjährigen Person;

c) als Beteiligter einer organisierten Gruppe.

(2) Weiters ist es verboten,

a) eine Person zum Betteln in einer organisierten Gruppe zu veranlassen oder sonst das Betteln durch eine Gruppe zu organisieren oder

b) – soweit dies nicht bereits von der lita erfasst ist – eine unmündige minder-jährige Person zum Betteln zu veranlassen.

(3) Die Gemeindevertretung kann durch Verordnung auch ein nicht nach Abs 1 verbotenes Betteln an bestimmten öffentlichen Orten untersagen, wenn auf-grund der dort zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen und der örtlichen Verhältnisse zu befürchten ist, dass die Benützung des öffentlichen Orts durch andere Personen erschwert wird, oder durch solches Betteln sonst ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand bereits besteht oder unmittel-bar zu erwarten ist.

§8

Bewilligungspflichtiges Betteln

(1) Ein nicht bereits nach § 7 verbotenes Betteln ist nur mit Bewilligung der Behörde gestattet, sofern es im Umherziehen von Haus zu Haus oder von Woh-nung zu Wohnung erfolgt.

(2) Die Bewilligung nach Abs 1 kann nur an eine Person erteilt werden, die

a) das 18. Lebensjahr vollendet hat,

b) glaubhaft macht, dass sie nicht in einer Art und Weise bettelt, die nach § 7 Abs 1 verboten ist, und

c) in den letzten fünf Jahren nicht wegen eines Verstoßes gegen eine Bestim-mung dieses Abschnittes bestraft worden ist.

(3) Die Bewilligung ist befristet, mit Auflagen und Bedingungen, einschließlich örtlicher und zeitlicher Beschränkungen, zu erteilen, soweit dies zur Vermeidung von unzumutbaren Belästigungen erforderlich ist. In der Bewilligung ist auch festzulegen, dass sich der Bewilligungsinhaber beim Betteln auf Verlangen auszuweisen hat.

(4) Die Behörde hat die Bewilligung mit Bescheid zu widerrufen, wenn eine Voraussetzung für ihre Erteilung nicht oder nicht mehr vorliegt.

(5) Die Bezirkshauptmannschaften sind verpflichtet, der Behörde auf Verlangen die Daten über eine Bestrafung wegen einer Übertretung im Sinne des Abs 2 litc zu übermitteln oder ihr eine entsprechende automationsunterstützte Abfrage zu ermöglichen, soweit diese Daten für die Überprüfung, ob die Voraussetzung nach Abs 2 litc erfüllt ist, erforderlich sind.

(6) Alle Amtshandlungen und schriftlichen Ausfertigungen in Vollziehung der Abs 1 bis 5 sind von den durch landesrechtliche Vorschriften vorgesehenen Verwaltungsabgaben und Gebühren befreit.

§9

Wegweisung

Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben von der Festnahme gemäß § 35 Z 3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 abzusehen, wenn die Fort-setzung oder Wiederholung einer Übertretung nach § 7 durch Wegweisung der betreffenden Person vom öffentlichen Ort verhindert werden kann."

Die Strafbestimmung des § 15 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz lautet:

"§15

Strafbestimmungen

(1) Eine Übertretung begeht, wer

a) bis c) […]

d) dem § 7 Abs 1 oder einer gemäß § 7 Abs 3 erlassenen Verordnung zuwider-handelt oder ohne Bewilligung gemäß § 8 Abs 1 bettelt oder in einer Bewilligung gemäß § 8 Abs 3 enthaltene Auflagen nicht erfüllt,

e) dem § 7 Abs 2 zuwiderhandelt,

f) […].

(2) Von der Bezirkshauptmannschaft sind Übertretungen nach a) Abs 1 lita, d und f mit einer Geldstrafe bis 700 Euro, b) […], c) Abs 1 lite mit einer Geldstrafe bis 10.000 Euro zu bestrafen.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Geld- und Sachleistungen, die unter Verstoß gegen § 7 oder § 8 erworben wurden, können unabhängig von einer Bestrafung nach Abs 1 für verfallen erklärt werden."

2. Die Verordnung der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz vom , verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 2. Dezember bis , (hier: Bregenzer Bettelverbots-VO) lautet (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Verordnung

der Landeshauptstadt Bregenz

Aufgrund des Beschlusses der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz vom wird gemäß § 7 Abs 3 des Gesetzes über Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei (Landes-Sicherheitsgesetz), LGBl Nr 61/2013, verordnet:

§1

Auch ein nicht nach § 7 Abs 1 Landes-Sicherheitsgesetz verbotenes Betteln ist während der Abhaltung an folgenden öffentlichen Orten und zu folgenden Zeiten untersagt:

Im Gebiet, das im beiliegenden Lageplan vom , der einen integrierenden Bestandteil dieser Verordnung bildet, näher ausgewiesen wird, während

a) der Märkte

• Wochenmärkte Dienstag und Freitag von 7 bis 12.30 Uhr

• Gelegenheitsmärkte am Leutbühel/ Mittwoch und Samstag von 8 bis

obere Kaiserstraße/Sparkassenplatz 16 Uhr bzw. zu den bewilligten

Marktzeiten

• Nikolausmarkt Anfang Dezember 1 Tag von 8 bis 19 Uhr

• Bauernmarkt in der unteren Freitag von 7 bis 12 Uhr

Kaiserstraße

• Bregenzer Weihnachtsmarkt zu den bewilligten Marktzeiten

• Weihnachtsmarkt in der Oberstadt zu den bewilligten Marktzeiten

b) der folgenden genehmigten öffentlichen Veranstaltungen (0-24 Uhr)

• Hafengenussfest

• Festspiele

• Jazz-Festival

• Stadtfest mit Anton-Schneider-Straßen-Fest

• Zirkusveranstaltungen

• Faschingsumzug

• Krampuslauf

• Frauenlauf, Drei-Länder-Marathon, Triathlon, Stundenläufe

• Fest 'Stadt der Kinder'

§2

Wer den Bestimmungen des § 1 zuwider handelt, begeht eine Verwaltungsübertretung, die von der Bezirkshauptmannschaft gemäß § 15 Abs 2 Landes-Sicherheitsgesetz geahndet wird.

§3

Diese Verordnung tritt mit Beginn des auf die Kundmachung folgenden Tages in Kraft.

Dipl.-Ing. Markus Linhart

Bürgermeister Bregenz, " (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

/Dokumente/Vfgh/JFT_20170314_16V00023_00/image001.png

3. Die Marktordnung der Landeshauptstadt Bregenz lautet auszugsweise wie folgt:

"1. Anwendungsbereich

Diese Marktordnung ist auf nachstehende Märkte anzuwenden:

a) Nikolausmarkt

b) Wochenmarkt

c) Christbaummarkt

d) Bauernmarkt

e) Markt am Leutbühel

f) Weihnachtsmarkt

2. Marktplätze

Die unter 1. angeführten Märkte werden auf den nachstehenden Straßen bzw. Flächen und Orten im Stadtgebiet abgehalten (bei Bedarf können auch Ausweichflächen zugewiesen werden):

a) für den Nikolausmarkt die Rathausstraße und der Leutbühelplatz;

b) für den Wochenmarkt/Stadt der Kornmarktplatz sowie als Ausweichplatz während des Aufbaus, der Abhaltung und des Abbaus des Weihnachtsmarktes der Sparkassenplatz und die Bahnhofstraße bis zur Montfortstraße;

für den Wochenmarkt/Vorkloster die Clemens-Holzmeister-Gasse;

c) für den Christbaummarkt der Bereich um die Nepomukkapelle;

d) für den Bauernmarkt die untere Kaiserstraße von der Bahnhofstraße bis zur Kaspar-Hagen-Straße bzw. Schulgasse;

e) für den Markt am Leutbühel der Leutbühelplatz;

f) für den Weihnachtsmarkt der Kornmarktplatz und Leutbühelplatz.

3. Markttage und Marktzeiten

Die Markttage und die Marktzeiten werden wie folgt festgelegt:

Der Nikolausmarkt findet jeweils am 5. Dezember in der Zeit von 8 bis 19 Uhr statt; fällt dieser Tag auf einen Sonntag, so findet der Nikolausmarkt am Vortag statt.

Der Wochenmarkt/Stadt findet jeweils am Dienstag und Freitag in der Zeit von 7 bis 12.30 Uhr und der Wochenmarkt/Vorkloster am Donnerstag in der Zeit von 7 bis 12.30 Uhr statt.

Der Bauernmarkt findet jeden Dienstag und Freitag in der Zeit von 7 bis 12.30 Uhr statt.

Der Christbaummarkt findet jeweils vom 16. bis zum 24. Dezember in der Zeit von 9 bis 18 Uhr statt. Am 24. Dezember endet der Christbaummarkt um 12 Uhr.

Der Markt am Leutbühel findet jeweils am Mittwoch von 8 bis 13 Uhr und am Samstag in der Zeit von 8 bis 16 Uhr statt.

Der Weihnachtsmarkt beginnt am Freitag vor der Woche vor dem ersten Adventsonntag und endet am 23.12. jeden Jahres. Die Marktzeiten sind: von Montag bis Sonntag von 11.30 bis 21 Uhr."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Der antragstellende Landesvolksanwalt von Vorarlberg äußert Bedenken gegen § 1 der Bregenzer Bettelverbots-VO und begehrt, diesen sowie § 2 und § 3 der Bregenzer Bettelverbots-VO wegen untrennbaren Zusammenhangs mit § 1 der Verordnung aufzuheben.

2. Nach Ansicht des Landesvolksanwalts von Vorarlberg verstößt § 1 der Bregenzer Bettelverbots-VO gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art 7 B VG und gegen die Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK. Er verbiete nämlich zu bestimmten Zeiten an bestimmten öffentlichen Orten das sogenannte stille Betteln ohne sachliche Rechtfertigung und ohne Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft.

Seine Bedenken gegen § 1 der Bregenzer Bettelverbots-VO legt der Antragsteller wie folgt dar:

Zur fehlenden sachlichen Rechtfertigung:

"In [VfSlg 19.662/2012] hat der Gerichtshof ausgeführt, dass eine Störung der öffentlichen Ordnung — sieht man etwa von einer Situation ab, in der die Anzahl der Bettler die Benützung des öffentlichen Orts derart erschwert, dass ein Missstand vorliegt — von der bloßen Anwesenheit einzelner Menschen an öffentlichen Orten, die um finanzielle Unterstützung werben, ohne qualifizierte, etwa aufdringliche oder aggressive Verhaltensweisen an den Tag zu legen, nicht ausgehen kann. Ein Verbot der stillen Bettelei kann demnach gerechtfertigt sein, wenn aufgrund hinzutretender besonderer Umstände die Qualität eines Missstandes erreicht wird.

Der Verfassungsgerichtshof erwähnt im Zusammenhang mit dem Begriff 'Missstand' zwar Art 118 Abs 6 B VG nicht ausdrücklich, die Wahl des Wortes lässt jedoch wohl nur eine Interpretation in diesem Sinne zu. Auch der Vorarlberger Landesgesetzgeber hat der Regelung des § 7 Abs 3 Landes-Sicherheitsgesetz ein solches Begriffsverständnis zugrunde gelegt (vgl Blg 75/2013 29. VlbgLT).

Daher ist vom Verordnungsgeber — wie dies auch in Bezug auf da[s] Vorliegen eines Missstandes gemäß Art 118 Abs 6 B VG notwendig ist — das Vorliegen bzw die unmittelbare Erwartbarkeit einer besonderen Erschwernis der Benutzung eines öffentlichen Ortes oder eines sonstigen das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Missstandes konkret für jeden betroffenen öffentlichen Ort im Einzelnen durch amtswegige Ermittlungen der Behörde oder Dokumentation entsprechender Beschwerden nachzuweisen.

Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg vermag […] nicht zu erkennen, dass die Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz der Beschlussfassung vom über ein sektorales und temporäres Bettelverbot amtswegige Ermittlungen oder die Dokumentation entsprechender Beschwerden zugrunde gelegt hätte, die geeignet wären, das Vorliegen konkreter Missstände im Sinne des § 7 Abs 3 Landes-Sicherheitsgesetz nachzuweisen und ein Verbot des stillen Betteln[s] zu rechtfertigen.

Wollte die Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz das Verbot des stillen Bettelns mit der Befürchtung einer erschwerten Benützung des öffentlichen Ortes begründen, erscheint es mangels hinreichender Beschreibung ebenso wenig möglich, die örtlichen Verhältnisse[…] an bestimmten öffentlichen Orten nachzuvollziehen, wie eine besondere Erschwernis der Benützung der öffentlichen Orte aufgrund der Anzahl der bettelnden Personen zu erkennen:

Der zugrunde gelegte Amtsbericht enthält keine Abgrenzungen der jeweiligen Markt- oder Veranstaltungsgebiete. Es werden auch deren örtliche Verhältnisse in der Folge nicht konkret beschrieben. Lediglich sehr unscharfe Angaben über die durchschnittliche Zahl an Marktstände lassen die Größe des jeweiligen Marktgebietes erahnen. Zum freitags statt findenden Bauernmarkt in der unteren Kaiserstraße und zum Weihnachtsmarkt in der Oberstadt werden keinerlei Zahlen genannt. Ebenso wenig erfolgt eine räumliche Abgrenzung der von der Verordnung erfassten öffentlichen Veranstaltungen. Die im Amtsbericht umschriebenen Gebiete decken sich nicht mit den in der Planbeilage ausgewiesenen Gebieten, in denen das Betteln verboten ist.

Wird der Lageplan vom betrachtet, so fällt überdies auf, dass sich das verordnete Verbot des stillen Bettelns zum Beispiel auch auf die weitläufigen Seeanlagen erstrecke. Im Amtsbericht finden sich jedoch — über den Hinweis hinaus, dass dieser Standort mehr oder weniger ständig belegt sei — keinerlei Aussagen zu den örtlichen Verhältnissen in diesem Bereich, etwa zum Platz zwischen Festspielhaus und dem Casino Bregenz samt den zugehörigen Parkplätzen für Festspielbesucher, der Seepromenade oder des Hafenareals. Aber auch betreffend die von der Verordnung erfassten Teile von Bahnhofstraße und Mehrerauerstraße finden sich keine Aussagen.

Ebenso wenig wird die Zahl der Markt- oder Veranstaltungsbesucher ansatzweise konkretisiert, im Amtsbericht finden sich nur vage und nichtssagende Umschreibungen: witterungs- und jahreszeitlich bedingt soll deren Zahl 'enorm' sein; bei öffentlichen Veranstaltungen würde[n] sich 'viele' Personen aufhalten. Die gesamte Innenstadt werde an Markt- und Veranstaltungstagen sehr stark von Fußgängern frequentiert, wobei 'häufig Gedränge' entstehe. Die Situation in der Innenstadt sei während der Marktzeiten bzw Veranstaltungen 'beengt'.

Demgegenüber verbleibt jedoch in den jeweiligen Markt- und Veranstaltungsgebieten scheinbar so viel Raum, dass 'zusätzliche weitere Anlagen, etwa im Zuge von Veranstaltungen oder sonstigen saisonalen Aktionen oder Werbeaktionen' errichtet werden können. Auch ein Gastgartenbetrieb in angrenzenden Lokalen schränkt weder Märkte noch öffentliche Veranstaltungen ein.

Insbesondere erscheint die im Amtsbericht genannte 'große Anzahl von 10 bis 15 bettelnden Personen (täglich und pro Markt)' wohl schlichtweg nicht geeignet, die Schwelle zum Missstand nach § 7 Abs 3 Landes-Sicherheitsgesetz zu überschreiten oder eine solche Überschreitung unmittelbar erwarten zu lassen.

Es wird die Ermächtigung des § 7 Abs 3 Landes-Sicherheitsgesetz wohl grundrechtskonform dahingehend eng auszulegen sein, als nicht jede beliebige Erschwernis der Benützung eines öffentlichen Ortes durch andere Personen ein Verbot des stillen Bettelns zu rechtfertigen vermag, sondern eine besondere — hier über die übliche Marktnutzung sehr deutlich hinausgehende — Erschwernis vorliegen wird müssen.

[…]

Der Amtsbericht erschöpft sich in diesem Zusammenhang im Wesentlichen auch nur in der Behauptung, dass 'die Benützung des jeweiligen öffentlichen Ort[es] durch andere Personen erschwert oder [der öffentliche Ort] gar gemieden wird, weil Durchgänge und Zugänge zu Marktständen, Veranstaltungsbühnen und Geschäften durch am Boden sitzende, stehende oder durch das betreffende Gelände ziehende bettelnde Personen behindert werden. Marktfahrer und Veranstalter beklagen sich regelmäßig über bettelnde Personen, die sich vor Marktständen, Bühnengelände oder zwischen die aufgestellten Waren (zB Blumentröge) setzen oder stellen und so den Zugang für die Kunden und Besucher behindern.'

Insoweit das Betteln derart ausgeübt wird, dass andere Personen durch ein Sich-In-den-Weg-Stellen oder das Versperren des Weges am ungestörten Weitergehen oder Einkaufen gehindert werden, muss wohl davon ausgegangen werden, dass es in aufdringlicher oder aggressiver Weise erfolgt und damit bereits nach § 7 Abs 1 lita Landes-Sicherheitsgesetz verboten ist. Ansonsten muss eine Begegnung angenommen werden, die öffentlichen Orten, insbesondere Märkten immanent ist; eine besondere Erschwernis der Benützung des Marktes ist jedenfalls mit der bloßen Anwesenheit einer so geringen Zahl von still bettelnden Menschen damit nicht verbunden.

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen erlaubt sich der Landesvolksanwalt die Marktgebiete von Wochen- und Gelegenheitsmär[k]ten mit jeweils rund 2.000 m 2 , die Anzahl der Besucher zumindest auf ein hundertfaches der bettelnden Menschen — wohlgemerkt — zu schätzen. […]

Der Amtsbericht führt aus, dass die Ausübung des gemäß § 7 Abs 1 Landes-Sicherheitsgesetz nicht verbotenen Bettelns zu einem Missstand führe, weil es in der Realität nicht beim erlaubten 'stillen' Betteln bleibe. Bettelnde Menschen würden vielfach unangemessene und gesetzwidrige Verhaltensweisen zeigen, mit denen eine erhebliche Störung des örtlichen Gemeinschaftslebens, insbesondere des Marktgeschehens und der öffentlichen Veranstaltungen, verbunden sei.

[…]

Zum überwiegenden Teil wird den beschriebenen Verhaltensweisen hinreichend durch Gesetze begegnet. Das aggressive bzw aufdringliche Betteln ist bereits nach § 7 Abs 1 lita Landes-Sicherheitsgesetz verboten; der Diebstahl von Lebensmitteln ist sogar gerichtlich strafbar. Diese Verhaltensweisen erscheinen damit nicht geeignet, einen störenden Missstand zu begründen, dessen Abwehr ein sektorales und temporäres Bettelverbot erfordert.

Auch dem Betteln in Gastgärten — sofern diese öffentliche Orte sein sollen — wird hinreichend durch das Gesetz begegnet, wenn es in qualifizierter und damit verbotener Form erfolg[t]. Das Betteln in Gastgärten per se als aufdringlich aufzufassen, erscheint jedoch nicht zulässig.

Demgegenüber beeinträchtigt das Bette[l]n in Geschäftslokalen ausschließlich private Interessen der Gewerbetreibenden, die mit den zur Verfügung stehenden privatrechtlichen Instrumenten zu wahren sind. […]

Das Vortäuschen von körperlichen Gebrechen erscheint tatsächlich unangemessen: Es stellt nach Ansicht des Landesvolksanwaltes jedoch keinen Missstand, sondern lediglich ein deplatziertes Verhalten dar. […]

Zusammenfassend legt die Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz der Beschlussfassung vom über ein sektorales und temporäreres Bettelverbot gemäß § 7 Abs 3 Landes-Sicherheitsgesetz nach Auffassung des Landesvolksanwaltes ausschließlich Verhaltensweisen von bettelnden Menschen zugrunde, die kein Missstand im Sinne des § 7 Abs 3 Landes-Sicherheitsgesetz sind. Ebenso wenig lässt die Anzahl an in der Landeshauptstadt Bregenz bettelnden Menschen die Befürchtung zu, es könnte die Benützung bestimmter öffentlicher Orte erschwert werden. Das normierte Verbot des stillen Bettelns erscheint damit sachlich nicht gerechtfertigt."

Zur Nichterforderlichkeit des Eingriffs in Art 10 EMRK:

" I[n VfSlg 19.662/2012] hat der Verfassungsgerichthof weiters dargelegt, dass eine gesetzliche Bestimmung, die es jedermann ausnahmslos untersagt, an öffentlichen Orten andere Menschen auf seine individuelle Notlage aufmerksam zu machen oder sie in unaufdringlicher und nicht aggressiver Weise verbal um Hilfe zu bitten, in die durch Art 10 Abs 1 EMRK geschützte Kommunikationsfreiheit eingreift. Eingriffe in die Freiheit der Meinungsäußerung müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs wie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke 'in einer demokratischen Gesellschaft' notwendig sein.

[…] Der Landesvolksanwalt bezweifelt, ob dieses Verbot des stillen Bettelns notwendig ist, um die öffentliche Ordnung in einer demokratischen Gesellschaft aufrecht zu erhalten.

Wie oben bereits dargelegt, hat die Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz der Beschlussfassung vom über die Verordnung eines sektoralen und temporären Bettelverbotes ausschließlich Verhaltensweisen von bettelnden Menschen zugrunde gelegt, die kein stilles Betteln sind und damit nach Ansicht des Landesvolksanwaltes keinen Missstand im Sinne des § 7 Abs 3 Landes-Sicherheitsgesetz begründen können.

Der Amtsbericht führt in diesem Zusammenhang aus, es stünden Grenzüberschreitungen, Gesetzverstöße und weitere negative Begleiterscheinungen mit dem erlaubten Betteln in direktem Zusammenhang. Es habe sich gezeigt, dass verbotene Formen der Bettelei begünstigt und gefördert werden, wenn stilles Betteln erlaubt sei. Erlaubtes Betteln und nicht erlaubte Formen des Bettelns würden sich vermischen. Die Grenze zum aufdringlichen oder aggressiven Betteln verlaufe nicht immer eindeutig, eine Beweissicherung sei häufig nicht möglich bzw kann praktisch nur erfolgen, wenn die bettelnden Personen von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei der Tat betreten werden. In der Praxis könnten Regelverstöße nur sehr schwer bzw meist gar nicht geahndet werden. Resümierend fasst der Amtsbericht zusammen, dass eine lückenlose Polizeiüberwachung des Markt- und Veranstaltungsgeschehens nicht möglich sei, weshalb an Orten, wo das 'stille' Betteln erlaubt sei, das Gesetz betreffend die verbotenen Formen des Bettelns praktisch nicht vollzogen werden kann.

Mit keinem Wort führt der Amtsbericht aus, weshalb ein unaufdringlicher und nicht aggressiver Appell an die Hilfsbereitschaft vorübergehender Passanten eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellen soll, die es aufrecht zu erhalten gilt. Die geschilderten Probleme, die mit dem Vollzug des Landes-Sicherheitsgesetz[es] und den darin normierten Verboten von unerwünschten Formen der Bettelei einhergehen, erscheinen nicht geeignet, ein Verbot auch des stillen Bettelns zu begründen. Es besteht damit sch[l]ichtweg kein zwingender Grund ein, nicht schon nach § 7 Abs 1 Landes-Sicherheitsgesetz verbotenes, Betteln zu untersagen.

Darüber hinaus erachtet der Landesvolksanwalt den Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der freien Meinungsäußerung auch in seiner räumlichen Ausdehnung als überschießend.

[…]

Nicht nachvollziehbar erscheint es etwa, weshalb es notwendig sein soll, das stille Betteln während eines weihnachtlichen Marktes in der Oberstadt auch im Bereich des Hafens zu untersagen. Ebenso wenig nachvollziehbar ist, weshalb auf dem Platz zwischen Festspielhaus und Casino Bregenz oder einem noch weiter entfernten Parkplatz für Festspielbesucher nicht gebettelt werden darf, während in der Innenstadt (vormittags) Märkte stattfinden. Aber auch umgekehrt ist es nicht verständlich, weshalb während abendlicher Festspielveranstaltungen (ganztägig) auf dem Kornmarktplatz wie der gesamten Innenstadt nicht gebettelt werden darf. Die Reihe an Beispielen ließe sich bald beliebig fortsetzen."

3. Die Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet. Die Vorarlberger Landesregierung hat ebenfalls eine Äußerung erstattet.

Den Ausführungen des Antragstellers, dass für die Untersagung des stillen Bettelns nicht nachgewiesen sei, dass an von der Bregenzer Bettelverbots-VO erfassten öffentlichen Orten eine besondere Erschwernis der Benutzung oder ein sonstiger das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand vorliege bzw. unmittelbar zu erwarten sei, hält die Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz entgegen,

"dass grundsätzlich der Landesgesetzgeber von der 'zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen' spricht, somit durch die Erfahrungen von einzelnen Orten auch auf andere Orte geschlossen werden kann und nicht ein konkreter Nachweis für jeden betroffenen Ort zu erbringen ist.

[…] Die örtlichen Verhältnisse und die Abgrenzungen der jeweiligen Markt- oder Veranstaltungsgebiete ergeben sich [….] sehr wohl aus der angefochtenen Verordnung und dem dieser Verordnung beigefügten Lageplan in Zusammenhang mit der ordnungsgemäß kundgemachten und geltenden Verordnung 'Marktordnung" der Landeshauptstadt Bregenz […]. Dass die Begrenzung des Gebietes laut Lageplan überschießend sei […], ist auch nicht nachzuvollziehen: Die angefochtene Verordnung untersagt stilles Betteln 'während der Abhaltung an nachfolgenden öffentlichen Orten und zu nachfolgenden Zeiten' ........ , während der Märkte ... und während der folgenden genehmigten öffentlichen Veranstaltungen ... '.

[…]

Der Landesvolksanwalt zieht anscheinend den Schluss, dass ein nicht aufdringliches oder aggressives Betteln keinen Missstand begründen könne, übersieht aber dabei, dass es zwischen der stillen Bettelei und der aggressiven bzw. aufdringlichen Bettelei viele nach dem Landes-Sicherheitsgesetz nicht verbotene Formen gibt, die an markt- bzw. veranstaltungsfreien Tagen nicht als Missstand wahrgenommen werden, weil weder Besucher noch bettelnde Personen in großen Gruppen auftreten, aber an Tagen, an denen Märkte oder sonstige Veranstaltungen mit Menschenansammlungen stattfinden, jedenfalls die Grenze zum Missstand überschreiten (können). Jegliche Form der Bettelei, die alleine betrachtet (noch) nicht aggressiv oder aufdringlich ist, kann – wenn in einer größeren Gruppe praktiziert – in ihrer Gesamtheit dennoch aufdringlich wirken bzw. einen Missstand darstellen. […]"

(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

4. Die Vorarlberger Landesregierung hält dem Bedenken des Antragstellers, dass kein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand vorliege, entgegen:

"Entgegen dem Fokus des Landesvolksanwaltes auf die Frage, ob die im Amtsbericht beschriebenen Verhaltensweisen nun tatsächlich als stille Formen der Bettelei anzusehen sind (weil scheinbar nur diese von der Verordnung betroffen sein dürfen), kommt es vielmehr auf die Frage an, ob die beschriebenen Verhaltensweisen bzw. der vorliegende Sachverhalt einen Missstand bewirken, der das angefochtene zeitlich und örtlich beschränkte Bettelverbot rechtfertigt. […]

Wenn nun seitens des Landesvolksanwaltes eingewandt wird, dass die 'besondere […] Erschwernis konkret für jeden betroffenen öffentlichen Ort im Einzelnen durch amtswegige Ermittlungen der Behörde oder Dokumentation entsprechender Beschwerden nachzuweisen' ist, so ist diesem Argument entgegenzuhalten, dass der Landesgesetzgeber von der 'zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen' spricht, weshalb durch die Erfahrungen von einzelnen Orten durchaus auch auf andere Orte geschlossen werden kann und nicht ein konkreter Nachweis für jeden betroffenen Ort zu erbringen ist."

Auch die Erschwernis der Benützung des öffentlichen Ortes iS des § 7 Abs 3 erster Fall Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz liege vor, da

"die bettelnden Personen eben gerade nicht der sonstigen 'Fließrichtung' [folgen]. Verstärkt wird diese Situation in Abhängigkeit von dem jeweiligen Ereignis durch die […] hohe Zahl an Besuchern, die auch häufig zu einem Gedränge führt. Da die betroffenen Orte teils sehr beengt sind, stellt es die Organisatoren des jeweiligen Ereignisses bereits ohne – nicht der 'Fließrichtung' folgende – bettelnde Personen vor eine entsprechend große Herausforderung, um den Durchfluss für Fußgänger und die erforderlichen Notzufahrten und Notzugänge zu gewährleisten, was gerade bei größeren Veranstaltungen (z.B. Bregenzer Festspiele, Faschingsumzug, Sportveranstaltungen, …) eine Behinderung oder sogar eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellen kann."

Ebenso liege ein sonstiger Missstand iS des § 7 Abs 3 zweiter Fall Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz vor, da

"[j]egliche Form der Bettelei, die alleine betrachtet (noch) nicht aggressiv oder aufdringlich ist, […] – wenn in einer größeren Gruppe praktiziert – in seiner Gesamtheit dennoch aufdringlich wirken bzw. einen Missstand darstellen [kann] (für die betroffene Person macht es keinen Unterschied, ob sie 15 Mal von der gleichen Person angesprochen wird oder aber jeweils einmal von 15 verschiedenen bettelnden Personen). Je 'stiller' das Betteln ist, desto größer muss die Anzahl der bettelnden Personen sein, um einen – ein Bettelverbot rechtfertigenden – Missstand hervorzurufen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch an die Frage der Sicherheit. Das ruhige Sitzen mit einem aufgestellten Becher stellt an markt- bzw. veranstaltungsfreien Tagen jedenfalls kein Sicherheitsrisiko dar (und somit auch keinen Missstand). Sitzen jedoch bei publikumsintensiven Ereignissen 15 bettelnde Personen an sicherheitsrelevanten Schlüsselpunkten, stellt dies (obwohl völlig 'still' praktiziert) sehr wohl einen Missstand im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar.

[…] Wenn für die Beurteilung des Missstandes auch die Anzahl an Besuchern eines Marktes bzw. einer Veranstaltung herangezogen werden, so muss dies auch für die aggressiv oder aufdringlich bettelnden Personen gelten. Im Übrigen wäre es völlig verfehlt, beim Feststellen der Anzahl der bettelnden Personen nur die still bettelnden zu berücksichtigen, nicht jedoch jene, die die Bettelei entgegen einem Verbot des § 7 Abs 1 Landes-Sicherheitsgesetz ausüben."

Abschließend führt die Vorarlberger Landesregierung aus, dass

"[d]er Lageplan […] nur den äußeren Rahmen des räumlichen Geltungsbereiches des Bettelverbotes dar[stellt]. Nach Ansicht der Vorarlberger Landesregierung gilt das aus der Verordnung hervorgehende Bettelverbot nach § 1 lita daher immer nur während der Abhaltung des jeweiligen Marktes zu den angegebenen Zeiten und immer nur am jeweiligen Marktort. […]"

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

Gemäß Art 139 Abs 1 Z 6 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag einer Einrichtung gemäß Art 148i Abs 2 B VG über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Landesbehörde. Gemäß Art 148i Abs 2 B VG kann durch Landesverfassungsgesetz eine dem Art 148f B VG entsprechende Regelung geschaffen werden, wenn die Länder für den Bereich der Landesverwaltung Einrichtungen mit gleichartigen Aufgaben wie die Volksanwaltschaft schaffen. Gemäß Art 60 Abs 2 Vorarlberger Landesverfassung erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag des Landesvolksanwalts über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen, die im Bereich der Verwaltung des Landes ergangen sind.

Die Legitimation des Landesvolksanwalts von Vorarlberg zur Antragstellung ist somit gegeben. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist der Antrag zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art 139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl. VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. § 1 Bregenzer Bettelverbots-VO verbietet auf bestimmten Märkten (lita) und auf bestimmten Veranstaltungen (litb) jenes Betteln, das nicht bereits durch § 7 Abs 1 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz verboten ist, somit jegliches Betteln außer aufdringliches oder aggressives Betteln, Betteln unter Mitführen einer unmündigen Person und Betteln als Beteiligter einer organisierten Gruppe. Mit ihr wird somit auch "stilles Betteln" verboten.

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.662/2012 ausgesprochen hat, darf stilles Betteln, also das Bitten um finanzielle Hilfe in unaufdringlicher und nicht aggressiver Weise oder nur durch schriftlichen oder symbolischen Hinweis, an öffentlichen Orten nicht verboten werden, es sei denn, etwa die Anzahl der Bettler erschwert die Benützung des öffentlichen Ortes derart, dass ein Missstand vorliegt. Davon abgesehen kann von der bloßen Anwesenheit einzelner Menschen, die "still" um Hilfe bitten, eine Störung der öffentlichen Ordnung nicht ausgehen (s. abermals VfSlg 19.662/2012).

2.3. In Entsprechung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. ua.) erlaubt § 7 Abs 3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz, dass die Gemeindevertretung ein nicht nach Abs 1 des § 7 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz verbotenes Betteln an öffentlichen Orten verbieten darf, "wenn aufgrund der dort zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen und der örtlichen Verhältnisse zu befürchten ist, dass die Benützung des öffentlichen Orts durch andere Personen erschwert wird, oder durch solches Betteln sonst ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand bereits besteht oder unmittelbar zu erwarten ist".

2.4. Ein solcher Missstand muss, wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , E552/2016 ua., ausführt, von der verordnungserlassenden Gemeindevertretung jeweils ermittelt und nachgewiesen werden.

Dieser Nachweis sei – so das Bedenken des Antragstellers – von der verordnungserlassenden Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz nicht erbracht worden. Es seien weder die landesgesetzlich geforderten örtlichen Verhältnisse der Verbotszonen beschrieben noch sei eine besondere Erschwernis der Benützung der einzelnen, von der Bregenzer Bettelverbots-VO erfassten öffentlichen Orte durch bettelnde Personen dargelegt oder ein sonstiger Missstand belegt worden.

2.5. Mit diesem Vorbringen ist der Antragsteller teilweise im Recht:

Im Amtsbericht zur Bregenzer Bettelverbots-VO heißt es, nach einer Darlegung, dass die gesamte Innenstadt zu Markt- und Veranstaltungstagen sehr stark von Fußgängern frequentiert werde, womit Gedränge einhergehe, wörtlich:

"Die […] Anzahl der Bettler gerade zu den Markt- und Veranstaltungszeiten führt dazu, dass die Benützung des jeweiligen öffentlichen Ortes durch andere Personen erschwert oder gar gemieden wird, weil Durchgänge und Zugänge zu Marktständen, Veranstaltungsbühnen und Geschäften durch am Boden sitzende, stehende oder durch das betreffende Gelände ziehende bettelnde Personen behindert werden. Marktfahrer und Veranstalter beklagen sich regelmäßig über bettelnde Personen, die sich vor Marktstände, Bühnengelände oder zwischen die aufgestellten Waren (zB Blumentröge) setzen oder stellen und so den Zugang für die Kunden und Besucher behindern. Auch die Ladetätigkeiten zu Beginn und Ende der Märkte bzw. der Veranstaltungen werden dadurch erschwert."

Der Amtsbericht der Stadt Bregenz belegt, wie auch jener der Stadt Dornbirn zur Dornbirner Bettelverbots-VO belegt hat (vgl. dazu ua.), dass auf Grund der diesbezüglich vergleichbaren spezifischen örtlichen Gegebenheiten die Benützung dieser öffentlichen Orte durch Marktbesucher derart erschwert wird, dass ein bestimmungsgemäßer Gebrauch dieser Orte auch durch die Anzahl der unmittelbar zu erwartenden still bettelnden Personen nicht mehr gegeben wäre.

Anders stellt sich die Situation für die von § 1 litb Bregenzer Bettelverbots-VO erfassten Veranstaltungen dar.

Zunächst vermag die Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz nicht nachzuweisen, dass ein spezifischer Missstand im Sinne des § 7 Abs 3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz auf den von der Bregenzer Bettelverbots-VO erfassten Veranstaltungen besteht. Die dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Verordnungsakten können nicht belegen, dass eine bestimmungsgemäße Abhaltung der Veranstaltungen wegen still bettelnder Personen nicht möglich wäre, da lediglich die zu den "Märkten" bestehenden Erfahrungen auf die "Veranstaltungen" undifferenziert übertragen wurden. Ein gleichsam "auf Vorrat" erlassenes Verbot auch des stillen Bettelns auf Veranstaltungen vermag den Nachweis, dass es zur Abwehr eines zumindest unmittelbar zu erwartenden Missstandes iSd § 7 Abs 3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz erforderlich ist, nicht zu erbringen.

Dazu kommt, dass das in § 1 litb Bregenzer Bettelverbots-VO normierte Verbot auch zeitlich undifferenziert von "0 bis 24 Uhr" für alle aufgezählten Veranstaltungen gilt. So werden von der Bregenzer Bettelverbots-VO Veranstaltungen erfasst, die typischerweise während eines ganzen Wochenendes tageweise stattfinden wie das Jazzfest, aber auch solche, die lediglich an einem Nachmittag stattfinden, wie der Krampuslauf. Während der Bregenzer Festspiele, die von Mitte Juli bis Mitte August stattfinden, ist das Betteln überhaupt am gesamten Festspielgelände während des gesamten Monats von 0 bis 24 Uhr verboten, obwohl die einzelnen Veranstaltungen nur einige wenige Stunden, in der Regel am Abend, stattfinden. Die verordnungserlassende Behörde übersieht damit, dass die Grenze, auch das stille Betteln zu verbieten, zuletzt vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , E552/2016 ua., betreffend das Verbot des Bettelns auf Marktplätzen in der Stadt Dornbirn wie folgt gezogen wurde: "Das Verbot des Bettelns ist zur spezifischen Nutzung dieser öffentlichen Orte als Marktplätze örtlich beschränkt und zeitlich begrenzt, indem es sich nur auf das Marktumfeld bezieht und im Wesentlichen nur solange dauert wie der Marktbetrieb selbst." Ein Verbot auch des stillen Bettelns an öffentlichen Orten, das über die Erschwernis ihrer spezifischen Nutzung (im Sinne eines Missstandes) hinausgeht, ist demnach nicht erlaubt.

2.6. § 1 litb der Bregenzer Bettelverbots-VO erweist sich somit als gesetzwidrig.

2.7. Soweit sich der Antrag gegen § 1 lita der Bregenzer Bettelverbots-VO und die mit diesem in untrennbarem Zusammenhang stehenden §§2 und 3 der Bregenzer Bettelverbots-VO richtet, ist er hingegen abzuweisen:

Der Verfassungsgerichtshof hält zunächst fest, dass die Ermächtigung durch den Landesgesetzgeber, zusätzlich zu den von ihm geregelten Tatbeständen auch stilles Betteln zu verbieten, als Ausnahme vom Grundsatz, dass dieses Verhalten im öffentlichen Raum erlaubt ist, eng auszulegen ist (vgl. zur engen Auslegung von Ausnahmentatbeständen etwa ). Demgemäß ist auch das dazu ergangene Verbot des stillen Bettelns eng auszulegen. Die Bregenzer Bettelverbots-VO ist daher so zu interpretieren, dass das in der Verordnung färbig ausgewiesene Gebiet, in dem Betteln verboten ist, den äußeren Rahmen des örtlichen Geltungsbereiches des Verbotes absteckt. Innerhalb dieses Gebiets ist Betteln – wie die Vorarlberger Landesregierung in ihrer Äußerung zutreffend anführt – stets nur auf dem jeweils stattfindenden Markt verboten; im übrigen färbig ausgewiesenen Gebiet, in dem kein Markt stattfindet, ist Betteln dagegen – soweit es von der Bregenzer Bettelverbots-VO erfasst ist – weiterhin erlaubt (vgl. auch ua.). Die konkrete Ausdehnung der einzelnen Märkte ergibt sich entweder unmittelbar aus § 1 lita Bregenzer Bettelverbots-VO durch Anführung der Straßen oder Plätze bzw. ortsüblichen Bezeichnung ("Oberstadt") oder in Zusammenschau mit der gemäß § 286 iVm § 289 und § 293 Gewerbeordnung 1994 erlassenen Marktordnung der Landeshauptstadt Bregenz.

Wie in Pkt. IV.2.5. dargelegt, dokumentiert der Amtsbericht zur Bregenzer Bettelverbots-VO die Situation auf Marktplätzen während der Marktzeiten durch bettelnde Personen, der – entgegen der Auffassung des Antragstellers – deshalb durch das Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz nicht hinreichend begegnet werden kann, weil eine hohe Anzahl an still bettelnden Personen unmittelbar zu erwarten ist.

Da das Verbot des Bettelns zur spezifischen Nutzung dieser öffentlichen Orte als Marktplätze örtlich und zeitlich begrenzt ist, indem es sich nur auf den Marktort und den Marktbetrieb selbst bezieht, erweist sich das Verbot auch als verhältnismäßig. Außerhalb des zeitlichen Verbots ist Betteln – wie die Vorarlberger Landesregierung in ihrer Äußerung zutreffend hervorhebt – auf den öffentlichen Marktplätzen erlaubt.

V. Ergebnis

1. § 1 litb Bregenzer Bettelverbots-VO ist daher wegen Verstoßes gegen § 7 Abs 3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz als gesetzwidrig aufzuheben.

Dem im der Bregenzer Bettelverbots-VO beiliegenden Lageplan ausgewiesenen Gebiet, das von der Aufhebung des § 1 litb Bregenzer Bettelverbots-VO betroffen ist, kommt durch die Aufhebung der genannten Bestimmung keine normative Bedeutung zu.

Hingegen sind § 1 lita, § 2 und § 3 Bregenzer Bettelverbots-VO nicht als gesetzwidrig aufzuheben; in diesem Umfang ist der Antrag daher abzuweisen.

2. Die Verpflichtung der Vorarlberger Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 139 Abs 5 erster Satz B VG und § 59 Abs 2 VfGG iVm § 2 Abs 1 litf des Vorarlberger Gesetzes über die Kundmachung von Rechtsvorschriften der Organe des Landes (Vbg. Kundmachungsgesetz).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2017:V23.2016