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VfGH vom 16.06.2005, V21/05

VfGH vom 16.06.2005, V21/05

Sammlungsnummer

17585

Leitsatz

Stattgabe des Individualantrags einer Vertreibergesellschaft von Arzneispezialitäten auf Aufhebung einer Änderung des Erstattungskodex betreffend Streichung von Gingko-Präparaten aus dem Erstattungskodex; keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Verlautbarung der vom Hauptverband beschlossenen Streichung

Spruch

I. Pkt. A3 (Streichung von im Grünen Bereich des Erstattungskodex angeführten Arzneispezialitäten) der 2. Änderung des Erstattungskodex, kundgemacht als Amtliche Verlautbarung der österreichischen Sozialversicherung im Internet Nr. 16/2005, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

II. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist schuldig, der antragstellenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 2340,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger entschied am , die von der antragstellenden Gesellschaft vertriebenen Arzneispezialitäten Tebofortan 4% Tropfen, Tebonin retard Drag. und Tebofortan 40 mg FT (20 und 50 Stk.) aus dem Heilmittelverzeichnis zu streichen.

Mit Bescheid vom , der antragstellenden Partei in schriftlicher Ausfertigung zugestellt am , wies die Unabhängige Heilmittelkommission die dagegen erhobene Beschwerde ab.

Gegen diesen Bescheid erhob die antragstellende Gesellschaft gemäß Art 144 B-VG Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Darin stellte sie auch den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Mit dem in nichtöffentlicher Sitzung gefassten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , B181/05-5, wurde diesem Antrag Folge gegeben. Dieser Beschluss wurde noch am selben Tag der beschwerdeführenden Gesellschaft, der belangten Behörde sowie dem am Beschwerdeverfahren beteiligten Hauptverband per Fax zugestellt.

2. Mit der - schon am , 4 Uhr, zur Abfrage freigegebenen - 2. Änderung des Erstattungskodex, Amtliche Verlautbarung der österreichischen Sozialversicherung im Internet Nr. 16/2005 (http://www.avsv.at), wurden die in Rede stehenden Arzneispezialitäten "mit Wirkung vom " aus dem (mit an die Stelle des Heilmittelverzeichnisses getretenen) Grünen Bereich des Erstattungskodex gestrichen (Pkt. A3). Das gesetzmäßige Zustandekommen dieser Änderung des Erstattungskodex war von der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz mit Erlass vom beurkundet worden.

Dem sodann gestellten - auf Art 146 Abs 2 B-VG gestützten - Antrag auf Einleitung der Exekution des hg. Beschlusses vom , B181/05-5, wurde mit hg. Beschluss vom , B181/05-11, keine Folge gegeben; dies mit der Begründung, das Verfahren zur Erlassung der die Streichung der Produkte der Antragstellerin bewirkenden Verordnung sei mit deren Verlautbarung (und damit vor Zustellung des Beschlusses auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung) abgeschlossen gewesen; durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei aber eine positive Handlungspflicht des Hauptverbandes zur Wiederherstellung des früheren Zustandes (sei es durch Aufhebung der Verordnung, sei es durch Erlassung einer weiteren Verordnung, mit der das Inkrafttreten der ersten Verordnung hinausgeschoben wird) nicht ausgelöst worden.

Die Beschwerde der antragstellenden Gesellschaft gegen den Bescheid der Unabhängigen Heilmittelkommission wurde indes mit hg. Beschluss vom heutigen Tag, B181/05, zurückgewiesen: Soweit dieser Bescheid die Streichung der in Rede stehenden Produkte der Antragstellerin aus dem Heilmittelverzeichnis verfüge, verfehle er dieses Ziel, da dieses Verzeichnis im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht mehr in Geltung gestanden sei und die strittigen Arzneispezialitäten mit bereits in den Erstattungskodex (green box) übergeleitet worden waren. Die Antragstellerin könne daher durch diesen Bescheid in Rechten nicht verletzt sein.

3. Mit einem am beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Schriftsatz stellt die einschreitende Gesellschaft den auf Art 139 Abs 1 B-VG gestützten Antrag, Pkt. A3 der oben genannten Verlautbarung kostenpflichtig als gesetzwidrig aufzuheben.

Der Hauptverband sowie die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen erstatteten jeweils eine schriftliche Äußerung zum Gegenstand; darin wird der angefochtene Rechtsakt verteidigt. Diesen Äußerungen trat die antragstellende Partei in einer Replik entgegen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit des Antrages:

1. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist (Art139 Abs 1 letzter Satz B-VG).

Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation nach Art 139 Abs 1 letzter Satz B-VG ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10.511/1985). Dabei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art 139 Abs 1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10.353/1985, 11.730/1988).

2. Die Antragslegitimation ist hier gegeben:

2.1. Dem (mit an die Stelle des Heilmittelverzeichnisses getretenen) Erstattungskodex kommt ebenso wie jeder seiner Änderungen Verordnungscharakter zu (vgl. - zum Heilmittelverzeichnis - VfSlg. 17.023/2003, S 662 ff).

2.2. Die Verlautbarung der Streichung einer bislang im (grünen Bereich des) Erstattungskodex angeführten Arzneispezialität aus diesem greift auch - gemessen an den Rechtswirkungen des Erstattungskodex - in die Rechtssphäre des betroffenen vertriebsberechtigten Unternehmens ein (vgl. auch dazu VfSlg. 17.023/2003, S 664; zur Zulässigkeit der Anfechtung einer Novellenbestimmung, welche eine Norm aufhebt, vgl. insbesondere VfSlg. 16.764/2002).

2.3. Die antragstellende Gesellschaft verfügt schließlich über keinen anderen zumutbaren Weg, die Frage der Gesetzmäßigkeit der die Streichung bewirkenden Verlautbarung anders als im Wege ihrer unmittelbaren Anfechtung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen:

Über "Beschwerden des vertriebsberechtigten Unternehmens, dessen Arzneispezialität aus dem Heilmittelverzeichnis gestrichen werden soll", entscheidet zwar seit der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 140/2002, die (nunmehr) beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen eingerichtete Unabhängige Heilmittelkommission. Dieser (von der antragstellenden Gesellschaft auch beschrittene) Verfahrensweg steht aber dann nicht offen, wenn - wie vorliegend - im Antrag behauptet wird, die Streichung der betreffenden Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex sei ohne Vorliegen einer entsprechenden Streichungsentscheidung (des Hauptverbandes bzw. der Unabhängigen Heilmittelkommission) verlautbart worden (in diesem Sinne auch Rohregger, Verfahrensrechtliche Fragen des Erstattungskodex, in:

Mazal [Hrsg.], Erstattungskodex [2005] 21 [33]).

3. Zweifel am Vorliegen der Prozessvoraussetzungen sind auch sonst nicht entstanden; der Antrag erweist sich daher insgesamt als zulässig.

B. In der Sache:

1. Vorauszuschicken ist, dass der Verfassungsgerichtshof im Normenprüfungsverfahren auf die Erörterung der im Prüfungsantrag (bzw. im amtswegigen Prüfungsbeschluss) dargelegten Bedenken beschränkt ist.

2. Die antragstellende Gesellschaft erachtet die bekämpfte Verordnung ua. deshalb für gesetzwidrig, weil sie ohne entsprechenden "Streichungsbescheid" ergangen sei.

Schon damit ist sie im Recht:

2.1. Nach den Bestimmungen des Abschnitts V des Sechsten Teiles des ASVG (idF der 60. bzw. der 61. Novelle, Art 1 des 2. Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2003 - 2. SVÄG 2003, BGBl. I Nr. 145) hat der Hauptverband eine Arzneispezialität aus dem Heilmittelverzeichnis/Erstattungskodex zu streichen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme nicht (mehr) erfüllt sind (§351f Abs 1 ASVG). Das vertriebsberechtigte Unternehmen, dessen Arzneispezialität aus dem Heilmittelverzeichnis/Erstattungskodex gestrichen werden soll, kann dagegen Beschwerde an die beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen eingerichtete Unabhängige Heilmittelkommission erheben (§351i Abs 1 Z 2 ASVG). Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung (§351i Abs 3 dritter Satz ASVG), es sei denn, sie richtet sich gegen die Streichung von Arzneispezialitäten aus dem roten Bereich (solchen Beschwerden ist keine aufschiebende Wirkung zuerkannt: § 351c Abs 1 dritter Satz ASVG) oder aber aus dem grünen Bereich im Fall des § 351c Abs 10 Z 1 ASVG (solche Beschwerden haben nur für die Dauer von 90 Tagen ab ihrer Einbringung aufschiebende Wirkung: § 351i Abs 3 dritter Satz ASVG). Wird in diesen beiden Fällen die Streichungsentscheidung des Hauptverbandes von der Unabhängigen Heilmittelkommission aufgehoben, so hat der Hauptverband binnen 120 Tagen ab Zustellung der Aufhebungsentscheidung neu zu entscheiden, "widrigenfalls ... die Arzneispezialität wieder in den Erstattungskodex aufzunehmen ist" (§351i Abs 4 zweiter Satz ASVG).

Aus diesen Bestimmungen geht hervor, dass die vom zuständigen Organ des Hauptverbandes beschlossene Streichung - von den beiden zuletzt genannten, hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - erst verlautbart werden darf, wenn die Unabhängige Heilmittelkommission die Beschwerde abgewiesen hat oder gar keine Beschwerde erhoben worden ist.

2.2. Die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Arzneispezialitäten sind mit ex lege aus dem Heilmittelverzeichnis (das mit Ablauf des außer Kraft getreten ist) in den Erstattungskodex überstellt worden (§609 Abs 13 erster Satz ASVG). Die (nur das Heilmittelverzeichnis betreffende) Streichungsentscheidung des Hauptverbandes konnte daher ebensowenig wie der Bescheid der Unabhängigen Heilmittelkommission vom , mit dem - in Abweisung der Beschwerde gegen die Entscheidung des Hauptverbandes - die Streichung dieser Arzneispezialitäten aus dem Heilmittelverzeichnis für zulässig erklärt worden ist, eine ausreichende Rechtsgrundlage dafür sein, die Streichung dieser Arzneispezialitäten aus dem grünen Bereich des Erstattungskodex zu verlautbaren (vgl. dazu neuerlich den hg. Beschluss vom heutigen Tag, B181/05).

3. Die angefochtene Verordnungsstelle war daher als gesetzwidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere im Antrag vorgetragene Bedenken, die angefochtene Verordnung sei unter Missachtung des hg. Beschlusses vom , mit dem der zu B181/05 erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt worden ist, erlassen worden und (auch) aus diesem Grund als gesetzwidrig anzusehen.

4. Die Kundmachungspflicht der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz gründet in Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG iVm § 60 Abs 2 VfGG und § 4 Abs 1 Z 4 BGBlG.

5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 61a VfGG. Der zugesprochene Kostenbetrag enthält Umsatzsteuer in Höhe von EUR 360,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr in Höhe von EUR 180,--.

6. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.