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VfGH vom 08.10.1984, V20/82

VfGH vom 08.10.1984, V20/82

Sammlungsnummer

10203

Leitsatz

StVO 1960; Erlassung eines (weitgehenden) Verkehrsverbotes durch den Magistrat der Stadt Wien im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gemäß § 94d und nicht als Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 94b; in Wien Deckung des Bereichs des politischen Bezirkes mit dem Gemeindegebiet; im Hinblick auf diesen und sonstige besondere Umstände keine Gesetzwidrigkeit der V

Spruch

Dem Antrag wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Anläßlich eines beim VwGH anhängigen Beschwerdeverfahrens betreffend ein Ansuchen um Ausnahme vom Fahrverbot in Wien VII, Schrankgasse, gemäß § 45 Abs 2 StVO 1960 stellt der VwGH den Antrag, die Worte "Das Befahren der in Wien VII gelegenen Schrankgasse im Abschnitt zwischen Stiftgasse und dem Haus Nr. 9 (Garageneinfahrt) mit Fahrzeugen aller Art ist verboten. Ausgenommen sind Müllsammel- und Straßendienstfahrzeuge sowie werktags in der Zeit von 7.00 bis 11.30 Uhr die Zufahrt zur Ladetätigkeit sowie Taxi von der Burggasse." der V des Magistrates der Stadt Wien vom , Z MA 46-V-7-58/78, als gesetzwidrig aufzuheben.

b) Den vorliegenden Verwaltungsakten ist zu entnehmen, daß die V durch die Anbringung des Vorschriftszeichens "Fahrverbot (in beiden Richtungen)" mit einer Zusatztafel "ausgenommen Müllsammel- und Straßendienstfahrzeuge sowie werktags von 7 bis 13 Uhr Zufahrt zur Ladetätigkeit und Taxi" am kundgemacht worden ist.

Den Verwaltungsakten ist weiters zu entnehmen, daß der Magistrat der Stadt Wien (MA 46) zum Gegenstand "Antrag der MA 28 auf Festlegung der definitiven Verkehrsmaßnahmen für die Fußgängerzone Spittelberg" am eine Ortsverhandlung durchgeführt hat, deren Niederschrift in ihrem Punkt 6b) wie folgt lautet:

"Das Befahren der in Wien 7 gelegenen Schrankgasse im Abschnitt zwischen Stiftgasse und dem Hause Nr. 9 (Garageneinfahrt) mit Fahrzeugen aller Art ist verboten. Ausgenommen sind Müllsammel- und Straßendienstfahrzeuge sowie werktags in der Zeit von 7.00 bis 11.30 Uhr die Zufahrt zur Ladetätigkeit sowie Taxi von der Burggasse."

Im Anschluß an die Ortsverhandlung wurde - soweit dies hier von Belang ist - folgende V erlassen:

"Gemäß § 43 Abs 1b und § 96 Abs 2 in Verbindung mit § 94d StVO 1960, BGBl. Nr. 159, werden die in Punkt 6) ... b, ... festgehaltenen Verkehrsbeschränkungen erlassen. Diese Verordnung tritt gemäß § 44 leg. cit. mit der Aufstellung der Verkehrszeichen in Kraft."

Die oben wiedergegebene Kundmachung weicht in zwei Punkten (Uhrzeit und Fehlen der Worte "von der Burggasse") vom Text dieser V ab.

c) Der VwGH begründet - nach Darstellung der zum Zeitpunkt der Erlassung der bekämpften V nach der StVO 1960 maßgeblichen Rechtslage - seinen Antrag wie folgt:

"1. Durch den für den Beschwerdefall präjudiziellen Teil der zitierten Verordnung wird das Befahren der in Wien 7 gelegenen Schrankgasse im Abschnitt zwischen Stiftgasse und dem Hause Nr. 9 (Garageneinfahrt) mit Fahrzeugen aller Artverboten. Ausgenommen wurden nur Müllsammel- und Straßendienstfahrzeuge sowie werktags in der Zeit von 7.00 bis 11.30 Uhr die Zufahrt zur Ladetätigkeit sowie Taxi von der Burggasse.

Ein Vergleich dieser Anordnung mit der Reglung des § 76a StVO 1960 ergibt, daß wie in einer 'Fußgängerzone' Fahrzeuge des Straßendienstes und der Müllabfuhr die Schrankgasse befahren dürfen und ein Zeitraum bestimmt ist, innerhalb dessen eine Ladetätigkeit vorgenommen werden darf. Im Gegensatz zur Regelung des § 76a StVO 1960 wurden aber Taxilenker insofern vom allgemeinen Fahrverbot ausgenommen, als ihnen die Zufahrt von der Burggasse erlaubt ist (aufgrund des unklaren Wortlautes ist nicht eindeutig zu erkennen, ob die Ausnahme vom Fahrverbot für die Taxilenker auf die Zeit von 7.00 Uhr bis 11.30 Uhr beschränkt ist oder nicht; im übrigen stimmen der Verordnungstext und die Kundmachung durch die Zusatztafeln hinsichtlich der Zeitangaben nicht überein). Damit scheint die Schrankgasse nicht 'dem Fußgängerverkehr vorbehalten' und 'jeglicher Fahrzeugverkehr verboten' zu sein, weshalb der Schluß möglich ist, die gegenständliche Verordnung habe keine 'Fußgängerzone' im Sinne des § 76a StVO 1960, sondern nur eine sogenannte 'verkehrsarme Zone' im Interesse des Fußgängerverkehrs auf der Grundlage des § 43 Abs 1 litb StVO 1960 errichtet. (In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß die Regelung des § 76a StVO 1960 auszuschließen scheint, daß durch Zusatztafeln gemäß § 54 Abs 1 StVO 1960 weitere im § 76a StVO 1960 nicht erwähnte Ausnahmen vom Verbot des Fahrzeugverkehrs zugelassen werden können.)

Trifft die Annahme zu, daß keine 'Fußgängerzone' im Sinne des § 76a StVO 1960 errichtet, sondern nur eine sogenannte 'Verkehrsarme Zone' aufgrund des § 43 Abs 1 litb StVO 1960 geschaffen worden ist, erweist sich, daß die Verordnung zwar richtig durch die Anbringung des Vorschriftszeichens 'Fahrverbot (in beiden Richtungen)' samt Zusatztafel und des Vorschriftszeichens 'Einfahrtverboten' kundgemacht, aber von einer unzuständigen Behörde erlassen worden ist, da wegen der Zitierung des § 94d StVO 1960 als Zuständigkeitsvorschrift davon auszugehen ist, daß die gegenständliche Verordnung vom Magistrat der Stadt Wien im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (und nicht als Bezirksverwaltungsbehörde) erlassen worden ist. Da die Behörde nicht ausdrücklich ausgesprochen hat, ob sie im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde oder als Bezirksverwaltungsbehörde tätig geworden ist, ist nämlich für die Beurteilung dieser Frage die Gesetzesnorm maßgebend, die die Behörde angewendet hat.

2. Geht man aber von der Annahme aus, durch die in Rede stehende Verordnung sei entgegen der Bezugnahme auf § 43 Abs 1 litb StVO 1960 in der Einleitung der Verordnung eine 'Fußgängerzone' im Sinne des § 76a StVO 1960 geschaffen worden - für eine solche Annahme spräche die Bezeichnung des Gegenstandes der Ortsverhandlung vom in der Niederschrift mit 'Feststellung der definitiven Verkehrsmaßnahmen für die Fußgängerzone Spittelberg im Hinblick auf die vorgesehene Fertigstellung der Straßenoberfläche des ersten Teilbereiches im Oktober 1978' -, wäre die Verordnung zwar im Hinblick auf die obigen Erwägungen vom Magistrat der Stadt Wien im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde als zuständige Behörde erlassen worden, widerspräche jedoch dem § 76a StVO 1960 in zweierlei Hinsicht. Die Verordnung wurde nämlich einerseits nicht durch die Anbringung von Hinweiszeichen 'Fußgängerzone' bzw 'Ende einer Fußgängerzone', sondern von Vorschriftszeichen 'Fahrverbot (in beiden Richtungen)' und 'Einfahrt verboten' kundgemacht und enthält andererseits eine nach § 76a StVO 1960 unzulässige generelle Ausnahme zugunsten von Taxilenkern."

2. Im Verfahren vor dem VfGH haben die Wr. Landesregierung und die bf. Partei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Äußerungen abgegeben. In der Äußerung der Wr. Landesregierung heißt es:

"1) Der Magistrat plante, für den Bereich Wien 7, Schrankgasse, zwischen Stiftgasse und dem Haus Nr. 9 eine Zone zu errichten, die überwiegend dem Fußgängerverkehr dienen sollte, jedoch Ausnahmen betreffend die Befahrbarkeit der Zone für Fahrzeuge, welche nach der Bestimmung des § 76a StVO 1960 nicht hätten verfügt werden können, ermöglichte. Dies betraf den Taxiverkehr aus Richtung Burggasse in der Zeit von 07.00 Uhr bis 11.30 Uhr. Daran ändert die Bezeichnung als Fußgängerzone bei Vorbereitung der Ortsverhandlung nichts, weil es der Behörde unbenommen bleibt, je nach dem beabsichtigten Charakter der durch Verordnung zu bestimmenden Verwendung der Verkehrsfläche bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zwischen Errichtung einer verkehrsarmen- oder Fußgängerzone zu wählen.

2) Es ist daher § 43 Abs 1 litb StVO 1960 zur Anwendung gekommen und hätte der Magistrat gemäß § 94b StVO 1960 als Bezirksverwaltungsbehörde tätig werden müssen. Aktenkundig ist jedoch insofern ein Irrtum unterlaufen, als tatsächlich die Verordnung gemäß § 43 Abs 1 litb und § 96 Abs 2 in Verbindung mit § 94d StVO 1960 erlassen wurde.

3) Bezüglich der Nichtübereinstimmung des Textes der Verordnung des allgemeinen Fahrverbotes in Wien 7, Schrankgasse, gemäß Punkt 6b) der Niederschrift zur Ortsverhandlung der MA 46, vom (Zahl MA 46-V-7-58/78), mit dem Kundmachungstext (Zusatztafel am Verkehrszeichen gemäß § 52/1 StVO 1960) hinsichtlich der zeitlichen Gültigkeit der Ausnahme der Zufahrt zur Ladetätigkeit und der Taxi muß festgestellt werden, daß ein Irrtum bei der Kundmachung unterlaufen ist. Die Ausnahmezeit auf der Zusatztafel sollte 07.00 Uhr bis 11.30 Uhr (anstelle von 07.00 Uhr bis 13.00 Uhr) lauten.

Weiters lautet der Text der Zusatztafel nicht, wie in Punkt 6b) der Verordnung festgehalten, 'sowie Taxi von der Burggasse', sondern lediglich 'und Taxi'.

Es bedeutet dies keine inhaltliche Abänderung des Verordnungstextes und erscheint es nach dem Standort des Verkehrszeichens überflüssig, die Fahrtrichtung der zugelassenen Taxi aufzunehmen, weil keine andere Möglichkeit der Zufahrt vorhanden ist. Nach Ansicht der belangten Behörde kann auch der Verordnungstext, fortlaufend gelesen, nur bedeuten, daß Müllsammel- und Straßendienstfahrzeuge ganztägig, die Zufahrt zur Ladetätigkeit sowie von Taxis jedoch nur in der Zeit werktags von 07.00 Uhr bis 11.30 Uhr vom allgemeinen Fahrverbot ausgenommen sind."

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Es besteht kein Zweifel, daß die bekämpfte V im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH zur Präjudizialität bei Anträgen von Gerichten iS des Art 139 Abs 1 B-VG (vgl. zB VfSlg. 9083/1981) präjudiziell ist.

Der Antrag ist somit - da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen - zulässig.

2. Wie aus der Darstellung des hier maßgeblichen Sachverhaltes (s. oben unter Punkt I.1.b)) hervorgeht, hat die bekämpfte V ein (weitgehendes) Verkehrsverbot (Schaffung einer sogenannten verkehrsarmen Zone) für den von ihr umfaßten Teil der Schrankgasse zum Inhalt: Das Verkehrsverbot enthält eine für Fußgängerzonen (§76a StVO 1960) nicht vorgesehene Ausnahmeregelung für Taxis, wurde ausdrücklich auf § 43 Abs 1 litb StVO 1960 gestützt und dementsprechend durch das Verbotszeichen "Fahrverbot (in beiden Richtungen)" nach § 52 Z 1 StVO 1960 (und nicht durch das Hinweiszeichen "Fußgängerzone" nach § 53 Z 9a) kundgemacht.

Der VwGH bezweifelt dies an sich auch nicht. Er vermeint aber, daß angesichts der Zitierung des - die Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich ua. zur Bestimmung von Fußgängerzonen und die Bewilligung von Ausnahmen für Fußgängerzonen nach § 76a ermächtigenden - § 94d StVO 1960 als Zuständigkeitsvorschrift davon auszugehen sei, daß die bekämpfte V vom Magistrat der Stadt Wien im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde und nicht als Bezirksverwaltungsbehörde erlassen worden sei. Da die Behörde - meint der VwGH - nicht ausdrücklich ausgesprochen habe, ob sie im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde oder als Bezirksverwaltungsbehörde tätig geworden ist, sei nämlich für die Beurteilung dieser Frage die Gesetzesnorm maßgebend, welche die Behörde angewendet habe.

Darauf ist folgendes zu erwidern:

Nach dem Einleitungsgesetz des § 94b StVO 1960 ist die Bezirksverwaltungsbehörde Behörde iS dieses BG sofern der Akt der Vollziehung nur für den betreffenden pol. Bezirk wirksam werden soll und sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde oder der Bundespolizeibehörde ergibt. Gemäß dem Einleitungssatz des § 94d StVO fällt die Besorgung der in dieser Gesetzesbestimmung aufgezählten Angelegenheiten in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, sofern der Akt der Vollziehung nur für das Gebiet der betreffenden Gemeinde wirksam werden und sich auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten, noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll. Nach den für die Bundeshauptstadt Wien geltenden Bestimmungen des B-VG hat Wien die Stellung sowohl eines Landes als auch einer Gemeinde (Art108 B-VG), der Magistrat der Stadt Wien wird auch als Bezirksverwaltungsbehörde tätig (Art109 B-VG, § 107 der Wr. Stadtverfassung, LGBl. 28/1968).

In Wien deckt sich der in § 94b StVO 1960 vorausgesetzte Bereich des pol. Bezirkes mit dem in § 94d genannten Gebiet der Gemeinde. Auch die übrigen sachlichen Voraussetzungen (Zuständigkeit hinsichtlich Straßen von der Kategorie der Schrankgasse) sind in beiden Gesetzesbestimmungen gleich. Selbst hinsichtlich der Ausübung des Aufsichtsrechtes besteht hier im Hinblick auf Art 112 B-VG (keine Anwendbarkeit des Art 119a für die Bundeshauptstadt Wien) kein Unterschied.

Unter Berücksichtigung aller dieser besonderen Umstände vertritt der VfGH die Auffassung, daß die Gesetzmäßigkeit der V nicht davon abhängig ist, ob die Behörde sich bei der Erlassung der V auf § 94b oder § 94d StVO 1960 berufen hat, daß also eine - gegebenenfalls unzutreffende - Bezeichnung der Norm, auf welche die Behörde ihre Zuständigkeit stützt, (noch) nicht zu einer Gesetzwidrigkeit der V wegen Erlassung durch eine hiefür nicht zuständige Behörde führt.

Es kann daher unerörtert bleiben, welche Bedeutung ansonsten dem Umstand zukommt, daß die Zitierung des § 94d StVO 1960 infolge der (ausschließlichen) Kundmachung der V mittels Verkehrszeichen (§44 StVO 1960) nach außen gar nicht in Erscheinung getreten ist. Ebensowenig ist auf den Einwand einzugehen, die Anführung des § 94d an Stelle des § 94b beruhe lediglich auf einem Irrtum.

3. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich auch, auf die vom VwGH für den Fall, daß mit der bekämpften V eine Fußgängerzone iS des § 76a StVO 1960 geschaffen worden sei, vorgebrachten Bedenken einzugehen. Auch über die von der Bf. des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor dem VfGH vorgebrachten inhaltlichen Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen V ist nicht zu entscheiden, weil der VfGH auf die Prüfung der vom antragstellenden Gericht vorgebrachten Bedenken beschränkt ist (s. zB VfSlg. 8253/1978, S 88).

Auf den oben unter Punkt I.1.b) aufgezeigten Umstand, daß der Inhalt des Willensaktes des Verordnungsgebers und dessen Kundmachung im vorliegenden Fall nicht zu Gänze übereinstimmen (vgl. in diesem Zusammenhang VfSlg. 7451/1974, S 448), ist ebenfalls nicht einzugehen, weil der antragstellende VwGH die Gesetzwidrigkeit der von ihm bekämpften V ausschließlich darin erblickt, daß die V von einer unzuständigen Behörde erlassen worden sei. Auf die mangelnde Übereinstimmung zwischen Verordnungstext und dessen Kundmachung hat der VwGH nämlich lediglich illustrativ hingewiesen (das diesbezügliche Vorbringen wurde in Klammer gesetzt und mit den Worten "im übrigen" eingeleitet).

4. Dem Antrag des VwGH ist daher nicht Folge zu geben.