VfGH vom 01.10.2008, v2/07
Sammlungsnummer
18579
Leitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Westautobahn; Ausdehnung einer bereits bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkung im Nahbereich der Stadt Salzburg; Erforderlichkeit der Beschränkung aufgrund der Beschaffenheit der Straße und der Unfallhäufung; Verweigerung der Übermittlung der Verordnungsakten an den antragstellenden UVS weder nachvollziehbar noch akzeptabel
Spruch
Die Anträge werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie
hat am eine Verordnung, Z 138.001/65-II/B/8/00, mit folgendem Inhalt erlassen:
"Aufgrund des § 43 Abs 1 StVO 1960, BGBl Nr. 159/60, zuletzt geändert durch BGBL I Nr. 134/99, wird verordnet:
Zur Sicherheit des sich bewegenden Verkehrs wird die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von km 284,00 bis km 300,104 der Richtungsfahrbahn München der Westautobahn A 1 auf 100 km/h beschränkt.
Durch diese Verordnung wird die ho Verordnung vom , Zahl 138.001/127-I/31-92 in der Form der Verordnung vom , Zahl 138.001/1-IA/31-97 insofern geändert, als der Beginn des örtlichen Geltungsbereiches der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h auf der Richtungsfahrbahn München der A 1 nach Osten verlegt wird. In allen übrigen Punkten bleibt die genannte Verordnung in der geänderten Form vollinhaltlich aufrecht.
Diese Verordnung ist gemäß § 44 StVO 1960 durch die entsprechenden Straßenverkehrszeichen kundzumachen."
2. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Salzburg (im Folgenden: UVS) sind acht Berufungen gegen Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung anhängig. Den Berufungswerbern wird jeweils vorgeworfen, in Hallwang, auf der A 1, auf Höhe der in der Verordnung zitierten Straßenkilometer in Richtung Salzburg, als Lenker eines PKW die in diesem Bereich kundgemachte Höchstgeschwindigkeit überschritten und dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 52 lita Z 10a Straßenverkehrsordnung 1960 (im Folgenden: StVO 1960) begangen zu haben.
3. Aus Anlass des ersten anhängigen Berufungsverfahrens ersuchte der UVS den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , VfSlg. 17.943/2006, um Vorlage der verfahrenswesentlichen Teile des Verordnungsaktes. Diesem Ersuchen hat der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie nicht entsprochen, sondern lediglich das Verordnungserlassungsverfahren in kurzen Zügen geschildert und mitgeteilt, dass der vollständige Verordnungsakt ausschließlich dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt werden würde.
Insbesondere auf Grund dieser Vorgangsweise des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie sind beim UVS Zweifel ob der Gesetzmäßigkeit der vorliegenden Verordnung entstanden, weshalb er gemäß Art 129a Abs 3 iVm Art 89 Abs 2 B-VG die beim Verfassungsgerichtshof zu V2/07, V67/07, V308/08, V340/08, V353/08, V381/08, V384/08 und V440/08 protokollierten Anträge auf Aufhebung der in Punkt I.1. zitierten Verordnung stellte. Begründend wird u.a. ausgeführt, dass es dem UVS nicht möglich gewesen sei, nähere Untersuchungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der in Rede stehenden Verordnung anzustellen.
Der UVS hegt mangels Kenntnis der Verordnungsakten das Bedenken, es sei nicht ersichtlich, aus welchen Erwägungen die für die Straßenkilometer 284,830 bis 299,730 geltende Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h bis zu Straßenkilometer 284,000 erweitert wurde. Darüber hinaus sei keine ausreichende Interessensabwägung durchgeführt worden und es sei nicht erkennbar, ob vor der Verordnungserlassung ein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei.
4. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der er den Ausführungen des UVS entgegentritt, die Abweisung der Anträge begehrt und insbesondere auch ausführt, dass er zur Übermittlung der Verordnungsakten an den UVS nicht verpflichtet sei.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat die Anträge gemäß § 187 ZPO in Verbindung mit § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über sie erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieser Behörde in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 14.464/1996, 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003).
Es ist offensichtlich, dass der UVS bei seiner Entscheidung über die bei ihm anhängigen Berufungen die Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom , deren Übertretung Voraussetzung für die Bestrafung der Berufungswerber ist, anzuwenden hat.
Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art 139 Abs 1 B-VG und Art 129a Abs 3 iVm Art 89 Abs 2 und 3 B-VG zulässig.
2. In der Sache:
2.1. Vorweg sieht sich der Verfassungsgerichtshof zu folgender Bemerkung veranlasst:
In seinem Erkenntnis vom , VfSlg. 17.943/2006, auf das der UVS in seiner Aufforderung an die verordnungserlassende Behörde zur Vorlage der Verordnungsakten ausdrücklich hingewiesen hat, hat der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich ausgesprochen, dass eine verordnungserlassende Behörde gemäß Art 22 B-VG einem UVS, der gegen eine in einem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwendende Verordnung aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken hegt, insoweit zur Hilfeleistung verpflichtet ist, als der UVS dieser Hilfe zu einer dem § 57 VfGG entsprechenden Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bedarf, was insbesondere auch die Übermittlung der Verordnungsakten einschließt. Wenn auch das Zuwiderhandeln der verordnungserlassenden Behörde gegen diese sich aus Art 22 B-VG ergebende verfassungsgesetzliche Verpflichtung keine Sanktionen nach sich zieht, ist die Vorgangsweise der verordnungserlassenden Behörde schon aus verfahrensökonomischen Gründen weder nachvollziehbar noch akzeptabel.
2.2. § 43 Abs 1 litb StVO 1960 sieht die Erlassung dauernder oder vorübergehender Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung vor, wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert.
Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg. 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen wiederholte (vgl. VfSlg. 13.371/1993, 14.051/1995, 15.643/1999, 16.016/2000, 16.805/2003, 17.573/2005), sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach § 43 StVO 1960 die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für die die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Der Verfassungsgerichtshof geht sohin in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Verkehrsbeschränkungen oder -verboten durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie gegenüber anderen Straßen die Verhängung einer Geschwindigkeitsbeschränkung gebieten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer Verordnung gemäß § 43 StVO 1960 die im Einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993, 17.573/2005).
Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung "der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse" durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl. VfSlg. 12.485/1990, 16.805/2003).
2.3.1. Mit Verordnung des (damaligen) Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom , in der Folge mehrmals erweitert (Verordnungen vom und vom ), wurde aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere zur Hintanhaltung von Unfallgefahren, u.a. für den Nahbereich der Stadt Salzburg eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h beginnend ab
Straßenkilometer 284,830 bis 299,730; auf 80 km/h beginnend ab
Straßenkilometer 299,730 bis 300,328; auf 60 km/h beginnend ab
Straßenkilometer 300,328 bis 300,933; und auf 30 km/h beginnend ab Straßenkilometer 300,933 bis zur Staatsgrenze auf der Richtungsfahrbahn München erlassen.
Mit der nunmehr angefochtenen Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom wurde zur Sicherheit des sich bewegenden Verkehrs der örtliche Geltungsbereich der bestehenden Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h auf der Richtungsfahrbahn München von Straßenkilometer 284,830 auf Straßenkilometer 284,000 erweitert.
2.3.2. Aus dem Verordnungsakt ist ersichtlich, dass auf Grund eines Schreibens der Gemeinde Hallwang vom ein Ermittlungsverfahren zur Ausdehnung der bereits bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkung eingeleitet wurde. In diesem Schreiben wird ausgeführt, dass die Autobahn im Bereich des Ortes Hallwang (Richtungsfahrbahn München, Straßenkilometer 284,000 bis 284,830) ein starkes Gefälle aufweise und in eine lang gezogene Linkskurve münde, in deren Anschluss die bereits bestehende Geschwindigkeitsbeschränkung beginne. Auf Grund der Beschaffenheit der Straße sowie des daran anschließenden Beginns der Geschwindigkeitsbeschränkung habe sich im betreffenden Streckenabschnitt eine überdurchschnittliche Zahl von Unfällen ereignet.
Das Amt der Salzburger Landesregierung befürwortete mit Schreiben vom die Verlegung des Beginns der Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit von Straßenkilometer 284,830 auf Straßenkilometer 284,000, weil es in diesem Bereich zu einer Zunahme von Verkehrsunfällen gekommen sei und sich in diesem Bereich eine "Betriebsumkehr" befinde, die von Fahrzeugen des Straßenerhalters häufig frequentiert werde.
Mit Schreiben vom teilte auch das Landesgendarmeriekommando für Salzburg mit, dass es eine Ausdehnung der Geschwindigkeitsbeschränkung von Straßenkilometer 284,830 auf 284,000 unterstütze. Im Jahr 1999 sei eine Zunahme der Verkehrsunfälle auf Grund überhöhter Geschwindigkeit in diesem Bereich zu beobachten gewesen. Darüber hinaus würde die "Betriebsumkehr" Hallwang auch von betriebsfremden Personen benützt werden. Das Einbinden in den fließenden Verkehr könne mit der vorgesehenen Maßnahme gefahrloser erfolgen.
2.4. Vor dem Hintergrund der von der verordnungserlassenden Behörde vorgelegten Verordnungsakten teilt der Verfassungsgerichtshof die Bedenken des UVS nicht:
Soweit der UVS vorbringt, es handle sich bei dem in Rede stehenden Straßenabschnitt nicht um eine unfallträchtige Straße, ist ihm entgegenzuhalten, dass es zu einer Zunahme von Verkehrsunfällen gekommen ist und dass die Verhältnisse an der in Rede stehenden Straßenstrecke - wie bereits unter Punkt II.2.3.2. dargelegt - derart beschaffen sind, dass sie gegenüber anderen Straßen die Verhängung einer Geschwindigkeitsbeschränkung erforderlich machen.
Es kann der verordnungserlassenden Behörde daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie zur Sicherheit des sich bewegenden Verkehrs, insbesondere zur Hintanhaltung von Verkehrsunfällen, nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens für den in Rede stehende Streckenabschnitt der A 1, Richtungsfahrbahn München, eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h für erforderlich hält.
Die Anträge des UVS waren daher abzuweisen.
2.5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.