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VfGH vom 12.10.1983, V18/82

VfGH vom 12.10.1983, V18/82

Sammlungsnummer

9818

Leitsatz

StVO 1960; gesetzwidriges Zustandekommen einer V infolge Verletzung der Pflicht zur Anhörung einer gesetzlichen Interessenvertretung gemäß § 94f Abs 1 litb Z 2

Spruch

Die V des Magistrates der Stadt Wien vom , Z MA 46-B 8-108/78/Kis/Kle, betreffend ein Halteverbot in Wien I., Schmerlingplatz, war gesetzwidrig.

Die Wr. Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid der Wr. Landesregierung vom , Z MA 70-IX/M-140/80/Str, wurde über Dr. Ernst M wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs 1 lita StVO 1960 - begangen am in Wien I., Schmerlingplatz 11, durch Abstellen eines PKWs in einerdeutlich sichtbar beschilderten Halteverbotszone - gemäß § 99 Abs 3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe von 300 S, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe von 12 Stunden verhängt.

1.1.2. Dazu ist festzuhalten, daß der Magistrat der Stadt Wien am zur Z MA 46-B 8-108/78/Kis/Kle gemäß § 90 StVO 1960 der Baufirma K für Gleisbauarbeiten im Auftrag der Wr. Stadtwerke-Verkehrsbetriebe in der Zeit vom bis in Wien I., Schmerlingplatz, eine sogenannte Baustelleneinrichtungsfläche in der Verbindungsfahrbahn Museumstraße - Schmerlingplatz auf Seite des Justizpalastes straßenpolizeilich bewilligt und in diesem Zusammenhang kraft § 43 Abs 1 StVO 1960 (§94d Z 4 StVO 1960) ua. die Verkehrsmaßnahme "Aufstellen von VZ gemäß § 52/13b" (das ist Verbotszeichen gemäß § 52 Z 13b StVO 1960) "entlang der Baustelleneinrichtungsfläche" verordnet hatte.

1.2.1. Gegen diesen zu 1.1.1. bezeichneten Berufungsbescheid richtete sich eine auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde des Bescheidadressaten Dr. Ernst M an den VfGH (protokolliert zu B417/81), in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, ferner hilfsweise gemäß Art 144 Abs 2 (gemeint: Abs 3) B-VG die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wurde.

1.2.2. Im Zuge der verfassungsgerichtlichen Beratung über diese Beschwerde entstanden Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der V des Magistrates der Stadt Wien vom , Z MA 46-B 8-108/78/Kis/Kle, betreffend ein Halteverbot in Wien I., Schmerlingplatz.

1.2.3.1. Der VfGH faßte daraufhin (am ) den Beschluß, diese V gemäß Art 139 Abs 1 B-VG von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

1.2.3.2. In der Begründung des Prüfungsbeschlusses heißt es ua. wörtlich:

"... Gemäß § 94f Abs 1 lita Z 3 bzw. litb Z 2 StVO 1960 ist vom Verordnungsgeber vor Erlassung einer Verordnung (wie hier erkennbar nach § 43 StVO 1960), außer bei Gefahr im Verzuge, 'wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe' anzuhören.

Der Bf. macht geltend, daß aufgrund dieser Vorschrift im gegebenen Fall den Umständen nach (auch) der zuständigen Rechtsanwaltskammer Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen gewesen wäre.

Es scheint nun, daß die Erlassung eines Halteverbotes für die Fahrbahn entlang einer Teilfront des Justizpalastes in 1010 Wien, Schmerlingplatz (mit Parkmöglichkeiten) in der Tat jedenfalls berufliche Interessen der Angehörigen des Rechtsanwaltsstandes berührte: Denn die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes erfordert in nicht unwesentlichem Umfang den Besuch dieses mehrere teils zentrale Justizbehörden beherbergenden Gebäudes und läßt insoweit besonderen Bedarf an Parkplätzen in der unmittelbaren Umgebung des Schmerlingplatzes entstehen.

So gesehen, ergibt sich aber das Bedenken, daß die verordnungsgebende Behörde - die nach den vorgelegten Verwaltungsakten zwar die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien, aber nicht die Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. als gesetzliche Interessenvertretung der Berufsgruppe der Rechtsanwälte anhörte - die in Rede stehende generelle Norm in einem nicht den Bestimmungen des § 94f StVO 1960 entsprechenden Verfahren erließ, indem sie eine ihr zwingend obliegende gesetzliche Anhörungspflicht verletzte (vgl. VfSlg. 8086/1977), in welchem Fall diese Verordnung - es scheint sich um keine Maßnahme nach § 44b StVO 1960 zu handeln - gesetzwidrig wäre ..."

1.2.4.1. Die Wr. Landesregierung gab im Verordnungsprüfungsverfahren eine Äußerung ab und verteidigte darin die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung.

1.2.4.2. In dieser Stellungnahme brachte die Wr. Landesregierung ua. vor:

"... vor Erlassung der gegenständlichen Verordnung (konnte) kein Anlaß gefunden werden ..., die Rechtsanwaltskammer zu hören, weil die Interessen der Mitglieder dieser Kammer nicht maßgeblich durch die gegenständliche Verordnung berührt erschienen und überdies zahlreiche andere Interessenvertretungen, deren Mitglieder durch die Verordnung in eine vergleichsweise ähnliche Lage versetzt wurden, gleichfalls nicht gehört worden sind. Lediglich die Kammer der gewerblichen Wirtschaft war gehört worden, wobei von dieser Kammer eine Vertretung des von allen potentiellen Parkern wohl eingenommenen Standpunktes, nämlich ein Eintreten für die Nichtverordnung des gegenständlichen Halteverbotes, angenommen werden konnte, sodaß das Interesse auf möglichste Einschränkung von Parkbeschränkungen ausreichend vertreten schien.

Die Wr. Landesregierung hält daher die Gesetzmäßigkeit der Verodnung ..., betreffend ein Halteverbot in Wien I., Schmerlingplatz, für gegeben. Dies insbesondere deshalb, da nicht speziell Interessen der Berufsgruppe der Rechtsanwälte berührt wurden, sondern diese nur eine der zahlreichen Gruppen von Personen sind, die häufig Interesse am Parken im Bereich des Tatortes (Wien I., Schmerlingplatz) haben. Da es sich bei der in Rede stehenden Verkehrsbeschränkung im übrigen um ein vorübergehendes Halteverbot iZm. Gleisbauarbeiten im Auftrag der Wr. Stadtwerke-Verkehrsbetriebe gehandelt hat (das daher auch mit mobilen Verkehrszeichen kundgemacht war), konnten die Interessen der Rechtsanwälte nicht in einem solchen Maße berührt werden, daß nicht das technisch bedingte Interesse an der Aufstellung desselben überwogen hätte, zumal durch das genannte Halteverbot nicht jedwede Parkmöglichkeit in der näheren Umgebung des Justizpalastes genommen wurde. Im übrigen kann noch auf die bekannte Existenz einiger Tiefgaragen im umliegenden Bereich, wie zB Garage am Messepalast, Rathausplatzgarage usw., verwiesen werden, die durchaus nicht voll ausgelastet sind, wodurch ein allfälliger Parkraummangel entschärft wird.

Es wurde daher die in Rede stehende generelle Norm in einem den Bestimmungen des § 94f StVO 1960 entsprechenden Verfahren erlassen, weshalb sie gesetzmäßig ist, auch wenn es sich um keine Maßnahmenach § 44b StVO 1960 gehandelt hat ..."

2. Der VfGH hat erwogen:

2.1. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist zulässig.

Die in Prüfung stehende V bildet eine der Rechtsgrundlagen des angefochtenen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Berufungsbescheides; sie ist demnach auch bei Fällung des Erk. über die vom Bf. ergriffene Beschwerde gemäß Art 144 Abs 1 B-VG anzuwenden und somit in dieser Beschwerdesache präjudiziell iS des Art 139 Abs 1 Satz 1 B-VG.

2.2. Die Bedenken des VfGH sind begründet.

2.2.1. § 94f Abs 1 litb Z 2 StVO 1960 schreibt zwingend vor, daß die Gemeinde (§94d StVO 1960) vor Erlassung einer entsprechenden V - außer bei Gefahr im Verzuge - dann, wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe anzuhören hat (s. dazu VfSlg. 7781/1976). Wird diese Anhörungspflicht verletzt, haftet der V ein formaler Mangel an. Sie ist - wegen Verstoßes gegen § 94f Abs 1 litb Z 2 StVO 1960 - gesetzwidrig (VfSlg. 8086/1977).

2.2.2.1. Dies trifft hier wegen der verabsäumten Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretung der Rechtsanwälte zu.

Die von der bel. Beh. sinngemäß verfochtene Auffassung, daß es mit der Anhörung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft das Bewenden haben konnte, weil von dieser Körperschaft ohnedies eine ablehnende Haltung zur beabsichtigten Verordnungserlassung und damit eine ausreichende Vertretung aller auf Reduzierung von Parkbeschränkungen abzielenden Interessen zu erwarten gewesen sei, steht mit der Bestimmung des § 94f Abs 1 litb Z 2 StVO 1960 nicht im Einklang. Denn "anzuhören" iS dieser Gesetzesvorschrift ist die gesetzliche Interessenvertretung jener Berufsgruppe, deren Mitglieder durch die V in ihren Interessen berührt werden, und zwar vollkommen unabhängig davon, ob die Interessen dieser Kammerangehörigen bereits von einer oder mehreren anderen (fremden) gesetzlichen Berufsvertretungen (zureichend) wahrgenommen werden. Auch hängt die Anhörungspflicht - der Rechtsmeinung der bel. Beh. zuwider - nicht davon ab, ob hier die Interessen der Rechtsanwälte in einem Maß tangiert wurden, das die technisch bedingten Interessen auf Halteverbotserlassung überwog, weil sich diese - die Sachentscheidung selbst betreffende - Frage ja eben erst nach Anhörung der entsprechenden Interessenvertretung verläßlich und erschöpfend beantworten läßt.

Dementsprechend kann nicht zweifelhaft sein, daß vorliegend die in Aussicht genommene Erlassung des in Rede stehenden Halteverbotes mit Rücksicht auf den Bestimmungszweck des Justizpalastes und angesichts der dort gegebenen örtlichen Verhältnisse berufliche Interessen (jedenfalls) der Rechtsanwälte im allgemeinen - und nicht etwa nur des einen oder anderen Angehörigen dieses Berufsstandes - iS einer Erschwerung der Berufsausübung "berühren" mußte, wie schon in den Gründen des Prüfungsbeschlusses zutreffend dargelegt wurde.

2.2.2.2. Unter diesen Umständen - Gefahr im Verzug wurde nicht geltend gemacht und lag, wie der Akteninhalt zeigt, auch tatsächlich nicht vor - ergibt sich, daß die V nicht gesetzmäßig zustande kam. Da sie infolge ihrer zeitlichen Befristung (bis ) derzeit nicht mehr in Kraft steht, hatte der VfGH gemäß Art 139 Abs 4 B-VG lediglich auszusprechen, daß diese Norm gesetzwidrig war.

2.2.3. Die Verpflichtung der Wr. Landesregierung zur Kundmachung erfließt aus Art 139 Abs 5 B-VG.