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VfGH vom 13.06.2016, V152/2015 ua

VfGH vom 13.06.2016, V152/2015 ua

Leitsatz

Abweisung von Anträgen des Bundesverwaltungsgerichts auf Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Bestimmungen der FremdenpolizeiG-DurchführungsV; hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage

Spruch

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

Mit den vorliegenden, auf Art 139 Abs 1 Z 1 B VG gestützten Anträgen begehrt das Bundesverwaltungsgericht, festzustellen, dass § 9a Abs 4 und § 21 Abs 9 der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (Fremdenpolizeigesetz-Durchführungsverordnung – FPG-DV), BGBl II 450/2005 idF BGBl II 143/2015, gesetzwidrig waren.

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtenen Verordnungsbestimmungen sind hervorgehoben):

1. Art 2 und 28 der Verordnung (EU) Nr 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin-III-VO), lauten auszugsweise wie folgt:

"Artikel 28

Haft

(1) […]

(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3) - (4) […]"

"Artikel 2

Definitionen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a) – m) […]

n) 'Fluchtgefahr' das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte."

2. § 76 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005FPG), BGBl I 100/2005, lautete in der bis in Geltung gestandenen Fassung der Novelle BGBl I 87/2012 wie folgt:

"Schubhaft und gelinderes Mittel

Schubhaft

§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Anordnung zur Außerlandesbringung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

(1a) Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Das Bundesamt kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare – wenn auch nicht rechtskräftige – Rückkehrentscheidung erlassen wurde;

2. gegen ihn ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gemäß § 27 AsylG 2005 eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Anordnung zur Außerlandesbringung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

(2a) Das Bundesamt hat über einen Asylwerber Schubhaft anzuordnen, wenn

1. gegen ihn eine zurückweisende Entscheidung gemäß §§4a oder 5 AsylG 2005 und eine durchsetzbare Anordnung zur Außerlandesbringung oder eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder ihm gemäß § 12a Abs 1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt;

2. eine Mitteilung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 bis 6 AsylG 2005 erfolgt ist und der Asylwerber die Gebietsbeschränkung gemäß § 12 Abs 2 AsylG 2005 verletzt hat;

3. der Asylwerber die Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005 mehr als einmal verletzt hat;

4. der Asylwerber, gegen den gemäß § 27 AsylG 2005 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet wurde, der Mitwirkungsverpflichtung gemäß § 13 Abs 2 BFA VG nicht nachgekommen ist;

5. der Asylwerber einen Folgeantrag (§2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, oder

6. sich der Asylwerber gemäß § 24 Abs 4 AsylG 2005 ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat, soweit eine der Voraussetzungen des Abs 2 Z 1 bis 4 vorliegt,

und die Schubhaft für die Sicherung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstehen.

(3) Die Schubhaft ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(4) (Anm.: aufgehoben durch BGBl I Nr 87/2012)

(5) Wird eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrecht erhalten werden. Liegen die Voraussetzungen des Abs 2 oder 2a vor, gilt die Schubhaft als nach Abs 2 oder 2a verhängt. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft gemäß Abs 2 oder 2a ist mit Aktenvermerk festzuhalten.

(7) (Anm.: aufgehoben durch BGBl I Nr 87/2012)".

3. § 9a der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (Fremdenpolizeigesetz-Durchführungsverordnung – FPG-DV), BGBl II 450/2005, lautete in der am in Kraft getretenen Fassung der Novelle BGBl II 143/2015 wie folgt:

"Grundsätze bei der Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des FPG

§9a. (1) Für die Durchsetzung der gemäß dem 7., 8. und 11. Hauptstück eingeräumten Befugnisse und der durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erteilten Auftrage gilt für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes § 13 Abs 3 FPG sinngemäß.

(2) Als Rückübernahmeabkommen gemäß § 52 Abs 3 FPG gelten nur solche, die bereits zum in Geltung gestanden haben.

(3) Im Rahmen von Abschiebungen gemäß § 46 FPG, die auf dem Luftweg durchgeführt werden, ist der Entscheidung des Rates 2004/573/EG betreffend die Organisation von Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die individuellen Rückführungsmaßnahmen aus dem Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten, ABl. Nr L 261 vom S. 28, Rechnung zu tragen.

(4) Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr im Sinne des § 76 FPG liegen vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§2 Abs 1 Z 23 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl I Nr 100) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs 3 Z 1 bis 3 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG), BGBl I Nr 87/2012, angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Verordnung (EU) Nr 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), ABl. L 180 vom , S. 31, zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§56 oder 71 FPG,§ 13 Abs 2 BFA VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes."

4. Der zeitliche Geltungsbereich dieser Novellierung wurde in der Schlussbestimmung des § 21 Abs 9 FPG-DV in der Fassung BGBl II 143/2015 wie folgt geregelt:

"(9) § 9a Abs 4 in der Fassung der Verordnung der Bundesministerin für Inneres BGBl II Nr 143/2015, tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft. § 9a Abs 4 tritt mit Ablauf des außer Kraft."

5. Die Novelle BGBl I 70/2015 setzte auch § 76 FPG in der oben genannten Fassung mit Ablauf des außer Kraft. Seit lautet die Bestimmung wie folgt:

"Schubhaft und gelinderes Mittel

Schubhaft

§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art 28 Abs 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs 2 Z 1 oder im Sinne des Art 2 litn Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs 3 Z 1 bis 3 BFA VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§56 oder 71 FPG,§ 13 Abs 2 BFA VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs 8 und § 12 Abs 1 BFA VG gelten sinngemäß."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem zu V152/2015 protokollierten Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom wurde über die beteiligte Partei gemäß Art 28 Dublin-III-VO, § 76 Abs 2a Z 1 FPG und § 9a Abs 4 FPG DV Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet und einer allfälligen Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt. Die Schubhaft wurde daraufhin im Polizeianhaltezentrum Hernalser-Gürtel vollzogen und endete am durch Abschiebung der beteiligten Partei nach Italien.

1.2. Die mit Schriftsatz vom gemäß § 22a Abs 1 BFA VG an das Landesverwaltungsgericht Wien erhobene Schubhaftbeschwerde wurde am an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet.

2. Mit Beschluss vom stellte das Bundesverwaltungsgericht daraufhin gemäß Art 139 Abs 1 Z 1 B VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, festzustellen, dass § 9a Abs 4 und § 21 Abs 9 FPG DV idF BGBl II 143/2015 gesetzwidrig waren. Das Bundesverwaltungsgericht begründete diesen Antrag dabei wie folgt:

"2. Zulässigkeit des Antrags

1. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 135 Abs 4 und Art 139 Abs 1 Z 1 B VG berechtigt, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung einer ordnungsgemäß kundgemachten Verordnung zu stellen, gegen deren Anwendung es aus dem Grund der Gesetzmäßigkeit Bedenken hegt.

2. Mit dem hg. angefochtenen Bescheid wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft gemäß Art 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs 2a FPG iVm § 9a Abs 4 FPG-DVO verhängt. Bei der Verhängung der Schubhaft hat die hg. belangte Behörde den gesamten § 9a Abs 4 FPG-DVO angewandt, als sie den Sachverhalt unter die Verordnung subsumierte. Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Bescheides § 9a Abs 4 FPG DVO anzuwenden. § 9a Abs 4 FPG DVO ist daher zur Gänze präjudiziell.

3. Der Anwendung des § 9a Abs 4 FPG DVO steht auch nicht unmittelbar anwendbares Unionsrecht entgegen:

Die Umsetzung von Unionsrecht verlangt grundsätzlich nicht notwendigerweise ein Tätigwerden des Gesetzgebers und nach dem österreichischen Recht neben Gesetzen auch Rechtsverordnungen den Anforderungen der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union entsprechen (vgl. Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht4, 122 f.).

Anderes ergibt sich auch nicht aus der Verwendung des Wortes 'loi' in der französischen Sprachfassung des Art 2 litn Dublin-III-Verordnung: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand 42. Lfg. August 2012, Art 288 AEUV Rz 89, führt nur aus, dass die (EWG-)Verordnung bei der Gründung der EWG — sohin 1957 — nur deshalb nicht als Gesetz bezeichnet worden sei, weil dieser Terminus insbesondere nach dem französischen Rechtsverständnis nur für das vom Parlament erlassene Gesetz gelten solle. Die Bezeichnung Verordnung sei gewählt worden, weil die Zuständigkeit für die Rechtshandlung vor allem in den Frühzeiten des Integrationsprozesses ausschließlich bei den nicht unmittelbar demokratisch legitimierten Unionsorganen Rat und Kommission gelegen sei. Ursprünglich hätte die Begrifflichkeit der gestiegenen Legitimation des unionsrechtlichen Gesetzgebungsverfahrens angepasst werden sollen, weshalb der Verfassungsvertrag in seinem Artikel 1-33 die Bezeichnung 'Europäisches Gesetz' vorgesehen habe. Mit dem Entschluss, im Rahmen des Lissabonner Vertrages auf die Verwendung staatlicher Symbolik zu verzichten, sei allerdings auch hier die entsprechende Bezeichnung entfallen. Dies ändere allerdings nicht[s] daran, dass es sich inhaltlich um einen Akt materieller Gesetzgebung handle.

Eben dieser materielle Gesetzesbegriff prägt aber auch die 2000 proklamierte Grundrechtecharta, ABI. , C83, 389 (vgl. Rumler-Korinek/Vranes in Holoubek/Lienbacher [Hrsg.], GRC-Kommentar, Art 52 Rz 10 ff.).

Art6 GRC sichert jedem Menschen das Recht auf Freiheit und Sicherheit zu. Laut den Erläuterungen zu Art 6 GRC entsprechen die Rechte nach Art 6 GRC den Rechten, die durch Art 5 EMRK garantiert sind, denen sie nach Art 52 Abs 3 GRC an Bedeutung und Tragweite gleichkommen (Erläuterungen zu Art 6 GRC; vgl. Schramm in Holoubek/Lienbacher [Hrsg.], GRC-Kommentar, 2014, Art 6 GRC, Rz 19 f.). Gemäß Art 5 Abs 1 EMRK darf die Freiheit einem Menschen nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden ('Nul ne peut être privé de sa liberté, sauf ... selon les voies légales.'). In der Europäischen Menschenrechtskonvention taucht der Gesetzesbegriff an verschiedenen Stellen als zentrale Voraussetzung für einen rechtmäßigen Eingriff in die jeweils angeführten Menschenrechte auf. Die Formulierungen stimmen nicht immer exakt überein. So wird der Gesetzesvorbehalt in der französischen Fassung der Art 8-11 Abs 2 EMRK einheitlich durch die Formulierung 'prévues par la loi' ausgedrückt, während Art 5 Abs 1 2. Satz EMRK den Terminus 'selon les voies légales' verwendet. Es besteht gleichwohl Einigkeit darüber, dass aus den unterschiedlichen Ausdrucksweisen keine entsprechenden Schlüsse gezogen werden können, sondern dass der Konvention vielmehr ein einheitlicher Begriff des Gesetzes zugrunde zu legen ist. Angesichts der Bedeutung des Gesetzesvorbehalts kann dies gar nicht anders sein. Unter den Gesetzesbegriff fallen Gesetze im formellen und materiellen Sinn. Rechtsverordnungen der Exekutive stellen eine ausreichende Eingriffsgrundlage dar, soweit sie sich im Rahmen einer entsprechenden Ermächtigung durch die Legislative halten (Renzikowski in Pabel/Schmahl [Hrsg.], Internationaler Kommentar zur EMRK, 7. Lfg. 2004, Art 5 EMRK Rz 73 f.). Somit können auch Exekutive und intermediäre Gewalten Gesetze im Charta-Sinn erlassen (Rumler/Korinek in Holoubek/Lienbacher [Hrsg.], GRC-Kommentar, 2014, Art 52 Rz 13).

Laut dem 39. Erwägungsgrund steht die Dublin-III-VO im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der GRC anerkannt wurden. Die Verordnung sollte daher in diesem Sinn angewendet werden. Wenn nun die französische Sprachfassung die Festlegung von Kriterien für die Fluchtgefahr 'définis par la loi' verlangt und dabei Art 6 GRC, folglich Art 5 Abs 1 EMRK ('selon les vois légales', 'conformément à la loi', 'prescrite par la loi') entsprechen soll, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Art 2 litn Dublin-III-VO ein von Art 6 GRC, Art 5 Abs 1 EMRK abweichender bzw. über diese Bestimmungen hinausgehender Bedeutungsgehalt zukommt. Dies ergibt sich auch nicht aus [dem] Art 28 betreffenden 20. Erwägungsgrund der Dublin-III-VO. Auch in den vorbereitenden Dokumenten (zB COM[2013] 416 final, 2008/0243 [COD], S 6, vom ) finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Verwendung des Begriffes 'loi' ein auf die Gründung der EWG 1957 zurückgehendes, im Verhältnis zu Art 6 GRC iVm Art 5 Abs 1 EMRK eingeschränktes Begriffsverständnis intendiert war.

Umgekehrt ist es vielmehr so, dass der Unionsrechtssetzer dort, wo er mehr oder minder direkt auf die Grundrechtecharta rekurriert, den Begriff 'Gesetz' bzw. 'loi' verwendet (so zB in Erwägungsgrund 13 der am selben Tag wie die Dublin-III-VO erlassenen VO 603/2013, die entsprechend Art 8 GRC ['Ces données doivent être traitées loyalement, à des fins déterminées et sur la base du consentement de la personne concernée ou en vertu d´un autre fondement légitime prévu par la loi.'] vorsieht, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz 'doit être conforme à la loi, qui doit être formulée avec une précision suffisante ...'; zum materiellen Gesetzesbegriff des Art 8 GRC vgl. N. Raschauer/Riesz in Holoubek/Lienbacher [Hrsg.], GRC-Kommentar, 2014, Art 8 Rz 33).

Ein Begriffsverständnis, das je nachdem, ob in der französischen Sprachfassung die Wörter 'loi' oder 'droit' verwendet werden, einen anderen Bedeutungsgehalt unterstellt, würde dazu führen, dass die Festlegung der Kriterien für die Fluchtgefahr, die die Haftgründe betreffend Asylwerber im Dublinverfahren im Rahmen des Art 28 Dublin-III-VO darstellen, im Gesetzesrang zu erfolgen hätte, während für die Festlegung der Haftgründe für alle anderen Asylwerber gemäß der am selben Tag wie die Dublin-III-VO erlassenen RL 2013/33/EU innerstaatlich eine Verordnung hinreichend wäre (Art8: 'Haftgründe werden im einzelstaatlichen Recht geregelt.' bzw. 'Les motifs du placement en rétention sont definis par le droit national.'). Eine sachliche Rechtfertigung hiefür wäre aber weder im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung dieser beiden Gruppen von Asylwerbern, noch im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip erkennbar.

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat nicht ausgesprochen, dass Art 2 litn Dublin-III-VO einen formellen Gesetzesbegriff verwendet: Soweit er von 'gesetzlich festgelegten' Kriterien spricht, gibt er den Wortlaut der Dublin-III-VO wieder. Er zitiert zwar den eingangs genannten Beschluss des deutschen Bundesgerichtshofes in einem Klammerausdruck, löst aber nur die in seinem Verfahren präjudizielle Rechtsfrage, ob ein Rückgriff auf die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für das Vorliegen von Fluchtgefahr den Anforderungen des Art 2 litn Dublin-III-VO genügt. Die darüber hinausgehenden Erwägungen des deutschen Bundesgerichtshofes zum formellen Gesetzesbegriff gibt der Verwaltungsgerichtshof nicht wieder und führt auch (mangels Präjudizialität dieser Frage in dem bei ihm anhängigen Verfahren) hiezu nichts aus (zB ; Ro 2015/21/0002; , Ro 2014/21/0077).

4. § 9a Abs 4 FPG DVO trat gemäß § 21 Abs 9 FPG DVO am außer Kraft. Auch außer Kraft getretene Verordnungen können Gegenstand einer Prüfung sein, sofern sie im Anlassverfahren noch anzuwenden sind. Dies ist bei der Überprüfung des Schubhaftbescheides der Fall, da diesfalls maßgeblich ist, ob der angefochtene Bescheid nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Erlassung rechtmäßig war (vgl. ; , 2009/21/0208; , 2010/21/0120).

Gemäß Art 89 Abs 3 iVm Art 135 Abs 4 B VG hat der Antrag an den Verfassungsgerichtshof die Entscheidung zu begehren, dass die Rechtsvorschrift gesetzwidrig, verfassungswidrig oder rechtswidrig war, wenn die vom Gericht anzuwendende Rechtsvorschrift bereits außer Kraft getreten ist.

3. Bedenken

3.1. Rechtslage […]

3.1.2. Die Dublin III-VO trat […] am in Kraft und ist gemäß Art 49 leg.cit. auf alle Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Im – gegenüber der Dublin II-VO neuen – Art 28 Dublin III-VO ist die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung im Dublin-Verfahren geregelt. Schubhaft zur Sicherstellung einer Überstellung nach der Dublin III-VO kommt nur auf Grundlage von Art 28 dieser Verordnung, der autonome Vorschriften für die Inhaftnahme von Fremden zum Zweck der Überstellung in den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat enthält, in Betracht (; vgl. auch ).

Gemäß Art 28 Dublin III-VO dürfen die Mitgliedstaaten zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird. Die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs darf, wenn der Asylwerber in Haft ist, einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Dublin-Verfahren führt, ersucht in diesen Fällen um eine dringende Antwort, die spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs erfolgen muss. Die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt, sobald diese praktisch durchführbar ist, spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung mehr hat. Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten.

'Fluchtgefahr' definiert Art 2 litn Dublin III-VO als das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte.

Hiezu sprach der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis , Ro 2014/21/0075 aus: 'Die Bestimmungen der Z 2 und der Z 4 des § 76 Abs 2 FrPolG 2005 enthalten für sich betrachtet keine – gesetzlich festgelegten – objektiven Kriterien für die Annahme von (erheblicher) Fluchtgefahr iSd Dublin III-VO. Vielmehr knüpft der dort jeweils als Grund für die Anordnung von Schubhaft genannte Umstand im gegebenen Zusammenhang nur an die Führung eines Verfahrens nach der Dublin III-VO an, was für sich genommen deren Art 28 Abs 1 widersprechen würde. Dass die Dublin III-VO eine ausdrückliche Festlegung der objektiven Kriterien für die Annahme von (erheblicher) Fluchtgefahr im Gesetz verlangt, ist nach dem eindeutigen, keiner anderen Auslegung zugänglichen Wortlaut des Art 2 litn Dublin III-VO ganz klar, sodass es diesbezüglich auch keiner Befassung des EuGH nach Art 267 AEUV bedarf. Art 2 litn Dublin III-VO verlangt unmissverständlich gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der im Unionsrecht für die Verhängung von Schubhaft normierten Voraussetzung des Vorliegens von 'Fluchtgefahr'. Ein Rückgriff auf Kriterien, die der VwGH in seiner bisherigen Judikatur vor allem zum Tatbestand der Z 4 des § 76 Abs 2 FrPolG 2005 für die Annahme von 'Fluchtgefahr' (Gefahr des 'Untertauchens') als maßgeblich angesehen hat (Hinweise E30. August 2007, 2007/21/0043; E8. Juli 2009, 2007/21/0093; E22. Oktober 2009, 2007/21/0068; E30. August 2011, 2008/21/0498 bis 0501; E19. März 2014, 2013/21/0225; E24. Oktober 2007, 2006/21/0045; E2. August 2013, 2013/21/0054; E25. März 2010, 2008/21/0617) reicht daher nicht, um den Vorgaben der Dublin III-VO zu entsprechen. Solche Umstände hätten gesetzlich determiniert werden müssen. Solange dies nicht der Fall ist, kommt Schubhaft gegen Fremde, die sich in einem Verfahren nach der Dublin III-VO befinden, zwecks Sicherstellung dieses Überstellungsverfahrens nach Art 28 der Verordnung nicht in Betracht (Hinweis BGH , V ZB 31/14).'

'Das Gleiche gilt für § 76 Abs 2a Z 1 FrPolG 2005, wird doch mit diesem Tatbestand nur an ein bestimmtes Verfahrensstadium bzw. an das ausnahmsweise Fehlen einer spezifischen Rechtsposition (nämlich des faktischen Abschiebeschutzes) angeknüpft, ohne Fluchtgefahr begründende Umstände zu umschreiben (Hinweis E19. Mai 2015, Ro 2014/21/0065 (zur ersten Variante) und E19. Mai 2015, Ro 2015/21/0016 (zur zweiten Variante)). ()'

3.1.3. Bereits am ging der Ministerialentwurf des FRÄG 2015 (92/ME XXV. GP) in Begutachtung, der folgende Neufassung des § 76 FPG enthielt:

[…]

Am langte die Regierungsvorlage zum FRÄG 2015 (RV 582 BIgNR 25. GP) im Nationalrat ein, der Innenausschuss nahm am den Gesetzesvorschlag unverändert an, am fasste der Nationalrat den Gesetzesbeschluss.

3.1.4. Am trat § 9a Abs 4 FPG DVO, kundgemacht durch BGBl II 143/2015 am , in Kraft.

[…]

3.1.5. Das FRÄG 2015 wurde im Bundesrat nach dem Beschluss im Ausschuss am am beschlossen. Das FRÄG 2015 wurde am im Bundesgesetzblatt kundgemacht.

[…]

3.2. Bedenken ob der Zuständigkeit der Bundesministerin für Inneres zur Verordnungserlassung

3.2.1. § 9a Abs 4 FPG DVO wurde ausweislich der Promulgationsklausel des BGBl II 143/2015 'auf Grund des Fremdenpolizeigesetzes 2005' idF BGBl I 144/2013 erlassen.

Das Fremdenpolizeigesetz idF vor dem FRÄG 2015 sah eine Reihe von Verordnungsermächtigungen zugunsten der Bundesministerin für Inneres, des Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten sowie der Bundesministerin für Gesundheit vor (§4, § 5 Abs 2 und 6, § 16 Abs 1, § 17 Abs 3, § 20 Abs 5, § 23 Abs 1, § 24a Abs 6, § 27a Abs 4, § 28 Abs 2, § 30 Abs 3, § 46 Abs 6, § 46a Abs 2, § 56 Abs 5, § 58 Abs 3, § 71 Abs 5, § 77 Abs 7, § 88 Abs 3, § 94a Abs 3, § 95, § 96 Abs 4, § 97 Abs 2), von denen allerdings nur die Verordnungsermächtigung bezüglich der Regelung des gelinderen Mittels der finanziellen Sicherheitsleistung gemäß § 77 Abs 7 FPG Bezug zur Schubhaft hat und keine Rechtsgrundlage für die Regelung von 'Fluchtgefahr im Sinne des § 76 FPG' darstellt.

3.2.2. Gemäß Art 18 Abs 2 B VG bedürfen Verwaltungsbehörden zur Erlassung von Durchführungsverordnungen innerhalb ihres Wirkungsbereiches keiner ausdrücklichen einfachgesetzlichen Ermächtigung. Die Bundesministerin für Inneres ist gemäß § 127 FPG zur Vollziehung der Schubhaftbestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes zuständig und daher grundsätzlich kompetent, eine Durchführungsverordnung hiezu zu erlassen.

Ungeachtet der Frage, ob vor dem Hintergrund des parlamentarischen Gesetzgebungsmonopols das 'Ob' der Verordnungserlassung der Exekutive anheimgestellt werden darf oder nicht, steht es nicht im Belieben der Verwaltungsbehörde, ob sie eine Verordnung erlässt oder nicht, da es Verwaltungsbehörden nach dem Legalitätsprinzip und dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes verwehrt ist, Entscheidungen nach Belieben zu setzen. Es muss hinreichend Anhaltspunkte geben, die eine nachvollziehbare und ausreichend begründete Entscheidung über das 'Ob' der Verordnungserlassung ermöglichen. Diese Anhaltspunkte müssen nicht durchwegs im Gesetz explizit vorgegeben sein, auch der Regelungsgegenstand kann Anhaltspunkte liefern, wie vom Ermessen Gebrauch gemacht werden kann. Art 18 Abs 2 B VG legt also als unmittelbar anwendbare Ermächtigung die Erlassung von Verordnungen in das Ermessen der Behörde und verlangt nicht, dass im Gesetz das 'Ob' der Erlassung im Sinne einer gebundenen Entscheidung vorherbestimmt wird (vgl. Rill in Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill/Schäffer-Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, B VG Art 18 Rz 88 f.).

Im Hinblick auf die Erlassung des § 9a Abs 4 FPG DVO zeigen die Anhaltspunkte aber, dass das Fremdenpolizeigesetz die Durchführung des § 76 FPG nicht in das Ermessen der Bundesministerin für Inneres stellte: Dies ergibt sich bereits aus der gleichzeitigen Erlassung des FRÄG 2015.

So versandte die Bundesministerin für Inneres am , dh. vier Tage nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, Ro 2014/21/0075, den Ministerialentwurf zum FRÄG 2015, ME 92 BIgNR 25. GP, in dessen Vorblatt, S 6, sie ausführt, dass gemäß der Dublin-Verordnung im nationalen Recht die Fluchtgefahr, die eine Inschubhaftnahme rechtfertigte, gesetzlich zu definieren sei. Derzeit entspreche § 76 FPG nicht den unionsrechtlichen Vorgaben. Die (im Ministerialentwurf) vorgesehenen Tatbestände des § 76 FPG entsprächen – so die Bundesministerin für Inneres – den Vorgaben der Neufassung der Aufnahmerichtlinie, der Rückführungsrichtlinie sowie der höchstgerichtlichen Judikatur und die Fluchtgefahr werde gesetzlich definiert. Die Regierungsvorlage, deren vorgeschlagener § 76 Abs 3 FPG ab dem zweiten Satz des § 9a Abs 4 FPG DVO abgesehen vom Entfall des Tatbestandselements des 'Sicherungsbedarfs' und von angepassten Normzitaten mit diesem ident ist, begründet die vorgeschlagene Neuerlassung des § 76 FPG u.a. damit, dass gemäß Art 2 litn Dublin-Verordnung innerstaatlich nähere Kriterien zur Beurteilung, ob Fluchtgefahr iSd Verordnung vorliege, festzulegen seien und hiemit die Anpassung an die Vorgaben der Rückführungsrichtlinie erfolge (RV 582 BIgNR 24. GP). Der Gesetzesbeschluss im Nationalrat erfolgte noch vor der Erlassung des § 9a Abs 4 FPG DVO, der Beschluss im Bundesrat noch vor der Inschubhaftnahme des Beschwerdeführers, die Publikation des FRÄG 2015 im Bundesgesetzblatt am und das Inkrafttreten des § 22a Abs 1, 1a und 2 BFA VG und des § 126 Abs 15 FPG idF FRÄG 2015 am noch während der hg. zu prüfenden Anhaltung des Beschwerdeführers.

Es ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts dem Fremdenpolizeigesetz nicht unterstellbar, dass es – sieben Tage nach dem Gesetzesbeschluss im Nationalrat über den dem § 9a Abs 4 FPG DVO entsprechenden § 76 Abs 3 FPG idF FRÄG 2015 – die Regelung genau dieses Inhalts durch Verordnung in das Ermessen der Bundesministerin stellen wollte.

Das FRÄG 2015 wurde am kundgemacht, einige Bestimmungen, darunter die Verfahrensbestimmungen zur gerichtlichen Überprüfung der Schubhaft in § 22a BFA VG und die Inkrafttretensbestimmung des § 126 Abs 15 FPG, traten bereits am in Kraft, die Neuregelung des § 76 Abs 3 FPG hingegen auf Grund der Inkrafttretensbestimmung des § 126 Abs 15 FPG erst mit . Da sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, anders etwa als betreffend § 22a BFA VG, der mit Kundmachung des FRÄG 2015 in Kraft trat, für das Inkrafttreten des § 76 Abs 3 FPG (und somit des Inhalts des § 9a Abs 4 FPG DVO) eine Legisvakanz vorzusehen, kann noch weniger unterstellt werden, dass das Fremdenpolizeigesetz das Erlassen ebendieses Inhalts vor dem vom Gesetzgeber gewählten Inkrafttretensdatum im Verordnungsweg ins Ermessen der Bundesministerin für Inneres stellen wollte. Wäre die Bundesministerin für Inneres im Übrigen tatsächlich davon ausgegangen, dass es zur gesetzlichen Definition der Fluchtgefahr nur einer Verordnung und keines Gesetzes bedurft hätte, hätte sie bereits vier Tage nach der diesbezüglichen Leitentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Februar 2015 statt des Begutachtungsentwurfs für die dementsprechende Neuerlassung des § 76 im Rahmen [des] FRÄG 2015 unmittelbar die Verordnung erlassen können.

Das Bundesverwaltungsgericht hegt daher das Bedenken, dass die Bundesministerin für Inneres zur Erlassung des § 9a Abs 4 FPG DVO unzuständig war bzw. dass § 9a Abs 4 FPG DVO ohne gesetzliche Grundlage erlassen wurde.

3.2.3. Nach der Bundesverfassung (Art18 Abs 2 B VG) sind Verordnungen nur 'auf Grund der Gesetze' zu erlassen. Das heißt, dass eine Verordnung bloß eine Regelung präzisieren darf, die inhaltlich im Wesentlichen vom Gesetz selbst getroffen oder zumindest vorgezeichnet wurde (vgl. die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes: VfSlg 7945/1976, 9226/1981, 9227/1981 ua.; Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung, 582). Soll ein Gesetz mit Durchführungsverordnung vollziehbar sein, müssen aus diesem also alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können (Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes durch das Gesetz: VfSlg 4139/1962, 4662/1964, 5373/1966, 7945/1976); eine bloße formalgesetzliche Delegation, die der Verwaltungsbehörde eine den Gesetzgeber supplierende Aufgabe zuweist, stünde mit Art 18 Abs 1 (und 2) B VG in Widerspruch (siehe VfSlg 4072/1961, 4300/1962). Die Grenze zwischen einer noch ausreichenden materiellen Bestimmtheit des Gesetzes und einer formalen Delegation wird nun in einzelnen Fällen nicht immer leicht zu bestimmen sein. Entscheidungskriterium ist hier stets die Frage, ob die im Verordnungsweg getroffene (Durchführungs-)Regelung auf ihre inhaltliche Gesetzmäßigkeit überprüft werden kann (siehe VfSlg 1932/1950, 2294/1952, 4072/1961). Bei Ermittlung des Inhalts des Gesetzes sind alle zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden auszuschöpfen: Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen lässt, was im konkreten Fall rechtens ist, verletzt die Norm die in Art 18 B VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl. u.a. VfSlg 8395/1978, 10.296/1984).

Im hg. Verfahren stützt sich der angefochtene Bescheid auf das Tatbestandselement 'Fluchtgefahr im Sinne des § 76 FPG' in § 9a Abs 4 FPG DVO.

'Fluchtgefahr' war kein Tatbestandselement des § 76 FPG idF vor dem FRÄG 2015; eine Durchführung der 'Fluchtgefahr im Sinne des § 76 FPG' durch § 9a Abs 4 FPG DVO scheidet daher bereits von vornherein aus. Da mit Inkrafttreten des § 76 FPG idF des FRÄG 2015, der erstmals das Tatbestandsmerkmal 'Fluchtgefahr' im Schubhaftverfahren einführt, § 9a Abs 4 FPG DVO außer Kraft trat, scheidet eine Konvalidation der Verordnung auf Grund des FRÄG 2015 ebenso von vornherein aus.

Im Fremdenpolizeigesetz in der bis zum Außerkrafttreten des § 9a Abs 4 FPG-DVO in Geltung gestandenen Fassung ist 'Fluchtgefahr' nur ein Tatbestandselement im Zusammenhang mit dem Widerruf der Frist für die freiwillige Ausreise und die Festlegung von Auflagen während der Frist für die freiwillige Ausreise. Auch daraus lassen sich keine hinreichenden Determinanten für die Verordnungserlassung entnehmen, kann dem Gesetzgeber doch nicht unterstellt werden, dass er in allen Fällen, in denen 'Fluchtgefahr' iSd FPG vorlag, dh. Umstände, die den [Widerruf] der Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG bzw. die Sicherung der freiwilligen Ausreise durch Auflagen gemäß § 56 FPG rechtfertigten, die (Prüfung der) Verhängung von Schubhaft anordnen wollte.

§76 Abs 2 FPG idF vor dem FRÄG 2015 stellt auch dann keine hinreichend determinierte gesetzliche Grundlage dar, wenn man davon ausgeht, dass die von § 9a Abs 4 FPG DVO definierte 'Fluchtgefahr im Sinne des § 76 FPG' ohnedies der bereits zum 'Sicherungsbedarf im Sinne § 76 FPG' (idF vor dem FRÄG 2015) ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht (zur Frage, ob ein Rückgriff auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Sicherungsbedarf eine hinreichende Konkretisierung des Begriffs Fluchtgefahr darstellt vgl. u.a.). Die Gleichsetzung der 'Fluchtgefahr' iSd Art 2 litn Dublin III-VO mit dem Sicherungsbedarf iSd § 76 FPG idF vor dem FRÄG 2015 sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, musste mangels gesetzlicher Determinanten – weder sah § 76 FPG idF vor dem FRÄG 2015 diesbezügliche Determinanten vor, wie die Bundesministerin für Inneres auch im Ministerialentwurf ausführt, noch das Unionsrecht, das in Art 2 litn Dublin III-Verordnung den nationalen Gesetzgebern überantwortet – eine Entscheidung des Gesetzgebers sein (und ist es seit tatsächlich auch).

Dies trifft umso mehr vor dem Hintergrund zu, dass es sich bei einer Bestimmung, die die Voraussetzungen regelt, unter welchen einer Person die persönliche Freiheit entzogen werden kann, – anders als etwa im Wirtschaftsrecht (zB VfSlg 15.468/1999) – um eine eingriffsnahe Regelung handelt, bei der die aus dem jeweiligen Grundrecht (VfSlg 14.850/1997) bzw. Art 18 B VG (VfSlg 16.566/2002) abgeleitete verfassungsrechtliche Verpflichtung zur besonders deutlichen Umschreibung der Eingriffstatbestände angesichts der Notwendigkeit, dem Eingriff im Hinblick auf das betreffende Grundrecht überhaupt erst konkrete Schranken zu setzen, vorliegt. Da der Verfassungsgerichtshof dies auch damit begründet, dass es ihm möglich sein muss, die Übereinstimmung des Verwaltungsaktes mit dem Gesetz zu überprüfen (VfSlg 10.737/1985, 11.455/1987), ist davon auszugehen, dass sich dieses Erfordernis nicht nur auf individuell-konkrete Verwaltungsakte (vgl. VfSlg 3008/1956; 10.982/1986) bezieht, sondern auch auf generell-abstrakte, so die Erlassung von Verordnungen in diesem Bereich zulässig sein sollte (s. Punkt 3.3.).

Daher hegt das Bundesverwaltungsgericht das Bedenken, dass § 9a Abs 4 FPG DVO, soweit sie definiert, wann 'Fluchtgefahr im Sinne des § 76 FPG' vorliegt, (auch auf Grund der Anforderungen des Art 5 EMRK und Art 1 PersFrBVG) entgegen Art 18 Abs 2 B VG ohne hinreichende gesetzliche Grundlage ergangen ist und nur zum Schein § 76 FPG idF vor dem FRÄG 2015 umsetzt, tatsächlich aber Art 2 litn Dublin III-VO.

3.2.4. 'Fluchtgefahr' ist ein Tatbestandselement des Art 28 Dublin III-VO, das gemäß Art 2 litn leg.cit. vom nationalen Gesetzgeber umzusetzen ist. Wie den Erläuterungen zur RV 582 BIgNR 24. GP zu entnehmen ist, handelt es sich bei dem dem Text des § 9a Abs 4 FPG DVO entsprechenden § 76 Abs 3 FPG idF FRÄG 2015 um eine Neuregelung. § 76 FPG idF vor dem FRÄG 2015 entsprach, so die Erläuterungen, nicht den unionsrechtlichen Vorgaben. In diesem Sinn führt auch der Ministerialentwurf des FRÄG 2015 aus, dass gemäß der Dublin-Verordnung die Fluchtgefahr, die eine Inschubhaftnahme rechtfertigte, im nationalen Recht (erst durch das FRÄG 2015) gesetzlich zu definieren sei (ME 92 BIgNR 25. GP, 6). § 9a Abs 4 FPG DVO stellt somit die Umsetzung des Art 2 litn Dublin III-VO dar.

Die Durchführung von Unionsrecht durch eine Rechtsverordnung ist nur zulässig, wenn eine (hinreichend bestimmte) Grundlage in einem formellen österreichischen Gesetz gegeben ist, andernfalls ist eine Umsetzung nur durch ein Gesetz zulässig (VfSlg 15.189/1998, 17.735/2005).

Diese Rechtsprechung findet – so der Verfassungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten der Grundrechte-Charta – ihren Grund darin, dass Art 18 Abs 2 B VG durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union nicht so modifiziert wurde, dass als Gesetz im Sinne dieser Verfassungsnorm auch eine unmittelbar anwendbare Vorschrift des Gemeinschaftsrechts zu verstehen ist, die ihrerseits inhaltlich ausreichend vorherbestimmt ist, um eine Verordnung zu tragen (in diesem Sinn etwa Öhlinger, Legalitätsprinzip und europäische Integration, in: FS 75 Jahre Bundesverfassung, 1995, 635, insb. 642 ff.), weil dies dazu führen würde, dass eine derartige, unmittelbar auf Gemeinschaftsrecht gegründete Verordnung der rechtlichen Kontrolle weitgehend entzogen wäre: Dem Verfassungsgerichtshof steht nämlich eine Kompetenz, generelle österreichische Rechtsnormen am Maßstab des Gemeinschaftrechts zu prüfen – wie auch Öhlinger, Verfassungsrecht 3 , 1997, 99, einräumt – nicht zu und auch der EuGH ist nicht befugt, mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften auf ihre Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht zu überprüfen; ein Widerspruch einer generellen österreichischen Rechtsvorschrift zu gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben führt (bloß) zu ihrer – von allen Staatsorgangen incidenter wahrzunehmenden – Unanwendbarkeit (vgl. 6/64, Slg. 1964, 1251, Costa/ENEL; , Rs 106/77, Slg. 1978, 629, Simmenthal II), nicht aber zu deren Aufhebung (VfSlg 15.189/1998).

Auch nach Inkrafttreten der Grundrechte-Charta erachtet der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.632/2012 nicht das gesamte Unionsrecht (so etwa die Dublin II)-VO), sondern lediglich die in der Grundrechte-Charta garantierten Rechte als Prüfungs- (und somit 'Aufhebungs-')maßstab in Verfahren der generellen Normenkontrolle in Verfahren nach Art 139 B VG, wenn die betreffende Garantie der Grundrechte-Charta in ihrer Formulierung und Bestimmtheit verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der österreichischen Bundesverfassung gleicht.

Da Art 2 litn Dublin III-VO die Fluchtgefahr nicht selbst regelt, sondern diese Regelung den Mitgliedstaaten überantwortet, liegt kein dem Erkenntnis VfSlg 17.479/2005 vergleichbares Anknüpfen an eine hinreichend bestimmte unmittelbar anwendbare Norm des Unionsrechts durch ein österreichisches Gesetz vor.

Eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage zur Umsetzung des Art 2 litn Dublin III-VO findet sich auch nicht im Fremdenpolizeigesetz:

Das Fremdenpolizeigesetz sieht (anders als in VfSlg 15.354/1998) keine ausdrückliche Verordnungsermächtigung zur Regelung der Schubhafttatbestände, sei es im nationalen, sei es im unionsrechtlichen Zusammenhang vor, die (wie etwa in VfSlg 16.921/2003; 19.569/2011) inhaltliche Determinanten für die zu erlassende Verordnung oder Verfahrensanordnungen für die Verordnungserlassung (im Sinne einer Determinierung durch Verfahren) vorsähe. Es handelt sich insbesondere bei der Regelung von Tatbestandsvoraussetzung[en] für die Verhängung von Schubhaft – anders als bei Regelungen der Wirtschaftsordnung (VfSlg 16.921/2003, 17.735/2005, 19.020/2010, 19.569/2011) – um besonders sensible Regelungen (s. ), die eine genaue Determinierung durch den Gesetzgeber erfordern (s. Punkt 3.2.3.) und sich auch (anders als in VfSlg 17.479/2005) nicht an einen Adressatenkreis richten, der auf Grund anderer Bestimmungen besonders dazu verpflichtet ist, sich über die betreffenden innerstaatlichen und unionsrechtlichen Vorschriften Kenntnis zu verschaffen.

Weder § 76 FPG noch eine andere Bestimmung des Fremdenpolizeigesetzes bietet daher eine hinreichend bestimmte Grundlage iSd Art 18 Abs 2 B VG zur Umsetzung des Art 28 iVm Art 2 litn Dublin III-VO.

Daher hegt das Bundesverwaltungsgericht das Bedenken, dass es zur Durchführung von Unionsrecht durch Verordnung an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage mangelt und § 9a Abs 4 FPG DVO aus diesem Grund gesetzwidrig ist.

3.2.5. Durchführungsverordnungen gemäß Art 18 Abs 2 B VG dürfen Gesetze nur ausführen, nicht aber gegen diese verstoßen. Mit Inkrafttreten des § 126 Abs 15 FPG idF FRÄG 2015 am verstößt § 9a Abs 4 FPG-DVO zudem gegen diese Bestimmung, die das Inkrafttreten des Inhalts des § 9a Abs 4 FPG-DVO erst mit vorsieht, in dem es das Inkrafttreten des Inhalts des § 76 FPG idF FRÄG 2015 entgegen § 126 Abs 15 FPG de facto vorverlegt.

3.3. Bedenken ob der Zulässigkeit der Regelung durch Verordnung

Artikel 5 EMRK

'Recht auf Freiheit und Sicherheit

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

a) wenn er rechtmäßig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird;

b) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird wegen Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses oder zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung;

c) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, sofern hinreichender Verdacht dafür besteht, daß der Betreffende eine strafbare Handlung begangen hat, oder begründeter Anlaß zu der Annahme besteht, daß es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;

d) wenn es sich um die rechtmäßige Haft eines Minderjährigen handelt, die zum Zwecke überwachter Erziehung angeordnet ist, oder um die rechtmäßige Haft eines solchen, die zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Behörde verhängt ist;

e) wenn er sich in rechtmäßiger Haft befindet, weil er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet, oder weil er geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher ist;

f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.'

Artikel 1 PersFrBVG

'(1) Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit).

(2) Niemand darf aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.

(3) Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist; die persönliche Freiheit darf jeweils nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

(4) Wer festgenommen oder angehalten wird, ist unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person zu behandeln und darf nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die dem Zweck der Anhaltung angemessen oder zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung am Ort seiner Anhaltung notwendig sind.'

Im Sinne des Art 1 PersFrBVG ist als 'Gesetz' ein Gesetz im formellen Sinn gemeint, auch verfassungsunmittelbare Verordnungen genügen nicht. Verordnungen ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage, eine ständige Behördenpraxis, interne Erlässe, Gewohnheitsrecht, Analogieschlüsse oder verfassungsunmittelbare Schutzpflichten aus anderen Grundrechten reichen als Grundlage eines Freiheitsentzugs nicht aus. Auch soweit es um den Anwendungsbereich des Art 5 EMRK als innerstaatliche Verfassungsbestimmung geht, muss der konventionsrechtliche Gesetzesbegriff (anders als im völker- und unionsrechtlichen Kontext) dahingehend ausgelegt werden, dass es sich um ein Gesetz im formellen Sinn oder doch um eine auf Grund eines inhaltlich determinierten formellen Gesetzes ergangene Rechtsvorschrift handeln muss. Das Determinierungsgebot des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts betrifft sowohl die materiellen Voraussetzungen des Freiheitsentzugs, als auch das zum Eingriff führende Verfahren sowie den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen. Die Verpflichtung zur Typisierung konkreter freiheitsentziehender Maßnahmen zieht zugleich erhöhte Determinierungsanforderungen im Hinblick auf ihre materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen nach sich. Eine Herabsetzung der Determinierungsintensität kann es im Anwendungsbereich des PersFrBVG nicht geben. Das einfache Gesetz hat die im Art 2 Abs 1 PersFrBVG vorgegebenen Eingriffstatbestände zu präzisieren sowie die Grundsätze für eine allfällige Ermessensübung und Interessensabwägung selbst auszuformen (Kopetzki in Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Stand 5. Lfg. 2002, PersFrG Art 1 Rz 55).

Der Verfassungsgerichtshof geht darüber hinaus im Hinblick auf eingriffsnahe Gesetze bei Aufenthaltsverboten davon aus, dass 'gesetzlich' iSd Art 8 Abs 2 EMRK bedeutet, dass die Eingriffsmöglichkeiten 'in einer auf Gesetzesstufe stehenden Norm (also insbesondere einem Gesetz im formellen Sinn oder einem Staatsvertrag iS Art 50 B VG) vorgesehen sein' müssen (VfSlg 10.737/1985, 11.455/1987). Da der EMRK ein einheitlicher Begriff des Gesetzes zu Grunde zu legen ist (Renzikowski in Pabel/Schmahl [Hrsg.], Internationaler Kommentar zur EMRK, 7. Lfg. 2004, Art 5 EMRK Rz 73 f.), und es sich beim Entzug der persönlichen Freiheit um eine zumindest ebenso eingriffsnahe bzw. sensible (vgl. ) Regelung handelt, wie beim Entzug des Aufenthaltsrechts, müssen diese Überlegungen auch für die Regelung der Tatbestände, auf Grund welcher Schubhaft verhängt werden kann, gelten.

Vor diesem Hintergrund hegt das Bundesverwaltungsgericht Bedenken, dass der Inhalt des § 9a Abs 4 FPG DVO entgegen Art 1 PersFrBVG und Art 5 EMRK als [österreichische] Verfassungsbestimmung im Verordnungs- statt im Gesetzesrang erlassen wurde.

3.4. Abgrenzung des Anfechtungsgegenstandes

Im Lichte der geltend gemachten Bedenken ist die anzufechtende Bestimmung so abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als zur (gänzlichen) Beseitigung der Rechtswidrigkeit erforderlich ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil möglichst keine Bedeutungsänderung erfährt. Es müssen auch die mit der als verfassungswidrig erachteten Bestimmung untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen erfasst werden und durch die Aufhebung soll keine Rechtslage entstehen, die dem Unionsrecht widerspricht.

Anders als § 76 Abs 1, 2 und 2a FPG idF vor dem FRÄG 2015 gliedert sich § 9a Abs 4 FPG DVO nicht in einzelne (einander ausschließende) Schubhaftgründe, sondern (wie die zu § 76 FPG idF vor dem FRÄG 2015 ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) in einzelne Gründe für das Vorliegen von Fluchtgefahr, die auch parallel erfüllt sein können. Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hat das Bundesverwaltungsgericht den gesamten § 9a Abs 4 FPG DVO anzuwenden, da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auf diese Bestimmung stützte. Durch die Feststellung, dass § 9a Abs 4 FPG DVO rechtswidrig war, wird die bereinigte Rechtslage für den Anlassfall hergestellt. Im Falle der Feststellung, dass § 9a Abs 4 FPG DVO rechtswidrig war, hat § 21 Abs 9 FPG DVO keinen Anwendungsbereich mehr und wir[d] dadurch zum unanwendbaren Torso. Es besteht kein untrennbarer Zusammenhang des § 9a Abs 4 FPG DVO mit § 76 Abs 2a Z 1 FPG (idF vor dem FRÄG 2015), da eine Schubhaftverhängung alleine auf Grund von § 76 Abs 2a Z 1 FPG (idF vor dem FRÄG 2015) iVm Art 28 Dublin III-VO auf Grund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (; , Ro 2014/21/0051; , Ro 2015/21/0021) ausscheidet und § 76 Abs 1 FPG zB (idF vor dem FRÄG 2015) im Hinblick auf Fremde zur Sicherung der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. Sicherung der Abschiebung in ihren Herkunftsstaat weiterhin einen Anwendungsbereich hat und auch auf Grund der Aufhebung von § 9a Abs 4 FPG DVO bzw. Teilen davon kein unanwendbarer Torso entsteht. Daher wird beantragt festzustellen, dass § 9a Abs 4 und § 21 Abs 9 FPG DVO rechtswidrig waren.

Falls der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertritt, dass zwischen § 9a Abs 4 FPG DVO und der Inkrafttretensbestimmung kein untrennbarer Zusammenhang besteht, wird in eventu beantragt festzustellen, dass § 9a Abs 4 FPG DVO rechtswidrig war.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertritt, dass bei der Prüfung eines Bescheides anhand der bereinigten Rechtslage bei Aufhebung der Wortfolge 'Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,' und der Ziffern 1-9 der erste Satz des § 9a Abs 4 FPG DVO wegen des Vorrangs des Unionsrechts iSd Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht anzuwenden wäre, würde es hinreichen[d] festzustellen, dass § 9a Abs 4 Z 1 bis 9 FPG DVO sowie die Wortfolge 'Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,' rechtswidrig waren, um die verfassungskonforme Rechtslage für das fortgesetzte Verfahren herzustellen."

3. Auch dem zu V153/2015 protokollierten Antrag liegt ein ähnlicher Sachverhalt wie jenem zu V152/2015 zugrunde: Über die beteiligte Partei wurde Schubhaft verhängt, die mit Abschiebung nach Italien am endete. Gegen die Anordnung der Schubhaft erhob die beteiligte Partei mit Schriftsatz vom Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Beschluss vom stellte das Bundesverwaltungsgericht einen Verordnungsprüfungsantrag gemäß Art 139 Abs 1 Z 1 B VG an den Verfassungsgerichtshof, der jenem zu V152/2015 weitgehend entspricht.

4. Die Bundesministerin für Inneres legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung der Anträge begehrt.

5. Das Bundesverwaltungsgericht erstattete eine Replik, in der es den von der Bundesministerin dargelegten Zweifeln an der Zulässigkeit der Anträge entgegentritt.

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – gemäß § 187 und § 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen – Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Anträge

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Über die beteiligten Parteien wurde mittels Mandatsbescheides des BFA vom (hg. V 152/2015) bzw. vom (hg. V 153/2015) Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt, wogegen die Parteien am (dem Bundesverwaltungsgericht am weitergeleitet) bzw. am eine sog. "Schubhaftbeschwerde" gemäß § 22a BFA VG an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Am bzw. am wurden die beteiligten Parteien sodann nach Italien abgeschoben, wodurch die Schubhaft geendet hat. Mit Beschluss vom 6. und vom stellte das Bundesverwaltungsgericht daraufhin in den ungeachtet der Abschiebung weiterhin anhängigen Beschwerdeverfahren gemäß Art 139 Abs 1 Z 1 B VG den Antrag, festzustellen, dass § 9a Abs 4 und § 21 Abs 9 FPG-DV idF BGBl II 143/2015 gesetzwidrig waren.

1.2.1. In ihrer Äußerung vom bezweifelt die Bundesministerin für Inneres die Zulässigkeit der beiden Anträge. Sie führt in diesem Zusammenhang aus, dass § 9a Abs 4 FPG DV idF BGBl II 143/2015 gemäß § 21 Abs 9 FPG DV leg.cit. mit außer Kraft getreten und § 76 FPG idF BGBl I 70/2015 mit in Kraft getreten seien. Im Anlassverfahren zu V153/2015 hätte das Bundesverwaltungsgericht deshalb binnen einer Woche, somit spätestens bis , über die Schubhaftbeschwerde abzusprechen gehabt. Da zu diesem Zeitpunkt § 9a Abs 4 FPG VO aber schon außer Kraft getreten gewesen sei, habe es die genannte Vorschrift auch nicht mehr anzuwenden gehabt. Der auf Aufhebung dieser Bestimmung gerichtete und zu V153/2015 protokollierte Antrag sei deshalb mangels Präjudizialität als unzulässig zurückzuweisen. Auch im Verfahren betreffend V152/2015 fehle es an der Präjudizialität des § 9a Abs 4 FPG DV, da diese Vorschrift im Zeitpunkt der Antragstellung ebenso bereits außer Kraft getreten sei. Der zu V152/2015 protokollierte Antrag sei deshalb ebenso als unzulässig zurückzuweisen.

1.2.2. Mit diesem Vorbringen ist die Bundesministerin für Inneres nicht im Recht: Bei sog. "Schubhaftbeschwerden" ist jedenfalls die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Rechtsaktes (zu den weiteren Beschwerdegegenständen einer Schubhaftbeschwerde vgl. ) anhand jener Sach- und Rechtslage zu beurteilen, die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bestanden hat. Die Bescheide des BFA, mit denen über die beteiligten Parteien die Schubhaft verhängt worden ist, stammen vom 13. Juni und vom . Zu diesem Zeitpunkt stand § 9a Abs 4 FPG DV noch in Geltung. Damit hatte das Bundesverwaltungsgericht die genannte Vorschrift in seinen Beschwerdeverfahren denkmöglich anzuwenden; die Anträge erweisen sich in dieser Hinsicht somit als zulässig.

1.3. Die Anträge sind aber auch unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Gesichtspunkte zulässig:

1.3.1. Gemäß Art 28 Abs 2 Dublin-III-VO dürfen die Mitgliedstaaten zur Sicherstellung von Überstellungsverfahren im Einklang mit dieser Verordnung nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Art 2 litn Dublin-III-VO enthält eine Legaldefinition des Wortes "Fluchtgefahr" als "das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte".

1.3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg 15.215/1998 ausführlich begründet und in nachfolgenden Erkenntnissen wiederholt, dass er seine Aufgabe zur Normenkontrolle unabhängig von einem allfälligen Verstoß der zu prüfenden Norm gegen Unionsrecht immer dann wahrzunehmen hat, wenn die Behörde ein verfassungsrechtlich bedenkliches Gesetz zumindest denkmöglich angewendet hat. Im vorliegenden Fall ist das Bundesverwaltungsgericht in vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass unter gesetzlich festgelegten Kriterien iSd Art 2 litn Dublin-III-VO sowohl die durch ein Gesetz im formellen als auch die durch ein Gesetz im materiellen Sinn festgelegten Kriterien zu verstehen sind. Ein der Anwendung der angefochtenen Verordnungsbestimmungen entgegenstehender, offenkundiger Widerspruch dieser Bestimmungen zu Unionsrecht (sei es nach dem eindeutigen Wortlaut der unionsrechtlichen Norm, sei es auf Grund eines Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union) besteht nicht. Die angefochtenen Bestimmungen sind daher auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten vom Bundesverwaltungsgericht denkmöglich anzuwenden.

2. Die Anträge erweisen sich somit als zulässig.

2. In der Sache

2.1.1. Art 2 litn Dublin-III-VO definiert den Begriff "Fluchtgefahr" als das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte.

2.1.2. Die in § 76 FPG geregelten Fälle der Zulässigkeit der Verhängung einer Schubhaft betreffen nicht nur, aber auch die Fälle von Asylwerbern im Sinne der Dublin-III-VO:

2.1.2.1. Gemäß § 76 Abs 1 FPG in der Fassung vor dem FRÄG 2015 (BGBl I 87/2012) können ganz allgemein Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Anordnung zur Außerlandesbringung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

2.1.2.2. § 76 Abs 2 FPG ermächtigt das BFA sodann dazu, über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung oder zur Sicherung der Abschiebung insbesondere dann anzuordnen, wenn gegen ihn ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gemäß § 27 AsylG 2005 eingeleitet wurde (Z2) oder auf Grund des Ergebnisses der Befragung anzunehmen ist, dass der Antrag auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen wird (Z4).

2.1.2.3. Gemäß § 76 Abs 2a Z 1 FPG hat das BFA außerdem über einen Asylwerber die Schubhaft anzuordnen, wenn gegen ihn eine zurückweisende Entscheidung gemäß §§4a oder 5 AsylG 2005 und eine durchsetzbare Anordnung zur Außerlandesbringung oder eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder ihm gemäß § 12a Abs 1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt.

2.1.3. Zu der Frage, ob Art 2 litn Dublin-III-VO durch § 76 FPG idF BGBl I 87/2012 hinreichend umgesetzt wurde, führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/21/0075, nach Hinweisen auf seine Vorjudikatur aus, dass die Bestimmungen der Z 2 und der Z 4 des § 76 Abs 2 FPG für sich betrachtet keine – gesetzlich festgelegten – objektiven Kriterien für die Annahme von (erheblicher) Fluchtgefahr iSd Dublin-III-VO enthielten. Vielmehr knüpfe der dort jeweils als Grund für die Anordnung von Schubhaft genannte Umstand im gegebenen Zusammenhang nur an die Führung eines Verfahrens nach der Dublin-III-VO an, was für sich genommen deren Art 28 Abs 1 widersprechen würde. Der Verwaltungsgerichtshof leitet aus dem seiner Meinung nach "keiner anderen Auslegung zugänglichen Wortlaut des Art 2 litn Dublin III-VO" ab, dass diese Bestimmung "gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der im Unionsrecht für die Verhängung von Schubhaft (u.a.) normierten Voraussetzung des Vorliegens von 'Fluchtgefahr'" verlange; ein Rückgriff auf die bisherigen Kriterien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reiche nicht aus, um den Vorgaben der Dublin-III-VO zu entsprechen. In weiteren Entscheidungen u.a. vom , Ro 2014/21/0080 und vom , Ro 2015/21/0004, dehnte der Verwaltungsgerichtshof diese Sichtweise auf § 76 Abs 1 FPG und § 76 Abs 2a FPG aus.

2.2. In Reaktion auf diese Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wurde von der Bundesministerin für Inneres zunächst am der Entwurf einer Novelle zu § 76 FPG in Begutachtung geschickt (92/ME 25. GP), die in § 76 (neu) den Begriff der Fluchtgefahr in Entsprechung von Art 2 litn Dublin-III-VO neu definiert. Diese Novelle wurde nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens am vom Nationalrat beschlossen und nach Beschlussfassung durch den Bundesrat am im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Als Datum des Inkrafttretrens der Novelle war der vorgesehen.

2.2.1. Während des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, und zwar nach der Beschlussfassung über die Novelle im Plenum des Nationalrates, wurde am mit BGBl II 143/2015 eine Novelle zur FPG-DV kundgemacht, worin die Vorschrift des § 9a Abs 4 FPG DV die gleiche Legaldefinition des Begriffes "Fluchtgefahr" enthält wie die im Gesetzgebungsverfahren befindliche Gesetzesnovelle. Die Verordnung trat am darauffolgenden Tag, sohin am , in Kraft. Gleichzeitig wurde durch § 21 Abs 9 FPG DV idF BGBl II 143/2015 bestimmt, dass § 9a Abs 4 leg.cit. mit Ablauf des und bei Inkrafttreten des § 76 FPG in der neuen Fassung wieder außer Kraft treten sollte.

2.2.2. § 9a Abs 4 FPG DV bestimmte im Zeitraum vom bis zum Ablauf des , dass Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr iSd § 76 FPG dann vorliegen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren vor dem BFA oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Im Anschluss daran wurden insgesamt neun Kriterien aufgezählt, die bei der Beurteilung dieser Frage zu berücksichtigen sind.

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht bringt in seinen Anträgen – an die äußeren Umstände der Verordnungserlassung anknüpfend – auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass § 9a Abs 4 FPG-DV keine Deckung in § 76 FPG aF finde. Erstens werde in § 76 FPG aF der Begriff der "Fluchtgefahr" nicht definiert. § 9a Abs 4 FPG DV stütze sich damit nur zum Schein auf diese Bestimmung, tatsächlich werde mit ihr aber (gemeint: für die verbleibende Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der Gesetzesnovelle zu § 76 FPG) Art 2 litn Dublin-III-VO umgesetzt. Die Durchführung von Unionsrecht im Verordnungsweg sei nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes aber nur dann zulässig, wenn eine hinreichend bestimmte Grundlage in einem Gesetz gegeben sei (vgl. VfSlg 15.189/1998, 17.735/2005). Dies sei hier gerade nicht der Fall. Dass der Inhalt des § 9a Abs 4 FPG-DV nicht in Gesetzes-, sondern in Verordnungsform erlassen worden sei, verstoße überdies gegen Art 1 PersFrBVG und Art 5 EMRK, die im Falle eines Freiheitsentzuges eine ausdrückliche gesetzliche Regelung verlangten. Ferner sei die Bundesministerin für Inneres zur Erlassung des § 9a Abs 4 FPG DV nicht zuständig gewesen. Dies ergebe sich daraus, dass das FRÄG 2015 zeitgleich mit § 9a FPG DV erlassen worden sei, weshalb angenommen werden könne, dass § 76 FPG aF keinen Raum für eine Durchführungsverordnung gelassen habe.

2.4. Mit diesem Vorbringen ist das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis nicht im Recht:

2.4.1. § 76 FPG aF legt den Begriff der Fluchtgefahr zwar nicht wörtlich fest, bestimmt aber für Fremde in Abs 1 leg.cit., dass über sie Schubhaft verhängt werden kann, "sofern dies notwendig ist, um das Verfahren […] zu sichern". Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft ferner verhängt werden, "wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen". Damit gleichen die Voraussetzungen für die Schubhaft in § 76 FPG aF aber jenen, die die Dublin-III-VO in Art 2 litn unter dem Begriff der "Fluchtgefahr" definiert, nämlich "das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die […] zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller […], gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte". Soweit § 9a Abs 4 FPG DV die Fluchtgefahr bei Fremden näher definiert, vermag sich die Verordnung daher jedenfalls auf § 76 FPG zu stützen.

2.4.2. Dies gilt gleichermaßen für § 76 Abs 2a FPG idF vor dem FRÄG 2015: Danach hat das BFA Schubhaft über Asylwerber anzuordnen, wenn bestimmte, in den Z 1 bis 6 genannte Voraussetzungen vorliegen und die Schubhaft für die Sicherung des Verfahrens "notwendig" ist. Notwendig kann die Verhängung der Schubhaft aber stets nur dann sein, wenn sich die betreffende Person sonst dem Verfahren entziehen würde. Damit legt auch § 76 Abs 2a FPG idF vor dem FRÄG 2015 den Sicherungsbedarf und die (in diesem Sinne verstandene) Fluchtgefahr als Voraussetzungen der Schubhaftverhängung fest.

2.4.2.1. Bereits in VfSlg 17.891/2006 hat der Verfassungsgerichtshof jedoch bezogen auf die mit § 76 FPG vor dem FRÄG 2015 weitgehend vergleichbare Vorgängerbestimmung Folgendes ausgeführt:

"3.1. Anders als in § 76 Abs 1 FPG (arg.: 'sofern dies notwendig ist, um das Verfahren [...] zu sichern') hat der Gesetzgeber in Abs 2 leg.cit. keine ausdrückliche Regelung darüber getroffen, unter welchen Voraussetzungen die Anordnung der Schubhaft – abgesehen von der Subsumtion unter einen der in Z 1 bis 4 geregelten Tatbestände – zulässig ist.

Dennoch ist aus folgenden Gründen davon auszugehen, dass der Gesetzgeber das durch Art 1 (iVm Art 2 Abs 1) des Bundesverfassungsgesetzes vom über den Schutz der persönlichen Freiheit verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, wonach '(n)iemand (...) aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz genannten Gründen (...) festgenommen oder angehalten werden (darf)', bei der Regelung des § 76 Abs 2 Z 4 FPG beachtet hat:

3.1.1. Der Gesetzgeber ist sichtlich davon ausgegangen, dass der in Art 1 Abs 3 des Bundesverfassungsgesetzes vom über den Schutz der persönlichen Freiheit verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unmittelbar und im Einzelfall von den zuständigen Behörden zu berücksichtigen ist. Auch die oben zitierten Erläuternden Bemerkungen zu § 76 FPG machen deutlich, dass das Gebot, wonach die Verhängung der Schubhaft notwendig sein muss, um das Verfahren zu sichern, vom Gesetzgeber nicht unterlaufen werden sollte (arg.:

'[...], wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft als solche gegeben sind, [...]').

3.1.2. Der Gesetzgeber hat für alle Fälle der Schubhaft durch die Begrenzung der Haftdauer (§80 FPG) sowie das Gebot der Anwendung gelinderer Mittel (§77 FPG) eine klare Wertung iS des Bundesverfassungsgesetzes vom über den Schutz der persönlichen Freiheit vorgenommen.

In den Erläuternden Bemerkungen wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt (vgl. 952 BlgNR, XXII. GP, S 104 f.):

[…]

3.2. Zusammenfassend ist der Verfassungsgerichtshof daher der Auffassung, dass die in § 76 Abs 2 Z 4 FPG festgelegte Ermächtigung im Lichte des aus dem Bundesverfassungsgesetz vom über den Schutz der persönlichen Freiheit erfließenden unmittelbar anwendbaren Gebots der Verhältnismäßigkeit auszulegen ist.

Dass es der Gesetzgeber – im Wissen um die Verpflichtung der Behörden, von der Anordnung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist (zur entsprechenden Verpflichtung der unabhängigen Verwaltungssenate vgl. auch VfSlg 14.981/1997 und 17.288/2004, wonach 'im Einzelfall eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft erforderlich ist') – den vollziehenden Behörden (unter der nachprüfenden Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) überlässt, die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen, belastet die Regelung nicht mit Verfassungswidrigkeit."

2.4.2.2. Es ist somit auch die gleichlautende Bestimmung des § 76 Abs 2 FPG verfassungskonform dahin zu interpretieren, dass sie die Verhängung der Schubhaft nur gestattet, wenn deren Anordnung zur Sicherung des Verfahrens (insbesondere, weil sich die Partei dem Verfahren zu entziehen droht) "notwendig" ist.

2.4.3. § 76 FPG idF vor dem FRÄG 2015 bot also eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Erlassung einer Durchführungsverordnung im Sinne des Art 18 Abs 2 B VG für Tatbestände, deren Vorliegen nach den Denkgesetzen einen Schluss darauf zulassen, dass "Fluchtgefahr" im Sinne der Umschreibung dieses Tatbestandes in § 76 FPG vorliegt.

2.4.4. Angesichts des Vorhandenseins einer gesetzlichen Grundlage der angefochtenen Verordnungsbestimmungen ist es daher für die Gesetzmäßigkeit der Verordnung ohne Bedeutung, ob die Bundesministerin für Inneres auch intendierte, mit der Verordnung Art 2 litn der Dublin-III-VO umzusetzen.

2.4.5. § 9a Abs 4 FPG-DV normiert vor diesem gesetzlichen Hintergrund detailreiche Tatbestände, bei deren Vorliegen die Verordnungsgeberin davon ausgeht, dass die Schubhaft für die Sicherung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder zur Sicherung der Abschiebung im Sinne des Gesetzes wegen "Fluchtgefahr" notwendig ist. Das Bundesverwaltungsgericht beschränkt sich in seinen Bedenken darauf, dass § 76 FPG keine Definition der Fluchtgefahr enthalte und die Verordnung daher ohne gesetzliche Deckung in verfassungswidriger Weise Unionsrecht umsetze. Es behauptet in seinem Antrag aber nicht, dass die in der angefochtenen Verordnungsbestimmung genannten Gründe nicht den Schluss darauf zuließen, dass sich die betreffende Person voraussichtlich (der Abschiebung oder) dem Verfahren entziehen werde.

2.5. Die vom Bundesverwaltungsgericht ob der angefochtenen Verordnungsbestimmungen geltend gemachten Bedenken treffen somit insgesamt nicht zu.

V. Ergebnis

1. Die vom Bundesverwaltungsgericht ob der Gesetzmäßigkeit des § 9a Abs 4 und des § 21 Abs 9 FPG-DV idF BGBl II 143/2015 erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Die Anträge sind daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:V152.2015