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VfGH vom 02.11.2004, v135/03

VfGH vom 02.11.2004, v135/03

Sammlungsnummer

17352

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Wiener Außenring-Autobahn A 21 zum Zwecke des Lärmschutzes; ausreichendes Ermittlungsverfahren; keine gesetzwidrige Nichtberücksichtigung eines verkehrstechnischen Gutachtens

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Am hat der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr zu Zl. 138.021/40-I/31-95 folgende Verordnung erlassen:

"Aufgrund des § 43 Absätze 1 und 2 StVO 1960, BGBl. Nr. 159/60, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 518/94, wird verordnet:

Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des sich bewegenden Verkehrs, sowie zur Fernhaltung von Lärm von den Anrainern der Wiener Außenring-Autobahn A 21 wird die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf beiden Richtungsfahrbahnen der Wiener Außenring-Autobahn A 21 im Bereich zwischen den Anschlußstellen Brunn/Gebirge und Gießhübl wie folgt beschränkt:

A: Richtungsfahrbahn zur A 2: Von km 30,450 bis km 30,750 auf

100 km/h, sowie von km 30,750 bis zur Einmündung der A 21 in die Richtungsfahrbahn Wien der Südautobahn A 2 auf 80 km/h.

B: Richtungsfahrbahn zur A 1: Von km 36,330 (= Ende der

80 km/h-Beschränkung, die mit ho. Verordnung vom , Zahl 138.021/5-I/31-92, Ziffer 2, verordnet wurde) bis km 30,450 auf 80 km/h.

C: Aus denselben Gründen wird die erlaubte Höchstgeschwindigkeit

auch auf allen Rampen der Anschlußstellen Brunn/Gebirge und Gießhübl auf die gesamte Länge jeder Rampe auf 80 km/h beschränkt

Diese Verordnung ist gemäß § 44 StVO 1960 durch die entsprechenden Straßenverkehrszeichen kundzumachen.

Diese Verordnung ersetzt die ho. Verordnung vom , Zahl 138.021/20-I/31-94."

2. Die Volksanwaltschaft beantragt gemäß Art 148e B-VG, diese Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Die Verordnung sei ihrer Auffassung nach gesetzwidrig zustande gekommen, weil ihr keine ausreichende Grundlagenforschung vorangegangen sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes habe die zuständige Behörde bei Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach § 43 StVO 1960 die bei der betroffenen Straße oder Straßenstrecke gegebenen Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Die gemäß § 43 StVO 1960 vorgeschriebene Interessenabwägung erfordere sowohl eine nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für die Umwelt, als auch eine Untersuchung der "Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse" durch ein entsprechendes Ermittlungsverfahren. Fehle es an der Erhebung entsprechender Entscheidungsgrundlagen oder werde im Zuge der gebotenen Interessenabwägung auf die Bedeutung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse nicht hinreichend Bedacht genommen, sei eine Verordnung nach § 43 Abs 2 StVO 1960 gesetzwidrig.

Im Fall der angefochtenen Verordnung sei ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren unterlassen worden. Dazu führt die Volksanwaltschaft näher aus, aus den ihr vorliegenden Unterlagen ergebe sich, dass bei der verordnungserlassenden Behörde im November 1995 eine "Besprechung" stattgefunden habe, an der Bedienstete der Niederösterreichischen Landesregierung, einige Gemeindevertreter, ein Vertreter des Landesgendarmeriekommandos Niederösterreich, der Autobahngendarmerie Alland und ein Journalist teilgenommen hätten. Von einem verkehrstechnischen Sachverständigen der Niederösterreichischen Landesregierung sei zuvor ein Gutachten erstellt worden, welches folgende Schlussfolgerung beinhaltet habe:

"Aus der Sicht des Unfallgeschehens, bzw. der Verkehrssicherheit, kann daher die Notwendigkeit für eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf dem gegenständlichen Streckenabschnitt nicht abgeleitet werden.

Aus der Sicht der Leistungsfähigkeit ist festzustellen, daß bei den vorhandenen Fahrspuren und der vorhandenen Verkehrsbelastung keine Geschwindigkeitsbeschränkungen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit sinnvoll und notwendig sind.

...

Weder aus Gründen der Verkehrssicherheit noch der Leistungsfähigkeit kann die Notwendigkeit für eine Geschwindigkeitsbeschränkung, insbesondere auf 80 km/h für Pkw und 60 km/h für Lkw abgeleitet werden."

Dem Besprechungsprotokoll sei zu entnehmen, dass ein Vertreter der verordnungserlassenden Behörde einleitend mitgeteilt habe, dass

"im Bundesministerium nach der letzten Besprechung zum Thema auf Anraten von Dipl. Ing. L der Entschluß gefaßt worden war, den gegenständlichen Abschnitt ähnlich wie die Wiener Südosttangente und andere im Wiener Landesgebiet liegende Autobahnen, sohin als Stadtautobahn zu behandeln und somit dieselben Beschränkungen im gegenständlichen Abschnitt einzuführen, wie etwa auf der Wiener Südosttangente [...]".

Nach Auffassung der Volksanwaltschaft sei es gesetzwidrig, dass es die verordnungserlassende Behörde nicht einmal für notwendig befunden habe, dem verkehrstechnischen Gutachten, in welchem die Notwendigkeit der Verfügung einer Geschwindigkeitsbeschränkung aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs mit "jedenfalls prima facie nicht von der Hand zu weisenden Argumenten" ausdrücklich verneint wurde, auf gleicher Stufe entgegenzutreten. Eine im Zuge einer Besprechung, an deren Beginn das Endergebnis gleichsam verkündet wurde, mündlich vorgetragene Gegendarstellung könne in diesem Zusammenhang keinesfalls als ausreichend angesehen werden. Es sei nicht unmittelbar einleuchtend, weshalb auf beiden Richtungsfahrbahnen der Wiener Außenringautobahn A 21 im Bereich zwischen den Anschlussstellen Brunn/Gebirge und Gießhübl die gleichen Verkehrsbedingungen herrschen würden wie auf der Wiener Südosttangente bzw. auf den Wiener Stadtautobahnen. Die Verordnung beruhe ausschließlich auf den Ergebnissen der "ministeriellen Besprechung" und dem bereits zuvor im Ministerium gefassten Entschluss, dem bestenfalls eine nicht näher substantiierte und nicht näher begründete Einschätzung eines Sachverständigen des Ministeriums zugrunde gelegen sei. Das Bundesministerium für öffentliche Wirtschaft und Verkehr habe im Vorfeld keine konkreten Ermittlungsschritte gesetzt.

3. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat die Verordnungsakten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der er dem Vorbringen der Volksanwaltschaft entgegentritt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach Art 148e B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag der Volksanwaltschaft über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Bundesbehörde. Der Antrag richtet sich gegen eine bestimmt bezeichnete Verordnung des (damaligen) Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, die durch Anbringung entsprechender Verkehrszeichen kundgemacht wurde. Der Antrag der Volksanwaltschaft ist daher zulässig.

2.1. In einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren auf Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung ist der Verfassungsgerichtshof auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt. Der zweite Satz des § 57 Abs 1 VfGG begrenzt den Antrag und damit den Umfang der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 5581/1967, 6268/1970, 7670/1975, 8005/1977 ua.; zur Anwendbarkeit des § 57 VfGG als Ausführungsbestimmung von Art 139 B-VG im Verfahren gemäß Art 148e B-VG, siehe VfSlg. 11463/1987 sowie Kucsko-Stadlmayer in Korinek/Holoubek, Kommentar zum Österreichischen Bundesverfassungsrecht, Rz. 11 f. zu Art 148e B-VG).

2.2. Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr hat vor Erlassung der angefochtenen Verordnung ein Verfahren durchgeführt, welches die an der betroffenen Teilstrecke der Wiener Außenringautobahn A 21 vorherrschenden Umstände zum Gegenstand hatte. Aus dem im Antrag der Volksanwaltschaft erwähnten Besprechungsprotokoll geht hervor, dass die Behörde ursprünglich beabsichtigt hat, für die A 21 eine Verordnung zu erlassen, in der nicht nur eine generelle Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 bzw. 100 km/h, sondern zusätzlich eine 60 km/h-Beschränkung für Lkw sowie ein Lkw-Fahrverbot für die linke Fahrspur vorgesehen waren.

Die Volksanwaltschaft hat das Bedenken, dass in diesem Ermittlungsverfahren des Bundesministers das Gutachten eines Verkehrssachverständigen des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung, in dem die Erforderlichkeit der beabsichtigten Verkehrsbeschränkungen aus dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit verneint wurde, nicht hinreichend berücksichtigt worden sei.

2.3. Der Antrag ist aus folgendem Grund nicht berechtigt:

Entgegen der Auffassung der Volksanwaltschaft hat vor Verordnungserlassung ein Ermittlungsverfahren stattgefunden, in dem die Besonderheiten des von der Verordnung betroffenen Straßenabschnittes erhoben worden sind.

Aus den Unterlagen zum Ermittlungsverfahren geht hervor, dass die - ursprünglich beabsichtigte - Erlassung von Lkw-spezifischen Einschränkungen deshalb nicht in die Verordnung aufgenommen wurden, weil das Verfahren in dieser Hinsicht noch zu ergänzen war. Von dieser Maßnahme wurde daher Abstand genommen und letztendlich nur die (generelle) Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 bzw. 100 km/h verordnet. Aus dem Protokoll geht außerdem hervor, dass diese generelle Geschwindigkeitsbeschränkung (im Unterschied zu den spezifisch für Lkw vorgesehenen Maßnahmen) aus Gründen des Lärmschutzes (§43 Abs 2 StVO 1960) erlassen werden sollte. Das Besprechungsprotokoll verweist diesbezüglich auf einen im Sommer 1992 durchgeführten "Großversuch", bei dem "umfangreiche Lärmmessungen vorgenommen worden" seien und die "Auswirkungen einer möglichen Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h erhoben worden waren". Dabei habe sich gezeigt, dass eine solche Geschwindigkeitsbeschränkung eine Minderung des Dauerschallpegels von 2,5 bis 2,7 dB bewirke. Der Vertreter des Ministeriums führte dazu im Rahmen der Besprechung aus, dass es sich dabei um einen "Summenpegel" handle, der sich aus verschiedenen Einzelschallereignissen zusammensetze, von denen jedes einzelne bereits eine erhebliche Störung bewirken könne. Schon dies allein rechtfertige die Verordnung einer allgemeinen Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h.

Die Erwägungen des Verordnungsgebers zum Lärmschutz werden im Antrag der Volksanwaltschaft nicht bestritten. Der Antrag stützt sich vielmehr auf ein Gutachten zur Verkehrssicherheit (Verkehrstechnik). Das Vorbringen der Volksanwaltschaft, wonach auf das negative schriftliche Gutachten des Verkehrssachverständigen des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht eingegangen worden sei, ist aus folgenden Gründen nicht geeignet, die Gesetzwidrigkeit der Verordnung darzutun:

Wie sich aus der Aktenlage eindeutig ergibt, wurde die generelle 80 bzw. 100 km/h-Beschränkung in erster Linie auf den Aspekt des Lärmschutzes (§43 Abs 2 StVO 1960) gestützt. An dieser Beurteilung ändert auch der - bloß deklarative - Wortlaut der Promulgationsklausel der Verordnung nichts, wo neben dem Aspekt "Fernhaltung von Lärm" auch der Aspekt "Aufrechterhaltung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des sich bewegenden Verkehrs" genannt wird. Fragen der Verkehrssicherheit wurden in der Besprechung dagegen vorwiegend in Bezug auf die - letztendlich unterbliebenen - Beschränkungen für Lkw erörtert (so etwa Daten über Unfälle mit Lkw-Beteiligung und Zahlen über den durchschnittlichen Tagesverkehr). Der von der Volksanwaltschaft ins Treffen geführte Grund für die Gesetzwidrigkeit (Nichtberücksichtigung des verkehrstechnischen Gutachtens) vermag keinen wesentlichen Verfahrensmangel aufzuzeigen, zumal in diesem Gutachten die - für die Verordnungserlassung letztlich wesentlichen - Fragen des Lärmschutzes bewusst ausgeklammert worden sind (So heißt es darin: "Eingangs wird festgestellt, daß durch das gegenständliche Gutachten nur die Kriterien Leistungsfähigkeit und Sicherheit beurteilt werden und der Lärmschutz von einem Lärmsachverständige[n] zu beurteilen ist.").

2.4. Ob die Verordnung aus anderen Gründen gesetzwidrig ist (oder etwa aufgrund einer wesentlichen Änderung der Umstände gesetzwidrig geworden ist) hat der Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen, weil er sich auf die Behandlung der im Antrag geltend gemachten Bedenken zu beschränken hatte.

3. Der Antrag war daher abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.