VfGH vom 27.09.1986, V13/86
Sammlungsnummer
11003
Leitsatz
AutomatenV der Gemeinde Hittisau; keine Deckung des (weiten) Untersagungsbereiches der Verordnung in § 52 Abs 4 GewO unter Hinweis auf VfSlg. 10594/1985
Spruch
I. Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Hittisau vom mit welcher, gestützt auf § 52 Abs 4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. Nr. 619, die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Mj. ausgerichtet sind, untersagt wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Beim VfGH ist zu B808/84 ein Verfahren über eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vbg. vom richtet. Mit diesem Bescheid wurde der Bf. wegen der Verwaltungsbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619 (künftig: GewO), iVm. der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Hittisau vom (künftig: AutomatenV) zu einer Geldstrafe von 2000 S, im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Arreststrafe von 4 Tagen, verurteilt.
2.1. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, die AutomatenV von Amts wegen zu prüfen.
2.2. Die in Prüfung gezogene Verordnung lautet:
"Zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben wird die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Süßwaren-, Kaugummi-, Spielzeug- und sonstiger Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, im Umkreis von 500 m der Volksschule Hittisau und des Kindergartens Hittisau, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden, untersagt."
2.3. Die in Prüfung gezogene Regelung stützt sich auf § 52 Abs 4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981, der lautet:
"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,
1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,
2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,
3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,
4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder
5. im näheren Umkreis der in Z 4 angeführten Plätze und Räume
untersagen."
2.4. Der VfGH hat seine Bedenken wie folgt umschrieben:
"Mit der in Prüfung gezogenen Regelung wird eine Verbotszone in einem Umkreis von 500 m von der Volksschule und vom Kindergarten Hittisau verfügt. Der VfGH hat das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Verordnung dem Einleitungssatz des Abs 4 des § 52 GewO widerspricht, wonach die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten nur untersagt werden darf, soweit dies für die im Gesetz genannten Zielsetzungen 'erforderlich' ist (vgl. hiezu ). Es ist nicht einsichtig, daß ein solches Erfordernis im Umkreis von 500 m von der Volksschule und vom Kindergarten gegeben ist.
Der VfGH hegt daher das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Regelung mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht in Einklang zu bringen ist. Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Hittisau vom scheint daher mit Gesetzwidrigkeit ihres Inhaltes belastet zu sein.
Die Regelung dürfte auch dem Gesetz insofern widersprechen, als bei der verfügten Verbotszone nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sie den 'näheren Umkreis' (§52 Abs 4 Z 1 und 5) betrifft."
3. Das Verfahren ist zulässig.
Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnung zweifeln ließe.
4. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie und der Bürgermeister von Hittisau haben im Verfahren eine Äußerung erstattet.
Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie nimmt zu den Bedenken des VfGH wie folgt Stellung:
"...
Die hier aufgeworfene Frage, ob eine Verbotszone in diesem Ausmaß 'erforderlich' ist bzw. ob bei diesem Ausmaß der Verbotszone noch von einem 'näheren Umkreis' gesprochen werden kann, kann vom Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie mangels konkreter Ortskenntnis nicht abschließend beurteilt werden. Es erscheint aber durchaus denkbar, daß bestimmte konkrete Situationen Verbotszonen mit einem größeren Umkreis als in dem dem zitierten VfGH-Erkenntnis zugrunde gelegenen Fall, wo hinsichtlich der Schulen ein Umkreis von 150 m festgelegt war, notwendig machen, also iSd § 52 Abs 4 Einleitungssatz GewO 1973 als erforderlich erscheinen lassen. Dies gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob hier noch von einem 'näheren Umkreis' gesprochen werden kann. Hiebei wird nach Ansicht des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie der vom Gesetz vorgesehene Schutzzweck im Hinblick auf die konkrete Situation zu beachten sein.
2. Im Hinblick auf die Ausführungen unter Z 1 sieht das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie im vorliegenden Verfahren von einer konkreten Antragstellung ab."
Der Bürgermeister von Hittisau verteidigt die in Prüfung gezogene Verordnung:
"Wie ich aus obgenanntem Beschluß entnehmen muß, wird die von mir erlassene Verordnung vom in Zweifel gezogen, ob diese gesetzeskonform ist. Sicher wurde die Verordnung etwas abweichend entgegen der Gewerbeordnung formuliert, indem dort die Entfernung von der Volksschule und Kindergarten Hittisau mit weniger als 500 m angegeben wurde. Diese Formulierung wurde von mir deshalb so gewählt, daß von vornherein jeder Zweifel ausgeschaltet wird, was unter 'näherem Umkreis' zu verstehen ist.
Grundsätzlich bin ich nach wie vor der Meinung, daß unter näherem Umkreis ein Bereich von mindestens bis zu 500 m zu verstehen ist."
5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:
Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:
Der Sache nach hat der VfGH gegen diese AutomatenV dieselben Bedenken geäußert, die ihn im Fall VfSlg. 10594/1985 zur Aufhebung der dort geprüften Verordnung bewogen haben. In diesem Erk. hat der VfGH zur Frage, was unter "näherem Umkreis" verfassungskonform zu verstehen ist, folgendes ausgeführt:
"Sicher wird an die Einschätzung einer Gemeinde, in welchem Ausmaß eine Untersagungsverordnung erforderlich ist, kein allzu strenger Maßstab anzulegen sein, solange die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß Kinder, um deren Schutz es dem Gesetzgeber geht, den Aufstellungsort eines Warenautomaten von den im Gesetz genannten Orten aus, an denen sie sich erfahrungsgemäß häufig aufhalten, leicht, also ohne besondere Mühe und ohne besonderen Zeitaufwand (was einer Distanz von höchstens 200 m entspricht), erreichen können. Die Festlegung eines Umkreises von 300 m scheint dem VfGH in jedem Fall als zu weitgehend, da sich der Automat in einem solchen Fall nicht mehr in einer solchen Nahebeziehung zu den von Kindern am häufigsten frequentierten Plätzen befindet."
Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser Auslegung des § 52 Abs 4 GewO abzugehen. Auch der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie und der Bürgermeister von Hittisau konnten nicht begründen, warum im konkreten Fall die Festlegung eines Umkreises von 500 m gerechtfertigt sein sollte.
Daraus ergibt sich, daß die geprüfte AutomatenV nicht dem Gesetz entspricht.
6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.