zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 11.03.2004, V126/03

VfGH vom 11.03.2004, V126/03

Sammlungsnummer

17166

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Bebauungsrichtlinien zur Gänze infolge gesetzwidrigen Zustandekommens; Beeinträchtigung des im Stmk Raumordnungsgesetz 1974 normierten Anhörungsrechtes der Grundeigentümer durch Auflage des Planentwurfs im Gemeindeamt ohne individuelle Verständigung der Betroffenen

Spruch

Die Verordnung der Gemeinde Stallhof, "Bebauungsrichtlinien", vom , kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von bis , war gesetzwidrig.

Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B2364/00 eine Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Mit Eingabe vom beantragte die nunmehrige Beschwerdeführerin die Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung zweier Doppelhäuser und eines Einfamilienhauses (Niedrigenergiehäuser) auf den Grundstücken Nr. 14/5, 14/6 und 14/7, je KG Stallhof. Erst nach Erhebung einer Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wies der Gemeinderat der Gemeinde Stallhof mit Bescheid vom das Bauansuchen wegen Widerspruchs zu den Bebauungsrichtlinien ab. Nach Aufhebung des Bescheides durch die Vorstellungsbehörde wies der Gemeinderat der Gemeinde Stallhof das Bauansuchen erneut mit Bescheid vom wegen Widerspruchs zu den Bebauungsrichtlinien ab (Überschreitung der Geschoßanzahl und Gebäudehöhe gemäß § 8 Abs 4, verordnungswidrige Dachform und Dachdeckung gemäß § 9 Abs 1, 2 und 3, verordnungswidrige Bebauungsweise gemäß § 10 Abs 1, Gestaltung von Bauten gemäß § 11).

Die Steiermärkische Landesregierung wies die dagegen erhobene Vorstellung mit bekämpftem Bescheid vom ab, da die Bebauungsrichtlinien gemäß § 2 leg. cit. anzuwenden seien und das Bauvorhaben von der Anwendung der Bebauungsrichtlinien gemäß § 3 dieser Verordnung auch nicht ausgenommen sei. Darüber hinaus entsprächen die Häuser nicht den Vorgaben des § 8 Abs 1 der Bebauungsrichtlinien.

2. Die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG), auf Freiheit der Erwerbsausübung (Art6 Abs 1 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (Bebauungsrichtlinien vom ).

3. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

3.1. Der Entwurf der Bebauungsrichtlinien der Gemeinde Stallhof, beschlossen am , wurde von 28. September bis zur allgemeinen Einsicht aufgelegt. Die Bebauungsrichtlinien wurden am beschlossen und durch Anschlag an der Amtstafel von bis kundgemacht. Sie lauteten:

"§1 GELTUNGSBEREICH

Die Bebauungsrichtlinien gelten in allen als Allgemeines Wohngebiet und Reines Wohngebiet festgelegten Baugebieten (Baulandflächen), in denen die Obergrenze der Bebauungsdichte 0,6 nicht überschreitet sowie für das Dorfgebiet in Stallhof-Dorf.

§ 2 BETROFFENE BAUTEN UND ANLAGEN

Die Regelungen betreffen die Neuerrichtung, sowie den Zu- und Umbau von Gebäuden, die Gestaltung der Freiflächen auf den Bauplätzen und die Erschließung der Bauplätze.

§ 3 AUSNAHMEN

Ausgenommen von den Regelungen bezüglich der Gestaltung von Gebäuden sind solche deren Zweckbestimmung eine besondere funktionelle bauliche Ausformung erfordert. (z.B. Siloanlagen, Transformatorstationen. ...)

§ 4 ERSCHLIESSUNG

Die nach § 5 (1) Punkt 6 des Stmk. BauG 1995 geforderte Zufahrt hat von der öffentlichen Verkehrsfläche beginnend eine durchgehende Breite von mind. 3,0 m aufzuweisen, muß befestigt sein und die Benützung durch Einsatz- und Versorgungsfahrzeuge (Feuerwehr, Abfallsammlung, etc.) zulassen.

§ 5 RUHENDER VERKEHR

1) Nach den Bestimmungen des Stmk. BauG 1995 § 71 sind Garagen und Abstellplätze auf dem jeweiligen Bauplatz festzulegen. Es ist mindestens 1 Abstellplatz zu errichten. Die Baubehörde kann in Abhängigkeit von Wohnungsgrößen und -anzahl darüberhinausgehend abweichende Festlegungen treffen.

2) Zwischen der öffentlichen (bzw. privater) Verkehrsfläche und Abstellfläche ist auf dem Bauplatz eine mindestens 5,0 m tiefe Zufahrtszone mit mindestens 3,0 m Breite anzuordnen.

§ 6 GESTALTUNG DER FREIFLÄCHEN - EINFRIEDUNGEN

1) Bestehende Bäume und Sträucher, welche für das Orts- und Landschaftsbild bedeutsam sind, müssen weitgehend erhalten bleiben.

2) Bei Bauvorhaben auf Grundstücken die an öffentliche Gewässer anrainen ist das Einvernehmen mit der Wasserrechtsbehörde herzustellen.

3) Entlang öffentlicher oder privater Verkehrsflächen können Baumpflanzungen mit bodenständigen Laubgehölzen von der Baubehörde vorgeschrieben werden.

4) Als Einfriedungen zu öffentlichen und privaten Verkehrsflächen sind Zäune aus Maschendraht, Holzzäune mit senkrechter oder schräger Lattung oder Hecken (lebende Zäune) mit höchstens 1,30 m Höhe zulässig. Der Abstand zur Grenze der Verkehrsfläche hat mindestens 1,0 m zu betragen. Eine Sichtbehinderung für Verkehrsteilnehmer darf sich durch die Errichtung eines Zaunes nicht ergeben.

§ 7 NIEDERSCHLAGSWÄSSER

Befestigte Flächen (Verkehrsflächen, Terrassen, Dachflächen usw.) auf den Bauplätzen sind so auszuführen, daß eine Versickerung von Niederschlagswässern auf eigenen Grund gewährleistet ist. Ableitungen auf an den Bauplatz anschließende öffentliche oder private Flächen sind nicht zulässig.

§ 8 PROPORTIONEN UND HÖHE VON GEBÄUDEN

1) Gebäude sollen eine rechteckige Grundrißform aufweisen. Die Gebäudelänge hat mind. das 1,3-fache der Gebäudebreite zu betragen.

2) Für geschlossene Siedlungsbereiche können davon abweichende Festlegungen getroffen werden.

3) Abweichend von der Rechteckform sind T-förmige, L-förmige, kreuzförmige und Z-förmige Grundrisse zulässig, soferne die Rechteckform dominiert. Die über die Gebäudelänge vorspringenden Bauteile dürfen die halbe Gebäudebreite nicht überschreiten.

4) Die Geschoßanzahl darf ein Hauptgeschoß nicht überschreiten. Darüber hinaus ist ein ausgebautes Dachgeschoß und die Ausbildung eines Kellergeschoßes zulässig. Die Kellerdeckenoberkante darf maximal 1,0 m über dem bestehenden natürlichen Terrain zu liegen kommen. Die Gebäudehöhe (Traufe) darf nicht mehr als 4,5 m betragen.

§ 9 DACHFORM UND DACHDECKUNG

1) Für die Hauptbaukörper sind nur symmetrische Satteldächer zulässig.

2) Die Dachneigung muß zwischen 38 und 48 liegen. Auf benachbarte Baubestände ist dabei durch Anpassung an diese Bedacht zu nehmen. Für Nebengebäude sind in Verbindung mit Terrassen und Flugdächern auch Flachdächer zulässig, soferne eine Fläche von 30 m2 (Baukörper) nicht überschritten wird.

3) Als Dachdeckungsmaterial ist kleinformatiges Material mit roter bis rotbrauner Farbe zu verwenden.

4) Die Firstrichtung hat der Gebäudelängsrichtung zu entsprechen.

§ 10 STELLUNG VON GEBÄUDEN, NEBENGEBÄUDE

1) Für den Geltungsbereich der Bebauungsrichtlinien ist die offene Bebauung festgelegt.

2) Ausnahmen sind bei gekuppelter Bauweise für Nebengebäude (Garagen) und für Einfamilienhäuser (Doppelhaus) zulässig.

§ 11 GESTALTUNG VON BAUTEN

Zur Wahrung des Orts- und Landschaftsbildes sind die Bauten zurückhaltend zu gestalten, daher sind grelle und leuchtende Fassadenflächen und aufdringliches Dekor nicht zulässig.

§ 12 RECHTSKRAFT

Die Bebauungsrichtlinien treten 14 Tage nach ihrer Kundmachung in Kraft."

3.2. Die Gemeinde Stallhof beschloss am den Bebauungsplan "Gurt-Gründe" (Beschluss über die Auflage vom ), kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von bis , in Kraft seit .

3.3. § 27 Abs 1, 2 bis 6, § 28 sowie § 29 Abs 5 und 6 des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1974, LGBl. Nr. 127/1974 idF LGBl. Nr. 59/1995, in der Folge: Stmk ROG 1974, lauten:

"§27

Verfahren zur Bebauungsplanung

(1) Jede Gemeinde hat nach Inkrafttreten des Flächenwidmungsplanes mit der Bebauungsplanung zu beginnen und durch Verordnung Bebauungspläne zu erlassen. Die Gemeinde kann Teile des Baulandes, für die Bebauungspläne nicht erforderlich sind, mit Beschluß festlegen (Zonierung). Die Gründe für eine derartige Festlegung sind der Aufsichtsbehörde mitzuteilen. Für diese Teile des Baulandes können die Gemeinden durch Verordnung entsprechend dem Gebietscharakter, ferner für einzelne Bebauungsweisen, Bebauungsrichtlinien festlegen. Die Festlegungen der Teile des Baulandes, für die Bebauungspläne nicht erforderlich sind, sind bei der nächsten regelmäßigen Überprüfung oder Änderung des Flächenwidmungsplanes im Flächenwidmungsplan zu treffen. Bei jeder weiteren Fortführung oder Änderung des Flächenwidmungsplanes sind der Bebauungsplan und die Bebauungsrichtlinien sowie der Inhalt der Festlegungen zu überprüfen. Alle zu fassenden Beschlüsse des Gemeinderates bedürfen einer Zweidrittelmehrheit.

[...]

(2) Im Verfahren zur Erstellung von Bebauungsplänen - ausgenommen jene für Einkaufszentren (Abs1a) - und Erlassung von Bebauungsrichtlinien sind die grundbücherlichen Eigentümer der im Planungsgebiet liegenden und der daran angrenzenden Grundstücke sowie die für die örtliche Raumplanung zuständige Abteilung des Amtes der Landesregierung anzuhören. Der Entwurf von Bebauungsplänen ist durch mindestens sechs Wochen im Gemeindeamt (Magistrat) während der Amtsstunden zur allgemeinen Einsicht aufzulegen. Für das weitere Verfahren zur Erlassung von Bebauungsplänen gelten die Bestimmungen des § 29 Abs 5 und 6.

(3) Die Änderung der Bebauungspläne - ausgenommen jene für Einkaufszentren (Abs1a) - und Bebauungsrichtlinien hat der Gemeinderat nach Anhörung der grundbücherlichen Eigentümer der im Planungsgebiet liegenden und der daran angrenzenden Grundstücke und der für die örtliche Raumplanung zuständigen Abteilung des Amtes der Landesregierung zu beschließen.

(4) Bebauungspläne und Bebauungsrichtlinien dürfen Gesetzen und Verordnungen des Bundes und des Landes, insbesondere den Raumordnungsgrundsätzen und den Entwicklungsprogrammen des Landes, sowie dem Flächenwidmungsplan nicht widersprechen. Auf die örtlichen Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinden ist insbesondere im Bereich der gemeinsamen Grenzen Bedacht zu nehmen.

(5) entfällt

(6) Für die Teile des Baulandes, für die gemäß Abs 1 Bebauungspläne erforderlich sind, haben die Gemeinden im Anlaßfall Bebauungspläne zu erstellen. Baubewilligungen nach dem Steiermärkischen Baugesetz dürfen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes erteilt werden. Für Zubauten ist ein Gutachten eines Sachverständigen auf dem Gebiete der Ortsplanung einzuholen.

§28

Inhalt der Bebauungsplanung

(1) Mit der Bebauungsplanung ist eine den Raumordnungsgrundsätzen entsprechende Entwicklung der Struktur und Gestaltung des im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Baulandes anzustreben. Im Bebauungsplan sind die Inhalte des Flächenwidmungsplanes ersichtlich zu machen.

(2) In den Bebauungsplänen sind jedenfalls festzulegen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
die Bebauung mit den Bebauungsweisen und dem Maß der baulichen Nutzung;
2.
die Verkehrsanlagen;
3.
die öffentlichen Flächen und Anlagen;
4.
die Freiflächen.

(3) Die Landesregierung kann durch Verordnung nach Maßgabe der Abs 1 und 2 nähere Bestimmungen festlegen betreffend


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
die Bebauungsplanung, insbesondere über die Planungsgrundsätze, die Gestaltung und den Umfang der Bebauungspläne und der Bebauungsrichtlinien,
-
die Form und den Maßstab der zeichnerischen Darstellung und Planzeichen,
-
die Zonierung gemäß § 27 Abs 1.

(4) Durch den Bebauungsplan können insbesondere zur Erhaltung und Gestaltung eines erhaltenswerten Orts-, Straßen- oder Landschaftsbildes zusätzliche Angaben gegeben werden, in denen nähere Ausführungen über die äußere Gestaltung (Ansichten, Dachformen, Dachdeckung, Anstrich, Baustoff u. dgl.) von Bauten, Werbeeinrichtungen und Einfriedungen enthalten sind.

§29

Verfahren

[...]

(5) Der Bürgermeister hat den Entwurf des Flächenwidmungsplanes samt den eingelangten schriftlichen Einwendungen dem Gemeinderat zur Beschlußfassung vorzulegen. Einwendungen, die der Bestimmung des Abs 3 entsprechen, sind vom Gemeinderat zu beraten und in Abwägung mit den örtlichen Raumordnungsinteressen nach Möglichkeit zu berücksichtigen.

(6) Der Beschluß über den Flächenwidmungsplan in einer anderen als der zur Einsicht aufgelegten Fassung ist nur nach Anhörung der durch die Änderung Betroffenen zulässig, es sei denn, daß durch diesen Beschluß begründeten Einwendungen gemäß Abs 3 Rechnung getragen werden soll und die Änderung keine Rückwirkung auf Dritte hat. Nach erfolgter Beschlußfassung sind diejenigen, die Einwendungen vorgebracht haben, schriftlich davon zu benachrichtigen, ob ihre Einwendungen berücksichtigt wurden oder nicht; erfolgt keine Berücksichtigung, ist dies zu begründen."

II. 1. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, gemäß Art 139 Abs 1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der §§8, 9, 10 und 11 der Verordnung der Gemeinde Stallhof, "Bebauungsrichtlinien", vom , kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von bis , von Amts wegen zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof ist im Einleitungsbeschluss vorläufig davon ausgegangen, dass die Beschwerde zulässig ist, die belangte Behörde sich bei Erlassung des bekämpften Bescheides auf § 8 Abs 1 und 4, § 9 Abs 1 bis 3, § 10 Abs 1 und § 11 der Bebauungsrichtlinien gestützt hat und er zur Beurteilung der Beschwerde die in Prüfung gezogene Verordnung insoweit anzuwenden hätte.

Er ging weiters vorläufig davon aus, dass die im angefochtenen Bescheid nicht angewendeten Bestimmungen der §§8, 9 und 10 der Bebauungsrichtlinien mit den restlichen in Prüfung gezogenen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.

2. Der Verfassungsgerichtshof stellte in seinem Prüfungsbeschluss das derzeit nach dem Stmk ROG 1974 geltende Regelungssystem der Bebauungsplanung wie folgt dar:

"[Es] [...] sieht einerseits Bebauungspläne und andererseits für Teile des Baulandes, für die Bebauungspläne nicht erforderlich sind, eine Zonierung vor; für diese Teile des Baulandes können die Gemeinden durch Verordnung 'entsprechend dem Gebietscharakter, ferner für einzelne Bebauungsweisen, Bebauungsrichtlinien' festlegen. Mit der Bebauungsplanung - als einem Begriff, der Bebauungspläne und Bebauungsrichtlinien umfasst - ist gemäß § 28 Abs 1 Stmk ROG 1974 eine den Raumordnungsgrundsätzen entsprechende Entwicklung der Struktur und Gestaltung des im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Baulandes anzustreben. Gemäß § 28 Abs 4 leg. cit. können in einem Bebauungsplan insbesondere zur Erhaltung und Gestaltung eines erhaltenswerten Orts-, Straßen- oder Landschaftsbildes nähere Bestimmungen über die äußere Gestaltung von Bauten, etwa über Ansichten, Dachformen, Dachdeckung, Anstrich, Baustoff u. dgl., getroffen werden. Bebauungspläne müssen gemäß § 28 Abs 2 leg. cit. jedenfalls die Bebauung mit den Bebauungsweisen und dem Maß der baulichen Nutzung [etwa Bebauungsdichte, Bebauungsgrad, Abstände, Geschossanzahl, Gebäudehöhe, Bauflucht-, Baugrenz-, Straßenfluchtlinien] die Verkehrsanlagen, die öffentlichen Flächen und Anlagen und die Freiflächen festlegen.

Eine ausdrückliche Regelung über den Mindestinhalt von Bebauungsrichtlinien (wie in § 28 Abs 2 Stmk ROG 1974 für Bebauungspläne) hat der Raumordnungsgesetzgeber nicht getroffen. Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass der Verordnungsgeber in Bebauungsrichtlinien Regelungen im gleichen Umfang wie in Bebauungsplänen treffen darf. Daran dürfte auch die im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck kommende, sich aus den Gesetzesmaterialien ergebende Absicht des Gesetzgebers nichts ändern, dass Bebauungsrichtlinien im Vergleich zum Bebauungsplan einen wesentlich geringeren Inhalt haben und nur 'Zielvorgaben' enthalten sollen.

Im Verfahren zur Erstellung von Bebauungsplänen und Erlassung von Bebauungsrichtlinien sind gemäß § 27 Abs 2 Stmk ROG 1974 die grundbücherlichen Eigentümer der im Planungsgebiet liegenden und der daran angrenzenden Grundstücke sowie die für die örtliche Raumordnung zuständige Abteilung des Amtes der Landesregierung anzuhören. Jedoch dürfte - zumindest nach dem Gesetzeswortlaut - nur im Verfahren zur Erstellung von Bebauungsplänen bestimmt sein, dass der Entwurf von Bebauungsplänen durch mindestens sechs Wochen im Gemeindeamt (Magistrat) während der Amtsstunden zur allgemeinen Einsicht aufzulegen ist. Für das weitere Verfahren zur Erlassung von Bebauungsplänen und nach dem Gesetzeswortlaut nicht auch zur Erlassung von Bebauungsrichtlinien dürften die Bestimmungen des § 29 Abs 5 und 6 (Bestimmungen über die Vorlage des Entwurfs zur Beschlussfassung, die Behandlung von Einwendungen und über eine erneute Anhörung der durch die Änderung Betroffenen im Falle des Beschlusses über den Bebauungsplan in einer anderen als der zur Einsicht aufgelegten Fassung) gelten. Nach § 27 Abs 2 Stmk ROG 1974 dürfte somit im Verfahren zur Erlassung von Bebauungsrichtlinien keine Pflicht zur Auflage des Entwurfs bestehen. Das im Gesetz vorgesehene Anhörungsrecht der betroffenen Grundeigentümer dürfte aber in gleichheitskonformer Weise so zu verstehen sein, dass damit zumindest die Pflicht des Verordnungsgebers zur individuellen Verständigung der Grundeigentümer verbunden ist, um das vom Gesetzgeber eingeräumte Mitspracherecht zu gewährleisten. Wenn der Verordnungsgeber jedoch statt der Verständigung der Grundeigentümer den Entwurf der Bebauungsrichtlinien zur allgemeinen Einsicht auflegt, so dürfte die Einhaltung des in § 27 Abs 2 iVm § 29 Abs 5 und 6 geregelten Verfahrens geboten sein."

3. Aus folgenden Gründen hegte der Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Bebauungsrichtlinien:

"3.1. Die Entscheidungsgrundlagen, von denen die Gemeinde Stallhof bei Erlassung der hier präjudiziellen Verordnungsbestimmungen ausging, dürften nicht in ausreichendem Maße erkennbar sein:

Der Verfassungsgerichtshof hegt das Bedenken, dass den in den Bebauungsrichtlinien getroffenen Festlegungen keine Grundlagenforschung - in Form einer Bestandsaufnahme gemäß § 4 Abs 1 iVm § 18 Z 1 Stmk ROG 1974 oder eines Erläuterungsberichtes - (vgl. zur mangelnden Grundlagenforschung anlässlich der Erlassung eines Entwicklungsprogrammes gemäß § 4 iVm § 8 Abs 3 Stmk ROG 1974 VfSlg. 14.616/1996; zur mangelnden Grundlagenforschung anlässlich der Erlassung eines Bebauungsplanes vgl. zur NÖ BauO 1976 und 1996 und VfSlg. 16.095/2001 zur BO f Wien) vorausgegangen sein dürfte.

3.2. Sollte der Verfassungsgerichtshof zu dem Ergebnis gelangen, dass die Beschwerdeführerin als Eigentümerin eines im Planungsgebiet der Bebauungsrichtlinien liegenden Grundstückes nicht individuell verständigt worden ist und dass § 27 Abs 2 Stmk ROG 1974 zur Gänze auch auf die Erstellung der in Prüfung gezogenen Bebauungsrichtlinien anzuwenden ist, so hegt er auch das Bedenken, dass die Gemeinde Stallhof den Entwurf der Bebauungsrichtlinien entgegen der Bestimmung des § 27 Abs 2 Stmk ROG nicht während einer Frist von sechs Wochen ('mindestens') sondern lediglich von vier Wochen zur allgemeinen Einsicht aufgelegt haben dürfte.

Es ist Sinn und Zweck jeder Auflage eines Planentwurfs und einer Verständigung über eine solche Auflage, den Planunterworfenen eine ausreichende Möglichkeit zur Erhebung allfälliger Einwendungen einzuräumen, mit anderen Worten: ihr Mitspracherecht zu gewährleisten (vgl. zum OÖ ROG VfSlg. 12.401/1990). Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Judikatur ausgesprochen, dass (kleinere) Verstöße gegen Formvorschriften bei Auflage von Entwürfen und der Verständigung darüber dann (noch) keine Gesetzwidrigkeit des Zustandekommens des Planes bewirken, wenn dadurch die Unterrichtung der betroffenen Gemeindebürger über die beabsichtigten Planungsmaßnahmen nicht beeinträchtigt wird (s. hiezu VfSlg. 8463/1978 S. 497, 9150/1981 S. 528f. und 10.208/1984 S. 383). Wenn aber eine derartige Beeinträchtigung eintritt, dann hat der ihr zugrunde liegende Verstoß gegen Verfahrensvorschriften die Gesetzwidrigkeit der Verordnung zur Folge (vgl. VfSlg. 12.785/1991). Eine Verkürzung der der Sicherung der Anhörungsrechte dienlichen Auflagefrist um zwei Wochen dürfte auch nicht mehr als geringfügig angesehen werden können (vgl. VfSlg. 7524/1975, 7597/1975, vgl. insbesondere 16.031/2000 mwH zur Verkürzung einer dreiwöchigen Mindestfrist um zwei Tage zur Kundmachung der Ort und Zeit der öffentlichen Erörterung gemäß § 35 Abs 2 UVP-G).

Der vorläufig angenommene Verfahrensmangel dürfte beachtlich sein und die gesamte Verordnung mit Gesetzwidrigkeit belasten (vgl. VfSlg. 8213/1977, 13.707/1994 und 16.031/2000).

[...] Im Verordnungsprüfungsverfahren wird auch zu klären sein, ob die Bebauungsrichtlinien noch in Kraft sind - unabhängig davon, dass sie aufgrund des Inkrafttretens des Bebauungsplans 'Gurt-Gründe' auf die Grundstücke der Beschwerdeführerin nicht mehr anzuwenden sein dürften - oder ob ihnen durch Inkrafttreten anderer Bebauungspläne zur Gänze derogiert worden ist."

4. Die Steiermärkische Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, die Bebauungsrichtlinien nicht als gesetzwidrig aufzuheben. Sie verweist darauf, dass nach Auskunft der Gemeinde Stallhof und des Ortsplaners Grundlagenerhebungen und ausreichende Bestandsanalysen der Erlassung der Bebauungsrichtlinien vorangegangen seien. Insbesondere seien "hiebei" die Grundlagen der §§8 - 11 der Bebauungsrichtlinien angeführt. Die §§8 - 11 der Verordnung stellten allgemeine, für bestehende "Wohnbaugebiete" und ein Dorfgebiet gültige Vorschriften für die äußere Gestaltung bzw. die Grundrissbildung von Bauten dar. Die Bebauungsrichtlinien seien "in der Eigenart der in dieser Landschaft vorhandenen speziellen Hausform eines so genannten 'weststeirischen Hauses'" begründet. Die §§8 - 11 enthielten iSd Steiermärkischen Raumordnungsgesetz-Novelle 1985 lediglich generelle Zielvorgaben.

Was den Verfahrensmangel der vierwöchigen Auflagefrist betreffe, so habe die Steiermärkische Landesregierung diesen der Gemeinde auch mit Schreiben vom mitgeteilt.

Der Bebauungsplan "Gurt-Gründe" sei am in Kraft getreten. Aus dem Bebauungsplan samt planlicher Darstellung sowie aus den Erläuterungen zum Standort ergebe sich, dass nun der Bebauungsplan "Gurt-Gründe" auf die Baulandgrundstücke Nr. 14/5, 14/6, 14/7 sowie 15/2 und 16 der Beschwerdeführerin anzuwenden sei. Daher sei davon auszugehen, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der Bebauungsrichtlinien "bezüglich ihrer Anwendbarkeit gegenüber der Beschwerdeführerin derogiert sind".

5. Die Gemeinde Stallhof legte weitere Verwaltungsakten vor.

6. Die Beschwerdeführerin des Anlassbeschwerdeverfahrens erstattete eine Äußerung.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes, dass das Beschwerdeverfahren, das Anlass zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens gegeben hat, zulässig ist und dass der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Beschwerde § 8 Abs 1 und 4, § 9 Abs 1 bis 3, § 10 Abs 1 und § 11 der in Prüfung gezogenen Verordnung der Gemeinde Stallhof anzuwenden hätte, haben sich als zutreffend erwiesen. Weiters stehen die nicht angewendeten Bestimmungen der §§8, 9 und 10 der Bebauungsrichtlinien mit den restlichen in Prüfung gezogenen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang.

2.1. Auch die vorläufigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen die Gesetzmäßigkeit der in Rede stehenden Verordnung treffen im Ergebnis insoweit zu, als ein nicht unbeachtlicher Verfahrensmangel bei der Erlassung der Bebauungsrichtlinien unterlaufen ist:

2.1.1. Entgegen der Annahme im Prüfungsbeschluss sind die Verfahrensbestimmungen des Stmk ROG 1974 bezüglich der Erlassung der Bebauungsrichtlinien wie folgt auszulegen:

Im Verfahren zur Erstellung von Bebauungsplänen und Erlassung von Bebauungsrichtlinien sind gemäß § 27 Abs 2 erster Satz Stmk ROG 1974 die grundbücherlichen Eigentümer der im Planungsgebiet liegenden und der daran angrenzenden Grundstücke sowie die für die örtliche Raumordnung zuständige Abteilung des Amtes der Landesregierung anzuhören.

Das in § 27 Abs 2 erster Satz leg. cit. vorgesehene Anhörungsrecht der betroffenen Grundeigentümer setzt jedenfalls deren individuelle Verständigung voraus (vgl. auch das Anhörungsrecht gemäß § 29 Abs 6 Stmk ROG 1974 der von einer Änderung eines Planentwurfs Betroffenen, wenn der Beschluss über den Plan in einer anderen als der zur Einsicht aufgelegten Fassung erfolgt). Die Auflage des Planentwurfs durch mindestens sechs Wochen im Gemeindeamt (Magistrat) während der Amtsstunden zur allgemeinen Einsicht gemäß § 27 Abs 2 zweiter Satz leg. cit. - die im Übrigen nur im Verfahren zur Erstellung von Bebauungsplänen vorgesehen ist - kann nach den Bestimmungen des Stmk ROG 1974 die individuelle Verständigung nicht ersetzen, da damit nicht sichergestellt ist, dass alle Grundeigentümer erreicht werden können.

2.1.2. Es ist Sinn und Zweck einer Anhörung, den Betroffenen eine ausreichende Möglichkeit zur Erhebung allfälliger Einwendungen einzuräumen, um deren Mitspracherecht zu gewährleisten. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes führen (kleinere) Verstöße gegen Formvorschriften bei Auflage von Entwürfen und der Verständigung darüber dann (noch) nicht zur Gesetzwidrigkeit des Planes, wenn dadurch die Unterrichtung der betroffenen Gemeindebürger über die beabsichtigten Planungsmaßnahmen nicht beeinträchtigt wird (s. hiezu VfSlg. 8463/1978, 9150/1981, 10.208/1984, 12.480/1990, 12.785/1991 und 16.031/2000). Als zur Aufhebung der Verordnung führende Verfahrensmängel erachtete der Verfassungsgerichtshof insbesondere das Unterbleiben der nach dem Gesetz vorgeschriebenen Anhörung (VfSlg. 9358/1982, 13.783/1994), die Beeinträchtigung des Anhörungsrechtes (VfSlg. 12.785/1991) sowie die Unterlassung einer im Gesetz vorgesehenen Verständigung der Grundeigentümer von der Entwurfsauflage, da es sich dabei "nach der Konzeption des Gesetzes keineswegs um eine bloße Formalität von untergeordneter Bedeutung, über die in bestimmten Fällen - etwa bei Dringlichkeit - hinweggesehen werden könnte", handle (VfSlg. 13.707/1994); gleiches gilt für die Verletzung der gesetzlichen Auflageverpflichtung (VfSlg. 16.031/2000 mwH).

2.1.3. Aus den Akten, insbesondere aus einem Schreiben des Ortsplaners, ergibt sich, dass die betroffenen Grundeigentümer über die Absicht zur Erlassung der Bebauungsrichtlinien nicht verständigt wurden. Hingegen wurde der am beschlossene Entwurf der Bebauungsrichtlinien in der Zeit vom 28. September bis zur allgemeinen Einsicht aufgelegt.

2.1.4. Durch die im vorliegenden Fall gewählte Vorgangsweise, nämlich die Auflage des Entwurfs der Bebauungsrichtlinien zur allgemeinen Einsicht, hat die Gemeinde Stallhof bewirkt, dass die betroffenen Grundeigentümer in ihrem nach § 27 Abs 2 Stmk ROG 1974 zustehenden Anhörungsrecht beeinträchtigt wurden.

Die angefochtene Verordnung ist daher in einem gesetzwidrigen Verfahren zustande gekommen; aus den dargelegten Erwägungen folgt, dass sich die erwiesene Gesetzwidrigkeit nicht auf die in Prüfung genommene präjudizielle Verordnungsstelle beschränkt, sondern die gesamte Verordnung betrifft. In einer diesbezüglich gleich gelagerten Verordnungsprüfungssache (in welcher ein Flächenwidmungsplan aufgrund eines dem Raumplanungsgesetz nicht entsprechenden Verfahrens zustande gekommen und daher gesetzwidrig war) hat der Verfassungsgerichtshof den die Verordnung zur Gänze mit Gesetzwidrigkeit belastenden Mangel den in den lita bis c des Art 139 Abs 3 B-VG ausdrücklich genannten Fällen gleichgestellt und die betreffende Verordnung insgesamt als gesetzwidrig aufgehoben (VfSlg. 8213/1977, 13.707/1994).

2.2. Angesichts dieses Ergebnisses kann es dahingestellt bleiben, ob die Entscheidungsgrundlagen, von denen die Gemeinde Stallhof bei Erlassung der hier präjudiziellen Verordnungsbestimmungen ausgegangen ist, in ausreichendem Maße erkennbar sind.

3. Die Bebauungsrichtlinien der Gemeinde Stallhof vom und ("Endbeschluss im Zuge der Revision") wurden am neuerlich beschlossen. Die Verordnung wurde durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom bis kundgemacht und trat am in Kraft. Der räumliche (§1) und sachliche Geltungsbereich stimmt mit jenem der in Prüfung gezogenen Verordnung überein. Sogar eine unveränderte Neuerlassung durch den Verordnungsgeber berührt - anders als eine Wiederverlautbarung - die Identität der Norm (vgl. VfSlg. 16.058/2000). Im Hinblick auf die neuerliche Beschlussfassung hatte sich der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 139 Abs 4 B-VG auf die Feststellung zu beschränken, dass die Verordnung gesetzwidrig war.

4. Die Verpflichtung der Steiermärkischen Landesregierung zur Kundmachung dieses Ausspruches stützt sich auf Art 139 Abs 5 B-VG.

5. Der von der im Verfahren zu B2364/00 beschwerdeführenden und im vorliegenden Verfahren mitbeteiligten Partei beantragte Kostenersatz für die Erstattung von Äußerungen im Verordnungsprüfungsverfahren und im Anlassbeschwerdeverfahren war nicht zuzusprechen, weil Kosten für Interventionen im amtswegig eingeleiteten Normprüfungsverfahren und für sonstigen Schriftsatzaufwand im Anlassbeschwerdeverfahren durch den dort zuzusprechenden Pauschalsatz abgegolten werden.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.