VfGH vom 25.02.1997, V124/96
Sammlungsnummer
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Leitsatz
Aufhebung der Flächenwidmungsplanänderung Nr 180 der Stadtgemeinde Lienz vom und mangels gesetzlicher Deckung nach Aufhebung bzw Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Tir RaumOG 1994, jedoch nur im präjudiziellen Umfang infolge nicht auszuschließender, einer gänzlichen Aufhebung zuwiderlaufender Interessen der Parteien (vgl E v , G195/96 ua).
Spruch
1. Der Flächenwidmungsplan der Landeshauptstadt Innsbruck vom und , Z 80 Cg, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung am , ZVe-546-51/1975, kundgemacht durch öffentliche Auflage vom bis wird als gesetzwidrig aufgehoben, soweit darin das Eckgrundstück Erzherzog-Eugen-Straße - Beethovenstraße als Wohngebiet ausgewiesen ist.
2. Der Bebauungsplan Nr. 78 der Landeshauptstadt Innsbruck vom , ZVI-4441/51, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , ZVe-325/2 und 1189/2, wird als gesetzwidrig aufgehoben, soweit darin Festlegungen für den Bereich der Erzherzog-Eugen-Straße 23 getroffen werden.
3. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebungen im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B1311/96 protokollierte Beschwerde gegen den Bescheid der Berufungskommission in Bausachen der Landeshauptstadt Innsbruck vom , ZI-8297/1995, mit dem im 2. Spruchpunkt die Berufung der beschwerdeführenden Nachbarn gegen den Bescheid des Stadtmagistrats Innsbruck betreffend die Erteilung einer Baubewilligung für einen "Geschäftsum- und -anbau und einen Dachaufbau im Anwesen Erzherzog-Eugen-Straße 23" als unbegründet abgewiesen wurde, anhängig.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der sich die Beschwerdeführer in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in ihren Rechten durch die Anwendung gesetzwidriger Verordnungen, nämlich des Bebauungsplanes Nr. 78 der Landeshauptstadt Innsbruck vom , ZVI-4441/51, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , ZVe-325/2 und 1189/2, (im folgenden kurz: Bebauungsplan) sowie des diesem zugrundeliegenden Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Innsbruck vom und , Z 80 Cg, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung am , ZVe-546-51/1975, kundgemacht durch öffentliche Auflage vom 27. September bis , (im folgenden kurz: Flächenwidmungsplan), als verletzt erachten.
3. Aus Anlaß dieses Verfahrens beschloß der Verfassungsgerichtshof am den Bebauungsplan, soweit darin Festlegungen für den Bereich der Erzherzog-Eugen-Straße 23 getroffen werden, und den Flächenwidmungsplan, soweit darin das Eckgrundstück Erzherzog-Eugen-Straße - Beethovenstraße als Wohngebiet ausgewiesen ist, gemäß Art 139 Abs 1 B-VG auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.
3.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte unter anderem das vorläufige Bedenken, daß sich der Flächenwidmungsplan und der Bebauungsplan auf ein verfassungswidriges Gesetz stützten.
4. Die Tiroler Landesregierung verzichtete auf die Erstattung einer Äußerung.
5. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Innsbruck verteidigt in seiner Äußerung den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Flächenwidmungsplan ist ebenso wie der Bebauungsplan hinsichtlich des als Wohngebiet ausgewiesenen Eckgrundstücks Erzherzog-Eugen-Straße 23, präjudiziell, weil der Verfassungsgerichtshof diese Normen insoweit bei seiner Entscheidung über die zu B1311/96 protokollierte Beschwerde anzuwenden hat.
2. Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die inhaltliche Gesetzmäßigkeit von Verordnungen bezogen auf jenen Zeitpunkt zu prüfen, in dem sie angewendet wurden oder anzuwenden waren (VfSlg. 12755/1991 mwH). Im vorliegenden Fall sind die in Prüfung gezogenen Verordnungen daher an jener Rechtslage zu messen, von der die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen (Vorstellungs-)Bescheides auszugehen hatte; es ist dies die Rechtslage am Tage der Zustellung des letztinstanzlichen Gemeindebescheides.
3.2. Maßstab für die inhaltliche Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungen ist das Gesetz vom über die Raumordnung in Tirol (Tiroler Raumordnungsgesetz 1994), LGBl. für Tirol Nr. 81/1993, idF vor der 1. Raumordnungsgesetz-Novelle, LGBl. Nr. 4/1996 (im folgenden kurz: TROG 1994), da sich die den Verordnungsprüfungsverfahren zugrundeliegende Beschwerde gegen einen Bescheid der Gemeinde richtet, der noch vor der 1. Raumordnungsgesetz-Novelle ergangen war. Da mit Erkenntnis vom , G195/96 ua., der Verfassungsgerichtshof das TROG 1994 mit insoweit als verfassungswidrig aufhob, als ihm nicht durch die 1. Raumordnungsgesetz-Novelle derogiert wurde und feststellte, daß das TROG 1994 verfassungswidrig war, soweit ihm durch die 1. Raumordnungsgesetz-Novelle derogiert wurde, trifft das vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken zu, daß die genannten Verordnungen aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes erlassen wurden und daß sie sich auf ein verfassungswidriges Gesetz stützen.
3.3. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 7951/1976, 9535/1982, 10931/1986, , V297/94 ua.) hat die Verfassungswidrigkeit jener Gesetzesbestimmung, die die Verordnung trägt, zur Folge, daß die Verordnung hiermit der erforderlichen gesetzlichen Deckung entbehrt (Art139 Abs 3 lita B-VG). Dies hat nicht nur für den Fall der Aufhebung der maßgeblichen Gesetzesstelle als verfassungswidrig, sondern auch für den Fall zu gelten, daß sich der Verfassungsgerichtshof aufgrund ihres bereits erfolgten Außerkrafttretens auf den Ausspruch zu beschränken hatte, daß die maßgebliche Gesetzesbestimmung verfassungswidrig war: Art 139 Abs 3 B-VG ist nämlich - wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 8213/1977 ausgeführt hat - von dem Gedanken getragen, den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, in all jenen Fällen, in denen die festgestellte Gesetzwidrigkeit der präjudiziellen Verordnungsstelle offenkundig auch alle übrigen Verordnungsbestimmungen erfaßt, die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Der Fall, daß eine Verordnung aufgrund einer bereits außer Kraft getretenen, als verfassungswidrig erkannten gesetzlichen Vorschrift erlassen wurde, ist demnach dem Fall des Art 139 Abs 3 lita B-VG gleichzuhalten. Nur wenn sich Umstände im Sinne des Art 139 Abs 3, letzter Satz, B-VG ergeben, ist die betreffende Verordnung nicht zur Gänze aufzuheben.
Da im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen ist, daß die gänzliche Aufhebung der Verordnungen den rechtlichen Interessen der Parteien zuwiderläuft, waren die in Prüfung gezogenen Verordnungen lediglich in ihrem präjudiziellen Umfang aufzuheben.
4. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur Kundmachung dieser Aufhebungen stützt sich auf Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG.
5. Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.