VfGH vom 25.02.1997, V123/96

VfGH vom 25.02.1997, V123/96

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Aufhebung der Flächenwidmungsplanänderung Nr 180 der Stadtgemeinde Lienz vom und mangels gesetzlicher Deckung nach Aufhebung bzw Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Tir RaumOG 1994, jedoch nur im präjudiziellen Umfang infolge nicht auszuschließender, einer gänzlichen Aufhebung zuwiderlaufender Interessen der Parteien (vgl E v , G195/96 ua).

Spruch

1. Die Flächenwidmungsplanänderung des Gemeinderates der Gemeinde Mariastein vom , genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung am , ZVe1-546-516/3-6, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , wird als gesetzwidrig aufgehoben, soweit darin die GP 196/1 (Teilfläche), KG Mariastein, als Wohngebiet ausgewiesen ist.

2. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B1693/96 protokollierte Beschwerde gegen den Vorstellungsbescheid der Tiroler Landesregierung vom , ZVe1-550-2349/2-1, mit dem die Vorstellung der beschwerdeführenden Nachbarin gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde Mariastein, mit dem dem Bauwerber die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Reihenhauses auf der nunmehrigen GP 196/12, KG Mariastein, erteilt wurde, als unbegründet abgewiesen, anhängig.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der sich die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Erwerbstätigkeit und Unverletzlichkeit des Eigentums sowie in ihren Rechten durch die Anwendung gesetzwidriger Verordnungen als verletzt erachtet.

3. Aus Anlaß dieses Verfahrens beschloß der Verfassungsgerichtshof am die Flächenwidmungsplanänderung der Gemeinde Mariastein vom , genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung am , ZVe1-546-516/3-6, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , insoweit darin die GP 196/1 (Teilfläche), KG Mariastein, als Wohngebiet ausgewiesen ist, (im folgenden kurz: Flächenwidmungsplanänderung) gemäß Art 139 Abs 1 B-VG auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen.

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hegte unter anderem das vorläufige Bedenken, daß sich die Verordnung auf ein verfassungswidriges Gesetz stützte.

4. Die Tiroler Landesregierung und der Gemeinderat der Gemeinde Mariastein verzichteten auf die Erstattung einer Äußerung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Flächenwidmungsplan ist hinsichtlich der als Wohngebiet ausgewiesenen GP 196/1 (Teilfläche), KG Mariastein, präjudiziell, weil ihn der Verfassungsgerichtshof insoweit bei seiner Entscheidung über die zu B1693/96 protokollierte Beschwerde anzuwenden hat.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. Die im Prüfungsbeschluß dargestellten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich in der Sache selbst als berechtigt.

3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die inhaltliche Gesetzmäßigkeit von Verordnungen bezogen auf jenen Zeitpunkt zu prüfen, in dem sie angewendet wurden oder anzuwenden waren (VfSlg. 12755/1991 mwH). Im vorliegenden Fall ist die in Prüfung gezogene Verordnung daher an jener Rechtslage zu messen, von der die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen (Vorstellungs-)Bescheides auszugehen hatte; es ist dies die Rechtslage am Tage der Zustellung des letztinstanzlichen Gemeindebescheides.

3.2. Maßstab für die inhaltliche Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung ist das Gesetz vom über die Raumordnung in Tirol (Tiroler Raumordnungsgesetz 1994), LGBl. für Tirol Nr. 81/1993, idF vor der 1. Raumordnungsgesetz-Novelle, LGBl. Nr. 4/1996 (im folgenden kurz: TROG 1994), da sich die dem Verordnungsprüfungsverfahren zugrundeliegende Beschwerde gegen einen Bescheid der Gemeinde richtet, der noch vor der 1. Raumordnungsgesetz-Novelle ergangen war. Da mit Erkenntnis vom , G195/96 ua., der Verfassungsgerichtshof das TROG 1994 mit insoweit als verfassungswidrig aufhob, als ihm nicht durch die 1. Raumordnungsgesetz-Novelle derogiert wurde und feststellte, daß das TROG 1994 verfassungswidrig war, soweit ihm durch die 1. Raumordnungsgesetz-Novelle derogiert wurde, trifft das vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken zu, daß die genannte Verordnung aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes erlassen wurde und daß sie sich auf ein verfassungswidriges Gesetz stützt.

3.3. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 7951/1976, 9535/1982, 10931/1986, , V297/94 ua.) hat die Verfassungswidrigkeit jener Gesetzesbestimmung, die die Verordnung trägt, zur Folge, daß die Verordnung hiermit der erforderlichen gesetzlichen Deckung entbehrt (Art139 Abs 3 lita B-VG). Dies hat nicht nur für den Fall der Aufhebung der maßgeblichen Gesetzesstelle, sondern auch für den Fall zu gelten, daß sich der Verfassungsgerichtshof aufgrund ihres bereits erfolgten Außerkrafttretens auf den Ausspruch zu beschränken hatte, daß die maßgebliche Gesetzesbestimmung verfassungswidrig war: Art 139 Abs 3 B-VG ist nämlich - wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 8213/1977 ausgeführt hat - von dem Gedanken getragen, den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, in all jenen Fällen, in denen die festgestellte Gesetzwidrigkeit der präjudiziellen Verordnungsstelle offenkundig auch alle übrigen Verordnungsbestimmungen erfaßt, die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Der Fall, daß eine Verordnung aufgrund einer bereits außer Kraft getretenen, als verfassungswidrig erkannten gesetzlichen Vorschrift erlassen wurde, ist demnach dem Fall des Art 139 Abs 3 lita B-VG gleichzuhalten. Nur wenn sich Umstände im Sinne des Art 139 Abs 3, letzter Satz, B-VG ergeben, ist die betreffende Verordnung nicht zur Gänze aufzuheben.

Da im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen ist, daß die gänzliche Aufhebung der Flächenwidmungsplanänderung den Interessen der Parteien zuwiderläuft, war die in Prüfung gezogene Verordnung lediglich in ihrem präjudiziellen Umfang aufzuheben.

4. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur Kundmachung dieser Aufhebung stützt sich auf Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG.

5. Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.