VfGH vom 18.06.2002, V122/01

VfGH vom 18.06.2002, V122/01

Sammlungsnummer

16548

Leitsatz

Aufhebung einer Kanalgebührenordnung zur Gänze mangels ausreichender Kundmachung; inhaltliche Gesetzwidrigkeit von Wortfolgen betreffend die Entstehung der Gebührenpflicht infolge Festlegung einer im Widerspruch zum Finanzausgleichsgesetz als Benützungsgebühr und nicht als Interessentenbeitrag gewerteten Kanalanschlußgebühr wegen fehlender landesgesetzlicher Ermächtigung

Spruch

Die Kanalgebührenordnung der Gemeinde Prägraten am Großvenediger vom , kundgemacht durch Auflage im Gemeindeamt vom bis zum , wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B806/99 das Verfahren über eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

1.1. Mit Bescheid vom stellte der Bürgermeister der Gemeinde Prägraten am Großvenediger fest, ein Objekt (Wohnhaus), das im Eigentum des Beschwerdeführers steht, unterliege "der Anschlusspflicht an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage der Gemeinde". Mit Bescheid vom ("Anschlußbescheid" iSd § 11 Tiroler KanalisationsG) legte der Bürgermeister die näheren Bestimmungen für den Anschluß an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage fest.

1.2. Mit Bescheid vom schrieb der Bürgermeister dem Beschwerdeführer eine Kanalanschlußgebühr von S 40.150,- (einschließlich 10 % USt.) vor. Begründend führte er ua. aus, die Gebührenpflicht entstehe mit Baubeginn jenes Bauabschnitts der Abwasserbeseitigungsanlage, in dessen Einzugsbereich das anzuschließende Grundstück bzw. Objekt liege, das sei hier der . Die Anschlußpflicht für das Grundstück bzw. das darauf befindliche Gebäude sei mit Bescheid vom festgestellt worden.

Der Gemeindevorstand der Gemeinde Prägraten gab mit Bescheid vom einer Berufung keine Folge, nachdem bereits der Bürgermeister eine abweisende Berufungsvorentscheidung erlassen hatte.

1.3. Mit Bescheid vom wies die Tiroler Landesregierung eine Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den Berufungsbescheid ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde.

2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Wortfolgen "Verpflichtung bzw." und "3 und" im ersten Satz des § 2 Abs 1 der Kanalgebührenordnung der Gemeinde Prägraten am Großvenediger vom , kundgemacht durch Auflage im Gemeindeamt vom bis zum (in der Folge: KanalgebührenO) entstanden. Der Gerichtshof hat daher beschlossen, diese Wortfolgen von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

Im verfassungsgerichtlichen Verfahren sind keine Äußerungen abgegeben worden.

3. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten:

3.1. § 14 Abs 1 des - hier maßgeblichen - Finanzausgleichsgesetzes 1997, Art 65 BG BGBl. 201/1996 (FAG 1997), lautet auszugsweise:

"Ausschließliche Landes(Gemeinde)abgaben sind insbesondere:

1. - 14. ...


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15.
Interessentenbeiträge von Grundstückseigentümern und Anrainern;


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16.
Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen;


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17. ..."


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§15 Abs 3 FAG 1997 lautet auszugsweise:

"Die Gemeinden werden ferner ermächtigt, durch Beschluß der Gemeindevertretung folgende Abgaben vorbehaltlich weitergehender Ermächtigung durch die Landesgesetzgebung auszuschreiben:

1. - 4. ...

5. Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen, die für Zwecke der öffentlichen Verwaltung betrieben werden, mit Ausnahme von Weg- und Brückenmauten, bis zu einem Ausmaß, bei dem der mutmaßliche Jahresertrag der Gebühren das doppelte Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Einrichtung oder Anlage sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung einer der Art der Einrichtung oder Anlage entsprechenden Lebensdauer nicht übersteigt."

3.2.1. Das Tiroler Kanalisationsgesetz, LGBl. 40/1985 idF LG LGBl. 50/1986, lautete auszugsweise:

"§8

Anschlußbereich, Trennstelle

(1) Für jede öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage ist unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit der Anschlußbereich durch Verordnung des Gemeinderates in der Weise festzulegen, daß der Abstand zwischen der Achse des jeweiligen Sammelkanals und der Grenze des Anschlußbereiches festgesetzt wird. ...

(2) ...

§9

Anschlußpflicht, Anschlußrecht

(1) Anschlußpflichtig sind folgende Anlagen auf Grundstücken, die ganz oder teilweise im Anschlußbereich liegen: ...

(2) Die Behörde kann für bauliche Anlagen auf Grundstücken außerhalb des Anschlußbereiches die Anschlußpflicht festlegen, ...

(3) Die Behörde hat nach dem Eintritt der Rechtskraft der wasserrechtlichen Bewilligung für den betreffenden Sammelkanal einer öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage hinsichtlich der zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Anlagen mit schriftlichem Bescheid auszusprechen, daß eine Anlage nach Abs 1 anschlußpflichtig ist, oder die Anschlußpflicht für eine bauliche Anlage nach Abs 2 festzulegen. Hinsichtlich der Anlagen, die nach diesem Zeitpunkt errichtet werden, hat die Behörde jeweils nach der Einbringung des Ansuchens um Erteilung der Baubewilligung mit schriftlichem Bescheid auszusprechen, daß eine Anlage nach Abs 1 anschlußpflichtig ist, oder die Anschlußpflicht für eine bauliche Anlage nach Abs 2 festzulegen.

(4) In einem Bescheid nach Abs 3 erster Satz ist der Eigentümer der anschlußpflichtigen Anlage, in einem Bescheid nach Abs 3 zweiter Satz ist der Bauwerber der anschlußpflichtigen baulichen Anlage aufzufordern, innerhalb einer angemessenen, sechs Monate nicht übersteigenden Frist der Behörde jene Unterlagen vorzulegen, die zur Beurteilung der Beschaffenheit und der Menge der bei der Anlage anfallenden Abwässer erforderlich sind. ...

(5) Die Behörde hat auf Antrag des Eigentümers einer baulichen Anlage auf einem Grundstück außerhalb des Anschlußbereiches mit schriftlichem Bescheid die Bewilligung für den Anschluß der baulichen Anlage an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage zu erteilen, wenn dadurch deren Leistungsfähigkeit nicht überschritten wird, die Möglichkeit eines zweckmäßigen Ausbaues des öffentlichen Kanalnetzes nicht erschwert wird und ein privatrechtlicher Vertrag zwischen dem Eigentümer der baulichen Anlage und der Gemeinde über die Tragung der Kosten für die Errichtung und die Instandhaltung des Anschlußkanals vorliegt. Abs 4 gilt sinngemäß.

(6) ...

§11

Anschlußbescheid

(1) Die Behörde hat innerhalb von sechs Monaten nach der Vorlage der nach § 9 Abs 4 erforderlichen Unterlagen die näheren Bestimmungen für den Anschluß der betreffenden Anlage an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage mit schriftlichem Bescheid festzulegen (Anschlußbescheid).

(2) - (4) ..."

3.2.2. Dieses Gesetz steht seit nicht mehr in Kraft (§18 Abs 3 lita Tiroler KanalisationsG 2000, LGBl. 1/2001); dies hat aber für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung.

3.3.1. Die KanalgebührenO lautet auszugsweise (die in Prüfung genommenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

"KANALGEBÜHRENORDNUNG

der Gemeinde Prägraten am Großvenediger

Der Gemeinderat Prägraten am Großvenediger hat in seiner Sitzung am auf Grund der Ermächtigung durch § 15 Abs 3., Ziffer 5, FAG 1997, BGBl. Nr. 201/1996, für die Benützung der Kanalanlagen der Gemeinde Prägraten a.G. folgende Kanalgebührenordnung erlassen:

§1

Einteilung der Gebühren

Die Gemeinde Prägraten a.G. erhebt zur Deckung der Kosten für die Planung, Errichtung, Erweiterung, Instandhaltung und Erneuerung sowie für den Betrieb und die Verwaltung der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlagen Benützungsgebühren in Form von


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a)
Anschlussgebühren
b)
Erweiterungsgebühren
c)
laufende Gebühren (Kanalbenützungsgebühr)
d)
Zählergebühren

§2

Entstehen der Gebührenpflicht


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1) Der Gebührenanspruch auf die Anschlussgebühr entsteht mit der bescheidmäßigen Verpflichtung bzw. Berechtigung zum unmittelbaren oder mittelbaren Anschluss an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage (§9 Abs 3 und 5 des Tir. Kanalisationsgesetz, LGBl. Nr. 40/1985). Der Gebührenanspruch auf die Anschlussgebühr entsteht subsidiär mit dem tatsächlichen unmittelbaren oder mittelbaren Anschluss an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage.


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2) Bei Zu-, Um- und Ausbauten sowie bei Wiederaufbau von abgerissenen oder zerstörten Bauten entsteht die Gebührenpflicht zum Zeitpunkt des Baubeginnes jedoch nur insoweit, als die neue Bemessungsgrundlage den Umfang der früheren übersteigt.


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3) Die Pflicht zur Entrichtung der laufenden Kanalbenützungsgebühr entsteht mit der erstmaligen Einleitung von Abwässern in die Kanalanlage.


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4) Die Pflicht zur Entrichtung der Erweiterungsgebühr entsteht nach Inbetriebnahme der neuen Anlagenteile.


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...

§6

Fälligkeit und Entrichtung der Anschlussgebühr

Die Anschlussgebühr wird bescheidmäßig vorgeschrieben. Sie ist binnen einem Monat nach Bescheidzustellung zur Zahlung fällig.

...

§8

Gebührenschuldner

1) Schuldner der Kanalgebühren sind die Eigentümer der Grundstücke, die an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage angeschlossen sind.

2) - 3) ...

...

§10

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf der Kundmachung in Kraft."

3.3.2. Die Höhe der Anschlußgebühr ist in § 3 KanalgebührenO geregelt. Am beschloß der Gemeinderat eine Änderung dieser Bestimmung; dies wurde in der Art verlautbart, daß folgender Text durch Anschlag an der Amtstafel (vom 1. Oktober bis zum ) kundgemacht wurde:

"Der Gemeinderat setzt die Kanalanschlußgebühr bei Campingplätzen mit S 2.530,-- pro Stellplatz inkl. Mwst. fest, bzw. wird der § 3 Abs 5 der Kanalgebührenordnung der Gemeinde Prägraten a.G. vom dahingehend abgeändert."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.1.1. In seinem Einleitungsbeschluß nahm der Gerichtshof vorläufig an, daß die Beschwerde zulässig sei, daß die belangte Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides den ersten Satz des § 2 Abs 1 KanalgebührenO angewandt habe und daß auch der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung bei der Beurteilung der Beschwerde anzuwenden habe. Denn der Bescheid des Bürgermeisters vom - die weiteren im Instanzenzug ergangenen Bescheide nähmen dazu nicht Stellung - berufe sich ausdrücklich darauf, daß für das Grundstück des Beschwerdeführers die Anschlußpflicht festgestellt worden sei. Genau dann aber scheine nach § 2 Abs 1 erster Satz erste Alternative KanalgebührenO der Gebührenanspruch zu entstehen. § 2 Abs 1 knüpfe ausdrücklich an die bescheidmäßige Verpflichtung zum Anschluß an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage (§9 Abs 3 KanalisationsG) an.

§ 2 Abs 1 KanalgebührenO unterscheide zwischen der bescheidmäßigen Verpflichtung und der bescheidmäßigen Berechtigung zum Kanalanschluß. Da im Beschwerdefall nur eine Verpflichtung ausgesprochen worden sein dürfte, genüge es, die Wortfolge "Verpflichtung bzw." in Prüfung zu ziehen.

Damit, so nahm der Gerichtshof weiters an, dürfte die Wortfolge "3 und" im Klammerausdruck in untrennbarem Zusammenhang stehen, weil sich anscheinend § 9 Abs 3 KanalisationsG auf die Anschlußpflicht, sein Abs 5 aber auf das Anschlußrecht beziehe.

1.1.2. Der Verfassungsgerichtshof nahm weiters vorläufig an, daß die KanalgebührenO eine Verordnung iSd Art 18, 139 B-VG sei (Hinweis auf ; , V66/01 uva.) und daß sie in einer Form behördlich kundgemacht worden sei, die ausreichende Publizität gewährleiste (Hinweis auf VfSlg. 12382/1990, S 590 f. mwN; ): Es sei eine Kundmachung öffentlich angeschlagen worden, in der darauf hingewiesen worden sei, daß die KanalgebührenO beschlossen ("erlassen") worden sei und daß sie während einer bestimmten Frist "während der Amtsstunden im Gemeindeamt zur allgemeinen Einsichtnahme" aufliege.

1.2. Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß die diesbezüglichen Annahmen im Prüfungsbeschluß zutreffen.

Das Verordnungsprüfungsverfahren ist daher zulässig.

2.1.1. In der Sache hegte der Gerichtshof zunächst das Bedenken, daß die KanalgebührenO nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden sei.

Die vorgelegten Verordnungsakten enthalten eine "Kundmachung" mit folgendem Wortlaut:

"KUNDMACHUNG

Der Gemeinderat von Prägraten a.G. hat in seiner Sitzung vom für die Gemeinde Prägraten a.G. eine Verordnung gemäß § 8 Tiroler Kanalisationsgesetz (Festlegung des Anschlußbereich) und eine Kanalgebührenordnung erlassen.

Die Verordnung über den Anschlußbereich gemäß § 8 Tir. Kanalisationsgesetz und die Kanalgebührenordnung liegen in der Zeit vom bis während der Amtsstunden im Gemeindeamt zur allgemeinen Einsichtnahme auf.

Wer sich durch diesen Beschluß des Gemeinderates in seinen Rechten verletzt erachtet, kann gem. § 53 (2) der Tir. Gemeindeordnung innerhalb der Kundmachungsfrist beim Gemeindeamt Prägraten a.G. schriftlich Aufsichtsbeschwerde erheben."

Diese Kundmachung ist nach dem darauf angebrachten Vermerk am angeschlagen und am abgenommen worden.

Dazu führte der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluß aus:

"§53 Abs 1 der - hier maßgeblichen - Tiroler Gemeindeordnung 1966 (inzwischen abgelöst durch die Tiroler Gemeindeordnung 2001 LGBl. 36) schrieb vor, daß '[a]lle Beschlüsse und Verfügungen der Gemeindeorgane, die Verpflichtungen oder Belastungen der Gemeindebewohner zum Inhalt haben ..., ... binnen einer Woche nach Beschlußfassung durch öffentlichen Anschlag während zweier Wochen und in sonst ortsüblicher Weise in der Gemeinde kundzumachen' seien. Zu diesen 'Beschlüssen und Verfügungen' dürften auch Verordnungen wie die KanalgebührenO gehören (VfSlg. 9889/1983, vgl. auch VfSlg. 13811/1994; ; , V66/01)."

Im Prüfungsbeschluß wird sodann die oben geschilderte "Kundmachung" wiedergegeben und weiter ausgeführt, der Gerichtshof nehme vorläufig an,

"daß durch den öffentlichen Anschlag einer derartigen Kundmachung, die den Text der kundzumachenden Verordnung nicht enthält, dem Erfordernis des § 53 Abs 1 Tiroler Gemeindeordnung 1966 nicht entsprochen wird. Die bloße Auflage des kundzumachenden Textes zur Einsichtnahme im Gemeindeamt dürfte dieser Vorschrift gleichfalls nicht genügen, weil dabei von einem 'öffentlichen Anschlag' - nach dem Wortsinn dieser Bestimmung - anscheinend nicht mehr gesprochen werden kann (vgl. VfSlg. 14689/1996; ).

Die Verordnung vom , die § 3 Abs 5 KanalgebührenO novellierte, wird von diesem Bedenken nicht betroffen. Der Verfassungsgerichtshof geht jedoch davon aus, daß die ordnungsgemäße Kundmachung einer Novelle, die sich - wie hier - nur auf kurze Wortfolgen der Stammverordnung bezieht, den Kundmachungsmangel dieser Stammvorschrift nicht sanieren kann."

2.1.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen die in Prüfung genommenen Verordnungsstellen aber auch das weitere Bedenken, daß es keine gesetzliche Grundlage gebe, welche die Gemeinde Prägraten ermächtigte, Kanalanschlußgebühren wie die in der KanalgebührenO geregelten vorzuschreiben. Dazu führte er im Prüfungsbeschluß aus:

"Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 10947/1986

Anschlußgebühren dann als Benützungsgebühren iSd § 15 Abs 3 Z 5 FAG

qualifiziert, wenn sie in einem förmlichen Benützungsverhältnis, und

zwar immer am Beginn eines solchen, entstehen. Gemäß § 2 Abs 1 erster

Satz erste Alternative KanalgebührenO entsteht der Gebührenanspruch

'mit der bescheidmäßigen Verpflichtung ... zum unmittelbaren oder

mittelbaren Anschluss an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage

(§9 Abs 3 ... des Tir. Kanalisationsgesetz, LGBl. Nr. 40/1985).' Der

Gebührenanspruch dürfte daher, wie sich insbesondere aus § 9 Abs 3 KanalisationsG zu ergeben scheint, unter Umständen bereits entstehen, bevor der Anschluß möglich ist und benützt werden kann, sohin unabhängig davon, ob das anschlußpflichtige Objekt an das Kanalnetz tatsächlich angeschlossen ist oder nicht.

Der Verfassungsgerichtshof hat eine Wasseranschlußgebühr, die unmittelbar am Beginn eines förmlichen Benützungsverhältnisses stand, als Benützungsgebühr (VfSlg. 10947/1986), hingegen einen Kanalisationsbeitrag nach dem Steiermärkischen Kanalabgabengesetz, der ohne Rücksicht darauf zu leisten ist, ob die anschlußpflichtigen Liegenschaften an das Kanalnetz tatsächlich angeschlossen sind oder nicht, als Interessentenbeitrag qualifiziert (VfSlg. 10947/1986, 11376/1987, 15608/1999; vgl. auch VfSlg. 11244/1987), ebenso Anschlußgebühren nach den Kanalgebührenordnungen der Marktgemeinde Hopfgarten im Brixental und der Gemeinde Kirchdorf in Tirol, nach denen die Gebührenpflicht mit Eintritt der Rechtskraft des Anschlußbescheides entstand (; , V66/01), somit sogar zu einem späteren Zeitpunkt als nach der KanalgebührenO.

Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, daß es sich bei der Anschlußgebühr nach § 2 Abs 1 erster Satz erste Alternative KanalgebührenO nicht um eine Benützungsgebühr iSd § 14 Abs 1 Z 16, § 15 Abs 3 Z 5 FAG 1997, sondern um einen Interessentenbeitrag iSd § 14 Abs 1 Z 15 FAG 1997 handelt. Solche Interessentenbeiträge sind ausschließliche Landes(Gemeinde)abgaben, die, sollen sie aufgrund eines Beschlusses der Gemeindevertretung erhoben werden, gemäß § 8 Abs 5 F-VG eines Landesgesetzes bedürfen, das die Gemeinden zur Erhebung solcher Abgaben ermächtigt (vgl. VfSlg. 10947/1986; ; , V66/01). Der Verfassungsgerichtshof hegt nun das Bedenken, daß ein solches Gesetz, welches die Gemeinden des Bundeslandes Tirol zur Erhebung von Interessentenbeiträgen im allgemeinen oder zur Einhebung einer Anschlußgebühr nach der KanalgebührenO im besonderen ermächtigte, nicht besteht. Auch die belangte Behörde hat eingeräumt, daß der Tiroler Landesgesetzgeber ein 'Interessentenbeiträgegesetz' (noch) nicht erlassen hat.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinen Erkenntnissen vom , V5/01, und vom , V66/01, Bestimmungen der Kanalgebührenordnungen der Marktgemeinde Hopfgarten im Brixental und der Gemeinde Kirchdorf in Tirol, die eine Anschlußgebühr vorsahen, als gesetzwidrig aufgehoben; die rechtliche Konstruktion im Beschwerdefall ist anscheinend ähnlich derjenigen in jenen Fällen, ja der Gebührenanspruch scheint zeitlich noch früher zu entstehen ... ."

2.2. Diese Bedenken haben sich als zutreffend erwiesen: Die KanalgebührenO ist nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden, und die Wortfolgen "Verpflichtung bzw." und "3 und" im ersten Satz des § 2 Abs 1 der KanalgebührenO sind aus denselben Gründen gesetzwidrig, aus denen die vergleichbaren Bestimmungen der Kanalgebührenordnungen der Marktgemeinde Hopfgarten im Brixental () und der Gemeinde Kirchdorf in Tirol () gesetzwidrig waren.

2.3. Nach Art 139 Abs 3 litc B-VG hat der Verfassungsgerichtshof, wenn er zur Auffassung gelangt, daß die ganze Verordnung in gesetzwidriger Weise kundgemacht wurde, die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Da ein Hindernis im Sinne des letzten Satzes des Art 139 Abs 3 B-VG nicht vorliegt, hat der Verfassungsgerichtshof im Sinne dieser Vorschrift vorzugehen (vgl. ua. VfSlg. 10518/1985, 10719/1985, 12004/1989).

Die KanalgebührenO war daher zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben.

2.4. Die Aussprüche über die Bestimmung einer Frist und über die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung gründen sich auf Art 139 Abs 5 B-VG.

Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.