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VfGH vom 10.10.2016, V12/2016

VfGH vom 10.10.2016, V12/2016

Leitsatz

Aufhebung einer weiteren Bestimmung der Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012 betreffend das Systemdienstleistungsentgelt für den Bereich Tirol infolge Einbeziehung der Kosten der Ausfallsreserve in die Bemessungsgrundlage unter Hinweis auf ein Vorerkenntnis

Spruch

I. Die Wortfolge "Bereich Tirol: Cent 0,1180/kWh" in § 8 der Verordnung der Regulierungskommission der E-Control, mit der die Entgelte für die Systemnutzung bestimmt werden (Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012, SNE VO 2012), BGBl II Nr 440/2011, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag und Vorverfahren

1. Vor dem antragstellenden Gericht ist ein Verfahren anhängig, an dem als klagende Partei ein "Einspeiser" und "Erzeuger" im Sinne des § 7 Abs 1 Z 10 bzw. 17 ElWOG 2010 und als beklagte Partei ein "Regelzonenführer" im Sinne des § 7 Abs 1 Z 60 ElWOG 2010 beteiligt sind. Im für dieses Verfahren maßgeblichen Zeitraum von bis schrieb die Beklagte der Klägerin gemäß § 8 der Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012 (SNE VO 2012, BGBl II 440/2011) regelmäßig das Systemdienstleistungsentgelt vor. Da sämtliche Kraftwerke der Klägerin innerhalb der Regelzone Tirol einspeisten, gelangte dabei der in der SNE VO 2012 vorgesehene Tarif für den "Bereich Tirol" zu Anwendung. Weil die Klägerin die Ansicht vertrat, dass die Vorschreibungen zu Unrecht erfolgt seien, leistete sie diesen zum Teil nur unter Vorbehalt Folge. Nunmehr begehrt sie mit ihrer Klage eine teilweise Rückzahlung der für das Systemdienstleistungsentgelt für das Jahr 2012 geleisteten Zahlungen.

2. Mit dem vorliegenden, auf Art 139 iVm Art 89 Abs 2 B VG gestützten Antrag begehrt das Handelsgericht Wien festzustellen, dass die Wortfolge "Bereich Tirol: Cent 0,1180/kWh" in § 8 der Verordnung der Regulierungskommission der E Control, mit der die Entgelte für die Systemnutzung bestimmt werden (Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012, SNE VO 2012), BGBl II 440/2011, gesetzwidrig war.

Das antragstellende Gericht legt die Präjudizialität der angefochtenen Wortfolge in § 8 SNE VO 2012 dar. In der Sache hegt das Gericht im Anschluss an VfSlg 19.840/2013 das Bedenken, dass die mit der angefochtenen Wortfolge in § 8 SNE VO 2012 für den "Bereich Tirol" erfolgte Bestimmung des Systemdienstleistungsentgelts aus jenen Gründen gesetzwidrig ist, die den Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.840/2013 zur Aufhebung jener Wortfolge in § 8 SNE VO 2012 bestimmt haben, mit der das Systemdienstleistungsentgelt für den "Österreichischen Bereich" bestimmt worden ist. Der Verfassungsgerichtshof habe sich in dem genannten Erkenntnis "mit praktisch dem gleichen Sachverhalt bereits hinsichtlich der Regelzone Österreich" befasst. Die gleichen Überlegungen, die der Verfassungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis anstellte, würden daher auch für die nunmehr angefochtene Bestimmung betreffend den Bereich Tirol zutreffen. Das in § 8 SNE VO 2012 für den Bereich Tirol verordnete Systemdienstleistungsentgelt umfasse ebenso einen als "Ausfallsreserve" bezeichneten Kostenbestandteil, was der Verfassungsgerichtshof im genannten Erkenntnis (für den Österreichischen Bereich) als gesetzwidrig erachtet habe.

Die Regulierungskommission der E-Control teilte mit, im Hinblick auf VfSlg 19.840/2013 von der Erstattung einer Äußerung Abstand zu nehmen. Die im zivilgerichtlichen Anlassverfahren klagende Partei trat den Bedenken des antragstellenden Gerichts bei.

Die im zivilgerichtlichen Anlassverfahren beklagte Partei erstattete eine Stellungnahme, in der sie zunächst darauf hinweist, dass Zeugenaussagen im zivilgerichtlichen Anlassverfahren gezeigt hätten, dass Tertiärregelung und Ausfallsreserve gemeinsam beschafft würden, weil sie technisch dasselbe leisten würden. Zeugenaussagen hätten auch ergeben, dass mittlerweile der Abruf der Ausfallsreserve auf einem elektronischen Übertragungsweg mitgeteilt werde, die Entscheidung aber durch den "Diensthabenden" erfolge. Eine unternehmerische Entscheidung zum Abruf der Ausgleichsreserve liege daher nach der Beschaffung der Ausgleichsreserve nicht mehr vor. Vor diesem Hintergrund bringt die beklagte Partei im zivilgerichtlichen Anlassverfahren vor, dass jene von ihr im Verfahren VfSlg 19.840/2013 dem Verfassungsgerichthof bereits vorgetragenen Argumente (weiterhin) für eine Bejahung der Gesetzmäßigkeit der Bemessung der Höhe des Systemdienstleistungsentgelts mit der SNE VO 2012 sprechen würden. Im Folgenden wiederholt die beklagte Partei im zivilgerichtlichen Anlassverfahren im Wesentlichen diese Argumente.

II. Rechtslage

§8 der Verordnung der Regulierungskommission der E-Control, mit der die Entgelte für die Systemnutzung bestimmt werden (Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012, SNE VO 2012), BGBl II 440/2011, lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Bestimmung des Systemdienstleistungsentgelts

§8. Für das von Einspeisern, einschließlich Kraftwerksparks von mehr als fünf MW zu entrichtende Systemdienstleistungsentgelt werden folgende Entgelte bestimmt:

[Österreichischer Bereich: Cent 0,1180/kWh – aufgehoben durch VfSlg 19.840/2013 kundgemacht mit BGBl II 17/2014]

Bereich Tirol: Cent 0,1180/kWh

Bereich Vorarlberg: Cent 0,1180/kWh"

III. Erwägungen

Der – zulässige – Antrag ist begründet:

1. Das antragstellende Gericht hegt Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Wortfolge in § 8 SNE VO 2012, weil – im Verfahren unbestritten geblieben – ein Teil des Systemdienstleistungsentgelts Kosten für die sogenannte "Ausfallsreserve" enthält.

2. Mit Erkenntnis VfSlg 19.840/2013 hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "Österreichischer Bereich: Cent 0,1180/kWh" in § 8 SNE VO 2012 als gesetzwidrig aufgehoben. Dies hat er insbesondere damit begründet, dass bei systematischer Interpretation der Definitionen der Sekundär- und Tertiärregelung in der Stammfassung des ElWOG 2010 der Begriff eines "automatischen" Abrufs in § 7 Abs 1 Z 62 ElWOG 2010 von einem "manuellen" Abruf in § 7 Abs 1 Z 67 ElWOG 2010 abzugrenzen ist. Der Verfassungsgerichtshof führte hiezu aus: "Nach dem Wortsinn handelt es sich dann beim automatisch ausgelösten Abrufen um eine Einspeisung elektrischer Leistung ohne weiteres Zutun des Regelzonenführers oder des Einspeisers, während ein manuell ausgelöstes Abrufen dann vorliegt, wenn die Einspeisung durch Intervention des Regelzonenführers oder des Einspeisers erfolgt. [...] Im Anwendungsbereich der SNE VO 2012 unterliegt somit die jedenfalls auch telefonisch und somit manuell abgerufene Ausfallsreserve auf Grund von § 7 Abs 1 Z 62 ElWOG 2010 in seiner Stammfassung nicht der Definition der Sekundärregelung [...]. Die Einbeziehung der Kosten der Ausfallsreserve in die Bemessungsgrundlage des Systemdienstleistungsentgelts erweist sich somit als gesetzwidrig."

Diese Erwägungen sind auf die nunmehr angefochtene Wortfolge in § 8 SNE VO 2012 übertragbar. Mit dieser Wortfolge wird das Systemdienstleistungsentgelt für den Bereich Tirol in gleicher Weise unter Einbeziehung der Kosten der Ausfallsreserve festgelegt, wie dies der Verfassungsgerichtshof für den österreichischen Bereich mit VfSlg 19.840/2013 für gesetzwidrig erkannt hat. Auch die nunmehr vom antragstellenden Gericht angefochtene Wortfolge "Bereich Tirol: Cent 0,1180/kWh" in § 8 SNE VO 2012 ist daher aus denselben Gründen, die den Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.840/2013 zur Aufhebung der Wortfolge "Österreichischer Bereich: Cent 0,1180/kWh" in derselben Verordnungsbestimmung bewogen haben, als gesetzwidrig aufzuheben. Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, insoweit auf die Begründung des genannten – dem vorliegenden Erkenntnis beigelegten – Erkenntnisses hinzuweisen.

Auch im Hinblick auf die Ausführungen der beklagten Partei im zivilgerichtlichen Anlassverfahren genügt es, auf die Begründung des Erkenntnisses VfSlg 19.840/2013 hinzuweisen.

3. Die angefochtene Wortfolge "Bereich Tirol: Cent 0,1180/kWh" in § 8 SNE VO 2012 ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.

IV. Ergebnis

1. Dem Antrag des Handelsgerichts Wien ist insofern stattzugeben, als auszusprechen ist, dass die angefochtene Wortfolge in § 8 SNE VO 2012 als gesetzwidrig aufgehoben wird, da ungeachtet ihres Außerkrafttretens diese zeitraumbezogene Verordnung mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung steht (vgl. zB VfSlg 17.094/2003, 17.266/2004, 17.798/2006, 19.511/2011, 19.840/2013).

2. Die Verpflichtung des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 139 Abs 5 erster Satz B VG und § 59 Abs 2 VfGG iVm § 4 Abs 1 Z 4 BGBlG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:V12.2016