VfGH vom 26.02.1997, V116/96
Sammlungsnummer
14765
Leitsatz
Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung eines Rekurses gegen die Vorschreibung von Umlagen an die Österreichische Apothekerkammer; keine ausreichende faktische Effizienz der Rechtsschutzeinrichtung für den Rechtsschutzwerber
Spruch
Der letzte Satz im § 7 Abs 1 der Umlagenordnung der Österreichischen Apothekerkammer, kundgemacht in der Österreichischen Apotheker-Zeitung vom , wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. B3503/95 das Verfahren über eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:
Die "Österreichische Apothekerkammer" schrieb mit Umlagenvorschreibung vom dem Beschwerdeführer (der Inhaber einer öffentlichen Apotheke ist) die Kammerumlage 1995 in bestimmter Höhe vor. Diese Entscheidung beruht auf § 4 Abs 2 der am von der Delegiertenversammlung der Österreichischen Apothekerkammer beschlossenen, mit Erlaß des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom , Zl. V-110.831-18/4-1954, genehmigten, in der Österreichischen Apotheker-Zeitung vom kundgemachten "Umlagenordnung der Österreichischen Apothekerkammer" (im folgenden kurz: Umlagenordnung).
Gegen die Vorschreibung erhob der Beschwerdeführer nach § 7 Abs 1 der Umlagenordnung Rekurs an die gemäß § 7 der Umlagenordnung bei der Österreichischen Apothekerkammer eingerichtete Schiedskommission ("Umlagenschiedskommission") und begehrte unter anderem, dem Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Die Schiedskommission entschied über dieses Rechtsmittel mit Bescheid vom wie folgt:
"1. Der Rekurs (die Berufung) wird gemäß § 66 Abs 4 AVG 1991 in Verbindung mit § 3 Abs 2 der Umlagenordnung der Österreichischen Apothekerkammer als unbegründet abgewiesen und die angefochtene Umlagenvorschreibung für 1995 vollinhaltlich bestätigt.
2. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 7 Abs 1 der Umlagenordnung der Österreichischen Apothekerkammer gleichfalls abgewiesen."
Gegen diesen Bescheid wendet sich die eingangs erwähnte Beschwerde.
2.a) Der Verfassungsgerichtshof hat am beschlossen, aus Anlaß der soeben erwähnten Beschwerde, soweit sich diese gegen Punkt 2 des angefochtenen Bescheides wendet, gemäß Art 139 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des letzten Satzes im § 7 Abs 1 der Umlagenordnung einzuleiten.
Diese Verordnungsbestimmung hat folgenden Wortlaut (die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle ist hervorgehoben):
"§7. (1) Gegen die Vorschreibung der Kammerumlage steht dem Umlagepflichtigen das Rechtsmittel des Rekurses an die bei der Österreichischen Apothekerkammer in Wien errichtete Schiedskommission zu. Der Rekurs ist zu begründen und binnen 2 Wochen nach Zustellung der Vorschreibungsverfügung schriftlich in dreifacher Ausfertigung einzubringen. Dem Rekurs kommt eine aufschiebende Wirkung nicht zu."
Die Umlagenordnung wurde aufgrund des § 17 Abs 2 des Apothekerkammergesetzes, BGBl. 152/1947, zuletzt geändert durch BG BGBl. 54/1989, erlassen. Diese Bestimmung lautet:
"§17. (1) .....
(2) Zur Bestreitung ihrer Auslagen hebt die Apothekerkammer von ihren Mitgliedern Umlagen, die im Verwaltungswege eingebracht werden, ein. Die näheren Vorschriften über die Höhe und Einhebung werden durch eine Umlagenordnung erlassen (§8 Abs 6 lita). In der Umlagenordnung ist zu bestimmen, daß die Umlagen für öffentliche Bedienstete, die eine von einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft betriebene Apotheke leiten, von der betriebsführenden Körperschaft zu tragen sind.
(3) ....."
b) Ob der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsstelle äußerte der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß folgende Bedenken:
"Der Verfassungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung wiederholt mit der Frage befaßt, ob und inwieweit es aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung eines (ordentlichen) Rechtsmittels auszuschließen. In dieser Judikatur vertrat er die Meinung, dem rechtsstaatlichen Prinzip sei zu entnehmen, daß ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Rechtmäßigkeit von Staatsakten gewährleisten müsse, und zwar so, daß diese Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufzuweisen haben und daß es darum nicht angehe, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist (s. zB VfSlg. 11196/1986, 12409/1990, 12683/1991, 13003/1992, 13182/1992, 13305/1992).
Gerade eine derartige Belastung, die der aus rechtsstaatlicher Sicht gebotenen Rechtsschutzgewährleistung zuwiderläuft, dürfte die Vorschrift des letzten Satzes im § 7 Abs 1 der Umlagenordnung bewirken, zumal weder das Gesetz noch die Verordnung die Möglichkeit der Aussetzung der Einhebung der Umlage, deren Höhe von der Erledigung eines Rechtsmittels abhängt, vorsieht.
Im Verordnungsprüfungsverfahren wird auf § 2 der Geschäftsordnung der Schiedskommission bei der Österreichischen Apothekerkammer Bedacht zu nehmen sein, wonach der Vorsitzende der Schiedskommission Sorge zu tragen hat, daß längstens innerhalb eines Monates nach Einlangen des Rekurses über diesen verhandelt und nach Tunlichkeit entschieden wird. Daraus könnte sich allenfalls ergeben, daß die - obligatorische (?) - kurze Entscheidungsfrist den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung rechtfertigt."
3.a) Die Delegiertenversammlung der Österreichischen Apothekerkammer als verordnungserlassende Behörde erstattete im Verordnungsprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung mit nachstehenden Argumenten verteidigt:
".... Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist dem rechtsstaatlichen Prinzip zu entnehmen, daß ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Rechtmäßigkeit von Staatsakten gewährleisten muß, und zwar so, daß diese Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufzuweisen haben. Es geht darum nicht an, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist.
Demgegenüber erscheint es jedoch ebenso problematisch, generell, bloß auf Grund der Behauptung einer möglichen Rechtswidrigkeit durch Erhebung eines Rechtsmittels jedwede Zahlungen an eine öffentlich rechtliche Körperschaft für längere Zeiträume einstellen zu können und damit dieser Einrichtung, bei gehäuftem Auftreten von Rekursen womöglich auch bloß mit dem Zwecke der Körperschaft für einen Zeitraum die Mittel vorzuenthalten, die ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu erschweren.
Im Lichte dieser Judikatur wäre - betrachtet man die Vorschrift des letzten Satzes des § 7 Abs 1 der Umlagenordnung für sich allein - aus der Sicht des rechtsstaatlichen Prinzips die genannte Vorschrift auch hierorts als problematisch erkennbar (obwohl andererseits die 'Umlagenmaterie' - wie die Erfahrung zeigt - nicht mit schwierigen Tatsachen- oder Rechtsfragen belastet ist, wie dies im Verwaltungs- oder auch Abgabenrecht der Fall ist).
Der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes lagen - soweit hierorts ersichtlich - in bisherigen Prüfungsverfahren zudem Bestimmungen zugrunde, in denen Behörden in Verfahren über Rechtsmittel zwar ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden haben (z.B. § 311 BAO, § 73 AVG).
Im ho. Verordnungsprüfungsverfahren ist - wie der dortgerichtliche Beschluß vom auch ausführt - aber auch auf § 2 der Geschäftsordnung der Schiedskommission bei der Österreichischen Apothekerkammer Bedacht zu nehmen. Diese Bestimmung lautet:
'§2. Der Vorsitzende hat Sorge zu tragen, daß längstens innerhalb eines Monates nach Einlangen des Rekurses über diesen verhandelt und nach Tunlichkeit entschieden wird.'
Der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung des Rekurses wird hierorts im Konnex mit der äußerst kurzen Entscheidungsfrist von einem Monat gesehen, sodaß dem Rechtsschutzinteresse des Rekurswerbers bei Entscheidung innerhalb eines Monates ab Einlangen des Rechtsmittels Rechnung getragen wäre. Ist ohnehin in einer derart kurzen Frist die Sachentscheidung zu fällen, wäre ein vorheriger oder gleichzeitiger Ausspruch - soferne etwa nach dem Vorbild der Bundesabgabenordnung eine entsprechende Entscheidung durch Änderung der Umlagenordnung möglich würde - der aufschiebenden Wirkung weder geboten noch für den Rekurswerber ein außerordentlicher Vorteil. Bei einer Verpflichtung zur Sachentscheidung innerhalb eines Monates tritt für den Rekurswerber wohl auch kein unzumutbar langer und somit allzusehr belastender Schwebezustand ein. Es darf auch davon ausgegangen werden, daß in Umlagensachen ein Rekurswerber kein Risiko trägt, die vorzeitige Leistung im Falle des endgültigen Obsiegens des Rekurswerbers nicht zurückzuerhalten. Nur am Rande erwähnt wird, daß die Apothekerkammer davon ausgeht, daß die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen durch Verwaltungsexekution nicht umgehend und sicherlich nicht jedenfalls vor Ablauf der Entscheidungsfrist erfolgt, soferne nicht das Rechtsmittel augenscheinlich gänzlich unbegründet oder mutwillig eingebracht wurde.
Wie die Erfahrung zeigt, kam es in der Vergangenheit in der Apothekerkammer praktisch nicht zu Rechtsmittelverfahren, welche eine Entscheidung der Umlagenschiedskommission erforderlich machten. Fehler bei der Umlagenvorschreibung beruhten in der Vergangenheit meist auf Irrtümern in der Meldung von Umlagenbemessungsgrundlagen durch die Umlagenpflichtigen selbst, allenfalls auf Rechenfehlern. In der Praxis der Apothekerkammer erfolgen solche Berichtigungen auf kurzem Weg bzw. werden Rekurse gegen Umlagenvorschreibung durch Berichtigung der Vorschreibung gegenstandslos und zurückgezogen. Echt strittige Tatsachen- oder schwierige Rechtsfragen sind wegen der an sich 'einfachen' Umlagenmaterie eigentlich nicht aufgetreten.
Nach hierortiger Auffassung rechtfertigt eine obligatorische extrem kurze Entscheidungsfrist von einem Monat auch im Hinblick auf die aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitete Rechtsschutzgewährleistung an sich den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels im ho.
Umlagenverfahren.
Auf Grund des Wortlautes des § 2 der Geschäftsordnung der Schiedskommission liegt die Frage, ob die einmonatige Entscheidungsfrist obligatorisch ist, das heißt, die Schiedskommission binnen eines Monates nach Einlangen des Rechtsmittels zwingend zu entscheiden hat bzw. nach den Rechtsfolgen einer allfälligen Entscheidung nach Ablauf der Monatsfrist nahe.
Es ist gemäß der Geschäftsordnung 'nach Tunlichkeit' innerhalb der einmonatigen Frist zu entscheiden. Das dem Wort 'Tunlichkeit' entsprechende Adverb 'tunlich' wird im heutigen Verständnis einem Adverb 'ratsam' oder 'angebracht' gleichgestellt; 'tunlichst' bedeutet soviel wie 'möglichst'. Die Apothekerkammer versteht die Vorschrift des § 2 der Geschäftsordnung der Umlagenschiedskommission im Sinne einer Verpflichtung zur Entscheidung innerhalb der Monatsfrist. Nach dem ho. Verständnis wäre die Schiedskommission nach Ablauf eines Monates nach Einlangen des Rechtsmittels also 'säumig'; es sei denn, daß die Verzögerung nicht auf ein Verschulden der Umlagenschiedskommission zurückzuführen und eine Entscheidung innerhalb der Monatsfrist somit nicht 'möglich' ist. Im Falle der Säumigkeit der Umlagenschiedskommission steht dem vom Untätigsein bzw. der Säumnis der Umlagenschiedskommission Betroffenen jedoch der Rechtsschutz, den Art 132 B-VG gewährt, offen und hat gemäß § 30 Abs 2 VwGG der Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit, aufschiebende Wirkung zuzuerkennen (wobei sich allerdings eine sechsmonatige 'Wartefrist' für eine Säumnisbeschwerde aus § 27 VwGG zwingend ergibt).
Dieser - für den Fall der Säumnis der Umlagenschiedskommission nach Ablauf der Entscheidungsfrist des § 2 der Geschäftsordnung der Umlagenschiedskommission - durch die Frist des § 27 VwGG bis zu einer Entscheidung des VwGH über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung allenfalls bedingte Schwebezustand hat sich aber bisher in der Realität nicht zu Lasten des Umlagenpflichtigen ausgewirkt. Dies ist auch in der Struktur der Umlagensachen begründet. Anders als im vielgestaltigen und diffizilen Abgabenrecht ist die Umlagenerhebung einfach, sind die Umlagenbemessungsgrundlagen eindeutig und bisher nicht wirklich strittige Rechtsfragen, welche geeignet wären, eine Verzögerung des Umlagenverfahrens zu bewirken, aufgetreten. Sogar im gegenständlichen Anlaßfall sind nicht Tatsachen- oder Rechtsfragen der geltenden Umlagenvorschriften der Gegenstand, sondern Fragen, ob diese Rechtsvorschriften in verfassungsrechtlicher Hinsicht entsprechen."
b) Die Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz als (damals) in Betracht kommende oberste Verwaltungsbehörde des Bundes (§58 Abs 1 VerfGG) hat keine Äußerung erstattet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist zulässig. Die in Prüfung genommene Verordnungsbestimmung ist im Anlaßverfahren präjudiziell. Auch sonst liegen alle Prozeßvoraussetzungen vor.
2. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei der im Einleitungsbeschluß (s.o. I.2.b) bezogenen Vorjudikatur, wonach Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Maß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufzuweisen haben. Daraus ergibt sich, daß es grundsätzlich unzulässig ist, einem Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung absolut abzusprechen, wenn nicht wenigstens sonst die Möglichkeit besteht, den Vollzug des mit dem Rechtsmittel angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung über dieses in bestimmten Fällen auszusetzen.
Auch die verordnungserlassende Behörde geht von dieser Rechtsprechung aus. Sie meint jedoch, daß sich die hier gegebene Konstellation von den in der Vorjudikatur entschiedenen Fällen wesentlich unterscheide.
Damit ist sie nicht im Recht:
Gemäß § 2 der Geschäftsordnung der Schiedskommission (= Anlage B zur Umlagenordnung) hat der Vorsitzende lediglich "Sorge zu tragen", daß längstens innerhalb eines Monates - also binnen eines relativ kurzen Zeitraumes - nach Einlangen des Rekurses über diesen verhandelt und "nach Tunlichkeit entschieden" wird. Mit dieser Regelung ist nicht sichergestellt, daß die Entscheidung tatsächlich innerhalb eines Monates gefällt wird; an die Nichtbeachtung der Bestimmung sind auch keine Rechtsfolgen geknüpft.
Damit ist die vorliegende Sache in der entscheidungswesentlichen Hinsicht nicht anders zu beurteilen als jene Fälle, mit denen sich die oben erwähnte Vorjudikatur zu beschäftigen hatte.
Die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle war daher als gesetzwidrig aufzuheben.
3. Die Verpflichtung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (als nunmehr zuständige oberste Behörde des Bundes) zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art 139 Abs 5 B-VG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.