VfGH vom 08.06.2020, V101/2019

VfGH vom 08.06.2020, V101/2019

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr mangels gesetzlicher Ermächtigung für ein rückwirkendes Inkrafttreten

Spruch

I.§6 erster Satz ("Diese Verordnung tritt mit in Kraft.") der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr in den Trausdorfer Feriensiedlungen, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , war gesetzwidrig.

II.Die Burgenländische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für das Burgenland verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit einem auf Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Burgenland, § 6 erster Satz ("Diese Verordnung tritt mit in Kraft.") der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr in den Trausdorfer Feriensiedlungen, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. § 16 Abs 1 Finanzausgleichsgesetz 2017 (FAG 2017), BGBl I 116/2016, lautet auszugsweise:

"C. Ausschließliche Landes(Gemeinde)abgaben

§16. (1) Ausschließliche Landes(Gemeinde)abgaben sind insbesondere:

1. - 14. […]

15. Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen;

16. - 18. […]"

2. § 17 FAG 2017 lautet auszugsweise:

"D. Gemeindeabgaben auf Grund freien Beschlussrechtes

[…]

(3) Die Gemeinden werden ferner ermächtigt, durch Beschluss der Gemeindevertretung folgende Abgaben vorbehaltlich weiter gehender Ermächtigung durch die Landesgesetzgebung auszuschreiben:

1.-3. [...]

4. Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen, die für Zwecke der öffentlichen Verwaltung betrieben werden, mit Ausnahme von Weg- und Brückenmauten, bis zu einem Ausmaß, bei dem der mutmaßliche Jahresertrag der Gebühren das doppelte Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Einrichtung oder Anlage sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung einer der Art der Einrichtung oder Anlage entsprechenden Lebensdauer nicht übersteigt.

5. […]

(4) Verordnungen der Gemeinden auf Grund dieses Bundesgesetzes können bereits nach dessen Kundmachung erlassen werden, wobei diese Verordnungen frühestens mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in Kraft gesetzt werden dürfen. Werden derartige Verordnungen erst nach Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen, können diese rückwirkend mit Inkrafttreten dieses Gesetzes in Kraft gesetzt werden."

3. Das Burgenländische Kanalabgabegesetz (KAbG), LGBl 41/1984 idF LGBl 11/2015, lautet auszugsweise:

"3. Abschnitt
Kanalbenützungsgebühren

§10

Allgemeines

(1) Soferne Gemeinden auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung durch Verordnung des Gemeinderates Gebühren für die Benützung der Kanalisationsanlage vorschreiben, gelten hiefür die Bestimmungen dieses Abschnittes.

(2) Dem Gemeinderat steht es frei, innerhalb der bundesgesetzlichen Ermächtigung hinsichtlich des Abgabengegenstandes, der Entstehung der Abgabenschuld, des Abgabenschuldners und der Fälligkeit von diesem Gesetz abweichende Bestimmungen zu treffen.

§11

Höhe der Gebühr

(1) Das Ausmaß des mutmaßlichen Jahresertrages der Kanalbenützungsgebühren darf das doppelte Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Kanalisationsanlage, für die Verzinsung und Tilgung der Kosten für die Errichtung, die Erweiterung, den Umbau oder die Erneuerung unter Berücksichtigung einer der Art der Anlage entsprechenden Lebensdauer sowie für die Bildung einer angemessenen Erneuerungsrücklage nicht übersteigen.

(2) Zu den Errichtungskosten im Sinne des Abs 1 litc zählen nicht

a) die der Gemeinde für die Errichtung oder Änderung der Kanalisationsanlage gewährten Zuschüsse, die nicht zurückzuzahlen sind, und

b) der durch Kanalisationsbeiträge (§2 Abs 1) gedeckte Teil der Errichtungskosten.

(3) Der Abgabenanspruch entsteht mit Beginn des Monats, in dem erstmalig die Benützung der Kanalisationsanlage möglich ist.

(4) Die Kanalbenützungsgebühr ist mit ihrem Jahresbetrag festzusetzen.

(5) Die Festsetzung gemäß Abs 4 gilt auch für die folgenden Jahre, soweit nicht infolge einer Änderung der Voraussetzungen für die Festsetzung des Jahresbetrages ein neuer Abgabenbescheid zu erlassen ist. Entsteht der Abgabenanspruch während des Jahres, ist die Kanalbenützungsgebühr für dieses Jahr nur in dem verhältnismäßigen Anteil der Jahresgebühr festzusetzen. Dasselbe gilt sinngemäß im Falle einer Veränderung der bisherigen Gebühr. Die Kanalbenützungsgebühr wird am 15. Feber, 15. Mai, 15. August und 15. November zu je einem Viertel ihres Jahresbetrages fällig."

4. § 81 und § 82 der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003, LGBl 55/2003 idF LGBl 83/2016, lauten:

"5. Hauptstück
Verwaltungsakte und Verwaltungsverfahren

§81

Fristen

Soweit in anderen Gesetzen nicht anderes bestimmt ist, betragen Kundmachungs- und Auflagefristen zwei Wochen.

§82

Verordnungen der Gemeinde

(1) Verordnungen der Gemeinde bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der öffentlichen Kundmachung. Aus der Verordnung muss erkennbar sein, von welchem Organ der Gemeinde sie erlassen wurde. Die Kundmachung ist vom Bürgermeister innerhalb von zwei Wochen nach der Beschlussfassung – bei Verordnungen, die der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedürfen, unverzüglich nach erfolgter Genehmigung – durch Anschlag an der Amtstafel durchzuführen. Bei Kundmachung von Verordnungen, die der aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedürfen, ist auf die erfolgte aufsichtsbehördliche Genehmigung hinzuweisen. Neben der Kundmachung durch Anschlag an der Gemeindeamtstafel und ohne Einfluss auf die Rechtswirksamkeit sind Verordnungen der Gemeinde vom Bürgermeister auch auf andere Art ortsüblich bekanntzumachen, wenn dies notwendig oder zweckmäßig ist. Die Rechtswirksamkeit von Verordnungen beginnt, wenn nicht gesetzlich oder auf Grund des Abs 2 ausdrücklich anderes bestimmt ist, frühestens mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist (§81) folgenden Tag.

(2) Bei Gefahr im Verzug kann, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, in der Verordnung angeordnet werden, dass ihre Rechtswirksamkeit bereits vor dem im Abs 1 bestimmten Tag beginnt, frühestens jedoch mit Ablauf des Kundmachungstags.

(3) Verordnungen, deren Umfang oder Art den Anschlag an der Amtstafel nicht zulassen, können im Gemeindeamt zur öffentlichen Einsicht während der Amtsstunden innerhalb der Kundmachungsfrist aufgelegt werden. Die Auflegung ist nach Abs 1 kundzumachen.

(4) Geltende Verordnungen sind im Gemeindeamt während der Amtsstunden zur allgemeinen Einsichtnahme aufzulegen. Auf Verlangen sind – gegebenenfalls gegen Ersatz der Kosten – Kopien auszufolgen."

5. Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr in den Trausdorfer Feriensiedlungen, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , lautet wie folgt (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"VERORDNUNG

des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr in den Trausdorfer Feriensiedlungen.

Gemäß der § 10, 11, 12 und 13 Kanalabgabegesetz, LGBl Nr 41/1984 idgF, im Zusammenhalt mit § 17 Abs 3 Z 4 Finanzausgleichsgesetz 2017 — FAG 2017, BGBl I Nr 116/2016, wird verordnet:

§1

Geltungsbereich

Diese Verordnung erstreckt sich auf die Feriensiedlungen I und II, das sind jene Gebiete, die im Flächenwidmungsplan der Gemeinde Trausdorf an der Wulka als Baugebiet für Erholungs- und Fremdenverkehrseinrichtungen für die Errichtung von Ferienwohnhäusern (§14 Abs 3 litg des Bgld Raumplanungsgesetzes) gewidmet sind.

§2

Erhebung der Abgabe

Zur Deckung der Betriebs- und Instandhaltungskosten sowie zur teilweisen Deckung der Errichtungskosten der Kanalisationsanlage werden nach den folgenden Bestimmungen Kanalbenützungsgebühren erhoben.

§3

Höhe der Abgabe

(1) Die Höhe der jährlichen Kanalbenützungsgebühr richtet sich nach der bebauten Fläche gemäß § 37 Bgld Tourismusgesetz und wird pro Parzelle und Objekt wie folgt festgesetzt:

bebaute Fläche bis 70 m2 1 Einheit

bebaute Fläche von mehr als 70 m2 bis 140 m22 Einheiten

bebaute Fläche von mehr als 140 m2 bis 210 m23 Einheiten

(2) Wird das Objekt nicht für Wohnzwecke, sondern gewerblicher oder sonstiger Art genützt, beträgt die Höhe der Kanalbenützungsgebühr 8 Einheiten.

(1) Die in Abs 1 und 2 genannte Einheit beträgt 54,82 Euro, die gesetzliche Umsatzsteuer ist gesondert hinzuzurechnen.

§4

Abgabenschuldner

(1) Zur Entrichtung der Kanalbenützungsgebühr ist der Eigentümer der im § 1 genannten, bebauten und an die Kanalisationsanlage angeschlossenen Anschlussgrundfläche verpflichtet, sofern nicht Abs 2 Anwendung findet.

(2) Ist die im Abs 1 genannte Anschlussgrundfläche in seiner Gesamtheit vermietet oder verpachtet so ist der Abgabenschuldner jene natürliche oder juristische Person, an die dieses Grundstück als Gesamtes verpachtet oder vermietet ist.

§5

Abgabenanspruch

Der Abgabenanspruch entsteht mit Beginn der Rechtswirksamkeit dieser Verordnung

§6

Fälligkeit

Die Kanalbenützungsgebühr wird am 15. Feber, 15. Mai, 15. August und 15. November zu je einem Viertel ihres Jahresbetrages fällig.

§6

Diese Verordnung tritt mit in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verordnung vom des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka betreffend die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr außer Kraft."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Beim Landesverwaltungsgericht Burgenland ist ein Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom anhängig.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom wurde dem Beschwerdeführer vor dem Landesverwaltungsgericht eine jährliche Kanalbenützungsgebühr ab im Gesamtbetrag von € 377,85 für seine an das Kanalnetz der Gemeinde Trausdorf angeschlossene Liegenschaft vorgeschrieben. Rechtsgrundlagen für diese Vorschreibung waren einerseits die § 10, 11 und 12 KAbG und andererseits § 17 Abs 3 Z 4 FAG 2017 in Verbindung mit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr in den Trausdorfer Feriensiedlungen, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis . Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Gemeinderat der Gemeinde Trausdorf an der Wulka mit Bescheid vom abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

2. Bei der Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde sind beim Landesverwaltungsgericht Burgenland Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des ersten Satzes in § 6 der genannten Verordnung ("Diese Verordnung tritt mit in Kraft.") entstanden.

Das Landesverwaltungsgericht Burgenland legte seine Bedenken wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Gemäß § 11 Abs 3 KAbG im Einklang mit § 4 der Verordnung vom entsteht der Abgabenanspruch betreffend die Kanalbenützungsgebühr mit Beginn des Monats, in dem die erstmalige Benützung der Kanalisationsanlage möglich ist. Es handelt sich nicht um eine einmalige Abgabe, sondern ist diese Benützungsabgabe fortlaufend jährlich zu entrichten, wobei der Abgabenanspruch in den Folgejahren, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 93/17/0302, zu § 11 Abs 3 KAbG ausgesprochen hat, regelmäßig mit Beginn des Monats Jänner entsteht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Vorschreibung einer Abgabe nach dem Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabenvorschriften jene Rechtslage maßgeblich ist, die zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Abgabentatbestandes gegolten hat, nicht aber jene, die zum Zeitpunkt der Erlassung des Abgabenbescheides gegolten hat (vgl , mwN).

Die Kanalbenützungsgebühr ist gemäß § 11 Abs 4 KAbG mit ihrem Jahresbetrag festzusetzen, wobei gemäß Abs 5 dieser Bestimmung die Festsetzung auch für die folgenden Jahre gilt, soweit nicht infolge einer Änderung der Voraussetzungen für die Festsetzung des Jahresbetrages ein neuer Abgabenbescheid zu erlassen ist.

Derartige Änderungen können die sachverhaltsmäßigen oder die rechtlichen Voraussetzungen betreffen. So ist beispielsweise bei einer Erhöhung des Einheitssatzes ein neuer Bescheid zu erlassen, der seinerseits wieder Dauerwirkung besitzt. Zu beachten ist, dass gemäß § 11 Abs 5 KAbG im Falle der Veränderung der bisherigen Gebühr der neue Jahresbetrag anteilig vorzuschreiben ist.

Mit der Verordnung vom wurde der Einheitssatz von 0,87 Euro pro m² Berechnungsfläche auf 1,10 Euro pro m² Berechnungsfläche (jeweils zuzüglich 10 % USt.) erhöht und wurde diese Erhöhung von der Abgabenbehörde zum Anlass genommen, den nun höheren Jahresbetrag ab auf Basis der Verordnung vom vorzuschreiben.

Zu beachten ist, dass der Gemeinderat der Gemeinde Trausdorf an der Wulka mit Beschluss vom eine neue Verordnung über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr erlassen hat. Diese Verordnung ist abgesehen von der Inkrafttretensbestimmung wortident mit der Verordnung vom . Hinsichtlich des Inkrafttretens ordnet die Verordnung vom in ihrem § 6 an, dass sie mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag in Kraft tritt und gleichzeitig die Verordnung vom außer Kraft tritt. Dies war mit der Fall (siehe hierzu Punkt […]).

Vom Landesverwaltungsgericht ist daher im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vorschreibung der Kanalbenützungsgebühr, die das ganze Kalenderjahr 2019 betrifft, die Verordnung vom anzuwenden und ist zu prüfen […], ob die Vorschreibung der höheren Kanalbenützungsgebühr bereits ab rechtmäßig ist (oder bei Entfall des ersten Satzes des § 6 der Verordnung erst ab rechtmäßig gewesen wäre).

§6 erster Satz der Verordnung vom , der das rückwirkende Inkrafttreten dieser Verordnung mit normiert, ist daher vom Verwaltungsgericht anzuwenden und somit im Sinne des Art 89 Abs 3 iVm Art 135 Abs 4 iVm Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG präjudiziell für die Entscheidung.

[…]

3. Nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland handelt es sich – wie unter Punkt […] dargelegt wird – bei der Bestimmung des § 6 erster Satz der Verordnung vom um die Normierung eines unzulässigen rückwirkenden Inkrafttretens. Dieses angeordnete rückwirkende Inkrafttreten widerspricht Art 18 B-VG, weshalb die Feststellung der Gesetzwidrigkeit dieser Bestimmung beantragt wird.

Dieses Feststellungsbegehren – statt eines Aufhebungsbegehrens – wird vom Verwaltungsgericht deshalb gestellt, da die Verordnung vom und somit die angefochtene Bestimmung bereits mit außer Kraft getreten ist (siehe hierzu Punkt […]).

[…]

Während die Bgld GemO 2003 keinen Verfahrensschritt für den Fall vorsieht, dass die Aufsichtsbehörde keine Bedenken gegen die Verordnung der Gemeinde hegt, ist in § 89 Abs 2 leg.cit. die Verpflichtung normiert, gesetzwidrige Verordnungen der Gemeinde unter Wahrung eines Anhörungsrechtes aufzuheben.

Gegenständlich teilte die Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom , […], der Gemeinde mit, dass die Verordnung nach aufsichtsbehördlicher Prüfung nicht zur Kenntnis genommen werde. Begründend wurde darauf hingewiesen, dass mangels gesetzlicher Grundlage 'eine rückwirkende Inkrafttretung der Verordnung ausgeschlossen' sei. Von der Ausübung des Aufsichtsrechtes auf Aufhebung der Verordnung bzw im Fall hier des rechtswidrigen Teils der Verordnung (siehe VfSlg 11.553/1987) wurde Abstand genommen und die Gemeinde lediglich darauf hingewiesen, dass die Verordnung erneut zu beschließen und nach Kundmachung der Aufsichtsbehörde vorzulegen sei.

Diese Mitteilung stand sohin einer fortdauernden (rückwirkenden) Geltung der Verordnung vom nicht entgegen und war die Verordnung bis zu ihrem Außerkrafttreten am anzuwenden. An diesem Tag ist die vom Gemeinderat am beschlossene und vom bis kundgemachte Verordnung gemäß ihrem § 6, welcher anordnet, dass sie mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag in Kraft tritt und gleichzeitig die Verordnung vom außer Kraft tritt, in Kraft getreten.

4. Die Bgld GemO 2003 bietet ebenfalls keine Ermächtigung zur rückwirkenden Verordnungserlassung.

[…]

Zu betonen ist in diesem Zusammenhang, dass insbesondere auch § 17 Abs 4 FAG 2017 keine im Fall hier zum Tragen kommende Ermächtigung darstellt. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 13.370/1993 zum damals geltenden § 15 Abs 5 FAG 1979 ausgesprochen hat, ermächtigt diese Bestimmung die Gemeinden nur, Verordnungen aufgrund des freien Beschlussrechtes (rückwirkend) mit , nicht jedoch zu einem beliebigen anderen Termin in Kraft zu setzen (siehe VfSlg 13.370/1993 sowie 15.675/1999 zur vergleichbaren Bestimmung des § 15 Abs 6 FAG 1997). Der – wie Wortlaut und Entstehungsgeschichte zeigen – dazu gänzlich vergleichbare § 17 Abs 4 FAG 2017 scheint auch die Gemeinden allein dazu zu ermächtigen, Verordnungen aufgrund des freien Beschlussrechtes rückwirkend bloß mit in Kraft zu setzen. Anderenfalls – so der Verfassungsgerichtshof – widersprächen derartige Regelungen Art 18 B-VG, da die Bestimmung des Inkrafttretens in Form einer formalgesetzlichen Delegation den Verwaltungsbehörden überlassen würde.

Für das in § 6 erster Satz der Verordnung vom verankerte rückwirkende Inkrafttreten liegt sohin keine Ermächtigungsgrundlage vor, weshalb diese Bestimmung gesetzwidrig war."

3. Die Burgenländische Landesregierung, die Gemeinde Trausdorf an der Wulka und die Parteien des Anlassverfahrens haben von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

IV. Erwägungen

1. Der – zulässige – Antrag ist begründet:

2. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art 139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

3. Die Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland gehen dahin, dass die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr in den Trausdorfer Feriensiedlungen, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , gemäß ihrem § 6 erster Satz am und somit rückwirkend in Kraft trat, weshalb sie in Widerspruch zu § 82 Abs 1 der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003 bzw zu Art 18 Abs 2 B-VG stehe. Die Burgenländische Landesregierung ist diesen Bedenken nicht entgegengetreten.

4. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Rückwirkung von Verordnungen – von hier nicht in Betracht kommenden Sonderfällen (vgl VfSlg 20.232/2017) abgesehen – nur zulässig, wenn das Gesetz ausdrücklich dazu ermächtigt (vgl zB VfSlg 12.943/1991, 13.370/1993, 15.675/1999, 17.773/2006, 18.037/2006, 20.127/2016, 20.211/2017). Die Anordnung einer Rückwirkung muss sohin von der Ermächtigungsgrundlage umfasst sein.

5. Gemäß § 82 Abs 1 letzter Satz der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003 beginnt die Rechtswirksamkeit von Verordnungen, wenn nicht gesetzlich oder auf Grund des Abs 2 leg.cit. ausdrücklich anderes bestimmt ist, frühestens mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist (§81 leg.cit.) folgenden Tag. Nach Abs 2 leg.cit. kann bei Gefahr im Verzug, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, in der Verordnung angeordnet werden, dass ihre Rechtswirksamkeit bereits vor dem im Abs 1 bestimmten Tag beginnt, frühestens jedoch mit Ablauf des Kundmachungstages.

6. Hinweise auf das Vorliegen von Gefahr im Verzug sind dem Verordnungsakt nicht zu entnehmen und wurden auch von der verordnungserlassenden Gemeinde im gegenständlichen Verfahren nicht vorgebracht. Auch erteilen weder das Burgenländische Kanalabgabegesetz noch eine andere gesetzliche Bestimmung eine Ermächtigung zur rückwirkenden Erlassung einer Verordnung. Dabei geht das Landesverwaltungsgericht zutreffend davon aus, dass § 17 Abs 4 FAG 2017 Gemeinden allein dazu ermächtigt, Verordnungen auf Grund des freien Beschlussrechtes rückwirkend bloß zum in Kraft zu setzen (vgl VfSlg 13.370/1993 und 15.675/1999).

7. § 6 erster Satz der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr in den Trausdorfer Feriensiedlungen, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , sieht entgegen § 82 Abs 1 der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003 ein rückwirkendes Inkrafttreten der Verordnung am vor. § 6 Abs 1 erster Satz der genannten Verordnung ist daher wegen Verstoßes gegen § 82 Abs 1 der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003 gesetzwidrig.

V. Ergebnis

1. § 6 erster Satz ("Diese Verordnung tritt mit in Kraft.") der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr in den Trausdorfer Feriensiedlungen, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom bis , war gesetzwidrig.

2. Die Verpflichtung der Burgenländischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG und § 59 Abs 2 VfGG iVm § 2 Abs 1 Z 6 Bgld VerlautbarungsG 2015.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:V101.2019
Schlagworte:
Verordnungserlassung, Rückwirkung, Kanalisation Abgaben, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Verordnung Kundmachung

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