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VfGH vom 04.10.2000, v1/97

VfGH vom 04.10.2000, v1/97

Sammlungsnummer

15963

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Aufhebungsverordnung der Gemeindeaufsichtsbehörde hinsichtlich einer Gemeindeverordnung mangels Einräumung einer Gelegenheit zur Äußerung für die betroffene Gemeinde; keine "gleichzeitige" Bekanntgabe der Aufhebungsgründe im Sinne der Bundesverfassung

Spruch

Die Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom , LGBl. für Steiermark Nr. 66/1996, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Steiermärkische Landesregierung hat am , LGBl. für Steiermark Nr. 66/1996, in Ausübung des Aufsichtsrechts über den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden gem. § 100 Abs 2 Stmk. Gemeindeordnung, LGBl. für Steiermark Nr. 115/1967, folgende Verordnung erlassen:

"Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom , mit der die Verordnung der Marktgemeinde Edelschrott vom , Zl. 616/1992, gemäß § 100 Abs 2 der Steiermärkischen Gemeindeordnung aufgehoben wird

§1

Gemäß § 100 Abs 2 Steiermärkische Gemeindeordnung wird die Verordnung der Marktgemeinde Edelschrott vom , mit welcher das Weggrundstück 1765, KG. Edelschrott, Abzweigung Pölzlkreuz bis zur Weggabelung Auenweg, als Gemeindestraße aufgelassen und in freies Gemeindevermögen übereignet wird, als gesetzwidrig aufgehoben."

2. Die Gemeinde Edelschrott beantragt mit ihrem zu V1/97 protokollierten Antrag gem. Art 139 Abs 1 B-VG die Aufhebung dieser Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung.

2.1. Die Gemeinde führt in ihrem Antrag aus, daß sie mit Verordnung vom , Zl. 616/1992, eine Gemeindestraße aufgelassen und in das freie Gemeindevermögen übereignet hätte, nachdem sie eine dazu parallel laufende Straße bereits mit Bescheid vom als "öffentliche Straße" gem. § 2 des Steiermärkischen Landesstraßenverwaltungsgesetzes idgF "festgestellt" hatte. Die vorgenannte Verordnung sei im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gem. § 100 Abs 1 Stmk. Gemeindeordnung erlassen worden.

Mit Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom , LGBl. für Steiermark Nr. 66/1996, sei die genannte Verordnung gem. § 100 Abs 2 Stmk. Gemeindeordnung aufgehoben worden. Die Aufhebungsverordnung der Steiermärkischen Landesregierung leide sowohl an formellen Mängeln als auch an inhaltlicher Gesetzwidrigkeit.

2.2. Zu den formellen Mängeln führt die anfechtende Gemeinde aus, daß sämtlichen Ausführungen der Aufsichtsbehörde kein Anhaltspunkt zu entnehmen gewesen sei, daß die Aufsichtsbehörde beabsichtigt hätte, die Verordnung der Gemeinde aufzuheben. Vielmehr sei es mit Schreiben der Steiermärkischen Landesregierung vom der Gemeinde selbst überlassen worden, die Verordnung zu beheben und der Bürgermeister 'eingeladen' worden, die Aufhebung der Verordnung dem Gemeinderat zu empfehlen und eine allfällige Behebung innerhalb von 8 Wochen vorzunehmen. Seit der Übermittlung dieses Schriftsatzes vom habe die Aufsichtsbehörde keine weiteren Schritte unternommen. Es sei der Gemeinde nie Gelegenheit gegeben worden, "sich vor Erlassung der Aufhebungsverordnung (im Jahr 1996) durch die Aufsichtsbehörde zur gegenständlichen Angelegenheit zu äußern, wozu die Aufsichtsbehörde gemäß § 100 Abs 2 Gemeindeordnung 1967 verpflichtet gewesen wäre."

2.3. Zur inhaltlichen Gesetzwidrigkeit führt die Gemeinde aus:

"Die Antragstellerin schließt sich der Argumentation der Aufsichtsbehörde nicht an, daß eine Öffentlicherklärung bei Nichtvorliegen einer der in § 2 Abs 1 Steiermärkisches Landesstraßenverwaltungsgesetz normierten Voraussetzungen ihre Rechtmäßigkeit automatisch verliert. Die Antragstellerin vertritt den Standpunkt, daß der von ihr am erlassene Bescheid ..., gegen den kein Rechtsmittel ergriffen wurde, zwar möglicherweise rechtswidrig, aber dennoch rechtskräftig ist. Die gegenteilige Auffassung, daß trotz Bescheiderlassung durch die Marktgemeinde Edelschrott eine Öffentlicherklärung nicht rechtswirksam erfolgt ist, wäre mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit für die Bescheidadressaten verbunden.

...

Entgegen der Ansicht der Aufsichtsbehörde sind alle Voraussetzungen des § 2 Abs 1 2. Satz Steiermärkisches Landesstraßenverwaltungsgesetz für die Erklärung der 'Schulstraße' als öffentliche Straße erfüllt, da gerade die 'Schulstraße', und nicht der kaum befahrene Gemeindeweg in langjähriger Übung von der Allgemeinheit für ein dringendes Verkehrsbedürfnis benutzt wurde.

Bei dem Feststellungsverfahren gemäß § 3 leg. cit. handelt es sich ja nicht um die Frage der Schaffung einer Verkehrsfläche und das hiefür bestehende Bedürfnis, sondern darum, ob eine bestehende Verkehrsverbindung - gleichgültig, in welchem flächenmäßigen Umfang - zur Erfüllung eines dringenden Verkehrsbedürfnisses benützt worden ist. Dies trifft im konkreten Fall im besonderen Ausmaße nur für die 'Schulstraße' zu."

Die Verordnung der Gemeinde Edelschrott sei aus den genannten Gründen nicht gesetzwidrig, weshalb die Aufhebungsverordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom , LBGl. für Steiermark Nr. 66/1996, zu Unrecht erlassen worden sei und daher diese Verordnung auf Antrag der Gemeinde als gesetzwidrig aufzuheben sei.

3. Die Steiermärkische Landesregierung hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

4. § 100 Abs 2 Steiermärkische Gemeindeordnung LGBl. für Steiermark Nr. 115/1967, lautet:

"Die Aufsichtsbehörde hat gesetzwidrige Verordnungen (Abs1) aufzuheben und die Gründe hiefür der Gemeinde spätestens mit der Kundmachung der die Aufhebung verfügenden Verordnung im Landesgesetzblatt mitzuteilen. Vor der Erlassung einer solchen Verordnung ist der Gemeinde Gelegenheit zur Äußerung zu geben."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den - zulässigen (vgl. E vom , G37/00) - Antrag erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hatte aus Anlaß des vorliegenden Verordnungsprüfungsantrages beschlossen, in § 100 Abs 2 Stmk. GemO das Wort "spätestens" von amtswegen zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen das in Prüfung gezogene Wort das Bedenken, daß es mit Art 119a Abs 6 B-VG, wonach der Gemeinde die Gründe, die für die Aufhebung einer Verordnung dieser Gemeinde geführt hatten, "gleichzeitig" mit der Aufhebung mitzuteilen sind, in Widerspruch stehe. § 100 Abs 2 Stmk. GemO sieht dagegen nämlich vor, daß die Gründe für die Aufhebung "spätestens" mit der Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt mitzuteilen sind. Der Verfassungsgerichtshof war der Auffassung, daß eine solche Regelung dem Zweck des Art 119a Abs 6 B-VG, nämlich der Gemeinde gesicherte Kenntnis der unauswechselbaren Gründe, die zur Aufhebung geführt hatten, zu verschaffen (vgl. VfSlg. 12308/1990), nicht im Einklang stehe, da es nach § 100 Abs 2 Stmk. GemO scheinbar auch ausreichte, die Gründe bereits im der Aufhebung vorangehenden Anhörungsverfahren mitzuteilen (arg. "spätestens").

Mit Erkenntnis vom heutigen Tag hat der Verfassungsgerichtshof das Wort "spätestens" in § 100 Abs 2 Stmk. GemO nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Der Verfassungsgerichtshof interpretierte § 100 Abs 2 Stmk. GemO vielmehr verfassungskonform dahingehend, daß im ersten Satz das Aufhebungsverfahren (unter Einschluß der Mitteilungspflicht) und im zweiten Satz das dem Aufhebungsverfahren zwingend vorangehende Anhörungsverfahren geregelt ist, weshalb das Wort "spätestens" nur auf den Zeitraum zwischen der Beschlußfassung über die Aufhebungsverordnung und deren Kundmachung bezogen, nicht aber dahingehend verstanden werden kann, daß es im Sinne dieser Bestimmung ausreichend ist, die Gründe nur im Anhörungsverfahren mitzuteilen.

2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsauffassung, ergibt sich, daß die Gemeinde mit dem Vorwurf der Gesetzwidrigkeit der von ihr angefochtenen Verordnung aus folgenden Gründen im Recht ist:

Aus den Verwaltungsakten ist nicht ersichtlich, daß der Gemeinde gem. § 100 Abs 2 Stmk. GemO Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt wurde: Der Gemeinde wurde nämlich am aufgrund der Übermittlung der Gemeinde-Verordnung an die Aufsichtsbehörde lediglich "mitgeteilt", daß die Stmk. LReg. die Verordnung der Gemeinde für rechtswidrig halte und der Bürgermeister "eingeladen" werde, diesen Umstand dem Gemeinderat mitzuteilen und ihm eine Aufhebung der Verordnung zu empfehlen. Demgegenüber hätte die Aufsichtsbehörde der Gemeinde nach dem Gesetz sowohl ihre Absicht, die Verordnung wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben, als auch die für diese Ansicht maßgeblichen Gründe mitzuteilen und die Gemeinde ausdrücklich aufzufordern gehabt, dazu binnen einer Frist Stellung zu nehmen. Da sich in der "Mitteilung" der Aufsichtsbehörde weder ein Anhaltspunkt für eine Absicht, die Verordnung aufzuheben, noch ein ausdrücklicher Hinweis darauf befindet, daß dem Gemeinderat vor der Beschlußfassung darüber Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben werden sollte, erfüllt diese Mitteilung jedenfalls nicht das Erfordernis des § 100 Abs 2 zweiter Satz Stmk. Gemeindeordnung. Diese Aufforderung an den Gemeinderat, die Verordnung selbst aufzuheben, kann vielmehr dem Verfahren, welches einer aufsichtsbehördlichen Aufhebung voranzugehen hat, überhaupt nicht zugeordnet werden. Die Verordnung der Stmk. Landesregierung ist daher schon aus diesem Grund gesetzwidrig.

Darüber hinaus bemängelt die Gemeinde, daß sie "umso erstaunter" von der Aufhebung der Gemeindeverordnung erst und nur anhand von deren (zunächst fehlerhafter) Kundmachung erfahren hat, womit sie der Sache nach zu Recht rügt, daß die Aufsichtsbehörde auch dem Erfordernis der "gleichzeitigen" Bekanntgabe der für die Aufhebung maßgebenden Gründe (Art119a Abs 6 B-VG) nicht Rechnung getragen hat, die nach der Beschlußfassung über die Aufhebungsverordnung "spätestens" mit der Kundmachung hätte erfolgen müssen (§100 Abs 2 erster Satz Stmk. Gemeindeordnung; vgl. neuerlich das im Gesetzesprüfungsverfahren ergangene Erkenntnis vom heutigen Tag, G37/00). Auch dieser Mangel führt zur Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung (vgl. VfSlg. 12308/1990)

3. Das Verfahren, das zur Erlassung der angefochtenen Verordnung geführt hat, erweist sich daher als gesetzwidrig, weshalb die Verordnung der Stmk. Landesregierung zur Gänze aufzuheben war.

4. Ein Kostenersatz ist in Verfahren gem. Art 139 B-VG (mit Ausnahme des Individualantrages in § 61a VerfGG 1953) nicht vorgesehen, weshalb der Gemeinde die beantragten Kosten nicht zuzusprechen waren.

5. Die Verpflichtung der Steiermärkischen Landesregierung zur Kundmachung dieses Ausspruches gründet auf Art 139 Abs 5 B-VG.