VfGH vom 09.06.2011, v1/11
Sammlungsnummer
19392
Leitsatz
Feststellung der Gesetzwidrigkeit der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Kalenderjahr 2007; Kundmachungsmangel durch fehlenden Hinweis auf das verordnungserlassende Organ
Spruch
I. Die Verordnung "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2008 ab " der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres war gesetzwidrig.
II. Die Bundesministerin für Inneres ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen
Bescheid der Berufungskommission beim Bundeskanzleramt, mit dem die
Berufung des nunmehrigen Beschwerdeführers gegen den von der
Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres, Senat 3,
gefassten Beschluss, "gegen [den Beschwerdeführer] wegen des
Verdachtes der schuldhaften Verletzung seiner Dienstpflichten nach
§91 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG) ... gemäß § 124 Abs 1 BDG
eine mündliche Verhandlung [anzuberaumen]" und "[d]as mit
Einleitungsbeschluss vom ... eingeleitete
Disziplinarverfahren gegen [den Beschwerdeführer] ... in seinen
Sachverhalten 1. bis 3., 5., 8. und 10. bis 17. ... gemäß § 94 Abs 1a
iVm § 118 Abs 1 Ziffer 3 BDG wegen Verjährung [einzustellen]", abgewiesen wurde.
2. Aus Anlass dieser Beschwerde entstand beim Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die Bestimmungen über den Senat 3 mit dem Standort Kärnten der "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2008 ab " der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres gesetzwidrig sind. Der Verfassungsgerichtshof leitete daher mit Beschluss vom - vorläufig davon ausgehend, dass es sich dabei um Verordnungsbestimmungen iSd Art 139 Abs 1 B-VG handle - gemäß dieser Verfassungsbestimmung ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der genannten Verordnungsbestimmungen ein.
3. Der Vorsitzende der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres als - nach der Aktenlage - verordnungserlassende Behörde legte die Akten betreffend die Erlassung der Geschäftseinteilung vor und teilte mit, dass "[a]ufgrund der Erkenntnisse V87/10… und V88,89/10… vom , mit denen der Verfassungsgerichtshof die Gesetzwidrigkeit der Verordnung 'Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2007' und der Verordnung 'Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2007 ab ' der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres ausgesprochen hat, … vom Vorsitzenden der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres von einer … Äußerung zum Gegenstand abgesehen [wird]".
Auch die Bundesministerin für Inneres als oberste zur Vertretung der Verordnung berufene Behörde erstattete keine Äußerung zum Prüfungsbeschluss.
II. Rechtslage
1.1. Gemäß § 98 Abs 1 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 - BDG 1979, BGBl. 333 idgF, sind bei jeder obersten Dienstbehörde eine Disziplinarkommission und gemäß § 41a Abs 1 leg.cit. beim Bundeskanzleramt eine Berufungskommission einzurichten. Die Disziplinarkommission ist gemäß § 97 Z 2 BDG 1979 u.a. zur Erlassung von Disziplinarerkenntnissen hinsichtlich der Beamten des Ressorts, in dem sie eingerichtet ist, zuständig. Wenn nach Durchführung der notwendigen Ermittlungen der Sachverhalt ausreichend geklärt ist, hat die Disziplinarkommission gemäß § 124 Abs 1 BDG 1979 die mündliche Verhandlung anzuberaumen (Verhandlungsbeschluss) und zu dieser die Parteien sowie die in Betracht kommenden Zeugen und Sachverständigen zu laden. Zur Entscheidung über Berufungen gegen die Verhandlungsbeschlüsse der Disziplinarkommission ist die Berufungskommission gemäß § 97 Z 4 BDG 1979 zuständig.
1.2. Für die Disziplinarkommissionen sehen die §§98, 100 und 101 BDG 1979 (§100 in der hier noch maßgeblichen Fassung BGBl. I 30/1998) - auszugsweise - Folgendes vor:
"Disziplinarkommissionen
§98. (1) ...
(2) Die Disziplinarkommission besteht aus dem Vorsitzenden, den erforderlichen Stellvertretern und weiteren Mitgliedern. Der Vorsitzende und die Stellvertreter müssen rechtskundig sein.
(3) Der Vorsitzende, seine Stellvertreter und die Hälfte der weiteren Mitglieder der Disziplinarkommission sind vom Leiter der Zentralstelle mit Wirkung vom 1. Jänner auf die Dauer von fünf Jahren zu bestellen. Die zweite Hälfte der weiteren Mitglieder ist von dem (den) zuständigen Zentralausschuß (Zentralausschüssen) zu bestellen.
(4) Bestellt der Zentralausschuß innerhalb eines Monats nach Aufforderung durch den Leiter der Zentralstelle keine oder zu wenige Mitglieder für die Disziplinarkommission, so hat der Leiter der Zentralstelle die erforderlichen Mitglieder selbst zu bestellen.
(5) Stehen dem Leiter der Zentralstelle oder dem zuständigen Zentralausschuss zu wenige geeignete Beamte seines Ressorts für die Bestellung zu Kommissionsmitgliedern zur Verfügung, können geeignete Beamte eines anderen Ressorts bestellt werden. Vor der Bestellung von Beamten anderer Ressorts ist das Einvernehmen mit den Leitern, im Falle des Abs 3 letzter Satz mit den Zentralausschüssen, der betreffenden Ressorts schriftlich herzustellen."
"Mitgliedschaft zu den Disziplinarkommissionen ...
§100. (1) Zu Mitgliedern der Disziplinarkommissionen ... dürfen nur Beamte des Dienststandes bestellt werden, gegen die kein Disziplinarverfahren anhängig ist.
(2) Der Beamte hat der Bestellung zum Mitglied einer
Disziplinarkommission ... Folge zu leisten.
(3) Die Mitgliedschaft zu den Disziplinarkommissionen ... ruht vom Zeitpunkt der Einleitung eines Disziplinarverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluß, während der Zeit der (vorläufigen) Suspendierung, der Außerdienststellung, der Erteilung eines Urlaubes von mehr als drei Monaten und der Leistung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes.
(4) Die Mitgliedschaft zu den Disziplinarkommissionen ... endet mit dem Ablauf der Bestellungsdauer, mit der rechtskräftigen Verhängung einer Disziplinarstrafe, mit der Versetzung ins Ausland sowie mit dem Ausscheiden aus dem Dienststand.
(5) Im Bedarfsfalle sind die Kommissionen durch Neubestellung von Kommissionsmitgliedern für den Rest der Funktionsdauer zu ergänzen.
Disziplinarsenate
§101. (1) Die Disziplinarkommissionen ... haben in Senaten zu
entscheiden. Die Senate haben aus dem Vorsitzenden der Kommission oder einem seiner Stellvertreter als Senatsvorsitzenden und zwei weiteren Mitgliedern zu bestehen. Jedes Kommissionsmitglied darf mehreren Senaten angehören.
(2) Ein Mitglied des Senates der Disziplinarkommission muß vom Zentralausschuß oder gemäß § 98 Abs 4 bestellt worden sein.
(3) ...
(4) Der Vorsitzende jeder Kommission hat jeweils bis zum Jahresschluß für das folgende Kalenderjahr die Senate zu bilden und die Geschäfte unter diese zu verteilen. Gleichzeitig ist die Reihenfolge zu bestimmen, in der die weiteren Kommissionsmitglieder bei der Verhinderung eines Senatsmitgliedes als Ersatzmitglieder in die Senate eintreten. Die Zusammensetzung der Senate darf nur im Falle unbedingten Bedarfes abgeändert werden."
1.3. § 106 BDG 1979 lautet wie folgt:
"Parteien
§ 106. Parteien im Disziplinarverfahren sind der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt. Die Stellung als Partei kommt ihnen mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Disziplinaranzeige zu."
2. Die Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Jahr 2008 lautet - auszugsweise - wie folgt (die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"DISZIPLINARKOMMISSION
BEIM
BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES
Vorsitzender:
SC Mag. Dr. Mathias VOGL
Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung,
gültig für das Jahr 2008
ab
...
Senat 3 mit dem Standort Kärnten
1. Für alle BeamtInnen in A 1 bzw. A und in E 1 bzw. W 1 des Allgemeinen Verwaltungsdienstes bzw. der Allgemeinen Verwaltung (der Sicherheitsverwaltung) und des Exekutivdienstes bzw. WachebeamtInnen, die den Sicherheitsdirektionen, Bundespolizeidirektionen und Landespolizeikommanden der Bundesländer Wien, Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg angehören.
2. Für alle BeamtInnen des Allgemeinen Verwaltungsdienstes bzw. der Allgemeinen Verwaltung (der Sicherheitsverwaltung), in handwerklicher Verwendung und des Exekutivdienstes bzw. WachebeamtInnen, die der Sicherheitsdirektion Kärnten, den Bundespolizeidirektionen Klagenfurt und Villach oder dem Landespolizeikommando Kärnten angehören, sofern nicht die Zuständigkeit des Senates 4 gegeben ist.
3. Für alle BeamtInnen des Allgemeinen Verwaltungsdienstes bzw. der Allgemeinen Verwaltung (der Sicherheitsverwaltung), in handwerklicher Verwendung und des Exekutivdienstes bzw. WachebeamtInnen, die der Sicherheitsdirektion Steiermark, den Bundespolizeidirektionen Graz und Leoben oder dem Landespolizeikommando Steiermark angehören, sofern nicht die Zuständigkeit des Senates 4 gegeben ist.
Der Senat besteht aus:
a) Senatsvorsitzende/r: ...
b) Mitglied: ...
c) Mitglied: ... (für alle BeamtInnen die dem
Vertretungsbereich des Zentralausschusses für die Bediensteten des öffentlichen Sicherheitswesens angehören)
...* (für alle BeamtInnen die dem Vertretungsbereich des Zentralausschusses für die Bediensteten der Sicherheitsverwaltung angehören)*
Im Falle der Verhinderung treten in folgender Reihenfolge ein:
Für die/den unter a) genannten Senatsvorsitzende/n:
...
Für das unter b) genannte Mitglied:
...
Für das jeweils unter c) genannte Mitglied*:
Für den Vertretungsbereich des Zentralausschusses für die Bediensteten des öffentlichen Sicherheitswesens:
...
Für den Vertretungsbereich des Zentralausschusses für die Bediensteten der Sicherheitsverwaltung:
...
*siehe Allgemeine Regelungen
...
Allgemeine Regelungen
Die in den Senaten unter b) angeführten Mitglieder sind jene, die von der/vom Leiterin/Leiter der Zentralstelle, die unter c) angeführten jene, die vom jeweils zuständigen Zentralausschuss bestellt worden sind. Hinsichtlich der unter c) angeführten Mitglieder sind für alle BeamtInnen des Zentralausschussbereiches für die Bediensteten des öffentlichen Sicherheitswesens nur die diesem Zentralausschussbereich angehörigen Mitglieder und für alle BeamtInnen des Zentralausschussbereiches für die Bediensteten der Sicherheitsverwaltung nur die diesem Zentralausschussbereich angehörigen Mitglieder als Senatmitglieder anzusehen. Diese Regelung gilt auch im Falle der Verhinderung eines unter c) genannten Senatsmitgliedes.
Der/Dem Senatsvorsitzenden obliegt es, die Mitglieder bzw. bei Verhinderung die Ersatzmitgliedern der festgesetzten Reihenfolge einzuberufen. Jede Verhinderung ist aktenkundig zu machen.
Hinsichtlich der Zuständigkeit gilt Nachstehendes in der angeführten Reihenfolge:
1. Für die Zuständigkeit der Senate ist der Zeitpunkt des Anfalles der Rechtssache (Datum des Einlangens bei der Disziplinarkommission) maßgebend.
2. Der dadurch bestimmte Senat bleibt bis zur rechtskräftigen Erledigung der Rechtssache zuständig, selbst wenn inzwischen Veränderungen in der Geschäftsverteilung oder in der Zuweisung der Mitglieder oder Ersatzmitglieder zu den einzelnen Senaten eingetreten sein sollte.
3. Sind Mitglieder der Disziplinarkommission ausgeschieden bzw. ist Ruhen der Mitgliedschaft eingetreten, so rückt jenes Ersatzmitglied nach, das im Zeitpunkt des Anfalles der Rechtssache nachgerückt wäre.
4. Erweist sich die Anwendung von Ziffer 2. tatsächlich unmöglich oder kann bei Anwendung von Ziffer 3. ein ordnungsgemäßer Senat nicht gebildet werden, so ist jener Senat heranzuziehen, der in Ansehung der dienstrechtlichen Stellung der/s Beamtin/Beamten nach der Geschäftsverteilung des aktuellen Jahres zuständig ist.
5. Wenn ein Senat aus anderen Gründen nicht gebildet werden kann, treten die Vorsitzenden und weiteren Mitglieder der nachfolgenden Senate in der dort vorgesehenen Reihenfolge ein, wobei für den Senat 4 der Senat 1 als nachfolgend gilt.
6. Bei Verhinderung aller Senatsvorsitzenden und deren Stellvertreter ist die Zuständigkeit des Kommissionsvorsitzenden als Senatsvorsitzender gegeben."
III. Erwägungen
1. Die Begründung des oben unter Pkt. I.2. erwähnten Prüfungsbeschlusses lautet im Wesentlichen wie folgt:
"1. Die Beschwerde scheint zulässig zu sein.
Die in Rede stehende Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres dürfte als Rechtsverordnung zu qualifizieren sein (vgl. zB das Erkenntnis VfSlg. 17.771/2006 und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis VfSlg. 18.287/2007 und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis , und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis , und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , sowie das Erkenntnis V88,89/10, und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , B1250/08).
Diese Geschäftseinteilung dürfte auch Eingang in die Rechtsordnung gefunden haben; so scheint sie insbesondere durch die Weiterleitung an die Dienststellen, die Zentralausschüsse der Personalvertretung und die Mitglieder der Disziplinarkommission sowie durch ihre Einsehbarkeit im Intranet ein gewisses Mindestmaß an Publizität erlangt zu haben (vgl. zB auch das Erkenntnis VfSlg. 17.771/2006 und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis VfSlg. 18.287/2007 und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis , und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis , und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , sowie das Erkenntnis V88,89/10, und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , B1250/08).
Weiters geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass er die im Spruch genannten Regelungen bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides (in Beurteilung der Frage, ob der Senat 3 der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zuständig war) anzuwenden hätte; daher dürften diese Bestimmungen hier präjudiziell in der Bedeutung des Art 139 Abs 1 B-VG sein.
2. In der Sache hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die Kundmachung der in Prüfung gezogenen Regelungen keinen Hinweis darauf enthält, dass diese vom Vorsitzenden der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres erlassen worden sind:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Nennung des verordnungserlassenden Organs ein Essential einer ordnungsgemäßen Kundmachung einer Verordnung (vgl. zB VfSlg. 7281/1974, 7903/1976, 16.591/2002 und den dem Erkenntnis , zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss ). Es muss nämlich aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit dem Normunterworfenen auf Grund der Kundmachung einer Verordnung möglich sein, die Einhaltung der Zuständigkeitsvorschriften zu kontrollieren (vgl. VfSlg. 6555/1971 und den dem Erkenntnis , zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss ).
Mit Verfügung vom ersuchte der Verfassungsgerichtshof in dem bei ihm anhängigen Bescheidprüfungsverfahren die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres u.a., die Akten betreffend die hier in Rede stehende Geschäftsverteilung vorzulegen und mitzuteilen, ob und in welcher Weise die Geschäftseinteilung kundgemacht wurde. Mit Schreiben vom legte die Bundesministerin für Inneres dem Verfassungsgerichtshof den angeforderten Akt vor und teilte u.a. Folgendes mit:
'Das Erfordernis der 'ortsüblichen Kundmachung' war nach Ansicht des Bundesministeriums für Inneres bei der gegenständlichen Verordnung erfüllt.
Die Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Jahr 2008 wurde mit Akt Zahl BMI-PA1700/0019-I/2/2007 an die dort angeführten Dienststellen des Ressorts übersendet und wurden die Zentralausschüsse und die Mitglieder der Disziplinarkommission in Kenntnis gesetzt. Der Entwurf der Geschäftsverteilung wurde vom Vorsitzenden der Disziplinarkommission im Wege der Aktenvorschreibung am 18. Dezember
2007 ... genehmigt. Die administrativen Belange der
Disziplinarkommission werden laut der Geschäftsverteilung des Bundesministeriums für Inneres von der Sektion I wahrgenommen. Dies erklärt die Geschäftszahl und das Genehmigungsverfahren. Die im Akt ersichtliche Genehmigung durch einen Bediensteten der Abt. I/2 betrifft lediglich die elektronische Verteilung der Verordnung und ist durch technische Vorgaben des elektronischen Aktes bedingt. Die Erlassung der Verordnung durch den Vorsitzenden der Disziplinarkommission ist im Übrigen durch die namentliche Nennung auf dem Deckblatt der Verordnung erkennbar.
Durch die Versendung an die Dienststellen wurde veranlasst, dass die in Betracht kommenden Bediensteten vom Vorliegen der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission in Kenntnis gesetzt wurden und die Möglichkeit hatten, vom Inhalt der Geschäftsverteilung Kenntnis zu erlangen. Die Versendung an jeden einzelnen Bediensteten ist nicht zuletzt dadurch sichergestellt, dass die Unterlassung der Weiterleitung durch den Dienstvorgesetzten eine Dienstpflichtverletzung gemäß §§43 und 45 BDG darstellen würde. Der Leiter einer Dienststelle ist sowohl gegenüber seinem Dienstvorgesetzten verpflichtet, eine ihm mit dem Auftrag der Verteilung übermittelte Verordnung an die Bediensteten seines Wirkungsbereichs weiterzuleiten, als auch in seiner Rolle als Dienstvorgesetzter verpflichtet, seiner Leitungsfunktion entsprechend seine Mitarbeiter von diese betreffenden wichtigen Informationen in Kenntnis zu setzen.
Die Kundmachung der gegenständlichen Verordnung erfolgte nicht nur durch Aussendung, sondern auch durch Veröffentlichung im Intranet.
Durch die Verlautbarung im Intranet bestand für alle Bedienstete[n] des Ressorts die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Die Bediensteten, welche über keine eigene BAKS-Station (Computer Terminal) verfügen, haben dennoch einen BAKS Account, d.h. sie können bei jeder BAKS Station mit ihrem Kennwort in das System und sohin in das Intranet einsteigen. Es war sohin der gleiche Zugang aller Normadressaten gewährleistet, zumal die Ausstattung aller Dienststellen mit genügend BAKS-Stationen gegeben war.
Es ist anerkannt, dass der Anschlag einer Verordnung im Amtsgebäude, auf dem auf den Ort des Aufliegens der Verordnung hingewiesen wird, als gehörige Kundmachung anzusehen ist. Es ist in Zeiten der elektronischen Kommunikation nicht ersichtlich, wie der Aushang an der Amtstafel einen höheren Grad an Publizität gewährleisten soll als die Versendung sowie die Veröffentlichung im Intranet, in das jeder Bedienstete täglich Einsicht nimmt. Die Möglichkeit der Einsichtnahme durch jeden Bediensteten als entscheidendes Kriterium der ortsüblichen Kundmachung ist auf diese Weise unzweifelhaft erfüllt. Der Umstand der Veröffentlichung im für alle Bediensteten zugänglichen Intranet gewährleistet ein mindestens gleich hohes Maß an Publizität wie der Aushang im Amtsgebäude, sodass eine ortsübliche und damit gehörige Kundmachung der Verordnung anzunehmen ist.'
Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken, dass die Kundmachung der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen keinen Hinweis darauf enthält, dass diese vom Vorsitzenden der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres erlassen worden sind.
Aus dem Argument der Bundesministerin für Inneres, die Geschäftseinteilung für das Jahr 2008 sei vom Vorsitzenden der Disziplinarkommission im Wege der Aktenvorschreibung genehmigt worden, scheint sich für die Gesetzmäßigkeit der Verordnungsbestimmungen nichts zu ergeben, weil deren Kundmachung keinen Hinweis darauf enthält, dass sie vom Vorsitzenden der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres erlassen wurden (vgl. auch ; , V87/10; , V88,89/10).
Auch das Vorbringen der Bundesministerin für Inneres, dass '[d]ie Erlassung der Verordnung durch den Vorsitzenden der
Disziplinarkommission ... durch die namentliche Nennung auf dem
Deckblatt der Verordnung erkennbar [ist]', dürfte an der Gesetzwidrigkeit der in Rede stehenden Verordnungsbestimmungen nichts ändern. Aus der bloßen Anführung des Namens des Vorsitzenden der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres am Beginn der Geschäftsverteilung ergibt sich nämlich nicht, welches Organ diese erlassen hat; vielmehr ist aus ihrer Kundmachung lediglich ersichtlich, dass der Vorsitzende der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres SC Mag. Dr. Mathias Vogl ist (arg.
'DISZIPLINARKOMMISSION BEIM BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES,
Vorsitzender: SC Mag. Dr. Mathias VOGL'), nicht jedoch, dass dieser die als Verordnung zu qualifizierende Geschäftsverteilung erlassen hat (vgl. ; , V88,89/10)."
2. Im Verordnungsprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was gegen die Annahme spricht, dass das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig ist; wie schon die im Bescheidprüfungsverfahren belangte Behörde im Spruch des in jenem Verfahren angefochtenen Bescheides ausdrücklich bemerkte, war die bei ihr bekämpfte Entscheidung von dem nach der Geschäftseinteilung für das Jahr 2008 eingerichteten Senat 3 der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres erlassen worden. Ebenso wenig wurde in diesem Verfahren das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zerstreut, dass die Kundmachung der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen keinen Hinweis darauf enthält, dass diese vom Vorsitzenden der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres erlassen worden sind. Die in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen erweisen sich daher als gesetzwidrig.
3. Gemäß Art 139 Abs 3 litc B-VG hat der Verfassungsgerichtshof dann, wenn er im Verordnungsprüfungsverfahren zur Auffassung gelangt, dass die ganze Verordnung in gesetzwidriger Weise kundgemacht wurde, die ganze Verordnung aufzuheben. Art 139 Abs 4 B-VG bestimmt, dass der Verfassungsgerichtshof, wenn die Verordnung im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten ist und das Verfahren von Amts wegen eingeleitet wurde, auszusprechen hat, ob die geprüfte Verordnung gesetzwidrig war; dabei gilt Abs 3 sinngemäß.
3.1. Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft nicht nur die - im Anlassfall präjudiziellen - Bestimmungen der in Rede stehenden Verordnung, sondern in gleicher Weise auch die übrigen Verordnungsbestimmungen; es ist daher hinsichtlich der ganzen Verordnung auszusprechen, dass sie gesetzwidrig war. Umstände, die dem iSd Art 139 Abs 3 letzter Satz B-VG entgegenstünden, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
3.2. Die im Spruch genannte - mit "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2008 ab " betitelte - Verordnung galt für das Jahr 2008. Mit der mit "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2009 ab " überschriebenen Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres wurde der in Prüfung gezogenen Verordnung materiell derogiert. Im Hinblick darauf hat der Verfassungsgerichtshof den Ausspruch darauf zu beschränken, dass die Verordnung gesetzwidrig war.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Es war daher auszusprechen, dass die Verordnung "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2008 ab " der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres gesetzwidrig war.
2. Die Verpflichtung der Bundesministerin für Inneres zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches gründet sich auf Art 139 Abs 5 zweiter Satz B-VG und auf § 60 Abs 2 (iVm § 61) VfGG iVm § 4 Abs 1 Z 4 BGBlG.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.