VfGH vom 18.01.2021, UA4/2020
Leitsatz
Rechtswidrigkeit eines Beschlusses der Mehrheit des Ibiza-Untersuchungsausschusses betreffend die Bestreitung des Zusammenhangs des Verlangens der Ladung einer Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand wegen fehlender Begründung; Verletzung der verfassungsgesetzlichen Begründungspflicht durch die begründungslose Verneinung des sachlichen Zusammenhangs des Verlangens der beschlussfassenden Mehrheit der Antragsteller
Spruch
Der Beschluss des Untersuchungsausschusses betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss) vom , mit dem das Bestehen eines sachlichen Zusammenhanges des Verlangens der Antragsteller betreffend die Ladung von *** als Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird, ist rechtswidrig.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit ihrem auf Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG gestützten Antrag begehren die Einschreiter,
"der VfGH möge feststellen, dass der in der 27. Sitzung des UsA am gefasste Beschluss, mit dem das Bestehen eines sachlichen Zusammenhanges des Verlangens eines Viertels seiner Mitglieder betreffend die Ladung von *** mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird, rechtswidrig ist."
II. Rechtslage
1. Art 53 und Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG, BGBl 1/1930, idF BGBl 101/2014 lauten:
"Artikel 53. (1) Der Nationalrat kann durch Beschluss Untersuchungsausschüsse einsetzen. Darüber hinaus ist auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder ein Untersuchungsausschuss einzusetzen.
(2) Gegenstand der Untersuchung ist ein bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes. Das schließt alle Tätigkeiten von Organen des Bundes, durch die der Bund, unabhängig von der Höhe der Beteiligung, wirtschaftliche Beteiligungs- und Aufsichtsrechte wahrnimmt, ein. Eine Überprüfung der Rechtsprechung ist ausgeschlossen.
(3) Alle Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper haben einem Untersuchungsausschuss auf Verlangen im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung ihre Akten und Unterlagen vorzulegen und dem Ersuchen eines Untersuchungsausschusses um Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Untersuchung Folge zu leisten. Dies gilt nicht für die Vorlage von Akten und Unterlagen, deren Bekanntwerden Quellen im Sinne des Art 52a Abs 2 gefährden würde.
(4) Die Verpflichtung gemäß Abs 3 besteht nicht, soweit die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird.
(5) Nähere Bestimmungen trifft das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates. In diesem können eine Mitwirkung der Mitglieder der Volksanwaltschaft sowie besondere Bestimmungen über die Vertretung des Vorsitzenden und die Vorsitzführung vorgesehen werden. Es hat auch vorzusehen, in welchem Umfang der Untersuchungsausschuss Zwangsmaßnahmen beschließen und um deren Anordnung oder Durchführung ersuchen kann.
Artikel 138b. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über
[…]
5. die Rechtmäßigkeit des Beschlusses eines Untersuchungsausschusses des Nationalrates, mit dem das Bestehen eines sachlichen Zusammenhanges eines Verlangens eines Viertels seiner Mitglieder betreffend die Ladung einer Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird, auf Antrag des dieses Verlangen unterstützenden Viertels seiner Mitglieder;
[…]"
2. § 56g Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, BGBl 85, idF BGBl 101/2014 (in der Folge: VfGG) lautet:
"e) Bei einem Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit eines Beschlusses,
mit dem das Bestehen eines sachlichen Zusammenhanges eines Verlangens
eines Viertels der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses des Nationalrates betreffend die Ladung einer Auskunftsperson mit dem
Untersuchungsgegenstand bestritten wird
§56g. (1) Der Antrag im Sinne des Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG hat die Feststellung zu begehren, dass der Beschluss eines Untersuchungsausschusses des Nationalrates, mit dem das Bestehen eines sachlichen Zusammenhanges eines Verlangens eines Viertels seiner Mitglieder betreffend die Ladung einer Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird, rechtswidrig ist.
(2) Der Antrag hat zu enthalten:
1. die Bezeichnung des Verlangens;
2. die Bezeichnung des Beschlusses;
3. den Sachverhalt;
4. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt;
5. die erforderlichen Beweise;
6. die Angaben und Unterlagen, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Antrag rechtzeitig gestellt wurde.
(3) Dem Antrag ist eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie des Verlangens der Antragsteller, der gegenständlichen Teile des Protokolls der Ausschusssitzung sowie des Beschlusses des Untersuchungsausschusses anzuschließen.
(4) Ein Antrag ist nicht mehr zulässig, wenn seit dem Beschluss des Untersuchungsausschusses zwei Wochen vergangen sind.
(5) Bis zur Verkündung bzw Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.
(6) Der Verfassungsgerichtshof entscheidet auf Grund der Aktenlage ohne unnötigen Aufschub, tunlichst aber binnen vier Wochen, nachdem der Antrag vollständig eingebracht wurde.
(7) Mit der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes über die Rechtswidrigkeit des Beschlusses wird das Verlangen auf Ladung einer Auskunftsperson wirksam."
3. § 33, § 38 und § 106 des Bundesgesetzes vom über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975 – in der Folge: GOG-NR), BGBl 410, idF BGBl I 99/2014 lauten:
"§33. (1) Der Nationalrat kann aufgrund eines schriftlichen Antrags, der unter Einrechnung des Antragstellers (der Antragsteller) von mindestens fünf Abgeordneten unterstützt sein muss, einen Beschluss auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fassen. Darüber hinaus ist auf Verlangen von mindestens 46 seiner Mitglieder ein Untersuchungsausschuss einzusetzen.
(2) Solche Anträge und Verlangen sind in den Sitzungen des Nationalrates schriftlich einzubringen und haben den Gegenstand der Untersuchung gemäß Art 53 Abs 2 B-VG zu enthalten. Ein Antrag nach Abs 1 muss mit der Formel 'Der Nationalrat wolle beschließen' versehen sein und ist dem Präsidenten mit der eigenhändigen Unterschrift des Antragstellers oder der Antragsteller versehen zu übergeben. Die Eigenschaft als Antragsteller muss aus dem Antrag deutlich ersichtlich sein. Anträge und Verlangen, die ausreichend unterstützt sind, werden unverzüglich an die Abgeordneten verteilt.
(3) Für die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen gilt die 'Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse' (VO-UA), die als Anlage 1 zu diesem Bundesgesetz einen Bestandteil desselben bildet. Sofern diese Verfahrensordnung nicht anderes bestimmt, kommen für das Verfahren die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zur Anwendung.
(4) Der Nationalrat kann eine Debatte über einen Antrag bzw ein Verlangen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beschließen. Fünf Abgeordnete können eine solche verlangen. Die Debatte erfolgt nach Erledigung der Tagesordnung und richtet sich nach den § 57a und 57b. Von Abgeordneten, die demselben Klub angehören, kann nur ein solches Verlangen pro Sitzungswoche eingebracht werden. Wird ein solches Verlangen von Abgeordneten mehrerer Klubs unterstützt, ist es dem Klub, dem der Erstunterzeichner angehört, anzurechnen. Gehört dieser keinem Klub an, gilt diese Bestimmung hinsichtlich des Zweitunterzeichners und so weiter.
(5) Ein Antrag gemäß Abs 1 kann vom Antragsteller (von den Antragstellern) bis zum Beginn der Abstimmungen im Geschäftsordnungsausschuss zurückgezogen werden. Ein Verlangen gemäß Abs 1 kann von der Einsetzungsminderheit bis zum Beginn der Behandlung des Berichtes im Nationalrat gemäß Abs 9 zurückgezogen werden. Der Präsident verfügt die Verteilung des Schreibens über die Zurückziehung an die Abgeordneten.
(6) Anträge bzw Verlangen auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen sind am Schluss der Sitzung ihrer Einbringung dem Geschäftsordnungsausschuss zuzuweisen. Der Geschäftsordnungsausschuss hat binnen vier Wochen nach Zuweisung eines Antrags bzw eines Verlangens auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses die Beratung darüber aufzunehmen und innerhalb weiterer vier Wochen dem Nationalrat Bericht zu erstatten.
(7) Der Nationalrat hat den Bericht des Geschäftsordnungsausschusses in der auf die Übergabe an den Präsidenten nächstfolgenden Sitzung in Verhandlung zu nehmen.
(8) Die Debatte und Abstimmung folgt im Fall eines aufgrund eines Antrages gemäß Abs 1 erstatteten Berichtes den allgemeinen Bestimmungen über die Geschäftsbehandlung in den Sitzungen des Nationalrates. Abänderungs- und Zusatzanträge sowie Verlangen auf getrennte Abstimmung sind unzulässig.
(9) Insoweit der Geschäftsordnungsausschuss ein Verlangen gemäß Abs 1 nicht für gänzlich oder teilweise unzulässig erachtet, gilt der Untersuchungsausschuss mit Beginn der Behandlung des Berichts als in diesem Umfang eingesetzt und die Beschlüsse gemäß § 3 Abs 5 VO-UA werden wirksam. Der maßgebliche Zeitpunkt wird vom Präsidenten in der Sitzung festgestellt, im Amtlichen Protokoll festgehalten und unverzüglich veröffentlicht. In der Debatte findet § 60 Abs 3 Anwendung.
(10) Der Geschäftsordnungsausschuss hat auch außerhalb der Tagungen zusammenzutreten, wenn sich nach Abs 6 oder den Bestimmungen der VO-UA die Notwendigkeit hiezu ergibt. Der Untersuchungsausschuss kann auch außerhalb der Tagungen zusammenzutreten.
§38 (1) Über jede Sitzung eines Ausschusses ist ein Amtliches Protokoll zu führen, das, vom Obmann und einem Schriftführer unterfertigt, in der Parlamentsdirektion zu hinterlegen ist. Die Protokollführung wird durch Bedienstete der Parlamentsdirektion besorgt; die Ausschüsse können beschließen, einen Schriftführer mit der Führung des Protokolls zu betrauen.
(2) Das Protokoll hat zu verzeichnen: die in Verhandlung genommenen Gegenstände, alle im Verlaufe der Sitzung gestellten Anträge, die Art ihrer Erledigung, das Ergebnis der Abstimmungen und die gefaßten Beschlüsse.
(3) Dem Protokoll sind die Anwesenheitsliste sowie allfällige schriftliche Meldungen über die Vertretung eines verhinderten Ausschußmitgliedes durch einen anderen Abgeordneten als ein Ersatzmitglied anzuschließen. Ferner sind Schriftstücke, die der Obmann in der Sitzung des Ausschusses den Mitgliedern zur Kenntnis gebracht hat, entweder im Original oder in Abschrift dem Protokoll beizulegen.
(4) Ein Protokoll gilt als genehmigt, wenn gegen seine Fassung an dem der Ausschußsitzung folgenden Arbeitstag keine Einwendungen erhoben wurden. Über allfällige Einwendungen entscheidet der Obmann.
§106. Verlangen eines Drittels der Mitglieder des Immunitätsausschusses auf Einholung einer Entscheidung des Nationalrates im Sinne des § 10 Abs 3, Verlangen auf Einberufung einer außerordentlichen Tagung gemäß § 46 Abs 2, Verlangen auf Durchführung einer Volksabstimmung gemäß § 84 Abs 1 oder 85 sowie Anträge und Anfechtungen in Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach den Bestimmungen dieser Geschäftsordnung sind schriftlich mit den eigenhändigen Unterschriften der Abgeordneten an den Präsidenten zur weiteren verfassungsmäßigen Behandlung zu richten."
4. § 19, § 22 und § 29 der Anlage 1 zum GOG-NR (Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse – VO-UA), BGBl 410/1975, idF BGBl I 99/2014 lauten:
"Protokollierung
§19. (1) Über die Sitzungen des Untersuchungsausschusses wird ein Amtliches Protokoll geführt. § 38 GOG ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass
1. Schriftstücke, die in der Sitzung des Ausschusses den Mitgliedern zur Kenntnis gebracht wurden, nach den Vorschriften für Beweismittel zu behandeln sind und nicht dem Amtlichen Protokoll beigelegt werden,
2. über allfällige Einwendungen gegen das Amtliche Protokoll der Vorsitzende nach Beratung mit dem Verfahrensrichter entscheidet.
(2) Beweiserhebungen werden wörtlich protokolliert. Über sonstige Beratungen ist eine auszugsweise Darstellung zu verfassen, sofern der Ausschuss nichts anderes beschließt.
(3) Das übertragene Protokoll der Befragung ist der Auskunftsperson bzw dem Sachverständigen nachweislich zu übermitteln. Die Auskunftsperson bzw der Sachverständige kann binnen drei Tagen ab Übermittlung Einwendungen gegen Fehler der Übertragung und den Umfang der Veröffentlichung seiner Befragung erheben sowie einzelne Berichtigungen in geringfügigem Ausmaß anregen. Über Einwendungen und Berichtigungen entscheidet der Untersuchungsausschuss. Angenommene Berichtigungen sind dem Protokoll anzuschließen. Sofern innerhalb einer Woche ab Abfertigung keine Einwendungen eingelangt sind, ist eine Veröffentlichung des Protokolls gemäß § 20 Abs 1 Z 1 zulässig. Über nachträgliche Einwendungen entscheidet der Untersuchungsausschuss.
Beweisaufnahme
§22. (1) Der Untersuchungsausschuss erhebt die Beweise im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes. Beweise werden aufgrund des grundsätzlichen Beweisbeschlusses, der ergänzenden Beweisanforderungen, der Ladung von Auskunftspersonen und Sachverständigen sowie durch Augenschein erhoben.
(2) Die Beweisaufnahme endet unter Beachtung der Fristen gemäß § 51 und 53 mit Feststellung des Vorsitzenden. Diese ist sowohl im Amtlichen Protokoll über die Ausschusssitzung als auch im schriftlichen Bericht des Untersuchungsausschusses an den Nationalrat festzuhalten.
Ladung von Auskunftspersonen auf Verlangen
§29. (1) Ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses kann in einer Sitzung die Ladung von Auskunftspersonen schriftlich verlangen. Im Verlangen sind die Auskunftspersonen und die Themen der Befragung zu benennen. Es kann einen Vorschlag für den Zeitpunkt der Befragung enthalten und ist unter Bezugnahme auf den Untersuchungsgegenstand zu begründen. Das Verlangen wird wirksam, wenn die Mehrheit der Mitglieder in dieser Sitzung nicht den sachlichen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand mit Beschluss bestreitet.
(2) Eine Auskunftsperson kann aufgrund eines Verlangens gemäß Abs 1 höchstens zweimal geladen und gemäß § 37 ff. befragt werden.
(3) Der Vorsitzende hat das Einlangen eines Verlangens gemäß Abs 1 unverzüglich bekanntzugeben und dieses an die anwesenden Mitglieder des Untersuchungsausschusses zu verteilen. Bis zum Ende der Sitzung können weitere Mitglieder des Ausschusses das Verlangen beim Vorsitzenden schriftlich unterstützen. Sofern ein Verlangen von mehr als der Hälfte der Mitglieder unterstützt ist, wird es in die Beschränkung gemäß Abs 2 nicht eingerechnet.
(4) Bestreitet die Mehrheit der Mitglieder des Untersuchungsausschusses den sachlichen Zusammenhang eines Verlangens gemäß Abs 1 mit dem Untersuchungsgegenstand, kann das verlangende Viertel der Mitglieder den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses gemäß Abs 1 anrufen. Mit der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes über die Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses wird das Verlangen gemäß Abs 1 wirksam."
III. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Mitglieder des Nationalrates haben am ein – zur Gänze zulässiges (vgl UA1/2020) – Verlangen auf Einsetzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses mit folgendem Untersuchungsgegenstand im Nationalrat eingebracht (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Untersuchungsgegenstand
Untersuchungsgegenstand ist die mutmaßliche politische Absprache über das Gewähren ungebührlicher Vorteile im Bereich der Vollziehung des Bundes durch Mitglieder der Bundesregierung oder Staatssekretäre und diesen jeweils unterstellte leitende Bedienstete an natürliche oder juristische Personen, die politische Parteien direkt oder indirekt begünstigten, im Zuge der
a) Vollziehung der § 12a, 14 bis 16, 18 bis 24a, 30, 31, 31b Abs 1 und 6 bis 9, sowie 57 bis 59 Glücksspielgesetz idjgF;
b) Einflussnahme auf die Casinos Austria AG, ihre direkten oder indirekten EigentümerInnen sowie ihre Tochterunternehmen und jeweiligen OrganwalterInnen;
c) Vorbereitung von Gesetzgebungsverfahren auf Grundlage der Art 10 Abs 1 Z 1, 4-6 und 8-12, Art 11 Abs 1 Z 3 und 7, Art 12 Abs 1 Z 1 und 5 sowie Art 14b Abs 1 B-VG idjgF;
d) Vollziehung der § 121a BAO sowie Art 1 § 49a FinStrG idjgF in Bezug auf die in litb genannten Personen;
e) Umstrukturierung der Finanzaufsicht (BMF, Österreichische Nationalbank und Finanzmarktaufsicht) sowie der ÖBIB zur ÖBAG einschließlich der Bestellung der jeweiligen Organe;
f) Bestellung von Organen (einschließlich Vorstände, Aufsichtsräte und Geschäftsführungen) von Unternehmungen, an denen der Bund mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist;
g) straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen in Folge des Ibiza-Videos und gegen die Casinos Austria AG, ihre direkten und indirekten EigentümerInnen sowie Tochterunternehmen und jeweiligen OrganwalterInnen
einschließlich von Vorbereitungs- und Verdunkelungshandlungen im Zeitraum von bis
Beweisthemen und inhaltliche Gliederung des Untersuchungsgegenstands
1. Managementscheidungen bei der Casinos Austria AG
Aufklärung über die Strategie, die Beweggründe und die Verfahren zur Besetzung von Funktionen in der Casinos Austria AG und ihren Tochterunternehmen sowie die Kommunikation zwischen den Eigentümern der CASAG bzw Mitgliedern der Gesellschaftsgremien sowie Amtsträgern. Dazu zählt die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen, die Willensbildung sowie die Überprüfung der jeweiligen persönlichen Eignung bei der Bestellung der GeschäftsleiterInnen (insbesondere Peter Sidlo) sowie des Aufsichtsrates der CASAG, die Wahrnehmung der Eigentümerinteressen der Republik sowie die in Folge des Bekanntwerdens der Ermittlungen der WKStA getroffenen Maßnahmen.
2. Reform und Vollziehung bestimmter Teile des Glücksspielgesetzes
Aufklärung über die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt, die Vorgangsweise und die politische Einflussnahme auf die Vollziehung des Glücksspielgesetzes sowie die Vorbereitung möglicher Gesetze im Glücksspielbereich einschließlich der Bemühungen von Dritten um bestimmte Handlungen seitens der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder ('Hintergrunddeals').
3. Begünstigung von Dritten
Aufklärung über die Einflussnahme von politischen FunktionsträgerInnen, leitenden Bediensteten sowie deren jeweiligen Büros auf die Vollziehung von Angelegenheiten betreffend Personen, die direkt oder indirekt Parteien oder WahlwerberInnen begünstigten einschließlich diese betreffende behördliche Ermittlungen sowie der Umgang mit Ansuchen um privilegierte Behandlung durch diesen Personenkreis.
4. Neustrukturierung der Finanzaufsicht
Aufklärung über die Strategie, die Beweggründe und die Verfahren in Zusammenhang mit der Reform der Finanzaufsicht, insbesondere den Kompetenzverschiebungen zwischen BMF, FMA und OeNB und die Neubesetzung der jeweiligen Organe. Dazu zählt auch die (versuchte) Einflussnahme Dritter auf die Reformüberlegungen.
5. Ermittlungen in der Ibiza-Affäre
Aufklärung über die politische Einflussnahme auf den Zeitablauf, die Vorgangs-weise, Kommunikation und Strategie der behördlichen Ermittlungen in Folge des Bekanntwerdens des Ibiza-Videos einschließlich der Tätigkeiten und Zusammen-setzung der SOKO Ibiza.
6. Beteiligungsmanagement des Bundes
Aufklärung über die Einflussnahme der Bundesregierung auf die ÖBIB bzw ÖBAG, die Hintergründe, Strategien und Motive der Umstrukturierung der ÖBIB zur ÖBAG und die verwaltungsseitige Vorbereitung der entsprechenden Gesetzesnovellen sowie Aufklärung über das Funktionieren des Beteiligungsmanagements des Bundes.
7. Personalpolitik in staatsnahen Unternehmen
Aufklärung über die Beeinflussung von Personalentscheidungen in Unternehmen, an denen der Bund direkt oder indirekt beteiligt ist, einschließlich der Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand der ÖBAG, sowie von Mitgliedern von Aufsichtsräten als mögliche Gegenleistung oder Belohnung für die direkte oder indirekte Begünstigung politischer Parteien oder WahlwerberInnen.
8. Verdacht des Gesetzeskaufs
Aufklärung über die Einräumung von Einflussnahmemöglichkeiten an Dritte auf das Gesetzgebungsverfahren – sofern es der Vollziehung zuzurechnen ist - einschließlich Regierungsakten, als Folge der Begünstigung bestimmter politischer Parteien oder WahlwerberInnen."
1.2. In der 27. Sitzung dieses Untersuchungsausschusses am verlangten die fünf Antragsteller gemäß § 29 VO-UA
"***, ehemalige Bundessprecherin und Klubobfrau der Grünen, Bereichsleiterin Corporate Responsibility und Sustainability der Novomatic AG, zu den Beweisthemen 1. Managemententscheidungen bei der Casinos Austria AG, 2. Reform und Vollziehung bestimmter Teile des Glücksspielgesetzes, 3. Begünstigung von Dritten, 5. Ermittlungen in der Ibiza-Affäre, 6. Beteiligungsmanagement des Bundes, 7. Personalpolitik in staatsnahen Unternehmen und 8. Verdacht des Gesetzeskaufs zu befragen.
Zentrale Fragestellung des Untersuchungsausschusses ist die 'Feststellung Novomatic zahlt alle!' – Die Auskunftsperson verfügt als ehemalige Bundessprecherin der Grünen über vielseitige Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern und ist in leitender Position für die Novomatic AG tätig. Die Auskunftsperson hat sohin Wahrnehmungen zum Untersuchungsgegenstand, was sich auch aus den dem Untersuchungsausschuss gelieferten Akten ergibt."
1.3. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss fasste am mehrheitlich den – begründungslos gebliebenen – Beschluss, den sachlichen Zusammenhang dieses Verlangens mit dem Untersuchungsgegenstand zu bestreiten.
2. Die Einschreiter begründen ihren Antrag inhaltlich wie folgt:
2.1. Der Beschluss der Mehrheit vom , mit dem der sachliche Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand betreffend das Verlangen der Minderheit auf Ladung der Auskunftsperson *** bestritten worden sei, sei im Wesentlichen damit begründet, dass
– *** im Untersuchungszeitraum keinerlei politische Funktion innegehabt habe,
– der Antragsteller dieses Beschlusses glaube, sie hätte keine leitende Stelle bei Novomatic innegehabt, und
– dieser weiters behaupte, dass in der Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses am der Vorsitz festgestellt hätte, dass *** "in keinster Art und Weise" Untersuchungsgegenstand sei und daher kein sachlicher Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand bestünde.
2.2. Zum ersten Punkt sei festzuhalten, dass die VO-UA nicht ausschließlich die Ladung von politischen Funktionsträgern vorsehe.
2.3. Entscheidend für den zweiten Punkt sei nicht, was der Antragsteller des Beschlusses "glaube", sondern klarzustellen, dass *** die Position "Head of Corporate Responsibility & Sustainability" ausübe, was allein schon nach der Begrifflichkeit eine Abgrenzung als "leitende Position" zur Sachbearbeiterin "officer" darstelle. "Die Abteilung 'Group Corporate Responsibility & Sustainability' verantwortet das strategische, strukturierte und wirkungsorientierte Management von Corporate Responsibility bei NOVOMATIC. Diese Abteilung berichtet direkt an den Vorstand von NOVOMATIC AG" (Novomatic AG, Geschäftsbericht 2018, 46).
2.4. Die Begründung zum dritten Punkt sei verfälschend verkürzt. Hiezu dürfe auf das vorläufige stenographische Protokoll der Befragung der Auskunftsperson Mag. S. K., LL.M., am , 54 ff. verwiesen werden. Faktum sei, dass der Verfahrensrichter eine befragende Abgeordnete ersucht habe, für ihre Frage zu *** den Bezug zum Untersuchungsgegenstand herzustellen. Diese habe jedoch dieses Fragethema beendet; ein Entscheidungsvorschlag des Verfahrensrichters, ob Fragen zur Person von *** zulässig seien, sei nicht erfolgt. Nach einer Wortmeldung einer anderen Abgeordneten habe der Vorsitz unter Hinweis auf die (nicht erfolgte) Stellungnahme des Verfahrensrichters irrtümlicherweise darauf hingewiesen, dass die Fragen zur ehemaligen Klubobfrau *** nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun hätten. Nach einer Wortmeldung des Erstantragstellers zur Herstellung des Bezuges zum Untersuchungsgegenstand habe der Verfahrensrichter ausgeführt: "Herr Abgeordneter Gerstl, wenn Sie jetzt versuchen, den Bezug herzustellen, dann mag es schon stimmen. Ich habe ja auch nur [ein anderes Mitglied des Ibiza-Untersuchungsausschusses] ersucht, den Bezug herzustellen, weil es mir schwergefallen ist, weil ich auch diese Passage, die Sie hier genannt haben, nicht gekannt habe."
2.5. *** sei ua von 2008 bis 2017 Bundessprecherin der Grünen, Abgeordnete zum Nationalrat vom bis , davon Dritte Präsidentin des Nationalrates vom bis und anschließend Klubobfrau des Grünen Parlamentsklubs vom bis gewesen.
2.6. Ab sei *** Head of Corporate Responsibility & Sustainability bei der Novomatic AG gewesen.
2.7. *** habe durch ihre jahrlangen politischen Spitzenfunktionen unzweifelhaft vielseitige Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern aller Parteien in allen Gebietskörperschaften, aber auch zu Interessengruppen und Wirtschaftsunternehmen. Dass solche Kontakte für die Novomatic AG von besonderer Bedeutung seien, habe auch der Generalsekretär der Novomatic AG, Mag. S. K., LL.M., bei seiner Befragung durch den Ibiza-Untersuchungsausschuss bestätigt. Die besondere Bedeutung der Verpflichtung von *** durch das Unternehmen Novomatic AG zeige sich auch klar an einem von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft übermittelten Chatprotokoll zwischen Mag. B. K., Head of Group Communications, an den Vorsitzenden des Vorstandes der Novomatic AG, Mag. H. N., anlässlich der Information über die Bestellung von *** an die Öffentlichkeit.
2.8. *** verantworte als Head of Corporate Responsibility & Sustainability das Corporate Responsibility Management, dazu würden ua als wesentliche Elemente der laufende Austausch mit den unterschiedlichen Stakeholdern zählen, wobei Politik und Behörden explizit angeführt seien: "Der Mehrwert von Corporate Responsibility ist somit auch im Sinne des Geschäftserfolgs messbar. Dies geschieht unter anderem durch das Gewinnen und Absichern von Lizenzen, [...]" (Novomatic AG, Geschäftsbericht 2018, 39).
2.9. Es sei nahezu denkunmöglich, dass *** auf Grund ihrer ehemaligen politischen Spitzenfunktionen und politischen Netzwerke sowie als Head of Corporate Responsibility & Sustainability der Novomatic AG zu im Verlangen angeführten Beweisthemen über keinerlei Informationen verfüge und keinen Beitrag für die Aufklärung leisten könne. Für die Informationsgewinnung des Ausschusses und seine effektive politische Kontrollfunktion sei die Beantwortung folgender, beispielhaft angeführter Fragenbereiche essentiell:
2.10. Es würden sich beispielsweise für den Ibiza-Untersuchungsausschuss die Fragen stellen, ob, inwieweit und wann die Auskunftsperson von einem für diesen Untersuchungsausschuss zentralen Sachverhalt Kenntnis gehabt habe; nämlich eines möglichen Deals zwischen der Novomatic AG und der FPÖ (Nominierung von Mag. Peter Sidlo als Kandidaten der Novomatic AG für die Funktion des Finanzvorstandes der Casinos Austria AG), um im Gegenzug Online- oder Casinolizenzen zu erhalten.
2.11. Es würden sich des Weiteren für den Ibiza-Untersuchungsausschuss die Fragen stellen, ob, inwieweit und wann die Auskunftsperson Kenntnis gehabt habe von den bzw ob sie auf Grund ihrer politischen Netzwerke Einfluss genommen habe auf die Novellen des Glücksspielgesetzes, die eine mögliche Liberalisierung (zu Gunsten der Novomatic AG) vorgesehen haben sollten.
2.12. Außerdem würden sich die Fragen stellen, ob die Auskunftsperson Lobbyingtätigkeiten gegenüber politischen Funktionsträgern bzw entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen oder begleitende Rahmenbedingungen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes bzw Spenden an oder Kooperationen mit parteinahen Vereinen mit Entscheidungsträgern der Novomatic AG (beispielsweise Vorständen oder Bereichsleitern, dem Head of Corporate Communications, Mag. B. K., dem Generalsekretär, Mag. S. K., LL.M. etc.) besprochen oder abgestimmt bzw koordiniert habe bzw ob solche Tätigkeiten in Besprechungen Gegenstand gewesen seien. In diesem Zusammenhang würden sich auch die Fragen stellen, inwieweit die Auskunftsperson Kenntnis gehabt habe bzw "Türöffnerin" bei identen Interessen der Novomatic AG und der SPÖ, wie beispielsweise Erhalt von Casinolizenzen für das Bundesland Burgenland, die Aufstellung von Glücksspielautomaten in der Bundeshauptstadt Wien etc. gewesen sei.
2.13. Die Beantwortung dieser beispielhaft angeführten Fragen würde die Ladung der Auskunftsperson *** erfordern, die auch in den Akten und Unterlagen des Untersuchungssauschusses vorkomme. Nur dadurch könne der Ibiza-Untersuchungsausschuss seiner gesetzlichen Aufgabe, im Sinne der Wahrheitsfindung die politische Verantwortung umfassend aufzuklären, nachkommen.
2.14. Aus den angeführten Gründen ergebe sich, dass der in Rede stehende Beschluss vom , mit dem der sachliche Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand betreffend das Verlangen der Minderheit auf Ladung der Auskunftsperson *** mit Beschluss durch die Mehrheit bestritten worden sei, rechtswidrig sei, weil das Verlangen der Minderheit auf Ladung der genannten Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand des Ibiza-Untersuchungsausschusses im Zusammenhang stehe.
3. Dem Präsidenten des Nationalrates wurde die Möglichkeit eingeräumt, bis zu diesem Antrag Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom übermittelte die Parlamentsdirektion eine vom Ibiza-Untersuchungsausschuss am selben Tag auf der Grundlage von § 39 Abs 1 GOG-NR beschlossene Äußerung.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Gemäß Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses eines Untersuchungsausschusses des Nationalrates, mit dem das Bestehen eines sachlichen Zusammenhanges eines Verlangens eines Viertels seiner Mitglieder betreffend die Ladung einer Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird, auf Antrag des dieses Verlangen unterstützenden Viertels seiner Mitglieder.
1.2. Gemäß Art 53 Abs 1 zweiter Satz B-VG ist ein Untersuchungsausschuss auf Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Nationalrates einzusetzen (vgl auch § 1 Abs 2 erster Satz VO-UA: "mindestens 46 […] Mitglieder"). Nähere Bestimmungen trifft nach Art 53 Abs 5 erster Satz B-VG das GOG-NR.
1.3. Gemäß § 29 Abs 1 VO-UA kann ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses in einer Sitzung die Ladung von Auskunftspersonen schriftlich verlangen. Im Verlangen sind die Auskunftspersonen und die Themen der Befragung zu benennen; es ist unter Bezugnahme auf den Untersuchungsgegenstand zu begründen und kann einen Vorschlag für den Zeitpunkt der Befragung enthalten. Das Verlangen wird wirksam, wenn die Mehrheit der Mitglieder in dieser Sitzung nicht den sachlichen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand mit Beschluss bestreitet. Erfolgt eine solche Bestreitung, kann das verlangende Viertel der Mitglieder nach § 29 Abs 4 erster Satz VO-UA den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses nach § 29 Abs 1 VO-UA anrufen. Ein solcher Antrag ist gemäß § 56g Abs 4 VfGG nicht mehr zulässig, wenn seit dem Beschluss des Untersuchungsausschusses zwei Wochen vergangen sind. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet nach § 56g Abs 6 VfGG auf Grund der Aktenlage ohne unnötigen Aufschub, tunlichst aber binnen vier Wochen, nachdem der Antrag vollständig eingebracht wurde.
1.4. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss hat mit Beschluss vom den sachlichen Zusammenhang des Verlangens eines Viertels seiner Mitglieder betreffend die Ladung von *** als Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten.
1.5. Der am von zumindest vier (die Frage der Antragslegitimation des Fünfteinschreiters kann angesichts der Ausschussgröße von 13 Abgeordneten offen bleiben) das in Rede stehende Verlangen unterstützenden Mitgliedern des Ibiza-Untersuchungsausschusses – nach dem Antrag "im Wege des Präsidenten des Nationalrats gemäß § 106 GOG-NR", jedoch nicht von diesem, sondern mit einem Schreiben einer Mitarbeiterin der Parlamentsdirektion (die Einhaltung der Bestimmung des § 106 GOG-NR bildet keine Prozessvoraussetzung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof [vgl UA3/2020 mwN]) – beim Verfassungsgerichtshof eingebrachte Antrag gemäß Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG erweist sich somit als rechtzeitig und als von einer ausreichenden Anzahl von Mitgliedern dieses Untersuchungsausschusses eingebracht. Da auch sonst keine Prozesshindernisse vorliegen, erweist sich der Antrag als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Gegenstand des Verfahrens nach Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG ist der (Mehrheits-)Beschluss eines Untersuchungsausschusses des Nationalrates, mit dem das Bestehen eines sachlichen Zusammenhanges eines Verlangens (mindestens) eines Viertels seiner Mitglieder betreffend die Ladung einer Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird. Er wird durch den angefochtenen Umfang der Entscheidung des Untersuchungsausschusses begrenzt. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem Verfahren zur Entscheidung über den Antrag gemäß Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG, einen Beschluss eines Untersuchungsausschusses des Nationalrates für rechtswidrig zu erklären, auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken. Er hat sohin im vorliegenden Fall ausschließlich zu beurteilen, ob das Bestreiten des Bestehens eines sachlichen Zusammenhanges des Verlangens der Antragsteller betreffend die Ladung von *** als Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand durch den Ibiza-Untersuchungsausschuss aus den im Antrag gemäß § 56g Abs 2 Z 4 VfGG dargelegten Gründen rechtswidrig ist oder nicht.
2.2. Die einschreitenden Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses bringen zur Begründung ihres Antrages zusammengefasst vor, die vom Antragsteller des in Rede stehenden Beschlusses vorgebrachten Gründe für die Bestreitung des sachlichen Zusammenhanges des Verlangens der Einschreiter betreffend die Ladung von *** als Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand würden nicht zutreffen (die VO-UA sehe nicht ausschließlich die Ladung von politischen Funktionsträgern vor; die zu ladende Auskunftsperson sei sehr wohl in leitender Position bei der Novomatic AG tätig; die Frage des sachlichen Zusammenhanges der in Rede stehenden Auskunftsperson zum Untersuchungsgegenstand sei in der Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses vom nicht abschließend geklärt worden).
Es sei nahezu denkunmöglich, dass *** auf Grund ihrer jahrelangen politischen Spitzenfunktionen und politischen Netzwerke sowie als Head of Corporate Responsibility & Sustainability der Novomatic AG zu den im Verlangen angeführten Beweisthemen über keinerlei Informationen verfüge und keinen Beitrag für die Aufklärung leisten könne. Für die Informationsgewinnung des Ibiza-Untersuchungsausschusses und seine effektive politische Kontrollfunktion sei beispielsweise die Beantwortung der Fragen essentiell, ob, inwieweit und wann die in Rede stehende Auskunftsperson von einem möglichen Deal zwischen der Novomatic AG und der FPÖ (Nominierung von Mag. Peter Sidlo als Kandidaten der Novomatic AG für die Funktion des Finanzvorstandes der Casinos Austria AG), um im Gegenzug Online- oder Casinolizenzen zu erhalten, sowie von Novellen des Glücksspielgesetzes Kenntnis gehabt habe, die eine mögliche Liberalisierung (zu Gunsten der Novomatic AG) vorgesehen haben sollten bzw ob sie auf Grund ihrer politischen Netzwerke Einfluss auf diese Novellen genommen habe. Außerdem würden sich die Fragen stellen, ob die Auskunftsperson Lobbyingtätigkeiten gegenüber politischen Funktionsträgern bzw entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen oder begleitende Rahmenbedingungen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes bzw Spenden an oder Kooperationen mit parteinahen Vereinen mit Entscheidungsträgern der Novomatic AG besprochen oder abgestimmt bzw koordiniert habe bzw ob solche Tätigkeiten in Besprechungen Gegenstand gewesen seien (zB der Erhalt von Casinolizenzen für das Bundesland Burgenland und die Aufstellung von Glücksspielautomaten in der Bundeshauptstadt Wien).
2.3. Der angefochtene Beschluss ist aus folgenden Gründen mit Rechtswidrigkeit belastet:
2.3.1. Mit der Möglichkeit, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, wird dem Nationalrat ein Instrument der politischen Kontrolle eröffnet (Kahl, Art 53 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al. [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 7. Lfg. 2005, Rz 3). Die Befugnisse, die dem Untersuchungsausschuss durch Art 53 B-VG und die Ausführungsbestimmungen in der VO-UA übertragen werden, sollen eine wirksame parlamentarische Kontrolle durch den Nationalrat ermöglichen ( UA1/2020).
Beweise erhebt der Untersuchungsausschuss im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes gemäß § 22 Abs 1 VO-UA ua auf Grund der Ladung von Auskunftspersonen.
2.3.2. Das Verlangen eines Viertels der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses betreffend die Ladung von Auskunftspersonen hat gemäß § 29 Abs 1 VO-UA in einer Sitzung schriftlich zu ergehen sowie die Auskunftspersonen und die Themen der Befragung zu benennen (zudem kann darin ein Zeitpunkt der Befragung vorgeschlagen werden). Schon die zitierte Bestimmung verlangt für ein solches Verlangen darüber hinaus eine Begründung unter Bezugnahme auf den Untersuchungsgegenstand.
Im Hinblick darauf, dass der den sachlichen Zusammenhang des Verlangens mit dem Untersuchungsgegenstand bestreitende Beschluss des Untersuchungsausschusses im Rahmen eines Verfahrens gemäß Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG vom Verfassungsgerichtshof überprüft werden kann, ist es der Mehrheit übertragen, ihre Entscheidung substantiiert und nachvollziehbar zu begründen (vgl UA1/2020):
Vor dem Hintergrund der Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes gemäß § 56g Abs 6 VfGG, über einen Antrag iSd Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG auf Grund der Aktenlage ohne unnötigen Aufschub (tunlichst binnen vier Wochen) zu entscheiden, sowie im Hinblick auf die befristete Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses (vgl § 53 VO-UA) und auch angesichts der mangelnden Parteistellung der beschlussfassenden Mehrheit im Untersuchungsausschuss (vgl aber § 56c Abs 4 VfGG zu Verfahren nach Art 138b Abs 1 Z 1 B-VG) hat diese Mehrheit ihren Beschluss mit hinreichender Deutlichkeit auf eine nachvollziehbare Begründung zu stützen, um dem Verfassungsgerichtshof im Rahmen der im Untersuchungsausschuss vorgebrachten Argumente eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Untersuchungsausschusses im Verfahren nach Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG zu ermöglichen (vgl UA1/2020). Diese Begründung muss aus dem Abstimmungsvorgang bzw dem Beschluss im Untersuchungsausschuss ersichtlich sein. Es kann nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes sein, aus den Wortmeldungen einzelner Ausschussmitglieder eine Mutmaßung zu treffen, ob und welche der in der Sitzung vorgebrachten Gründe die beschlussfassende Mehrheit zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht haben könnte.
Die beschlussfassende Mehrheit im Untersuchungsausschuss kann mit einem pauschalen Bestreiten des Bestehens eines sachlichen Zusammenhanges eines Verlangens eines Viertels der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses betreffend die Ladung einer bestimmten Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand die Ladung dieser Person somit nicht verhindern. Sie trifft eine auf die bestimmte Person näher bezogene, substantiierte Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der Ladung der verlangten Auskunftsperson (als gleichwertige Alternative der Beweiserhebung durch den Untersuchungsausschuss im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes ua zur Vorlage von Akten und Unterlagen auf Grund des grundsätzlichen Beweisbeschlusses; vgl § 22 Abs 1 VO-UA).
2.3.3. Prüfungsgegenstand nach Art 138b Abs 1 Z 5 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof ist nicht das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses betreffend die Ladung einer Auskunftsperson, sondern der Beschluss des Untersuchungsausschusses, mit dem der sachliche Zusammenhang dieses Verlangens mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird.
Der Verfassungsgerichtshof prüft die Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Untersuchungsausschusses im Umfang und im Hinblick auf die seitens des Untersuchungsausschusses ins Treffen geführten und seitens der Antragsteller bestrittenen Gründe.
2.3.4. Die Mehrheit im Untersuchungsausschuss hat ihrer diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Begründungspflicht nicht entsprochen und damit ihren Beschluss mit Rechtswidrigkeit belastet: Es ist aus dem Abstimmungsvorgang bzw dem Beschluss im Untersuchungsausschuss nicht ersichtlich, auf welche Gründe die Mehrheit ihre Beschlussfassung stützt. Fehlt daher eine Begründung der beschlussfassenden Mehrheit, ist ein solcher Beschluss schon deshalb rechtswidrig.
V. Ergebnis
1. Der Beschluss des Ibiza-Untersuchungsausschusses vom , mit dem das Bestehen eines sachlichen Zusammenhanges des Verlangens der Antragsteller betreffend die Ladung von *** als Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird, ist rechtswidrig.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2021:UA4.2020 |
Schlagworte: | VfGH / Untersuchungsausschuss, Nationalrat, Ladung |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.