VfGH vom 10.05.2021, UA3/2021
Leitsatz
Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Vorlage von Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes an den Ibiza-Untersuchungsausschuss; Vorlageverpflichtung des Bundeskanzlers mangels Begründung der fehlenden (potentiellen) abstrakten Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen gegenüber dem Untersuchungsausschuss
Spruch
Der Bundeskanzler ist verpflichtet, dem Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss) die Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes im Hinblick auf die Tätigkeit der Stabsstelle Think Austria insoweit vorzulegen, als diese dem Ibiza-Untersuchungsausschuss nicht bereits vorgelegt worden sind.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit ihrem auf Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG gestützten Antrag begehren die Einschreiter,
"der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass der Bundeskanzler verpflichtet ist, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss alle aus dem Untersuchungszeitraum stammenden Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramts in Hinblick auf die Tätigkeiten der Stabsstelle Think Austria vorzulegen".
II. Rechtslage
1. Art 53 und Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG, BGBl 1/1930, idF BGBl I 101/2014 lauten:
"Artikel 53. (1) Der Nationalrat kann durch Beschluss Untersuchungsausschüsse einsetzen. Darüber hinaus ist auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder ein Untersuchungsausschuss einzusetzen.
(2) Gegenstand der Untersuchung ist ein bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes. Das schließt alle Tätigkeiten von Organen des Bundes, durch die der Bund, unabhängig von der Höhe der Beteiligung, wirtschaftliche Beteiligungs- und Aufsichtsrechte wahrnimmt, ein. Eine Überprüfung der Rechtsprechung ist ausgeschlossen.
(3) Alle Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper haben einem Untersuchungsausschuss auf Verlangen im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung ihre Akten und Unterlagen vorzulegen und dem Ersuchen eines Untersuchungsausschusses um Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Untersuchung Folge zu leisten. Dies gilt nicht für die Vorlage von Akten und Unterlagen, deren Bekanntwerden Quellen im Sinne des Art 52a Abs 2 gefährden würde.
(4) Die Verpflichtung gemäß Abs 3 besteht nicht, soweit die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird.
(5) Nähere Bestimmungen trifft das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates. In diesem können eine Mitwirkung der Mitglieder der Volksanwaltschaft sowie besondere Bestimmungen über die Vertretung des Vorsitzenden und die Vorsitzführung vorgesehen werden. Es hat auch vorzusehen, in welchem Umfang der Untersuchungsausschuss Zwangsmaßnahmen beschließen und um deren Anordnung oder Durchführung ersuchen kann."
"Artikel 138b. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über
[…]
4. Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Antrag des Untersuchungsausschusses, eines Viertels seiner Mitglieder oder des informationspflichtigen Organs;
[…]"
2. § 56f des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 (in der Folge: VfGG), BGBl 85, idF BGBl I 101/2014 lautet:
"d) Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss
des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen
Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen
zur Verfügung zu stellen
§56f. (1) Ein Antrag auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel der Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, ist nicht mehr zulässig, wenn seit dem Ablauf der Frist gemäß § 27 Abs 4 der Anlage 1 zum Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates: 'Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse' zwei Wochen vergangen sind.
(2) Bis zur Verkündung bzw Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.
(3) Der Verfassungsgerichtshof entscheidet auf Grund der Aktenlage ohne unnötigen Aufschub, tunlichst aber binnen vier Wochen, nachdem der Antrag vollständig eingebracht wurde."
3. § 106 des Bundesgesetzes vom über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975 – in der Folge: GOG-NR), BGBl 410/1975, idF BGBl I 99/2014 lautet:
"§106. Verlangen eines Drittels der Mitglieder des Immunitätsausschusses auf Einholung einer Entscheidung des Nationalrates im Sinne des § 10 Abs 3, Verlangen auf Einberufung einer außerordentlichen Tagung gemäß § 46 Abs 2, Verlangen auf Durchführung einer Volksabstimmung gemäß § 84 Abs 1 oder 85 sowie Anträge und Anfechtungen in Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach den Bestimmungen dieser Geschäftsordnung sind schriftlich mit den eigenhändigen Unterschriften der Abgeordneten an den Präsidenten zur weiteren verfassungsmäßigen Behandlung zu richten."
4. § 24, § 25 und § 27 der Anlage 1 zum GOG-NR (Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse – VO-UA), BGBl 410/1975, idF BGBl I 99/2014 lauten:
"Grundsätzlicher Beweisbeschluss
§24. (1) Der grundsätzliche Beweisbeschluss verpflichtet Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstands. Sie können zugleich um Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand ersucht werden. Dies gilt nicht für die Vorlage von Akten und Unterlagen sowie Erhebungen, deren Bekanntwerden Quellen im Sinne des Art 52a Abs 2 B-VG gefährden würde.
(2) Die Verpflichtung gemäß Abs 1 besteht nicht, soweit die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung und ihrer einzelnen Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird.
(3) Der grundsätzliche Beweisbeschluss ist nach Beweisthemen zu gliedern und zu begründen. Die vom Untersuchungsgegenstand betroffenen Organe sind genau zu bezeichnen. Die Setzung einer angemessenen Frist ist zulässig. Der Geschäftsordnungsausschuss kann Anforderungen an die Art der Vorlage beschließen. Sofern sich ein solcher Beschluss auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bezieht, ist nach Maßgabe von § 58 vorzugehen.
(4) Im Fall eines aufgrund eines Verlangens gemäß § 1 Abs 2 eingesetzten Untersuchungsausschusses kann die Einsetzungsminderheit nach Einsetzung des Untersuchungsausschusses den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 138b Abs 1 Z 2 B-VG zur Feststellung über den hinreichenden Umfang des grundsätzlichen Beweisbeschlusses anrufen. Gleiches gilt hinsichtlich einer Ergänzung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses gemäß Abs 5.
(5) Stellt der Verfassungsgerichtshof gemäß § 56d VfGG fest, dass der Umfang des grundsätzlichen Beweisbeschlusses nicht hinreichend ist, hat der Geschäftsordnungsausschuss binnen zwei Wochen eine Ergänzung zu beschließen. Der Beschluss ist gemäß § 39 GOG bekannt zu geben.
(6) Im Fall einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zur Feststellung des nicht hinreichenden Umfangs der Ergänzung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses gemäß Abs 5 wird diese in dem vom Verfassungsgerichtshof gemäß § 56d Abs 7 VfGG festgestellten erweiterten Umfang wirksam. Der grundsätzliche Beweisbeschluss samt Ergänzung ist gemäß § 39 GOG bekannt zu geben.
Ergänzende Beweisanforderungen
§25. (1) Der Untersuchungsausschuss kann aufgrund eines schriftlichen Antrags eines Mitglieds ergänzende Beweisanforderungen beschließen.
(2) Ein Viertel seiner Mitglieder kann ergänzende Beweisanforderungen verlangen. Das Verlangen wird wirksam, wenn die Mehrheit der Mitglieder in dieser Sitzung nicht den sachlichen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand mit Beschluss bestreitet.
(3) Eine ergänzende Beweisanforderung hat ein Organ gemäß § 24 Abs 1 und 2 im Umfang des Untersuchungsgegenstands zur Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen zu verpflichten oder um Erhebungen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand zu ersuchen. Die Beweisanforderung ist zu begründen. Die Setzung einer angemessenen Frist ist zulässig. Der Untersuchungsausschuss kann Anforderungen an die Art der Vorlage beschließen. Sofern sich ein solcher Beschluss auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bezieht, ist nach Maßgabe von § 58 vorzugehen.
(4) Bestreitet die Mehrheit der Mitglieder des Untersuchungsausschusses den sachlichen Zusammenhang eines Verlangens gemäß Abs 2 mit dem Untersuchungsgegenstand, kann das verlangende Viertel der Mitglieder den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 138b Abs 1 Z 3 B-VG zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses gemäß Abs 2 anrufen. Mit der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes über die Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses wird das Verlangen gemäß Abs 2 wirksam.
[…]
Vorlage von Beweismitteln
§27. (1) Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper haben Beweisbeschlüssen gemäß § 24 und ergänzenden Beweisanforderungen gemäß § 25 unverzüglich zu entsprechen. Im Fall einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofes gemäß § 24 Abs 4 hat die Übermittlung von Akten und Unterlagen jedoch erst mit Unterrichtung gemäß § 26 Abs 2 über die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu erfolgen.
(2) Akten und Unterlagen, die sich auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden beziehen, sind vom Bundesminister für Justiz vorzulegen.
(3) Wird einem Beweisbeschluss oder einer ergänzenden Beweisanforderung nicht oder nur teilweise entsprochen, ist der Untersuchungsausschuss über die Gründe der eingeschränkten Vorlage schriftlich zu unterrichten.
(4) Kommt ein informationspflichtiges Organ nach Auffassung des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder der Verpflichtung gemäß Abs 1 oder Abs 3 nicht oder ungenügend nach, kann der Ausschuss oder ein Viertel seiner Mitglieder das betreffende Organ auffordern, innerhalb einer Frist von zwei Wochen diesen Verpflichtungen nachzukommen. Die Aufforderung ist schriftlich zu begründen.
(5) Der Verfassungsgerichtshof entscheidet gemäß Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG über die Rechtmäßigkeit der teilweisen oder gänzlichen Ablehnung der Vorlage oder der Beweiserhebung, wenn ihn das aufgeforderte Organ oder ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses nach Ablauf der Frist gemäß Abs 4 anruft oder der Ausschuss eine Anrufung aufgrund eines schriftlichen Antrags nach Ablauf der Frist gemäß Abs 4 beschließt.
(6) Werden klassifizierte Akten oder Unterlagen vorgelegt, ist der Untersuchungsausschuss über den Zeitpunkt und die Gründe der Klassifizierung schriftlich zu unterrichten."
III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Mitglieder des Nationalrates haben am ein Verlangen auf Einsetzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses mit folgendem Untersuchungsgegenstand im Nationalrat eingebracht und dieses wie folgt begründet (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Untersuchungsgegenstand
Untersuchungsgegenstand ist die mutmaßliche politische Absprache über das Gewähren ungebührlicher Vorteile im Bereich der Vollziehung des Bundes durch Mitglieder der Bundesregierung oder Staatssekretäre und diesen jeweils unter-stellte leitende Bedienstete an natürliche oder juristische Personen, die politi-sche Parteien direkt oder indirekt begünstigten, im Zuge der
a) Vollziehung der § 12a, 14 bis 16, 18 bis 24a, 30, 31, 31b Abs 1 und 6 bis 9, sowie 57 bis 59 Glücksspielgesetz idjgF;
b) Einflussnahme auf die Casinos Austria AG, ihre direkten oder indirekten EigentümerInnen sowie ihre Tochterunternehmen und jeweiligen Organ-walterInnen;
c) Vorbereitung von Gesetzgebungsverfahren auf Grundlage der Art 10 Abs 1 Z 1, 4-6 und 8-12, Art 11 Abs 1 Z 3 und 7, Art 12 Abs 1 Z 1 und 5 sowie Art 14b Abs 1 B-VG idjgF;
d) Vollziehung der § 121a BAO sowie Art 1 § 49a FinStrG idjgF in Bezug auf die in litb genannten Personen;
e) Umstrukturierung der Finanzaufsicht (BMF, Österreichische Nationalbank und Finanzmarktaufsicht) sowie der ÖBIB zur ÖBAG einschließlich der Bestellung der jeweiligen Organe;
f) Bestellung von Organen (einschließlich Vorstände, Aufsichtsräte und Geschäftsführungen) von Unternehmungen, an denen der Bund mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist;
g) straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen in Folge des Ibiza-Videos und gegen die Casinos Austria AG, ihre direkten und indirekten EigentümerInnen sowie Tochterunternehmen und jeweiligen OrganwalterInnen
einschließlich von Vorbereitungs- und Verdunkelungshandlungen im Zeitraum von bis
Beweisthemen und inhaltliche Gliederung des Untersuchungsgegenstands
1. Managementscheidungen bei der Casinos Austria AG
Aufklärung über die Strategie, die Beweggründe und die Verfahren zur Besetzung von Funktionen in der Casinos Austria AG und ihren Tochterunternehmen sowie die Kommunikation zwischen den Eigentümern der CASAG bzw Mitgliedern der Gesellschaftsgremien sowie Amtsträgern. Dazu zählt die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen, die Willensbildung sowie die Überprüfung der jeweiligen persönlichen Eignung bei der Bestellung der GeschäftsleiterInnen (insbesondere Peter Sidlo) sowie des Aufsichtsrates der CASAG, die Wahrnehmung der Eigentümerinteressen der Republik sowie die in Folge des Bekanntwerdens der Ermittlungen der WKStA getroffenen Maßnahmen.
2. Reform und Vollziehung bestimmter Teile des Glücksspielgesetzes
Aufklärung über die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt, die Vorgangsweise und die politische Einflussnahme auf die Vollziehung des Glücksspielgesetzes sowie die Vorbereitung möglicher Gesetze im Glücksspielbereich einschließlich der Bemühungen von Dritten um bestimmte Handlungen seitens der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder ('Hintergrunddeals').
3. Begünstigung von Dritten
Aufklärung über die Einflussnahme von politischen FunktionsträgerInnen, leiten-den Bediensteten sowie deren jeweiligen Büros auf die Vollziehung von Angelegenheiten betreffend Personen, die direkt oder indirekt Parteien oder WahlwerberInnen begünstigten einschließlich diese betreffende behördliche Ermittlungen sowie der Umgang mit Ansuchen um privilegierte Behandlung durch diesen Personenkreis.
4. Neustrukturierung der Finanzaufsicht
Aufklärung über die Strategie, die Beweggründe und die Verfahren in Zusammenhang mit der Reform der Finanzaufsicht, insbesondere den Kompetenzverschiebungen zwischen BMF, FMA und OeNB und die Neubesetzung der jeweiligen Organe. Dazu zählt auch die (versuchte) Einflussnahme Dritter auf die Reformüberlegungen.
5. Ermittlungen in der Ibiza-Affäre
Aufklärung über die politische Einflussnahme auf den Zeitablauf, die Vorgangs-weise, Kommunikation und Strategie der behördlichen Ermittlungen in Folge des Bekanntwerdens des Ibiza-Videos einschließlich der Tätigkeiten und Zusammen-setzung der SOKO Ibiza.
6. Beteiligungsmanagement des Bundes
Aufklärung über die Einflussnahme der Bundesregierung auf die ÖBIB bzw ÖBAG, die Hintergründe, Strategien und Motive der Umstrukturierung der ÖBIB zur ÖBAG und die verwaltungsseitige Vorbereitung der entsprechenden Gesetzesnovellen sowie Aufklärung über das Funktionieren des Beteiligungsmanagements des Bundes.
7. Personalpolitik in staatsnahen Unternehmen
Aufklärung über die Beeinflussung von Personalentscheidungen in Unternehmen, an denen der Bund direkt oder indirekt beteiligt ist, einschließlich der Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand der ÖBAG, sowie von Mitgliedern von Aufsichtsräten als mögliche Gegenleistung oder Belohnung für die direkte oder indirekte Begünstigung politischer Parteien oder WahlwerberInnen.
8. Verdacht des Gesetzeskaufs
Aufklärung über die Einräumung von Einflussnahmemöglichkeiten an Dritte auf das Gesetzgebungsverfahren – sofern es der Vollziehung zuzurechnen ist – einschließlich Regierungsakten, als Folge der Begünstigung bestimmter politischer Parteien oder WahlwerberInnen.
[…]
Begründung
'Die Novomatic zahlt alle' – Es ist dieser Satz, gesprochen vom damaligen FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache im Ibiza-Video, der im Zentrum des Untersuchungsgegenstands steht. Der Verdacht steht im Raum, dass damals in der Theorie formuliert wurde, was später, als die FPÖ in die Regierung kam, gemeinsam mit der ÖVP umgesetzt werden sollte. Gegenwärtig ermittelt nach dem Ende einer türkis-blauen Regierung die Staatsanwaltschaft – wegen des Verdachtes von Korruption, Untreue und Amtsmissbrauch.
Die Verdachtslage erhärtete sich bei der Bestellung des FPÖ-Bezirksrates Peter Sidlo zum Finanzvorstand der Casinos Austria AG. Laut Medienberichten und veröffentlichten Chatprotokollen steht der Verdacht im Raum, dass der Novomatic gegen Geld (Spende an FPÖ-Mandatar) und Postenvergabe (Einsatz für Sidlo) bessere gesetzliche Rahmenbedingungen (Casinokonzessionen) in Aussicht gestellt wurden – hier besteht also der Verdacht des Gesetzeskaufs.
Die Causa Casinos könnte aber nur die Spitze des Eisbergs sein. Der nun verlangte Untersuchungsausschuss hat zum Ziel, die politische Verantwortung der türkis-blauen Bundesregierung zu klären. Vor allem muss im Sinne demokratischer Kontrolle geklärt werden, ob neben den bislang bekannten Fällen noch weitere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Maßnahmen der türkis-blauen Bundesregierung nur deswegen getroffen wurden, weil illegale Geldflüsse und/oder Postenvergaben versprochen wurden.
Zum Untersuchungsgegenstand im Besonderen:
Zum bestimmten, abgeschlossenen Vorgang:
Ziel eines Untersuchungsausschusses ist es, komplexe und umfassende Sachverhalte aufzuklären[…]. Der hier zu untersuchende Vorgang besteht in seinem Kern aus der politischen Absprache über eine ungebührliche Bevorteilung von Dritten in ausgewählten Bereichen der Vollziehung des Bundes. Eine solche Absprache zur Bevorteilung erfolgt auf Grund einer bestimmten politischen Motivlage, ohne deren Kenntnis gewisse Sachverhalte nicht hinreichend erklärt oder überhaupt als Bestandteil eines inhaltlichen Komplexes erkannt werden können. Erst durch die Offenlegung der Motivlage – im konkreten Fall das Erbringen einer Gegenleistung für die vorausgegangene Begünstigung politischer Parteien – erhalten diese Vollziehungshandlungen ihren größeren Sinn und werden als Teile eines gemeinsamen Vorgangs erkennbar. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Existenz einer solchen Motivlage nicht freiwillig offenbart wird, sondern im Gegenteil erst durch entsprechende Untersuchungen aufgeklärt werden muss.
Zu diesem Zweck ist der Untersuchungsgegenstand zunächst mit dem Verdacht der politischen Absprache zum Zweck der ungebührlichen Vorteilsgewährung bestimmt und wird sodann auf Grund der bestehenden Informationen auf einzelne Vollziehungsbereiche eingegrenzt. Diese in den lita bis g genannten Bereiche geben die zum Zeitpunkt der Einbringung des gegenständlichen Verlangens öffentlich bekannten Verdachtsmomente wieder. Das Verlangen umschreibt so jene Bereiche der Vollziehung, in denen sich die abgesprochene Vorteilsgewährung manifestiert haben soll. Es handelt sich dabei um Angelegenheiten, die in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind (insb. Art 10 Abs 1 Z 1 B-VG) bzw Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes darstellen.
Politische Absprache erfasst die Kommunikation und die Abstimmung von Hand-lungen von Mitgliedern der Bundesregierung, ihren Büros und unterstellten Bediensteten mit dem Ziel, ein gewisses Ergebnis zu erzielen. Die Feststellung der tatsächlichen Existenz der Absprache zur ungebührlichen Vorteilsgewährung ist Teil der Untersuchung und obliegt daher ausschließlich dem Untersuchungsausschuss selbst. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Ergründung der Motivlage im Bereich der Aufklärung über die politische Verantwortung zu verorten ist. Im Zuge der Vorlage von Beweismitteln ist von den vorlagepflichtigen Organen somit in Einklang mit der Judikatur des VfGH lediglich zu prüfen, ob Akten und Unterlagen eine abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand haben könnten.
Die Wendung 'ungebührliche Vorteile' stellt einen Überbegriff für verschiedene Formen der Privilegierung dar. Der für die Untersuchung relevante Bereich kann sich daher von der Übernahme bestimmter Inhalte in der Vorbereitung der Gesetzgebung, der Auswahl bestimmter Personen für Funktionen, dem Verzögern oder Beschleunigen gewisser Verfahren bis zur Weitergabe von Informationen aus Strafverfahren erstrecken. Entscheidend ist die Eignung, bestimmte natürliche oder juristische Personen im Vergleich mit anderen zu privilegieren. Tatsächliche Unsachlichkeit der unterschiedlichen Behandlung oder Rechtswidrigkeit ist nicht erforderlich, um vom Untersuchungsgegenstand erfasst zu sein.
Entscheidende Akteure sind auf Seite der Verwaltung die Mitglieder der Bundes-regierung sowie Staatssekretäre in der Zeit der Regierung Kurz sowie deren KabinettsmitarbeiterInnen und Generalsekretäre. Hier gilt es zu klären, ob sie zusammengewirkt haben, um ein gewisses, Dritte begünstigendes Ergebnis zu erzielen.
Auf Grund der bisherigen Berichterstattung kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass diesen unterstellte leitende Bedienstete bei der Vorteilsgewährung eine wesentliche Rolle einnahmen. Ihnen muss zumindest eine gewisse Ingerenz auf das Verwaltungshandeln zukommen, da sonst jedenfalls eine abstrakte Eignung fehlt, um zum untersuchenden Vorgang beizutragen. Leitende Bedienstete werden daher ausdrücklich miteinbezogen. Nicht-leitende Bedienstete sind vom jeweils zuständigen Organ nichtsdestotrotz im Rahmen der Beweisanforderung aufzufordern, ihre Akten und Unterlagen vorzulegen (siehe dazu VfgH UA1/2018 und UA3/2018).
Akteure auf dritter Seite sind natürliche oder juristische Personen, die eine politische Partei oder WahlwerberInnen direkt oder indirekt begünstigten. Sie sind mögliche Nutznießer einer Privilegierung. In der Regel wird in diesem Zusammenhang eine wirtschaftliche Betrachtungsweise der Situation erforderlich sein. In der Zielgerichtetheit der Vorteilszuwendung liegt die Abgrenzung zu normalem politischem Handeln.
Die zeitliche Abgrenzung erfolgt mit der Angelobung der Regierung Kurz am und endet mit . Das ist jener Tag, an dem eine außerordentliche Hauptversammlung der CASAG zur Abberufung von Peter Sidlo anberaumt war und der Verkauf der CASAG-Anteile der Novomatic an die Sazka Gruppe bekannt gegeben wurde. Der Vorgang ist somit abgeschlossen.
Vom Untersuchungsgegenstand erfasst sind auch Vorbereitungs- sowie Verdunkelungshandlungen. Die Festlegung einer fortlaufenden Beweisvorlagepflicht im grundsätzlichen Beweisbeschluss wird in diesem Zusammenhang vorgeschlagen.
Zu lita:
Diese Formulierung schafft die Grundlage für die Aufklärung zu den Beweisthemen 1 und 2.
Die Vollziehung der genannten Bestimmungen des Glücksspielgesetzes umfasst insbesondere die Wahrnehmung der Aufsicht durch den Bundesminister für Finanzen in Hinblick auf die Vergabe von Konzessionen, die Beteiligungsverhältnisse und die fachlichen Anforderungen an Geschäftsleiter und Aufsichtsräte sowie die abgabenrechtlichen Bestimmungen. Es sind in der Aufzählung all jene Bestimmungen genannt, die in Zusammenhang mit der Berichterstattung zu den Ermittlungen der WKStA genannt sind. Nicht umfasst ist unter anderem die Vollziehung der Strafbestimmungen, da bezirksverwaltungsbehördliche Kontrollen nach dem Glücksspielgesetz von vornherein dem Austauschverhältnis unzugänglich sind, das dem Untersuchungsgegenstand zu Grunde liegt. Die (versuchte) Beeinflussung des Bundesministers für Finanzen wäre wiederum über den Verweis auf § 19 leg.cit. sehr wohl erfasst.
Zu litb:
Mit politischer Einflussnahme auf die CASAG sowie die in wirtschaftlicher Beziehung zu ihr stehenden Unternehmen ist in einem weiteren Sinne die Verwaltung des Glücksspielsektors zu verstehen, einschließlich der Kommunikation von Organen des Bundes mit am Glücksspielsektor Interessierten und umgekehrt sowie das Beteiligungsmanagement des Bundes in diesem Bereich.
Unter direkte oder indirekte EigentümerInnen sind sowohl natürliche als auch juristische Personen zu verstehen, die im Untersuchungszeitraum entweder direkt Anteile an der CASAG hielten oder dies über zwischengeschaltete Personen – selbst wenn über mehrere Ebenen – taten (Mutter-Tochter- und Schachtel-Konstruktionen). Also auch jene Personen, die EigentümerInnen der EigentümerInnen usw waren. Tochterunternehmen sind jene der CASAG, also insbesondere die Casinos Austria International und die Österreichischen Lotterien, aber auch die Medial Beteiligungs-Gesellschaft m.b.H. ('MEDIAL'). OrganwalterInnen sind alle Vorstände, Aufsichtsräte, GeschäftsführerInnen, usw, je nach Rechtsform, über die Dauer des Untersuchungszeitraumes. Die Eigenschaft als EigentümerIn oder OrganwalterIn zu einem beliebigen Zeitpunkt während des Untersuchungszeitraumes genügt.
Zu litc:
Diese Formulierung dient als Grundlage für die Aufklärung über den Vorwurf des Gesetzeskaufs. Zur Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens zählt insbesondere die ressortinterne legistische Vorbereitung von der entsprechenden Kommunikation zwischen BundesministerIn, dem Kabinett bzw Generalsekretär und der zuständigen Abteilung bis hin zum Ministerialentwurf, die Kommunikation innerhalb der Bundesregierung und zwischen unterschiedlichen Ressorts sowie mit Dritten zum jeweiligen Gesetzesvorhaben, die Einholung von externer Expertise und die weitere Begleitung des Gesetzgebungsverfahrens.
Es sind nur jene Gesetzgebungsverfahren erfasst, die unter die angegebenen Kompetenztatbestände fallen. Es handelt sich um jene Gesetzgebungskompetenzen, bei denen auf Grund der bisherigen Berichterstattung bzw auf Grund der mit dem jeweiligen Regelungsbereich zwangsläufig verbundenen wirtschaftlichen Interessen das Bestehen des im Untersuchungsgegenstand beschriebenen Austauschverhältnisses denkmöglich ist. Ausgenommen sind demgegenüber alle sicherheitspolitischen Gesetzgebungskompetenzen, das Bildungswesen, das Dienstrecht sowie auswärtige Angelegenheiten.
Von den 117 Regierungsvorlagen der XXVI.GP sind daher geschätzt 60% vom Untersuchungsgegenstand umfasst. Sehr wohl umfasst sind ReferentInnen- und Ministerialentwürfe, selbst wenn diese schlussendlich niemals der Bundesregierung zur Beschlussfassung vorgelegt wurden.
Zu litd:
Die genannten Bestimmungen der BAO bzw des FinStrG regeln die Meldung von Schenkungen ab gewissen Wertgrenzen an das zuständige Finanzamt bzw die Sanktionen bei Verstößen gegen diese Meldepflicht. Schenkungen an Personen in oder im Umfeld von politischen Parteien bilden eine mögliche Umgehung der gesetzlichen Spendenverbote bzw vorgeschriebenen Transparenzbestimmungen. Auf Grund der Verdachtsmomente in Hinblick auf in Angelegenheiten des Glücksspiels involvierte Personen soll die Vollziehung der Schenkungsmeldungen für diesen beschränkten Personenkreis Teil der Untersuchung sein.
Zu lite:
Ab ihrer Angelobung bereitete die türkis-blaue Bundesregierung eine Reform der Finanzaufsicht vor. Dabei sollte es zu Kompetenzverschiebungen zwischen der Finanzmarktaufsicht, dem BMF und der Oesterreichischen Nationalbank kommen. Außerdem wurden die Organe der Oesterreichischen Nationalbank und der FMA neu bestellt. Der medialen Berichterstattung war in diesem Zeitraum zu entnehmen, dass zwischen den Regierungsparteien Vereinbarungen getroffen wurden, die jenen bei der Casinos Austria AG stark ähneln. Daher wird dieser Bereich ausdrücklich in den Untersuchungsgegenstand einbezogen und als Beweisthema 4 geführt. Umfasst sind alle Vorarbeiten, Verfahren und Entscheidungen für die Reform der Finanzaufsicht sowie für die Bestellung der Organe.
Zu litf:
Der Bund ist neben der Casinos Austria AG an einer Vielzahl von Unternehmungen direkt oder indirekt beteiligt. Mehrere Personalentscheidungen der türkis-blauen Bundesregierung erweckten den Eindruck, dass diese als Gegenleistung für die Begünstigung politischer Parteien erfolgten. Die Formulierung beschränkt sich absichtlich nicht auf die tatsächliche Ausübung der Eigentümerrechte, sondern umfasst auch informelles Vorgehen von Organen des Bundes, insbesondere dort, wo keine direkte Beteiligung des Bundes besteht. Die Einflussnahme von Organen des Bundes auf die ÖBAG ist in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse. Von der Formulierung nicht erfasst sind Anstalten, Stiftungen und Fonds des Bundes.
Zu litg:
Ziel der Untersuchungen zu diesem Beweisthema ist es, festzustellen, ob die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft oder anderer Behörden in solchen Verfahren von politischer Seite beeinflusst wurden, um etwa die politische Absprache der ungebührlichen Begünstigung zu verdunkeln.
Diese Formulierung umfasst zwei Fälle: einerseits all jene straf- und disziplinar-rechtlichen Ermittlungen, einschließlich verwaltungsstrafrechtlicher Ermittlungen, die egal aus welchem Grund (von Amts wegen, auf Grund von Anzeigen oder Privatanklagen) in Folge des Ibiza-Videos geführt werden, unabhängig davon, ob diese bereits eingestellt oder auf andere Art erledigt wurden oder nicht. Exemplarisch zu nennen sind die Verfahren gegen Hartwig Löger, Heinz-Christian Strache, Markus Tschank, Johann Gudenus sowie die 'Drahtzieher' des Ibiza-Videos. Andererseits sind Fälle von Ermittlungen umfasst, die gegen die Casinos Austria und deren direkte oder indirekte EigentümerInnen (insbesondere Medial, ÖBAG, Novomatic) sowie OrganwalterInnen geführt werden. Entscheidender Zeitrahmen für die Eigenschaft als EigentümerIn oder OrganwalterIn ist jeder beliebige Zeitpunkt innerhalb des Untersuchungszeitraums. Somit sind auch die EigentümerInnen der EigentümerInnen sowie die OrganwalterInnen der Eigentümergesellschaften und so weiter sowie Personen umfasst, die zwar am EigentümerIn oder OrganwalterIn waren, jedoch nicht mehr am . Nur durch die Kenntnis dieser Verfahren kann die Aufklärung darüber gelingen, ob es politische Einflussnahmeversuche gab."
1.2. In dem vom Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrates am gefassten und dem Bundeskanzler am zugestellten grundsätzlichen Beweisbeschluss werden ua die Mitglieder der Bundesregierung (und damit auch der Bundeskanzler) als zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des (damals eingeschränkten) Untersuchungsgegenstandes "grundsätzlich" binnen vier Wochen verpflichtet genannt.
1.3. Infolge des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , UA 1/2020, fasste der Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrates am einen ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschluss, der dem Bundeskanzler am zugestellt wurde und ihn (wiederum als Mitglied der Bundesregierung) als zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des (nunmehr dem Einsetzungsverlangen uneingeschränkt entsprechenden) Untersuchungsgegenstandes "grundsätzlich" binnen vier Wochen verpflichtet nennt.
1.4. Der Bundeskanzler legte dem Ibiza-Untersuchungsausschuss auf Grund des grundsätzlichen Beweisbeschlusses und auf Grund des ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschlusses wiederholt Akten und Unterlagen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand vor. Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria oder mit Bezug zu deren Tätigkeit waren darin nicht enthalten.
1.5. Mit Verlangen vom forderte ein Viertel der Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses den Bundeskanzler auf,
"dem Ibiza-Untersuchungsausschuss im Umfang des Untersuchungsgegenstandes folgende Akten und Unterlagen vorzulegen:
[...]
2. Alle Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria, einschließlich der E-Mailkonversation der Leiterin und ihres Stellvertreters sowie den zugeteilten Bediensteten;
3. Alle Akten und Unterlagen von Organisationseinheiten des BKA zu den Tätigkeiten der Stabsstelle Think Austria, einschließlich Aufträgen an DienstleisterInnen, Teilnahmelisten, Einladungskreis, Vortragshonorare, Konzeption;
[…]
Die Definition von Akten und Unterlagen sowie die sonstigen Anforderungen des ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschlusses des Geschäftsordnungsausschusses des Nationalrats vom (vgl 4/KOMM XXVII.GP) sind anzuwenden. Die Vorlagefrist beträgt zwei Wochen.[…]
Begründung
Der Ibiza-Untersuchungsausschuss kann sein Ziel, Aufklärung zu politischen Zwecken, nur erreichen, wenn er über eine umfassende Informationsgrundlage verfügt. Das B-VG räumt dem Untersuchungsausschuss daher ein die Legislative einseitig begünstigendes Recht zur Selbstinformation ein.
Die Stabsstelle Think Austria wurde unter der Leitung von Frau Mei-Pochtler im Untersuchungszeitraum eingerichtet. Ihr gehörten neben Mei-Pochtler mehrere Persönlichkeiten an, darunter auch Wirecard-CEO Markus Braun. Der Stabsstelle war Personal zugewiesen und zumindest Mei-Pochtler stand Aufwandsersatz zu. Aktivitäten der Stabsstelle wurden jedoch aus den Mitteln anderer Organisationseinheiten bestritten.
Die Stabsstelle bildete den direkten Kanal von ÖVP-SpenderInnen in das BKA. Durch die Einrichtung der Stabsstelle durch Kanzler Kurz wurde klassisches Lobbying zu Gunsten von Dritten im BKA institutionalisiert. Die Stabsstelle verschaffte den ÖVP-SpenderInnen – sowohl jenen, die es schon waren, als auch jenen, die es noch werden wollten – privilegierten Zugang zum Regierungschef und seinem Umfeld.
Die Kenntnis der Akten und Unterlagen in Zusammenhang mit der Stabsstelle ist daher notwendig, um die Klärung des Beweisthemas 'Begünstigung von Dritten' im Untersuchungsausschuss voranzubringen."
1.6. Mit Schreiben vom erstattete der Bundeskanzler nach Durchführung der verlangten Erhebungen eine "Leermeldung".
1.7. Auf Nachfrage der Parlamentsdirektion teilte eine Bedienstete des Bundeskanzleramtes mit Schreiben vom unter anderem mit, die Beweisanforderung sei so interpretiert worden, dass der Bundeskanzler nur solche Akten und Unterlagen vorzulegen habe, die in unmittelbarem, materiellem Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stünden. Solche Akten und Unterlagen seien dem Untersuchungsausschuss bereits vollständig vorgelegt worden.
1.8. Mit Verlangen vom wiederholte ein Viertel des Ibiza-Untersuchungsausschusses sein oben erwähntes Verlangen vom und wies den Bundeskanzler zusätzlich darauf hin, dass eine eigenständige, einschränkende Interpretation der ergänzenden Beweisanforderung nicht zulässig sei. Es seien alle Akten und Unterlagen vorzulegen, die von zumindest abstrakter Relevanz im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand sein könnten.
1.9. In seinem Schreiben vom wiederholte der Bundeskanzler den Inhalt des Schreibens vom nahezu wortgleich.
1.10. In der 34. Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses am forderte ein Viertel des Untersuchungsausschusses den Bundeskanzler gemäß § 27 Abs 4 VO-UA auf,
"binnen zwei Wochen seiner Verpflichtung zur Vorlage aller aus dem Untersuchungszeitraum stammender Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des BKA in Hinblick auf die Tätigkeiten der Stabsstelle Think Austria nachzukommen.[…]
Begründung
Der Bundeskanzler wurde mit dem grundsätzlichen Beweisbeschluss sowie dem ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschluss zur vollständigen Vorlage aller Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes verpflichtet.
Der Bundeskanzler wurde außerdem durch ergänzende Beweisanforderungen vom zur Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen in Hinblick auf die Stabsstelle Think Austria verpflichtet. Die Anforderung samt Begründung lautete:
'Der Bundeskanzler wird gemäß § 25 Abs 2 VO-UA verpflichtet, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss im Umfang des Untersuchungsgegenstandes folgende Akten und Unterlagen, die von zumindest abstrakter Relevanz sein könnten, vorzulegen:
[…]
- Alle Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria, einschließlich der E-Mailkonversation der Leiterin und ihres Stellvertreters sowie den zugeteilten Bediensteten;
- Alle Akten und Unterlagen von Organisationseinheiten des BKA zu den Tätigkeiten der Stabsstelle Think Austria, einschließlich Aufträgen an DienstleisterInnen, Teilnahmelisten, Einladungskreis, Vortragshonorare, Konzeption;
[…]
Die Definition von Akten und Unterlagen sowie die sonstigen Anforderungen des ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschlusses des Geschäftsordnungsausschusses des Nationalrats vom (vgl 4/KOMM XXVII.GP) sind anzuwenden. Die Vorlagefrist beträgt zwei Wochen.'
Den Bundeskanzler trifft gegenüber dem Untersuchungsausschuss eine Behauptungs- und Begründungspflicht (vgl UA3/2020). Die pauschale Behauptung, es seien keine Akten und Unterlagen vorhanden, genügt nicht.
Der Bundeskanzler hat in dem zur genannten Beweisanforderungen ergangenen Antwortschreiben vom insbesondere nicht dargelegt, warum keinerlei Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria für die Untersuchung relevant sein könnten. Der Bundeskanzler hat außerdem durch unzulässige, einschränkende Interpretation der Beweisanforderung die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses behindert.
Der Bundeskanzler ist zur vollständigen Vorlage aller vom Untersuchungsausschuss als relevant betrachteten Akten und Unterlagen verpflichtet. Er hat die tatsächliche Relevanz dieser Akten und Unterlagen zunächst selbst zu überprüfen, wobei es genügt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Akten und Unterlagen für die Untersuchung relevant sein könnten (abstrakte Relevanz). Sofern er diese Relevanz als nicht gegeben erachtet, hat er dies gegenüber dem Untersuchungsausschuss zu behaupten und ausreichend zu begründen, um dem Untersuchungsausschuss eine Beurteilung und allfällige Bestreitung seiner Argumentation beim Verfassungsgerichtshof zu ermöglichen.
Die Stabsstelle Think Austria hatte eine wesentliche Funktion als Schnittstelle zwischen dem Bundeskanzleramt und VertreterInnen von Konzernen und Unternehmen, die in auffallender Dichte zuvor bereits finanzielle Zuwendungen an Sebastian Kurz und die ÖVP geleistet haben. Die Stabsstelle selbst organisierte Veranstaltungen und ermöglichte WirtschaftsvertreterInnen einen privilegierten Zugang zur Regierungstätigkeit. Die Leiterin der Stabsstelle, Frau Mei-Pochtler, fungierte zuvor laut den Akten des Untersuchungsausschusses und Medienberichten als 'Spendenkeilerin' für die Wahlkampagne von Sebastian Kurz.
Nachdem die Stabsstelle selbst nur mit geringem Personal und Budget ausgestattet gewesen sein dürfte, müssen weitreichende Tätigkeiten für die Stabsstelle durch andere Organisationseinheiten erbracht worden sein. Daher sind auch die Akten und Unterlagen von anderen Organisationseinheiten, die in Zusammenhang mit den Tätigkeiten der Stabsstelle stehen, vorzulegen. Dazu zählen alle Vorkehrungen finanzieller und organisatorischer Art, Belege über erbrachte Leistungen, TeilnehmerInnenlisten, versendete Einladung[en], ressortinterne Koordination, Korrespondenzen innerhalb des BKA und mit externen Dienstleistern, usw"
Diese Aufforderung wurde dem Bundeskanzler am zugestellt.
1.11. Mit Schreiben vom teilte ein Bediensteter des Bundeskanzleramtes der Parlamentsdirektion per E-Mail mit, dass der Aufforderung gemäß § 27 Abs 4 VO-UA erst am Folgetag entsprochen werde. Es seien noch Anpassungen an das zuletzt ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ( UA1/2021) vorzunehmen.
1.12. Mit einem am abgefertigten Schreiben (datiert mit ) legte der Bundeskanzler dem Untersuchungsausschuss Akten und Unterlagen zur Stabsstelle Think Austria sowie ein Begleitschreiben vor. Darin führt der Bundeskanzler aus, dass ihm keine über die vorgelegten Akten hinausgehenden Akten vorlägen, die von zumindest abstrakter Relevanz für den Untersuchungsgegenstand seien. Die Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria seien mit einer Schlagwortsuche durchsucht wurden; von insgesamt 9.530 gelisteten E-Mails sei lediglich ein einziges identifiziert worden, das von abstrakter Relevanz sein könne.
Unter 16 (formellen) Akten seien vier identifiziert worden, die vorlagepflichtig seien. Sie enthielten allesamt parlamentarische Anfragebeantwortungen. Ein weiteres E-Mail der Leiterin der Stabsstelle werde als rein privat erachtet und daher nicht vorgelegt. Den Akten und Unterlagen anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes komme keine abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand zu.
2. Die Einschreiter begründen ihren auf Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG gestützten Antrag wie folgt:
2.1. Zur Zulässigkeit ihres Antrages führen die Einschreiter zunächst aus, sie seien Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses und verkörperten gemeinsam mehr als ein Viertel seiner 13 Mitglieder. Der Antrag an den Verfassungsgerichtshof werde am und somit nach Ablauf der zweiwöchigen (Nach-)Frist des § 27 Abs 4 VO-UA gestellt. Die zweiwöchige Frist des § 56f Abs 1 VfGG sei zu diesem Tag noch nicht abgelaufen.
Bis zum Ablauf der (Nach-)Frist des § 27 Abs 4 VO-UA am seien dem Untersuchungsausschuss vom Bundeskanzler keine Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria oder im Zusammenhang mit deren Tätigkeit vorgelegt worden. Da die Meinungsverschiedenheit mit Ablauf dieser (Nach-)Frist entstehe und in weiterer Folge lediglich konkretisiert werden könne, seien danach erfolgte Vorlagen von Akten und Unterlagen für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Antrages gemäß Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG unerheblich.
2.2. In der Sache begründen die Einschreiter ihren Antrag im Wesentlichen wie folgt:
2.2.1. Zur grundsätzlichen Vorlageverpflichtung des Bundeskanzlers:
Die grundsätzliche Verpflichtung des Bundeskanzlers, dem Untersuchungsausschuss Akten und Unterlagen vorzulegen, sei unbestritten. Der Bundeskanzler bringe in seinem Schreiben vom lediglich vor, dass die abstrakte Relevanz der begehrten Akten und Unterlagen für den Untersuchungsgegenstand nicht vorliege und diese daher nicht vom Untersuchungsgegenstand erfasst seien. Der Verfassungsgerichtshof habe sich in einem Verfahren zur Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit gemäß Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken. Er habe sohin im vorliegenden Fall ausschließlich zu beurteilen, ob die teilweise oder gänzliche Ablehnung der Vorlage von Akten und Unterlagen aus den genannten Gründen zu Recht erfolgt sei oder nicht.
2.2.2. Zur Einhaltung der Behauptungs- und Begründungspflicht des Bundeskanzlers im Hinblick auf Akten und Unterlagen anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes:
In seiner Verweigerung der Aktenvorlage verweise der Bundeskanzler pauschal darauf, dass die vom Untersuchungsausschuss begehrten Akten und Unterlagen nicht im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stünden. Bereits in der Entscheidung VfSlg 19.973/2015 habe der Verfassungsgerichtshof ausgeführt, dass das Vorbringen, Akten und Unterlagen seien nicht vom Untersuchungsgegenstand erfasst, hinreichend detailliert zu begründen sei und eine bloße Behauptung nicht ausreiche.
Vor dem Hintergrund der Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes gemäß § 56f Abs 3 VfGG, über eine Meinungsverschiedenheit unter anderem zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates und einem informationspflichtigen Organ über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Grund der Aktenlage und ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden, sowie der befristeten Tätigkeit des Untersuchungsausschusses habe das vorlagepflichtige Organ seiner Behauptungs- und Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der zurückgehaltenen Akten und Unterlagen bereits gegenüber dem Untersuchungsausschuss und nicht erst im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gegenüber diesem nachzukommen, um dem Untersuchungsausschuss zunächst eine Überprüfung und allfällige Bestreitung der Argumentation zu ermöglichen und diese einer etwaigen verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterziehen zu können.
Der Bundeskanzler habe im Hinblick auf Akten und Unterlagen anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes nicht begründet, weshalb die Relevanz der begehrten Akten und Unterlagen für die Untersuchung ausgeschlossen werden könne und diese daher nicht der Vorlagepflicht an den Untersuchungsausschuss unterlägen. Da der Bundeskanzler seiner diesbezüglichen Begründungspflicht somit nicht nachgekommen sei, sei er zur Vorlage dieser Akten und Unterlagen verpflichtet.
2.2.3. Zur Einhaltung der Behauptungs- und Begründungspflicht des Bundeskanzlers im Hinblick auf Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria:
Eine Ablehnung der Vorlage erfordere vom vorlagepflichtigen Organ die Behauptung, dass der sachliche Geltungsbereich des Art 53 Abs 3 B-VG mangels Vorliegens eines Zusammenhanges mit dem Untersuchungsgegenstand nicht gegeben sei. Der pauschale Verweis allein darauf, dass bestimmte Akten und Unterlagen nicht vom Untersuchungsgegenstand erfasst seien, könne das Zurückhalten von Informationen allerdings nicht rechtfertigen. Neben der Behauptungspflicht treffe das Organ eine auf die einzelnen – von der sonst bestehenden Vorlagepflicht des Art 53 Abs 3 B-VG erfassten – Akten und Unterlagen näher bezogene, substantiierte Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen (vgl UA1/2021 mwN).
Der Bundeskanzler habe erstmals in seiner Aktenlieferung am allgemeine Gründe vorgebracht, warum er die Aktenvorlage gegenüber dem Untersuchungsausschuss (teilweise) verweigere. Diese Begründung sei zwar in ihrer Herleitung nachvollziehbar, jedoch weder im Einzelnen substantiiert noch angesichts des Umstandes, dass von 9.530 E-Mail-Nachrichten lediglich eine einzige von potentiell abstrakter Relevanz für den Untersuchungsgegenstand sein solle, im Ergebnis plausibel. Außerdem bestünden auf Grund der den Antragstellern vorliegenden weiteren Unterlagen erhebliche Zweifel an dieser Begründung.
Zum Zeitpunkt des Vorbringens dieser Gründe sei die Frist des § 27 Abs 4 VO-UA bereits abgelaufen gewesen. Da somit die Meinungsverschiedenheit gemäß Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG bereits entstanden sei und dem Untersuchungsausschuss nur noch die Möglichkeit der Konkretisierung der Meinungsverschiedenheit durch Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof zur Verfügung gestanden sei, sei diese Begründung gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht rechtzeitig erfolgt. Durch das erstmalige Vorbringen von Gründen für die Verweigerung der Aktenvorlage nach Ablauf der (Nach-)Frist gemäß § 27 Abs 4 VO-UA, und nicht bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich unverzüglich nach den vorangegangenen Beweisbeschlüssen bzw den Anforderungen, habe der Untersuchungsausschuss keine Möglichkeit, die Argumentation des Bundeskanzlers zu überprüfen und allenfalls zu bestreiten, bevor der Untersuchungsausschuss oder ein Viertel seiner Mitglieder diese Argumentation einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterziehe.
Aus der Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes gemäß § 56f Abs 3 VfGG, über eine Meinungsverschiedenheit unter anderem zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates und einem informationspflichtigen Organ über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Grund der Aktenlage und ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden, aus den Bestimmungen des § 27 Abs 1 erster Satz und Abs 3 VO-UA, wonach Organe des Bundes Beweisanforderungen unverzüglich zu entsprechen oder allenfalls die Nichtentsprechung schriftlich zu begründen hätten, sowie der befristeten Tätigkeit des Untersuchungsausschusses folge, dass das vorlagepflichtige Organ seiner Behauptungs- und Begründungspflicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt gegenüber dem Untersuchungsausschuss nachzukommen habe und jedenfalls nicht berechtigt sei, den Untersuchungsausschuss durch verzögerte Erfüllung der Behauptungs- und Begründungspflicht an einer Überprüfung und allenfalls Bestreitung der Argumentation des vorlagepflichtigen Organes zu hindern.
Der Bundeskanzler sei somit zwar seiner Behauptungs-, nicht aber seiner Begründungspflicht gegenüber dem Untersuchungsausschuss nachgekommen. Er sei zur Vorlage der begehrten Akten und Unterlagen verpflichtet.
3. Der Bundeskanzler erstattete eine Äußerung, in der er zunächst die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und diesem danach auch inhaltlich entgegentritt:
"Der Bundeskanzler erstattet zum unter UA3/2021 protokollierten Antrag eines Viertels der Mitglieder (in der Folge: 'Antragssteller') des Untersuchungsausschusses betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (in der Folge: 'Antrag') binnen offener Frist folgende
Stellungnahme
I. Zum Entstehen einer Meinungsverschiedenheit gem Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG
1. Vorangestellt wird, dass entgegen den Ausführungen im Antragsvorbringen nach der Rechtsprechung des VfGH der Antrag an den Gerichtshof die Meinungsverschiedenheit begründet ( UA2/2015 Rz 42). Anders als von den Antragsstellern vorgebracht, hält das angezogene Erkenntnis des VfGH ( UA1/2021) in seiner Rz 80 ebenfalls eindeutig fest, dass der Antrag das Vorliegen und den Umfang der Meinungsverschiedenheit und damit den Prozessgegenstand des Verfassungsgerichtshofes konkretisiert. Die um einen Tag verzögerte Rückmeldung vermag die von den Antragsstellern behaupteten Rechtswirkungen daher nicht zu begründen.
2. Schließlich lag mit Fristablauf der gegenständlichen Aufforderung auch inhaltlich keine Meinungsverschiedenheit vor. Mit Mail vom (Beilage ./K) wurde weder eine Fristerstreckung beantragt, noch eine Mitteilung gemacht, die von der Aufforderung abgewichen wäre. Es wurde lediglich dargestellt, aus welchen organisatorischen Gründen eine Übermittlung erst am Folgetag möglich sein wird. In diesem Mail wurde auch festgehalten, dass die Einmeldung an die rezente Judikatur des VfGH angepasst werden muss. Die Antragssteller mussten aufgrund des objektiven Erklärungswerts der Nachricht daher davon ausgehen, dass ihrer Aufforderung mit einem Tag Verspätung entsprochen wird. Auch aus diesem Grund lag eine Meinungsverschiedenheit nicht mit Ablauf des vor.
3. Die Antragsteller selbst führen in ihrem Schriftsatz auf Seite 17 aus, dass die Begründung des Prüfvorgangs in ihrer Herleitung für sie nachvollziehbar ist. Insofern erweist sich der Antrag als unschlüssig, eine mangelhafte Begründung liegt selbst nach dem Antragsvorbringen nicht vor.
Dass das Ergebnis der nachvollziehbaren Prüfschritte sich nicht mit der Erwartung der Antragssteller deckt, macht im Übrigen weder die Prüfung, noch deren Ergebnis mangelhaft.
Aus diesen Gründen liegt selbst nach dem Antragsvorbringen keine Meinungsverschiedenheit vor, der Antrag ist zurückzuweisen, eventualiter mangels Schlüssigkeit abzuweisen.
II. Zum unrichtigen Vorbringen im Schriftsatz der Antragssteller
1. Offenbar missverstanden haben die Antragssteller den Vorgang der Überprüfung von abstrakt relevanten Mails der Stabsstelle Think Austria. Auf Seite 11 unter I.11 bringen sie vor, der Bundeskanzler habe mit Hilfe einer Schlagwortsuche Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria durchsucht. Dies trifft nicht zu. Eine solche Suche durch die Dienstbehörde wäre rechtlich nicht zulässig gewesen (s dazu unten unter [IV.]). Deshalb wurden die Bediensteten der Stabsstelle Think Austria im Rahmen ihrer Dienstpflichten angewiesen, die Suche nach den dargestellten Parametern durchzuführen und die abstrakt relevanten Ergebnisse vorzulegen. Diese Vorgangsweise wurde dem Untersuchungsausschuss auch mitgeteilt (Beilage ./I, Seite 2).
2. Ebenfalls unzutreffend ist die Behauptung, dass durch das Bundeskanzleramt vorlagepflichtige Akten identifiziert worden seien (Seite 11 des Schriftsatzes der Antragsteller). Es wurden keine Akten identifiziert, die vorlagepflichtig sind, was dem Untersuchungsausschuss auch mitgeteilt wurde (Beilage ./I, Seite 2). Die vorgelegten parlamentarischen Anfragen sowie der vorgelegte Newsletter und die Präsentation zum Soundingboard wurden deshalb übermittelt, weil damit die Arbeit der Stabsstelle umrissen und belegt wurde, ohne dass durch die Vorlage Persönlichkeitsrechte verletzt werden könnten. Andernfalls wäre die Vorlage nicht zulässig gewesen.
3. Anders als dies die Antragssteller auf Seite 2 ihres Schriftsatzes vorbringen, hat der VfGH bislang in keinem Erkenntnis iZm dem 'Ibiza-Untersuchungsausschuss' eine Aussage über die inhaltliche Bewertung des Untersuchungsgegenstandes getroffen. Der VfGH hat nicht den Untersuchungsgegenstand als Grundlage eines zulässigen Verlangens festgestellt, sondern dessen Änderung durch die Ausschussmehrheit als prozedural unzulässig ausgesprochen ( UA1/2020). Eine Aussage zur Vereinbarkeit des Untersuchungsgegenstandes mit den Voraussetzungen des Art 53 B-VG hat der VfGH damit gerade nicht getroffen.
4. Im Übrigen wäre dadurch für das Antragsvorbringen nichts gewonnen. Durch die auf einer unzulässigen Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes basierenden Aufforderung, mit der unabhängig vom Untersuchungsgegenstand alle Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria unabhängig von ihrer Relevanz gefordert werden, unterstellen die Antragssteller den Vorlageverpflichtungen der § 24 ff VO-UA einen verfassungswidrigen Inhalt, was zur Unzulässigkeit der darauf beruhenden Verlangen und Aufforderungen führt.
Auch aus dem Erkenntnis vom , UA1/2021 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Eine Übermittlung von Unterlagen ohne abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand ist daher nicht möglich.
III. Zur fehlenden Begründetheit des Antragsvorbringens
Die dem nunmehrigen Antrag zugrunde gelegte Aufforderung leidet aus folgenden Gründen an einem Begründungsmangel:
1. Die zugrundeliegenden Verlangen gem § 25 Abs 2 VO-UA wurden nicht begründet. In ihnen finden sich pauschale Behauptungen zur Relevanz der begehrten Unterlagen, jedoch keine Begründung[,] aus der sich Hinweise auf deren Vorhandensein oder deren abstrakte inhaltliche Relevanz ergeben würden. Beide Vorverlangen sind daher nicht geeignet, eine Aufforderung gem § 27 Abs 4 VO-UA zu tragen.
Weder im grundsätzlichen Beweisbeschluss, noch im ergänzten grundsätzlichen Beweisbeschluss finden sich Hinweise auf die (vermutete) Relevanz der Tätigkeit von Think Austria für den Prüfauftrag des Untersuchungsausschusses. Eine spezifische Vorlageverpflichtung zu diesem Thema ohne Anhaltspunkte oder Begründung der abstrakten Relevanz durch die Antragsteller in den Vorverlangen vermochten diese Beschlüsse daher nicht auszulösen.
Weiters war die Aufforderung gem § 27 Abs 4 VO-UA nicht begründet. Neben der widersprüchlichen[,] weil vermischten Wiederholung der beiden Vorverlangen gem § 25 Abs 2 VO-UA stellt die Aufforderung gem § 27 Abs 4 VO-UA zur Relevanz von Think Austria ebenfalls lediglich Behauptungen auf. Sie begründet ihre Relevanz mit der darin behaupteten Relevanz, ohne Gründe oder Anhaltspunkte für die Behauptungen aufzustellen. Ohne die Begründungspflicht der Antragsteller zu überstrecken, reicht die bloße Aufstellung von Behauptungen nicht zur Begründung der Aufforderung aus.
Auch das nunmehrige Antragsvorbringen führt nicht an, inwiefern die Begründung 'im Einzelnen [nicht] substantiiert' gewesen sein soll (Seite 17 des Schriftsatzes), begnügt sich insofern mit der Aufstellung einer nicht näher begründeten Behauptung. Dies ist ein weiterer Nachweis für die Unschlüssigkeit der Ausführungen, weil sich deren Ergebnis nicht aus ihren Ausführungen ableiten lässt.
2. In diesem Zusammenhang wird angemerkt, dass § 27 Abs 4 VO-UA und § 25 Abs 3 VO-UA eine Begründung des Verlangens ebenso fordern wie § 27 Abs 3 VO-UA. Die Konsequenzen der fehlenden Begründung hat der VfGH in UA1/2021 zur Begründungspflicht von Organen zuletzt klar festgehalten. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des VfGH ist es nicht die Aufgabe des Gerichtsverfahrens über Meinungsverschiedenheiten, fehlende Begründungen nachzuholen. Vielmehr ist der Begründungspflicht im Rahmen des Untersuchungsausschusses nachzukommen, was dem VfGH im Rahmen von an ihn herangetragenen Meinungsverschiedenheiten dann die entsprechende Würdigung ermöglicht. Aus all diesen Gründen kann die Aufforderung gem § 27 Abs 4 VO-UA nicht für einen Antrag gem Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG iVm § 27 Abs 5 VO-UA als Grundlage dienen. Der Antrag ist daher zurückzuweisen.
3. Anders als von den Antragstellern behauptet, ist der Bundeskanzler durch die durchgeführten, nachvollziehbaren Erhebungen und deren umfassende Mitteilung an den Untersuchungsausschuss seiner Behauptungs- und Begründungspflicht umfassend nachgekommen.
Dem Untersuchungsausschuss gegenüber wurde begründet dargelegt, wie die Prüfung vorgenommen wurde und zu welchem Ergebnis diese Prüfung gelangt ist. Ebenfalls wurde gegenüber dem Untersuchungsausschuss erklärt, weshalb die Prüfung im Rahmen der dargestellten Parameter durchgeführt wurde (für beides: Beilage ./I, Unterbeilage 1 'Methodik und Ergebnis der Auswertung'). Die Antragssteller anerkennen diese Herleitung und Nachvollziehbarkeit der Prüfung in ihrem Vorbringen.
Alle abstrakt relevanten Unterlagen wurden dem Untersuchungsausschuss sodann übermittelt.
Sollte der Gerichtshof zum Ergebnis gelangen, dass ein zulässiger Antrag vorliegt, wäre er als unbegründet abzuweisen.
IV. Zur aufgetragenen Vorlage gem § 20 Abs 3 VfGG
1. Das Bundeskanzleramt kann auch dem VfGH keine anderen Unterlagen vorlegen, als diese nach sorgfältiger Prüfung bereits dem Untersuchungsausschuss vorgelegt wurden.
Dies aus folgenden Gründen:
Gem § 79e ff BDG darf der Dienstgeber nicht ohne Weiteres auf die Mails der Bediensteten zugreifen. Von den beiden in § 79e Abs 3 BDG genannten Voraussetzungen liegt keine vor.
Daher hat der Dienstgeber nur die Möglichkeit, die Bediensteten im Rahmen ihrer Dienstpflicht zur Vorlage ihrer Mails anzuweisen. Diese Verpflichtung erstreckt sich jedoch – da es sich um eine Vorlage an den Untersuchungsausschuss handelt – nur auf jene Mails, die abstrakt für diesen relevant sind.
Weitergehende Nachschaumöglichkeiten hat der Dienstgeber nicht, eine etwaige darüberhinausgehende Vorlage würde auf Freiwilligkeit der Bediensteten beruhen, änderte aber nichts daran, dass diese Mails mangels Relevanz nicht an den Untersuchungsausschuss vorgelegt werden dürften.
Die Entbindung von der Amtsverschwiegenheit und von anderen gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten greift nämlich nur im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes (Handbuch zum Recht der Untersuchungsausschüsse im Nationalrat Rz 396; Lienbacher, Datenschutz und Staatsorganisation, ÖJT 2012 I/2 34).
2. Die mangelnde abstrakte Relevanz jenes Mails, das unter dem Schlagwort 'Ibiza' aufgefunden wurde, wird von den Antragstellern in ihrem Vorbringen nicht bestritten. Die Relevanz dieses Mails ist daher auch nicht verfahrensgegenständlich. Eine Vorlage ist daher auch nicht möglich."
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Gemäß Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Antrag des Untersuchungsausschusses, eines Viertels seiner Mitglieder oder des informationspflichtigen Organs.
1.2. Nach Art 53 Abs 3 erster Satz B-VG haben ua alle Organe des Bundes einem Untersuchungsausschuss auf Verlangen im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung ua ihre Akten und Unterlagen vorzulegen. Gemäß § 27 Abs 1 erster Satz und Abs 3 VO-UA haben ua Organe des Bundes Beweisbeschlüssen iSd § 24 leg.cit. und ergänzenden Beweisanforderungen iSd § 25 leg.cit. unverzüglich zu entsprechen, andernfalls ist der Untersuchungsausschuss über die Gründe der eingeschränkten Vorlage schriftlich zu unterrichten. Kommt ein informationspflichtiges Organ nach Auffassung des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder der Verpflichtung gemäß § 27 Abs 1 oder 3 VO-UA nicht oder ungenügend nach, kann der Ausschuss oder ein Viertel seiner Mitglieder das betreffende Organ gemäß § 27 Abs 4 leg.cit. (schriftlich begründet) auffordern, innerhalb einer Frist von zwei Wochen diesen Verpflichtungen nachzukommen.
Nach § 27 Abs 5 leg.cit. entscheidet der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG "über die Rechtmäßigkeit der teilweisen oder gänzlichen Ablehnung der Vorlage oder der Beweiserhebung, wenn ihn das aufgeforderte Organ oder ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses nach Ablauf der Frist gemäß Abs 4 anruft oder der Ausschuss eine Anrufung aufgrund eines schriftlichen Antrags nach Ablauf der Frist gemäß Abs 4 beschließt". Ein solcher Antrag ist nach § 56f Abs 1 VfGG nicht mehr zulässig, wenn seit dem Ablauf der Frist gemäß § 27 Abs 4 VO-UA zwei Wochen vergangen sind. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet nach § 56f Abs 3 VfGG auf Grund der Aktenlage ohne unnötigen Aufschub, tunlichst binnen vier Wochen, nachdem der Antrag vollständig eingebracht wurde.
1.3. In der 34. Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses am forderte ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses den Bundeskanzler gemäß § 27 Abs 4 VO-UA auf, binnen zwei Wochen näher bezeichnete Akten und Unterlagen vorzulegen. Diese Aufforderung wurde dem Bundeskanzler am zugestellt, sodass die zweiwöchige (Nach-)Frist des § 27 Abs 4 VO-UA am endete.
1.4. Nach Ablauf der zweiwöchigen (Nach-)Frist des § 27 Abs 4 VO-UA können binnen zwei Wochen von allen dazu Berechtigten Anträge an den Verfassungsgerichtshof gestellt werden (vgl § 27 Abs 5 leg.cit. und § 56f Abs 1 VfGG). Der – nicht im Wege des Präsidenten des Nationalrates gemäß § 106 GOG-NR eingebrachte, auf Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG gestützte – Antrag von fünf Mitgliedern des aus 13 Mitgliedern bestehenden Ibiza-Untersuchungsausschusses vom erweist sich somit als rechtzeitig und als von einer ausreichenden Anzahl von Mitgliedern dieses Untersuchungsausschusses gestellt. Die Einhaltung der Bestimmung des § 106 GOG-NR bildet keine Prozessvoraussetzung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (zB UA4/2020 mwN).
1.5. Der Bundeskanzler vertritt in seiner an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Äußerung die Auffassung, dass zwischen ihm und dem einschreitenden Viertel des Untersuchungsausschusses keine Meinungsverschiedenheit bestehe, weswegen der vorliegende Antrag zurückzuweisen sei:
Entgegen den Ausführungen im Antragsvorbringen des Viertels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses begründe erst der Antrag an den Verfassungsgerichtshof die Meinungsverschiedenheit. Der Verfassungsgerichtshof halte in seinem Erkenntnis vom , UA1/2021, eindeutig fest, dass der Antrag das Vorliegen und den Umfang der Meinungsverschiedenheit konkretisiere. Die um einen Tag verzögerte "Rückmeldung" vermöge daher die von den Antragstellern behaupteten Rechtswirkungen nicht zu begründen.
Darüber hinaus sei mit Fristablauf der Aufforderung gemäß § 27 Abs 4 VO-UA auch inhaltlich keine Meinungsverschiedenheit vorgelegen. In dem E-Mail vom sei weder eine Fristerstreckung beantragt noch eine Mitteilung gemacht worden, die von der Aufforderung an den Bundeskanzler abgewichen wäre. Es sei lediglich dargestellt worden, aus welchen organisatorischen Gründen eine Übermittlung erst am Folgetag möglich sein werde. In diesem E-Mail sei festgehalten worden, dass die Einmeldung an die rezente Judikatur des Verfassungsgerichtshofes angepasst werden müsse. Die Antragsteller hätten auf Grund des objektiven Erklärungswertes dieser Nachricht davon ausgehen müssen, dass der Aufforderung mit einem Tag Verspätung entsprochen werde. Auch aus diesem Grund sei eine Meinungsverschiedenheit mit Ablauf des nicht vorgelegen.
1.6. Diese Rechtsauffassung des Bundeskanzlers ist nicht zutreffend:
1.6.1. Der Begriff der Meinungsverschiedenheit wird für Verfahren nach Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG – anders als für jene nach Art 126a B-VG (vgl § 36a Abs 1 VfGG) – nicht definiert. Das Konzept des (Verfassungs-)Gesetzgebers, das Art 53 Abs 3 und Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG zugrunde liegt und in § 27 VO-UA sowie in § 56f VfGG näher ausgestaltet wird, lässt jedoch deutlich erkennen, dass der Verfassungsgerichtshof auf Antrag über Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen, im konkreten Fall die Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes im Hinblick auf die Tätigkeit der Stabsstelle Think Austria, vorzulegen, erkennt. Einem solchen Antrag hat zwingend die an das Organ gerichtete (schriftlich begründete) Aufforderung des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder voranzugehen, innerhalb einer (Nach-)Frist von zwei Wochen der Verpflichtung zur unverzüglichen Entsprechung von Beweisbeschlüssen nachzukommen, wenn das Organ dieser (in der Aufforderung näher zu umschreibenden) Verpflichtung nach Auffassung des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder bis dahin nicht oder ungenügend nachgekommen ist. Diese Aufforderung gemäß § 27 Abs 4 VO-UA stellt den äußersten Rahmen eines möglichen Gegenstandes des Verfahrens nach Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG dar. Ein Antrag des Untersuchungsausschusses, eines Viertels seiner Mitglieder oder des informationspflichtigen Organs an den Verfassungsgerichtshof konkretisiert schließlich das Vorliegen und den Umfang der Meinungsverschiedenheit und damit den Prozessgegenstand des Verfassungsgerichtshofes. Der Gegenstand seiner Entscheidung ist jedenfalls durch den Umfang der Meinungsverschiedenheit begrenzt (vgl UA3/2020 mwN).
1.6.2. Da es der Bundeskanzler unterlassen hat, bis zum Ablauf der (Nach-)Frist gemäß § 27 Abs 4 VO-UA am die von einem Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses begehrten Akten und Unterlagen vorzulegen und für die Ablehnung der Vorlage eine vom Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses als hinreichend erachtete, substantiierte Begründung zu geben, besteht zwischen einem Viertel des Untersuchungsausschusses und dem Bundeskanzler eine Meinungsverschiedenheit über die Pflicht zur Vorlage bestimmter, näher bezeichneter Akten und Unterlagen. Die (Nach-)Frist des § 27 Abs 4 VO-UA ist auch nicht – wie es in der Äußerung des Bundeskanzlers offenkundig zum Ausdruck kommt – einer Verlängerung bzw Erstreckung zugänglich; die Vorlage der begehrten Akten und Unterlagen bzw die Begründung für deren (gänzliche oder teilweise) Nichtvorlage muss vielmehr vor Ablauf der gemäß § 27 Abs 4 VO-UA gesetzten Frist beim Untersuchungsausschuss einlangen. Mit Ablauf der in § 27 Abs 4 VO-UA normierten Frist beginnt nämlich gemäß § 56f Abs 1 VfGG die Frist für die Antragstellung des Untersuchungsausschusses bzw eines Viertels seiner Mitglieder beim Verfassungsgerichtshof zu laufen. Diese Frist würde in unzulässiger Weise verkürzt, wenn nicht auf das Einlangen beim Untersuchungsausschuss abgestellt würde.
1.6.3. Im Übrigen und lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass auch die – verfristete (vgl dazu Punkt 1.6.2.) – Begründung des Bundeskanzlers für die teilweise Ablehnung der Vorlage der begehrten Akten und Unterlagen nicht geeignet war, eine Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und dem einschreitenden Viertel des Untersuchungsausschusses auszuschließen: Die Einschreiter sind nämlich der Auffassung, dass der Bundeskanzler mit seinem am abgefertigten und am selben Tag beim Untersuchungsausschuss eingelangten Schreiben zwar seiner Behauptungs-, nicht aber seiner Begründungspflicht für die unterlassene Vorlage der begehrten Akten und Unterlagen betreffend die Stabsstelle Think Austria nachgekommen sei. Aus diesem Grund ist von einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem einschreitenden Viertel des Untersuchungsausschusses und dem Bundeskanzler auszugehen.
1.7. In der Begründung der Aufforderung gemäß § 27 Abs 4 VO-UA wird auf das Verlangen vom Bezug genommen und die Vorlage näher bezeichneter Akten und Unterlagen begehrt, "die von zumindest abstrakter Relevanz [im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand] sein könnten". In der Begründung des genannten Verlangens heißt es unter anderem, der Bundeskanzler werde verpflichtet,
"- [a]lle Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria, einschließlich der E-Mailkonversation der Leiterin und ihres Stellvertreters sowie den zugeteilten Bediensteten;
- Alle Akten und Unterlagen von Organisationseinheiten des BKA zu den Tätigkeiten der Stabsstelle Think Austria, einschließlich Aufträgen an DienstleisterInnen, Teilnahmelisten, Einladungskreis, Vortragshonorare, Konzeption"
vorzulegen.
Das Begehren auf Vorlage "der E-Mailkonversation der Leiterin und ihres Stellvertreters sowie den zugeteilten Bediensteten" der Stabsstelle Think Austria kann vor diesem Hintergrund nur dahingehend verstanden werden, dass (auch) diese Akten und Unterlagen von zumindest (potentieller) abstrakter Relevanz für den Untersuchungsgegenstand sein müssen.
1.8. Das einschreitende Viertel der Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses formuliert sein Begehren folgendermaßen:
"[D]er Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass der Bundeskanzler verpflichtet ist, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss alle aus dem Untersuchungszeitraum stammenden Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramts in Hinblick auf die Tätigkeiten der Stabsstelle Think Austria vorzulegen".
Sowohl aus der Aufforderung gemäß § 27 Abs 4 VO-UA als auch aus der Begründung des vorliegenden Antrages geht – im Gegensatz zur Auffassung des Bundeskanzlers in seiner an den Verfassungsgerichtshof erstatteten Äußerung – in hinreichend konkreter Weise hervor, dass sich der Antrag gemäß Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG auf die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Begründung der teilweisen oder gänzlichen Ablehnung der Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen an den Ibiza-Untersuchungsausschuss im Rahmen seines Untersuchungsgegenstandes bezieht (vgl UA3/2020 mwN).
1.9. Der Bundeskanzler hat dem Ibiza-Untersuchungsausschuss bereits Akten und Unterlagen betreffend die Stabsstelle Think Austria vorgelegt. Da diese Vorlage jedoch erst nach Ablauf der (Nach-)Frist des § 27 Abs 4 VO-UA erfolgte, ist diese nicht geeignet, das Vorliegen einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem antragstellenden Viertel des Untersuchungsausschusses und dem Bundeskanzler auszuschließen (vgl bereits Punkt 1.6.2.).
1.10. Der Antrag ist daher zur Gänze zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem Verfahren zur Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit gemäß Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken. Er hat sohin im vorliegenden Fall ausschließlich zu beurteilen, ob die teilweise oder gänzliche Ablehnung der Vorlage von Akten und Unterlagen aus den gegenüber dem Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgebrachten Gründen zu Recht erfolgt ist oder nicht.
2.2. Art 53 Abs 3 B-VG verpflichtet ua die Organe des Bundes, einem Untersuchungsausschuss auf Verlangen im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung ihre Akten und Unterlagen vorzulegen.
Die Einschreiter bringen in ihrem Antrag vor, der Bundeskanzler sei seiner Begründungspflicht im Hinblick auf die von ihnen begehrten Akten und Unterlagen im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht nachgekommen, weshalb er zur Vorlage der in Rede stehenden Akten und Unterlagen verpflichtet sei.
2.3. Die Beurteilung der Vorlageverpflichtung und damit der Frage, ob für den Untersuchungsausschuss angeforderte Akten und Unterlagen gemäß Art 53 Abs 3 B-VG vom Untersuchungsgegenstand erfasst sind, obliegt zunächst dem informationspflichtigen Organ. Eine Ablehnung der Vorlage erfordert vom vorlagepflichtigen Organ die Behauptung, dass der sachliche Geltungsbereich von Art 53 Abs 3 B-VG mangels Vorliegens eines Zusammenhanges mit dem Untersuchungsgegenstand nicht gegeben ist. Der pauschale Verweis allein darauf, dass bestimmte Akten und Unterlagen nicht vom Untersuchungsgegenstand erfasst seien, kann das Zurückhalten von Informationen nicht rechtfertigen. Neben der Behauptungspflicht trifft das Organ auch eine auf die einzelnen – von der sonst bestehenden Vorlagepflicht des Art 53 Abs 3 B-VG erfassten – Akten und Unterlagen näher bezogene, substantiierte Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen (vgl VfSlg 19.973/2015, 20.304/2018; UA 1/2018; , UA 3/2020; , UA 1/2021).
2.4. Wie oben dargestellt, lässt das Art 53 Abs 3 und Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG zugrunde liegende und in § 27 VO-UA sowie in § 56f VfGG näher ausgestaltete Konzept des (Verfassungs-)Gesetzgebers deutlich erkennen, dass der Verfassungsgerichtshof angerufen werden kann, um die Klärung einer konkreten Meinungsverschiedenheit, im vorliegenden Fall der unterschiedlichen Auffassung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Untersuchungsausschuss vorgebrachten Begründung für die teilweise oder gänzliche Ablehnung der Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss, herbeizuführen. Vor dem Hintergrund der Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes gemäß § 56f Abs 3 VfGG, über eine Meinungsverschiedenheit ua zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates und einem informationspflichtigen Organ über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Grund der Aktenlage und ohne unnötigen Aufschub (tunlichst binnen vier Wochen nach vollständiger Einbringung des Antrages) zu entscheiden, sowie der befristeten Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses (vgl § 53 VO-UA) hat das vorlagepflichtige Organ seiner bestehenden Behauptungs- und Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen für den Untersuchungsgegenstand bereits gegenüber dem Untersuchungsausschuss und nicht erst im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof diesem gegenüber nachzukommen, um zunächst dem Untersuchungsausschuss eine Überprüfung und allfällige Bestreitung der Argumentation zu ermöglichen und diese einer etwaigen verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterziehen zu können (vgl UA 3/2020 mwN). Das bewirkt auch, dass das vorlagepflichtige Organ die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses nicht dadurch verzögern kann, dass es Gründe für die Verweigerung der Vorlage der begehrten Akten und Unterlagen ohne jede Einschränkung auch nach einer bereits vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Vorlageverpflichtung (erstmals) gegenüber dem Untersuchungsausschuss vorbringt.
2.5. Die einschreitenden Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses vertreten zusammengefasst die Auffassung, der Bundeskanzler sei zur Vorlage der begehrten Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes im Hinblick auf die Tätigkeit der Stabsstelle Think Austria verpflichtet. Hinsichtlich der Akten und Unterlagen anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes habe der Bundeskanzler die Verweigerung der Vorlage überhaupt nicht begründet. Hinsichtlich der Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria habe der Bundeskanzler erstmals in seiner Aktenlieferung vom allgemeine Gründe vorgebracht, warum er die Aktenvorlage gegenüber dem Untersuchungsausschuss (teilweise) verweigere. Die Begründung, wonach von 9.530 E-Mail-Nachrichten lediglich eine von potentieller Relevanz sein solle, sei weder im Einzelnen substantiiert dargelegt worden noch plausibel. Durch das erstmalige Vorbringen von Gründen für die Verweigerung der Aktenvorlage nach Ablauf der (Nach-)Frist gemäß § 27 Abs 4 VO-UA habe der Untersuchungsausschuss keine Möglichkeit, die Argumentation des Bundeskanzlers zu überprüfen und allenfalls zu bestreiten, bevor eine verfassungsgerichtliche Nachprüfung begehrt werde. Der Bundeskanzler sei zwar seiner Behauptungs-, nicht aber seiner Begründungspflicht nachgekommen, weswegen er zur Vorlage der begehrten Akten und Unterlagen verpflichtet sei.
2.6. Der Bundeskanzler ist in seiner Äußerung an den Verfassungsgerichtshof der Auffassung, er sei aus mehreren Gründen nicht zur Vorlage der begehrten Akten und Unterlagen verpflichtet.
Soweit der Bundeskanzler argumentiert, das einschreitende Viertel des Untersuchungsausschusses habe mit seiner Aufforderung gemäß § 27 Abs 4 VO-UA eine unzulässige Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes vorgenommen, weil Akten und Unterlagen unabhängig von ihrer abstrakten Relevanz für den Untersuchungsgegenstand begehrt worden seien, was zur Unzulässigkeit der Verlangen und der Aufforderung führe, ist darauf zu verweisen, dass dieses Vorbringen erstmals im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof erstattet wird. Aus diesem Grund ist auf das diesbezügliche Vorbringen des Bundeskanzlers nicht weiter einzugehen. Entsprechendes gilt auch für das Vorbringen des Bundeskanzlers, dass erstens die Vorlage von Akten und Unterlagen verweigert werden könne, weil durch die Vorlage eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten bewirkt werden könne, und zweitens das einschreitende Viertel des Untersuchungsausschusses seiner Begründungspflicht in Bezug auf seine Verlangen und die Aufforderung gemäß § 27 Abs 4 VO-UA nicht nachgekommen sei; auch diese Argumente finden sich erstmals in der Äußerung an den Verfassungsgerichtshof.
2.7. Der Bundeskanzler vertritt weiters die Auffassung, er sei durch die durchgeführten Erhebungen und deren Mitteilung an den Untersuchungsausschuss seiner Behauptungs- und Begründungspflicht umfassend nachgekommen. Der Bundeskanzler hat dieses Argument bereits gegenüber dem einschreitenden Viertel des Untersuchungsausschusses erhoben; mit seinem im Folgenden wiedergegebenen Vorbringen wiederholt und konkretisiert er lediglich seine diesbezügliche Argumentation.
Der Bundeskanzler habe dem Untersuchungsausschuss gegenüber begründet dargelegt, wie die Prüfung der vorhandenen Akten und Unterlagen vorgenommen worden sei. Konkret seien die Bediensteten der Stabsstelle Think Austria im Rahmen ihrer Dienstpflicht angewiesen worden, eine Schlagwortsuche nach bestimmten definierten Parametern durchzuführen und die abstrakt relevanten Ergebnisse vorzulegen. Dem Untersuchungsausschuss sei erklärt worden, weshalb die Prüfung im Rahmen der dargestellten Parameter durchgeführt worden sei. Die Antragsteller hätten diese Herleitung und die Nachvollziehbarkeit der Prüfung in ihrem Antrag an den Verfassungsgerichtshof anerkannt.
Auf dieser Grundlage seien keine vorlagepflichtigen Akten identifiziert worden. Dies sei dem Untersuchungsausschuss mitgeteilt worden. Die vorgelegten parlamentarischen Anfragen, der Newsletter sowie die Präsentation zum Soundingboard seien deshalb übermittelt worden, weil damit die Arbeit der Stabsstelle umrissen und belegt werde. Dem Untersuchungsausschuss seien alle abstrakt relevanten Unterlagen übermittelt worden.
2.8. Vorauszuschicken ist, dass das Vorbringen des Bundeskanzlers, soweit dieses in seinem – nach Ablauf der vom Untersuchungsausschuss gesetzten Frist abgefertigten – Schreiben vom enthalten ist, gegenüber dem einschreitenden Viertel des Untersuchungsausschusses nicht rechtzeitig erstattet wurde (vgl Punkt 1.6.2.). Dessen ungeachtet hat der Bundeskanzler auch mit diesem Schreiben seiner Begründungspflicht gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht entsprochen:
Der Bundeskanzler ist im vorliegenden Fall als vorlagepflichtiges Organ grundsätzlich zur Vorlage aller vom einschreitenden Viertel des Untersuchungsausschusses begehrten Akten und Unterlagen verpflichtet, außer er legt mit hinreichender Begründung dar, warum bestimmte Akten und Unterlagen nicht von abstrakter Relevanz für den Untersuchungsgegenstand sind, wären oder gewesen wären. Da der Bundeskanzler lediglich seiner diesbezüglichen Behauptungs-, nicht aber auch seiner Begründungspflicht gegenüber dem Ibiza-Untersuchungsausschuss entsprochen hat, ist er verpflichtet, diesem sämtliche von einem Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses begehrte Akten und Unterlagen vorzulegen (vgl UA 3/2020; , UA 1/2021).
2.9. Hat der Verfassungsgerichtshof im Verfahren nach Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG einmal die Verpflichtung zur Vorlage der genannten Akten und Unterlagen ausgesprochen, kann das vorlagepflichtige Organ, hier der Bundeskanzler, die Vorlage dieser Akten und Unterlagen nicht mehr unter Berufung auf Ausnahmetatbestände verweigern, die ihre Grundlage in Art 53 B-VG haben, soweit er deren Vorliegen gegenüber dem Untersuchungsausschuss bis zum Ende der gemäß § 27 Abs 4 VO-UA gesetzten Frist nicht behauptet und hinreichend begründet hat (vgl aber die nachstehenden Ausführungen zum Ausnahmetatbestand des Art 53 Abs 4 B-VG). Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat das vorlagepflichtige Organ seiner Begründungspflicht nämlich bereits gegenüber dem Untersuchungsausschuss, und zwar spätestens bis zum Ende der gemäß § 27 Abs 4 VO-UA gesetzten Frist, (vollständig) nachzukommen ( UA 1/2021). Nach Ablauf dieser Frist und einer durch den Verfassungsgerichtshof im Verfahren nach Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG ausgesprochenen Vorlageverpflichtung kann lediglich der in Art 53 Abs 4 B-VG normierte Ausnahmetatbestand der Beeinträchtigung der rechtmäßigen Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihrer unmittelbaren Vorbereitung dem vorlagepflichtigen Organ bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall (etwa weil Sachverhalte, die das Vorliegen der rechtmäßigen Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung betreffen, neuen Entwicklungen seit dem Ende der Frist gemäß § 27 Abs 4 VO-UA unterliegen können) die Möglichkeit einräumen, die Vorlage von Akten und Unterlagen an den Untersuchungsausschuss abzulehnen (vgl VfSlg 20.304/2018 zu den Voraussetzungen der Verweigerung der Vorlage der begehrten Akten und Unterlagen unter Berufung auf Art 53 Abs 4 B-VG). Das vorlagepflichtige Organ hat dies unverzüglich, spätestens aber bis zum Ablauf der Leistungsfrist zur Vorlage der vom Spruch des Verfassungsgerichtshofes umfassten Akten und Unterlagen gegenüber dem Untersuchungsausschuss begründet vorzubringen. Ob das vorlagepflichtige Organ in diesem Fall insoweit seiner verfassungsrechtlichen Vorlageverpflichtung nachkommt, kann erneut zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof nach Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG gemacht werden (vgl abermals VfSlg 20.304/2018).
3. Ebenfalls unzutreffend ist die Auffassung des Bundeskanzlers, (auch) gegenüber dem Verfassungsgerichtshof nicht zur Vorlage der Bezug habenden Akten und Unterlagen verpflichtet zu sein.
3.1. Zweck eines Verfahrens gemäß Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG ist es, über eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Untersuchungsausschuss bzw einem Viertel der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses und einem vorlagepflichtigen Organ über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen, im konkreten Fall die Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes im Hinblick auf die Tätigkeit der Stabsstelle Think Austria, vorzulegen, zu entscheiden. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, dass das vorlagepflichtige Organ dem Verfassungsgerichtshof nicht nur jene Akten und Unterlagen vollständig vorlegt, die nach seiner Auffassung für den Untersuchungsgegenstand von abstrakter Relevanz sind, sondern auch jene Akten und Unterlagen, die es nach seiner Prüfung als nicht abstrakt relevant eingestuft hat. Erst durch eine solche (umfassende) Aktenvorlage wird der Verfassungsgerichtshof in die Lage versetzt, die Rechtmäßigkeit der Begründung für die Ablehnung durch das vorlagepflichtige Organ zu überprüfen.
Dieser Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Vorlage der Akten und Unterlagen an den Verfassungsgerichtshof stehen – entgegen der Auffassung des Bundeskanzlers in seiner Stellungnahme an den Verfassungsgerichtshof – auch die § 79e ff. BDG 1979 nicht entgegen. Allfällige dienstrechtliche Vorgaben – etwa auch die Regelungen des Vertragsbedienstetengesetzes 1948 – entbinden das vorlagepflichtige Organ nämlich nicht von seiner Verpflichtung gemäß Art 53 B-VG sowie § 20 Abs 3 VfGG, die angeforderten Akten und Unterlagen dem Verfassungsgerichtshof (vollständig) vorzulegen, damit dieser seiner sich aus Art 138b Abs 1 Z 4 B-VG ergebenden Entscheidungspflicht nachkommen kann.
3.2. Im vorliegenden Verfahren war allerdings die Nichtvorlage aller Bezug habenden Akten und Unterlagen für die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes schon deswegen nicht von Bedeutung, weil der Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung bereits auf Grund des Vorbringens der Parteien sowie der sonstigen Aktenlage treffen konnte. Da der Bundeskanzler nämlich seiner Begründungspflicht gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht nachgekommen ist, erübrigt sich eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Begründung unter Bezugnahme auf die begehrten Akten und Unterlagen durch den Verfassungsgerichtshof.
3.3. Darüber hinaus hält der Verfassungsgerichtshof zur Klarstellung fest, dass die Unterlassung der (vollständigen) Vorlage der Akten und Unterlagen durch das vorlagepflichtige Organ an den Verfassungsgerichtshof bewirkt, dass dieser (auch nur) auf Grund des Vorbringens der Antragsteller erkennen kann.
4. Kommt das vorlagepflichtige Organ nur seiner Behauptungspflicht nach, begründet es aber die Ablehnung der Vorlage der geforderten Akten und Unterlagen gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht oder in ungenügender Weise, gelten die vom antragstellenden Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses geforderten Akten und Unterlagen als vom Untersuchungsgegenstand erfasst, weswegen auszusprechen ist, dass alle in Rede stehenden Akten und Unterlagen dem Untersuchungsausschuss vorzulegen sind. In weiterer Folge kann sich der Bundeskanzler als vorlagepflichtiges Organ gegenüber dem Untersuchungsausschuss daher nicht auf die fehlende abstrakte Relevanz der begehrten Akten und Unterlagen berufen.
V. Ergebnis
1. Wie bereits dargelegt (Punkt IV.1.9.), hat der Bundeskanzler dem Ibiza-Untersuchungsausschuss – nach Ablauf der (Nach-)Frist des § 27 Abs 4 VO-UA – einige Akten und Unterlagen betreffend die Stabsstelle Think Austria vorgelegt. Der Bundeskanzler ist somit verpflichtet, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss die Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes im Hinblick auf die Tätigkeit der Stabsstelle Think Austria insoweit vorzulegen, als diese dem Ibiza-Untersuchungsausschuss nicht bereits vorgelegt worden sind.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2021:UA3.2021 |
Schlagworte: | VfGH / Untersuchungsausschuss, Nationalrat, Bundeskanzler, Datenschutz |
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