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VfGH vom 03.12.2011, U977/11

VfGH vom 03.12.2011, U977/11

19577

Leitsatz

Entzug des gesetzlichen Richters durch die Entscheidung eines Einzelrichters anstelle eines Senats des Asylgerichtshofes

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger

Gambias, stellte nach illegaler Einreise am einen Asylantrag, dem mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom stattgegeben wurde.

2. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom , 8 Hv41/2003y, wurde er gemäß §§27 Abs 2 (4. Fall) und 3 (1. Fall) SMG iVm § 15 StGB schuldig befunden, von Juni bis September 2002 Heroin an Suchtmittelkonsumenten und verschiedene Mengen Kokain und Heroin an verdeckte Ermittler verkauft zu haben, und zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Am wurde er unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren unter Anordnung der Bewährungshilfe bedingt aus der Freiheitsstrafe entlassen.

3. Wegen dieser Verurteilung wurde ihm mit Bescheid des Bundesasylamtes vom der Asylstatus aberkannt. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Gambia gemäß § 8 Abs 1 AsylG nicht zulässig ist. Eine befristete Aufenthaltsberechtigung wurde ihm gemäß § 8 Abs 3 iVm § 13 AsylG nicht erteilt.

Die dagegen erhobene Berufung (Beschwerde) wurde mit unangefochten gebliebener Entscheidung des Asylgerichtshofes vom als unbegründet abgewiesen. Der Asylgerichtshof nahm dabei auch auf den Umstand Bezug, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Graz vom , 8 Hv48/2007h, gemäß §§28 Abs 2 (4. Fall), 28 Abs 3 (1. Fall), 27 Abs 1 (6. Fall), 27 Abs 2 Z 2 (1. Fall), 27 Abs 1 (1. und 2. Fall) SMG schuldig befunden worden war, Suchtgifte in großer Menge gewerbsmäßig durch Verkauf in der Zeit von Anfang Juni 2006 bis in Verkehr gesetzt zu haben, und zu einer weiteren unbedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden war.

4. Am beantragte der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Erteilung des subsidären Schutzes lägen vor.

4.1. Die Bundespolizeidirektion Graz verhängte im Hinblick auf die beiden Verurteilungen mit Bescheid vom über den Beschwerdeführer ein unbefristetes Rückkehrverbot. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für die Steiermark vom abgewiesen. Dagegen beantragte der Beschwerdeführer beim Verfassungsgerichtshof die Bewilligung der Verfahrenshilfe, der diesen Antrag mit Beschluss vom , B1336/10, abwies.

4.2. Das Bundesasylamt erkannte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I.) - ohne dass er ihm nach der Aktenlage zuerkannt worden wäre - und sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Gambia gemäß § 9 Abs 2 AsylG unzulässig sei.

Die gegen Spruchpunkt I. erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof - unter Berufung auf § 60 [richtig: § 61] Abs 3 AsylG - durch einen Einzelrichter mit Entscheidung vom ab.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf

Art144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2, 3, 5, 7 und 8 EMRK sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet wird.

Der Beschwerdeführer bringt vor, im Verfahren wären anstelle des AsylG 2005 die Bestimmungen des AsylG 1997 anzuwenden gewesen, weil das am beantragte und mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom zuerkannte Asyl ihm erst rechtskräftig mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom aberkannt worden und über eine allfällige Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten keine Entscheidung getroffen worden sei. Seinen Antrag vom auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung hätte die erstinstanzliche Behörde an das zuständige Amt der Steiermärkischen Landesregierung weiterleiten müssen, zumal er darin eine Niederlassungsbewilligung begehre, die abhängig von der Dauer des subsidiären Schutzes ausgestellt werde könne. Hinsichtlich der für die Aberkennung des Flüchtlingsstatus wesentlichen Umstände liege zudem "entschiedene Sache" vor. Unter dem Titel der Willkür macht der Beschwerdeführer geltend, dass der Entscheidungsbegründung des Asylgerichtshofes jeglicher Begründungswert fehle. Im Übrigen habe der Asylgerichtshof keine Interessenabwägung im Bezug auf sein Privat- und Familienleben durchgeführt.

6. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Dem Beschwerdevorbringen hält er entgegen, dass die behaupteten Verletzungen von Art 2 und 3 EMRK insofern nicht nachvollziehbar seien, als der Beschwerdeführer weiterhin in Österreich verbleiben könne, sei doch seine Abschiebung nach Gambia nicht zulässig. Eine Verletzung nach Art 5 EMRK liege nicht vor, weil sich der Beschwerdeführer frei im Bundesgebiet bewegen könne. Da der Beschwerdeführer sohin in Österreich sein Familien- und Privatleben pflegen könne, habe sich eine Interessenabwägung im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK erübrigt. Art 7 EMRK sei nicht anzuwenden, weil die Entziehung des subsidiären Schutzes keine Strafe darstelle. Im Übrigen verkenne der Beschwerdeführer die Rechtslage: § 8 Abs 4 AsylG 2005 normiere, dass für die Verlängerung einer im Rahmen von subsidiärem Schutz erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung das Bundesasylamt zuständig sei. Hinweise, dass er einen anderen Aufenthaltstitel als den vorliegenden begehre, fänden sich im Verfahren nicht. Nochmals sei zu betonen, dass das Verfahren über die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft inhaltlich gesehen ein anderes Verfahren darstelle. Die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten sei darin nicht Gegenstand gewesen, weshalb weder Sachidentität noch entschiedene Sache vorlägen. Im Übrigen wäre für den Beschwerdeführer durch die Anwendung des AsylG 1997 nichts gewonnen, weil seinem Begehren auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung auch nach dieser Rechtslage wegen Vorliegens schwerer Verstöße gegen das SMG der Erfolg versagt geblieben wäre. Der vorliegende Fall unterscheide sich auch von jenem, dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , U1769/10, zugrunde liegenden Sachverhalt: Während dort subsidiärer Schutz erst nach Verübung der Straftaten bzw. nach erfolgten Verurteilungen eingeräumt worden sei, sei hier die Asylgewährung vor den strafbaren Handlungen erfolgt. Die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft basiere somit auf den nach Asylgewährung verübten Straftaten. Der Berücksichtigung derselben Straftaten im Falle der Gewährung subsidiären Schutzes stehe daher die Rechtsordnung nicht entgegen.

II. Rechtslage

1. Die maßgebliche Bestimmung des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (AsylGHG), BGBl. I 4/2008, lautet:

"Senate und Kammersenate

§9. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

..."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 122/2009, (im Folgenden: AsylG 2005) lauten:

"Asylgerichtshof

§61. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs 3 oder 3a vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

(2) Beschwerden gemäß Abs 1 Z 2 sind beim

Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch

Einzelrichter über Beschwerden gegen

1. zurückweisende Bescheide


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a)
wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;
b)
wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5;
c)
wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG, und


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2.
die mit diesen Entscheidungen verbundene
Ausweisung.

(3a) Der Asylgerichtshof entscheidet weiters durch Einzelrichter über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß § 41a.

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB

VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.773/2002).

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000, 16.572/2002 und 18.644/2008).

Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken. Dies bedeutet, dass das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn statt eines Senates ein Einzelrichter entscheidet oder umgekehrt.

2. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

Entgegen der vom Asylgerichtshof auf Seite 5 der angefochtenen Entscheidung vom dargestellten Rechtsmeinung ergibt sich die Zuständigkeit eines Einzelrichters zur Entscheidung aus § 61 AsylG 2005 nicht: In der vom Asylgerichtshof zu beurteilenden Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes ging es um die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Ein solcher Fall ist in § 61 Abs 3 oder 3a AsylG 2005 nicht angeführt. Damit waren im vorliegenden Fall nicht die Voraussetzungen gegeben, über die vorliegende Beschwerde durch einen Einzelrichter zu entscheiden. Der belangte Asylgerichtshof hat dadurch den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist durch die Entscheidung des Asylgerichtshofes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2. Die Entscheidung war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.