VfGH vom 18.06.2011, U919/10
19416
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Folgeantrags wegen entschiedener Sache und Ausweisung; keine Ermittlungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener türkischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde. Unter einem wurde der Beschwerdeführer in die Türkei ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung (Beschwerde) wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom abgewiesen. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , U280/08, ab.
1.2. Am stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom (richtig wohl: ) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Unter einem wurde der Beschwerdeführer in die Türkei ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom abgewiesen. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , U1668/09, ab.
1.3. Schließlich stellte der Beschwerdeführer am einen dritten - hier maßgeblichen - Antrag auf internationalen Schutz. Auch dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Unter einem wurde der Beschwerdeführer erneut in die Türkei ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom abgewiesen. Begründend führte der Asylgerichtshof aus, der Beschwerdeführer habe die gleichen Fluchtgründe geltend gemacht wie in den vorangegangenen, bereits rechtskräftig entschiedenen Verfahren. Das weitere Vorbringen, der Beschwerdeführer habe nunmehr einen Zeugen gefunden, sei ebenfalls von der Rechtskraft des Erstbescheides umfasst, weil der Zeuge dem Beschwerdeführer seit dem Jahr 2003, somit vor Eintritt der Rechtskraft des Erstbescheides, bekannt sei. Bei dem Vorbringen, wonach eine auf den Beschwerdeführer in Bregenz erfolgte Messerattacke im Zusammenhang mit seiner Verfolgung in der Türkei stehen müsse, weil die Angreifer auf sein Herz gezielt hätten, handle es sich um bloße Vermutungen, die nicht geeignet seien, eine Änderung des Sachverhaltes herbeizuführen. Zur Situation in der Türkei führte der Asylgerichtshof aus, dass ein Hinweis eines Asylwerbers auf die allgemeine Lage im Herkunftsstaat nicht genüge. Außerdem sei nach den aktuellen Länderfeststellungen die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der Türkei gegeben. Wesentliche Änderungen der Verhältnisse im Heimatstaat des Beschwerdeführers hätten sich bis dato nicht ergeben. Schließlich endet die Entscheidung des Asylgerichtshofes mit Ausführungen zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung und zum Umstand, dass über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, bereits abgesprochen wurde.
2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art 2, 3 und 8 EMRK sowie des Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.
3. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, erstattete jedoch keine Gegenschrift.
II. Rechtslage
§ 10 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG 2005), lautet auszugsweise:
"5. Abschnitt
Gemeinsame Bestimmungen
Verbindung mit der Ausweisung
§10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird;
2. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird;
3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und kein Fall der §§8 Abs 3a oder 9 Abs 2 vorliegt.
(2) Ausweisungen nach Abs 1 sind unzulässig, wenn
1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder
2. diese eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen würden.
Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:
a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;
b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
d) der Grad der Integration;
e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;
f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.
(3) Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) - (6) ..."
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles auch nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtwidrigen generellen Norm verletzt.
2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2.1. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidung unterlaufen:
2.1.1. Hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren ist nach dem AsylG 2005 seitens des Asylgerichtshofes zu prüfen, ob vor dem Bundesasylamt neue, mit einem glaubwürdigen Kern versehene Tatsachen vorgebracht wurden, die eine andere Entscheidung sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten indizieren können (so auch ). Weiters ist gemäß § 10 Abs 1 AsylG 2005 eine zurück- oder abweisende Entscheidung in all jenen Fällen mit einer Ausweisung zu verbinden, in denen kein Ausweisungshindernis gemäß § 10 Abs 2 oder 3 AsylG 2005 vorliegt. Dies bedeutet, dass der Asylgerichtshof bei einem Folgeantrag stets auch Ermittlungen und Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Antragstellers zu treffen hat, um beurteilen zu können, ob das Ausweisungshindernis der Verletzung von Art 8 EMRK nach § 10 Abs 2 AsylG 2005 vorliegt (vgl. ).
2.1.2. Dieser Verpflichtung ist der Asylgerichtshof nicht nachgekommen. In der angefochtenen Entscheidung finden sich keinerlei Feststellungen zu einem allfälligen Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich, geschweige denn die Berücksichtigung der in § 10 Abs 2 AsylG 2005 aufgezählten Kriterien im Rahmen einer Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK. Dadurch, dass es der angefochtenen Entscheidung an jeglicher Begründung der gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 verfügten Ausweisung mangelt, hat der Asylgerichtshof die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet.
Der Beschwerdeführer ist somit in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in Höhe von € 220,- enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.