VfGH vom 21.09.2012, U883/12

VfGH vom 21.09.2012, U883/12

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan und Ausweisung mangels Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers; im Übrigen Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG 2005), ab, gleichzeitig wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 leg.cit. nicht zuerkannt und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.

2. Die dagegen erhobene Beschwerde - mit Eingabe vom zog der Beschwerdeführer die Beschwerde hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz zurück - wurde mit oben bezeichneter Entscheidung des Asylgerichtshofes vom abgewiesen.

Die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet der Asylgerichtshof im Wesentlichen damit, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden, jungen Mann handle, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Des Weiteren könne davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in seine Heimatprovinz Nangarhar bzw. in seinen Heimatort Kod - ebenso wie bereits während der Zeit vor seiner Ausreise aus Afghanistan - auch im Rahmen des Familienverbandes seines Onkels sowie seiner Ehegattin eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteil werde. Der Beschwerdeführer habe den Großteil seiner bisherigen Lebenszeit in Afghanistan verbracht und sei daher mit den dort herrschenden Verhältnissen vertraut. Ergänzend stünde dem Beschwerdeführer auch die Möglichkeit offen, sich "an in Kabul ansässige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, im Speziellen solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden, wenngleich nicht verkannt [werde], dass von diesen Einrichtungen individuelle Unterstützungsleistungen meist nur in sehr eingeschränktem Ausmaß gewährt werden könn[t]en".

Resümierend kommt der Asylgerichtshof zu dem Schluss:

"Im gegenständlichen Fall haben sich in einer Gesamtschau der Angaben des Bf. und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen keine konkrete Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den Bf. mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die [...] einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde [es folgen Hinweise auf Judikatur des VwGH, des EGMR sowie des deutschen Bundesverwaltungsgerichts].

[...]

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Bf. somit nicht in Rechten nach Art 2 und 3 [EMRK] oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe [...] und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe [...] verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. [...] Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Bf. als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen."

Die Beschwerde sei daher hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen.

3. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a Abs 1 B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und gemäß Art 2, 3 sowie 8 EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt. Begründend wird unter anderem ausgeführt, dass der Asylgerichtshof in willkürlicher Weise eine Auseinandersetzung mit der individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers unterlassen hätte.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand und beantragte die Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,

nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem

belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden,

dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Neben der politischen Lage bzw. Sicherheitslage im Herkunftsland können das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK relevant sein (s. VfSlg. 19.602/2011 mwN).

2.2. Basierend auf den in der angefochtenen

Entscheidung getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan hält der Asylgerichtshof fest, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil sei, jedoch variiere dabei die "Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt". Trotz dieser Feststellung begnügt sich der Asylgerichtshof lediglich mit allgemeinen Ausführungen zur Situation im Süden, Osten, Norden und Westen des Landes. Eine Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in der Heimatprovinz, geschweige denn mit dem Herkunftsbezirk des Beschwerdeführers, lässt der Asylgerichtshof völlig vermissen. Der angefochtenen Entscheidung ist nicht einmal zu entnehmen, in welcher Region die Heimatprovinz des Beschwerdeführers, nämlich die Provinz Nangarhar, liegt. Lediglich mit der Situation in Kabul setzt sich der Asylgerichtshof näher auseinander und stellt fest, dass die Sicherheitslage in Kabul unverändert stabil und vergleichsweise ruhig sei.

2.3. Aus den im angefochtenen Erkenntnis zitierten Quellen geht hinsichtlich der Situation im Osten des Landes - in dieser Region liegt die Provinz Nangarhar - ganz allgemein hervor, dass die gesamte Grenzregion zu Pakistan als unsicher eingestuft werde und dass sich der Großteil der militärischen Operationen der ISAF auf die Nachbarprovinzen Kunar und Paktia sowie die Provinzen Khost und Paktika konzentriere. Nähere Informationen, insbesondere zur Situation in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, sind den wiedergegebenen Berichten nicht zu entnehmen.

2.4. Der Asylgerichtshof gelangt in der angefochtenen Entscheidung bezogen auf den Beschwerdeführer zu der Auffassung, dass in Afghanistan zwar die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse nur sehr eingeschränkt möglich sei, es aber dem Beschwerdeführer durchaus möglich und zumutbar sei, in seine Heimatprovinz Nangarhar zurückzukehren, wo er über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge.

2.5. Indem der Asylgerichtshof zwar davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimatprovinz Nangarhar bzw. in seinem Heimatort Kod leben könne, sich jedoch mit der dortigen Sicherheitslage in keiner Weise auseinandersetzt, handelt der Asylgerichtshof willkürlich. Er hätte sich mit der Sicherheitslage in der Heimatprovinz bzw. im Herkunftsbezirk des Beschwerdeführers auseinandersetzen müssen, zumal die Sicherheitslage in Afghanistan, wie der Asylgerichtshof selbst feststellt, von Provinz zu Provinz bzw. innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt variiert. Dieses Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt führt dazu, dass der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt wurde.

2.6. Soweit der Asylgerichtshof die Situation in Kabul schildert, kommt diesen Ausführungen kein Begründungswert zu, weil sich der Beschwerdeführer vor seiner Flucht weder in Kabul aufgehalten hat noch über irgendwelche soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul verfügt; dass der Beschwerdeführer in Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative hätte, lässt sich der Entscheidung des Asylgerichtshofes auch nicht entnehmen.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Da die Ausweisung aus dem Bundesgebiet die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten voraussetzt, ist die bekämpfte Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die verfügte Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgewiesen wird, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88

VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.