VfGH vom 28.04.2009, U847/08

VfGH vom 28.04.2009, U847/08

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die angeordnete Ausweisung des minderjährig und unbegleitet nach Österreich gekommenen Beschwerdeführers wegen gänzlicher Unterlassung der gebotenen und auf den zu beurteilenden Einzelfall bezogenen Interessenabwägung; Ablehnung der Beschwerdebehandlung hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit sie die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet anordnet, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die bekämpfte Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 1.106,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten richtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der am alias am geborene Beschwerdeführer, der nach eigenen Angaben ein Staatsangehöriger Israels (Palästinensisches Autonomiegebiet) ist, reiste ohne Begleitung von Angehörigen illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge mehrerer Einvernahmen brachte er im Wesentlichen vor, dass er von Gaza über Libyen und die Türkei nach Österreich geflüchtet sei. Er habe sein Heimatland auf Grund der dort andauernden Konflikte verlassen müssen.

1.2. Das Bundesasylamt wies den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005, (im Folgenden: AsylG 2005) mit Bescheid vom ab (Spruchpunkt I). Darüber hinaus wurde unter einem dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Israel nicht zuerkannt (Spruchpunkt II) und schließlich die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgesprochen (Spruchpunkt III). Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung.

1.3. Der Asylgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheidung vom mit der Maßgabe ab, dass Spruchpunkt II und Spruchpunkt III des in Beschwerde gezogenen Bescheides folgendermaßen zu lauten haben:

"II. Gemäß § 8 Absatz 1 und Abs 6 AsylG wird M A der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt.

III. Gemäß § 10 Absatz 1 Z 2 AsylG wird M A aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen."

1.4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art 2 EMRK und Art 7 B-VG sowie die Verletzung in Rechten gemäß der Kinderrechtskonvention geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

1.5. Der Asylgerichtshof hat die Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten vorgelegt und keine Gegenschrift erstattet.

2. Zur Rechtslage:

2.1. § 8 AsylG 2005 lautet auszugsweise:

"(1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) - (5) ...

(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Ausweisung aus dem Bundesgebiet zu verfügen, wenn diese gemäß § 10 Abs 2 nicht unzulässig ist. § 10 Abs 3 gilt.

(7) ..."

2.2. § 10 Abs 2 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 75/2007, lautet:

"Ausweisungen nach Abs 1 sind unzulässig, wenn

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

2. diese eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen würden."

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausführte, darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Auszuweisenden verletzt würde. Die Behörde ist, wie in weiteren Erkenntnissen ausgeführt (VfSlg. 18.223/2007; ) stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.

3.2. Der Asylgerichtshof hat es im vorliegenden Fall jedoch gänzlich unterlassen, eine - im Lichte des § 10 Abs 2 AsylG 2005 und der zitierten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes gebotene und auf den zu beurteilenden Einzelfall bezogene - Interessenabwägung durchzuführen. Vielmehr hält er zur Begründung des Spruchpunktes III der angefochtenen Entscheidung lediglich Folgendes fest:

"In Anwendung des § 8 Abs 6 Satz 2 AsylG war die Ausweisung des BF aus dem Bundesgebiet zu verfügen, zumal sich im Verfahren keine dem entgegenstehenden Umstände ergeben haben. Weder kommt dem BF gemäß § 10 Abs 2 Z. 1 AsylG ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zu, noch ist gemäß Z. 2 dieser Bestimmung eine Verletzung der durch Art 8 EMRK geschützten Rechte des Beschwerdeführers durch seine Ausweisung erkennbar.

Wie den Erläuterungen in der Regierungsvorlage zum AsylG 2005 in diesem Punkt auch zu entnehmen ist, sollte ein Asylwerber, der die Behörde über seinen wahren Herkunftsstaat im Unklaren lässt, [gegenüber] einem anderen, der diesbezüglich wahre Angaben macht, nicht besser gestellt werden. In diesem Sinne war eine (asylrechtliche) Ausweisungsentscheidung (auch) ohne 'Zielstaatsbezogenheit' derselben zu treffen, und obliegt die Prüfung der weiteren Rechtskonformität der allfälligen Durchsetzung dieser Entscheidung - bei faktischer Durchführbarkeit - wohl den zuständigen fremdenpolizeilichen Behörden.

Im Hinblick auf die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zum § 8 Abs 2 AsylG 1997 idF Novelle 2003, der zufolge sich die asylbehördliche Ausweisung stets auf den (behaupteten) Herkunftsstaat zu beziehen hat, auf den sich auch die zuvor durchgeführte Refoulmentprüfung iSd § 8 Abs 1 AsylG bezog, weshalb diese Ausweisungsentscheidung zielstaatsbezogen, auf den behaupteten Herkunftsstaat gerichtet, zu erfolgen hat, ist festzuhalten, dass der (neue) § 8 Abs 6 AsylG 2005 offenbar eine lex specialis schuf, welche eine Refoulment-Entscheidung bereits auf der Grundlage der fehlenden Feststellbarkeit des Herkunftsstaates mangels Mitwirkung des Antragstellers vorsieht, weshalb konsequenter Weise auch die daran anschließende Ausweisungsentscheidung ohne Ziel- bzw. Herkunftsstaatsbezug auskommen muss.

Die erstinstanzliche Entscheidung begegnete somit in keinem ihrer Spruchpunkte wesentlichen Bedenken seitens des Asylgerichtshofes. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

3.3. Der Asylgerichtshof hat hinsichtlich der Frage, ob die Ausweisung den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Achtung des Privatlebens berührt, keine Ermittlungen angestellt. Auch führte der Asylgerichtshof keine Interessenabwägung durch, wozu er gemäß Art 8 Abs 2 EMRK verpflichtet gewesen wäre. Insbesondere wurden die Umstände, dass der Beschwerdeführer (möglicherweise) minderjährig und unbegleitet nach Österreich gekommen ist, nicht berücksichtigt. Das Unterlassen jeglicher Interessenabwägung verletzt den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK (vgl. zB. ).

Die angefochtene Entscheidung war daher im genannten Umfang aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 221,28 enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

II. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde behauptet soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten richtet, die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art 2 EMRK und ArtI Abs 1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 VfGG).