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VfGH vom 19.09.2011, u84/11

VfGH vom 19.09.2011, u84/11

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde an den Asylgerichtshof gegen die mit Bescheid des Bundesasylamtes festgestellte Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan sowie gegen die mit Bescheid des Bundesasylamtes verfügte Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. beschlossen:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am in Österreich einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er sich geweigert habe, einem Großgrundbesitzer Land zu überlassen, worauf der Sohn des Einschreiters entführt und mehrmals auf das Haus der Familie geschossen worden sei. Aus Angst, von seinem einflussreichen Gegner umgebracht zu werden, sei der Einschreiter geflüchtet.

1.2. Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG 1997), BGBl. I 76/1997 idgF, ab (Spruchpunkt I.), erklärte gemäß § 8 Abs 1 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Einschreiters nach Pakistan für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs 2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan aus (Spruchpunkt III.).

1.3. Dagegen erhob der Einschreiter mit Schreiben vom Berufung (nunmehr: Beschwerde), die der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl I 126/2002, § 8 Abs 1 AsylG 1997 idgF sowie § 10 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idgF, abwies.

1.3.1. Im Erkenntnis kommt der Asylgerichtshof mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nicht den Tatsachen entspreche; das Fluchtvorbringen habe sich als nicht glaubhaft und nicht asylrelevant erwiesen. Deshalb wies der Asylgerichtshof die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes als unbegründet ab.

1.3.2.1. Auch bezüglich der Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Einschreiters in den Herkunftsstaat (Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesasylamtes) sowie der Verfügung der Ausweisung (Spruchpunkt III.) wies der Asylgerichtshof die Beschwerde als unbegründet ab.

1.3.2.2. In einem Schreiben an den Asylgerichtshof vom (eingelangt beim Asylgerichtshof am ) brachte der Beschwerdeführer in Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Pakistan vom Juli und August 2010 Folgendes vor:

"P.S. Ich möchte noch ergänzend anführen, dass ich in Pakistan im aktuellen Katastrophengebiet gelebt habe. In dem Überschwemmungsgebiet habe ich ein Haus gehabt, welches durch das Hochwasser und die Überflutungen vollständig zerstört wurde. Ich bin somit in Pakistan obdachlos und habe keine Möglichkeit eine Unterkunft zu finden. Meine damalige Adresse in Pakistan war:

Village Mubarak Shah

Dahotr Adda

Chashma Road

D.I. Khan Pakistan"

Dazu führt der Asylgerichtshof in seiner Entscheidung Folgendes aus:

"Was das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom anbelangt, dass er in Pakistan im aktuellen Katastrophengebiet gelebt habe, wo er ein Haus gehabt hätte, welches durch das Hochwasser und die Überflutungen völlig zerstört worden sei, sodass er in seinem Heimatland obdachlos wäre und keine Möglichkeit einer Unterkunft hätte, ist zunächst auszuführen, dass der Beschwerdeführer nunmehr eine Adresse in D.I. Khan (gemeint wohl Dera Ismalil Khan) in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Süden Pakistans anführte, wogegen er in seinem gesamten bisherigen Verfahren immer davon sprach, aus Sukho im Distrikt Rawalpindi, Bundesstaat Punjab zu kommen, woraus geschlossen werden kann, dass seine Angaben unglaubhaft sind und er damit versucht, einen asylrelevanten bzw. Art 3 EMRK relevanten Sachverhalt zu begründen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer gemäß eigenen Angaben auch Verwandte in anderen Teilen Pakistans hat, beispielsweise einen Cousin in der Großstadt Karachi, welche nicht vom Hochwasser betroffen war bzw. ist, und für ihn die Möglichkeit besteht, [...], sich in anderen nicht vom Hochwasser betroffenen Teilen Pakistans niederzulassen. Im konkreten Fall des Beschwerdeführers kann jedenfalls nicht von einer Art 3 EMRK Relevanz aufgrund der Hochwasserlage in seinem Heimatland ausgegangen werden. Im Übrigen läuft die nationale und internationale Hilfe in den betroffenen Landesteilen, um die Lage zu stabilisieren und zu normalisieren."

2. Gegen die Entscheidung des Asylgerichtshofes richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973) sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

3. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist begründet, soweit sie sich gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan sowie gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan wendet.

1. In der Sache

1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

1.2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

1.2.1. Nach Ansicht des Asylgerichtshofes könne aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens zwei unterschiedliche pakistanische Heimatadressen angegeben habe, geschlossen werden, "dass seine Angaben unglaubhaft sind und er damit versucht, einen asylrelevanten bzw. Art 3 EMRK relevanten Sachverhalt zu begründen."

Der eben erwähnte Umstand mag sich allenfalls auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers als Person - und insofern möglicherweise auf die Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens und damit auf das Schicksal seines Asylantrags - auswirken. Hingegen darf die Nennung unterschiedlicher Heimatadressen nicht dazu führen, dass die Refoulement-Prüfung nur eingeschränkt vorgenommen (oder überhaupt unterlassen) wird - im konkreten Fall insbesondere auch hinsichtlich der Untersuchung der Frage, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan diesen in Anbetracht der Flutkatastrophe vom Juli/August 2010 in seinem Recht nach Art 3 EMRK verletzen könnte.

1.2.2. In Anbetracht der durch die Flutkatastrophe in Pakistan eingetretenen, außergewöhnlichen Situation ist es nicht ausreichend, wenn sich der Asylgerichtshof mit dem Hinweis auf widersprüchliche Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Heimatort begnügt und darüber hinaus bloß allgemein darauf verweist, dass der Beschwerdeführer "gemäß eigenen Angaben auch Verwandte in anderen Teilen Pakistans hat, beispielsweise einen Cousin in der Großstadt Karachi, welche nicht vom Hochwasser betroffen war bzw. ist".

Der Asylgerichtshof hätte nur gestützt auf eine fundierte Einschätzung der Lage in Pakistan nach der Flutkatastrophe (im Entscheidungszeitpunkt) klären können, ob die von ihm behauptete Möglichkeit einer Niederlassung in nicht vom Hochwasser betroffenen Teilen Pakistans (also die Möglichkeit einer innerstaatlichen Relokation) für den Beschwerdeführer überhaupt gegeben und/oder ihm zumutbar war.

1.2.3. Dass sich der Asylgerichtshof nur völlig unzureichend mit der Flutkatastrophe und deren Folgen beschäftigt hat, ist insbesondere auch daran ersichtlich, dass die in der angefochtenen Entscheidung genannten Erkenntnisquellen mit länderkundlichen Informationen über Pakistan veraltet sind, soweit es um dieses Ereignis geht: Der aktuellste der vom Asylgerichtshof herangezogenen Berichte stammt vom März 2010; die in Rede stehenden verheerenden Überschwemmungen ereigneten sich aber erst im Juli und August 2010. (Zur Aufhebung von Entscheidungen des Asylgerichtshofes infolge Heranziehung veralteter Länderberichte s. zB VfSlg. 19.130/2010 und .)

Weiters ist Folgendes zu beanstanden: Im Akt des Asylgerichtshofes findet sich zwar eine Karte Pakistans, in der die \berschwemmungsgebiete und die betroffenen Distrikte ausgewiesen sind ("Pakistan - Flood Zones as of 2nd September 2010 and Affected Districts as of 6th September 2010"). Der Asylgerichtshof hat es jedoch unterlassen, sich in der angefochtenen Entscheidung (etwa unter Bezugnahme auf diese Karte und/oder durch einschlägige Recherchen im Internet) mit der Situation des mutmaßlichen Heimatortes des Beschwerdeführers

- und damit möglicherweise mit dem Schicksal seiner Unterkunft - in irgendeiner Weise zu befassen.

1.2.4. Der Asylgerichtshof hat sohin die Ermittlungstätigkeit in wesentlichen Punkten unterlassen. Dies führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

2. Ergebnis und damit in Zusammenhang stehende Ausführungen

2.1. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, soweit damit die Beschwerde an den Asylgerichtshof gegen die mit Bescheid des Bundesasylamtes festgestellte Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan sowie gegen die mit Bescheid des Bundesasylamtes verfügte Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan abgewiesen wird.

2.2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde (vgl. nachfolgenden Pkt. B) kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

2.3. Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).

B. Die Behandlung der Beschwerde wird aus folgenden Gründen abgelehnt, soweit sie sich gegen die Abweisung des Asylantrages richtet:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Asylantrages richtet (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).