VfGH vom 30.11.2010, U833/10

VfGH vom 30.11.2010, U833/10

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Ausweisung des illegal eingereisten türkischen Ehemannes einer in Österreich niedergelassenen Unionsbürgerin; keine Einbeziehung der Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes über das Niederlassungsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern in die Ausweisungsentscheidung

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit in Spruchpunkt III. die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer

Staatsangehöriger, reiste illegal und unter Verwendung von Aliasnamen und Aliasgeburtsdaten nach Österreich ein und stellte am einen Asylantrag.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997) der Asylantrag abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II.), und gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

3. Am heiratete der Beschwerdeführer eine in Österreich niedergelassene polnische Staatsangehörige; in Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten im Asylverfahren legte der Beschwerdeführer die Heiratsurkunde dem Asylgerichtshof vor. Der Beschwerdeführer und seine Ehegattin leben im gemeinsamen Haushalt in Österreich.

4. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom erhobene Berufung (nunmehr Beschwerde) wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom in allen Spruchpunkten abgewiesen, wobei er sich hinsichtlich Spruchpunkt III auf § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 122/2009, stützt. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers führte der Asylgerichtshof u.a. aus, der Beschwerdeführer könne sein Eheleben mit seiner polnischen Ehefrau auch in Nigeria fortführen, schließlich sei der gemeinsame Hausstand erst mit der Eheschließung im September 2009 begründet worden. Auch sei der Beschwerdeführer trotz seines langen Aufenthalts nicht über die Maßen integriert, seine Ausweisung würde im öffentlichen Interesse liegen.

5. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art 2, 3, 6 und 8 EMRK sowie 6. und 13. ZPEMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

6. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vor, erstattete keine Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet richtet, begründet:

1. Die Beschwerde entspricht sowohl im entscheidungswesentlichen Sachverhalt als auch in den maßgeblichen Rechtsfragen den zu U957/09, U2309/09, U2369/09 und U2839/09 protokollierten Beschwerden, weshalb sich der Verfassungsgerichtshof darauf beschränken kann, auf die Entscheidungsgründe seiner in diesen Beschwerdesachen ergangenen Erkenntnisse hinzuweisen (vgl. ; , U2839/09; , U2369/09; , U2309/09).

Der Asylgerichtshof hat die in Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABl. 2004 L 158, S 77 (im Folgenden: Unionsbürgerrichtlinie) erlassenen Bestimmungen der §§52 ff. NAG nicht näher in die Prüfung der Ausweisungsentscheidung miteinbezogen, sondern das Bestehen eines Aufenthaltsrechts lediglich - unbegründet - verneint. Da ein Familienangehöriger einer EWR-Bürgerin, die durch die Wohnsitznahme in Österreich ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, nur unter bestimmten Voraussetzungen ausgewiesen werden darf, hat der Asylgerichtshof eine innerstaatliche gesetzliche Vorschrift (§10 Abs 2 Z 1 AsylG 2005) unrichtig angewendet. Eine derartige Gesetzesanwendung steht mit den Rechtsvorschriften in einem solchen Maße in Widerspruch, dass der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung aller Fremden untereinander verletzt ist (vgl. insbesondere ).

Der Spruchpunkt III. der angefochtenen Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde (vgl. B.) kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten (vgl. ).

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art144a Abs 2 B-VG).

Die Beschwerde behauptet weiters die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art 2, 3, 6 und 8 EMRK sowie 6. und 13. ZPEMRK.

Dem Asylgerichtshof ist bei Erlassung der angefochtenen Entscheidung keine Verletzung des Art 3 EMRK unterlaufen, hat er sich doch in aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandender Weise mit allen aus Art 3 EMRK erfließenden Aspekten auseinander gesetzt (vgl. zB ). Angesichts dessen kommt auch eine Verletzung der Rechte nach Art 2 EMRK sowie nach dem 6. und dem 13. ZPEMRK nicht in Betracht.

Das Asylverfahren ist nicht von Art 6 EMRK erfasst (vgl. VfSlg. 13.831/1994).

Hinsichtlich des Beschwerdevorbringens zu Art 8 EMRK ist auf Punkt II.A. zu verweisen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).