VfGH vom 06.06.2014, U821/2013
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags und Ausweisung der aus Tschetschenien stammenden Beschwerdeführerin in die Russische Föderation mangels Auseinandersetzung mit dem behaupteten Nachfluchtgrund
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die 1980 geborene Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und stammt aus Tschetschenien. Sie reiste am nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab sie bei ihrer Ersteinvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am an, ihr Vater und zwei Brüder hätten am Krieg in Tschetschenien teilgenommen. Im Jahr 2001 sei das Haus niedergebrannt worden, noch im selben Jahr sei sie gemeinsam mit der Mutter, dem Bruder und einer Schwester nach Baku gezogen. Dort hätten sie bis zum Jahr 2005 als Flüchtlinge gelebt. Im Anschluss seien sie nach Tschetschenien zurückgekehrt. Da sie kein Haus gehabt hätten, habe sie bei verschiedenen Verwandten gelebt. Sie könne diese Umstände nicht mehr weiter ertragen, sie wolle ein normales Leben führen, weshalb sie sich zur Ausreise entschlossen hätte. Im Falle einer Rückkehr ins Heimatland befürchte sie Probleme mit den Behörden zu bekommen, wenn diesen ihre Asylantragstellung bekannt werden würde. Sie habe keine konkreten Hinweise über Sanktionen im Heimatland, allerdings würde die gesamte Familie von den Behörden nicht in Ruhe gelassen werden, wenn jemand aus der Familie gekämpft habe.
Bei den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt (in der Folge: BAA) blieb die Beschwerdeführerin im Wesentlichen bei diesen Angaben.
2. Mit Bescheid des BAA vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung sowohl von Asyl als auch von subsidiärem Schutz abgewiesen und die Beschwerdeführerin in die Russische Föderation ausgewiesen. Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt. In diesem Bescheid traf das BAA umfangreiche Länderfeststellungen zur Lage in Tschetschenien. Dort heißt es unter der Überschrift "Behandlung nach Rückkehr" auszugsweise:
"Es liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor, ob Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand Juni 2012), )
Laut einem Vertreter der Internetzeitschrift 'Kaukasischer Knoten' können Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit, die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung ist für viele (auch im Fall von Kompensationszahlungen) unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit ist um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten werden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, werden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal werden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt.
(ÖB Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, Stand September 2012)"
In weiterer Folge ging das BAA davon aus, die Beschwerdeführerin habe weder einen Grund für die Gewährung von Asyl noch von subsidiärem Schutz vorgebracht. Daher sei auch der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen. Es liege kein berücksichtigungswürdiges Privat- oder Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich vor, das der Ausweisung entgegenstehe.
3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Asylgerichtshof. Darin wies sie ausdrücklich nochmals auf ihre bereits geäußerten Befürchtungen im Falle ihrer Rückkehr nach Tschetschenien hin, mit denen sich das BAA nicht auseinandergesetzt habe.
4. Mit der angefochtenen Entscheidung wies der Asylgerichtshof die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung wird zunächst auf die Länderfeststellungen im Bescheid des BAA verwiesen. Die rechtlichen Schlussfolgerungen des Asylgerichtshofes decken sich im Wesentlichen mit jenen des BAA.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf den früheren Art 144a B VG gestützte und nunmehr nach Art 144 B VG in der am in Kraft getretenen Fassung zu behandelnde Beschwerde, mit der eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), auf Unterbleiben von unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art3 EMRK) sowie im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.
6. Der Asylgerichtshof legte die Akten des Asylverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt. Darin wird nochmals betont, die Beschwerdeführerin habe kein fluchtauslösendes Ereignis benennen und kein "real risk" einer Gefährdung ihres Lebens oder einer Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung benennen können. Der Asylgerichtshof habe zwar die Bedenken der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer möglichen Befragung der Behörden des Heimatlandes wegen ihrer Asylantragstellung bei Rückkehr nicht mehr weiter explizit angeführt, aus der Begründung ergebe sich dennoch, dass die gesamten Lebensumstände der Beschwerdeführerin entsprechend ihrem Vorbringen gewürdigt worden sei.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Ein willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes, das eine Verletzung in dem durch ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, gewährleisteten subjektiven Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander bedeutet, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Mit dem Vorbringen, sie befürchte als Angehörige von Personen, die im Krieg an der Seite der tschetschenischen Rebellen gekämpft haben, nach ihrer Rückkehr Probleme zu bekommen, hat die Beschwerdeführerin einen Nachfluchtgrund behauptet. Eine Auseinandersetzung mit diesem fehlt sowohl im Bescheid des BAA als auch in der angefochtenen Entscheidung. Die – nur vom BAA getroffenen – Länderfeststellungen schließen Repressionen für Rückkehrer generell und insbesondere für Angehörige (ehemaliger) Widerstandskämpfer nicht aus. Daher hätte es im Hinblick darauf ergänzender Feststellungen bedurft. Die in der Gegenschrift behauptete Berücksichtigung des Nachfluchtgrundes im Rahmen der "gesamten Lebensumstände der Beschwerdeführerin" ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar. Somit hat der Asylgerichtshof das Parteienvorbringen in einem entscheidenden Punkt im Sinne der zitierten Rechtsprechung außer Acht gelassen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist daher durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2014:U821.2013
Fundstelle(n):
QAAAE-28750