VfGH vom 26.09.2011, U794/10
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen
Spruch
1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Die Entscheidung wird, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, aufgehoben.
3. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener Staatsbürger von Ghana, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er bei einem Begräbnis in seinem Heimatdorf mit einem Mädchen habe plaudern wollen. Sie habe jedoch nicht mit ihm reden wollen, woraufhin er sie geohrfeigt habe. In Folge sei es zu Schlägereien zwischen seiner (muslimischen) Familie und der (christlichen) Familie des Mädchens gekommen, wobei mehrere Menschen getötet worden seien. Aus Angst vor der Familie des Mädchens sei er schließlich geflohen. Der Beschwerdeführer fürchte, im Falle seiner Rückkehr erneuter Verfolgung jener Familie ausgesetzt zu sein.
2. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005), ab, erkannte gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ghana aus.
3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom hat der Asylgerichtshof mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß §§3 Abs 1, 8 Abs 1 Z 1 und 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 abgewiesen. Im Erkenntnis führt der Asylgerichtshof u.a. aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei und zudem eine innerstaatliche Fluchtalternative bestünde. Im Fall des Beschwerdeführers seien keine außergewöhnlichen Umstände ersichtlich, die ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art 3 EMRK darstellen könnten. Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung hält der Asylgerichtshof fest, dass der Beschwerdeführer während seines bisherigen Aufenthaltes in Österreich keine Verfestigungs- oder Integrationstatbestände verwirklicht habe. Der Beschwerdeführer sei zwar gerichtlich unbescholten, weise jedoch keine familiären Bindungen in Österreich auf und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Eine Interessenabwägung ergebe, dass das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib in Österreich geringer zu bewerten sei, als das Interesse Österreichs an einem geordneten Fremdenwesen. Eine mündliche Verhandlung oder eine Aufforderung zur Stellungnahme zum Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers fand nicht statt.
4. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofs richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie nach den Art 3, 5 und 8 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
5. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:
A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung wendet, begründet:
1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:
Zwischen Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und der Entscheidung des Asylgerichtshofs sind knapp vier Jahre vergangen. Nach den vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten haben in diesem Zeitraum keine Ermittlungstätigkeiten des Asylgerichtshofs stattgefunden (vgl. ; , U1471/10). Es wären jedoch Ermittlungsschritte betreffend eines allenfalls in Österreich bestehenden Familien- und Privatlebens des Beschwerdeführers jedenfalls zu treffen gewesen. So führt der Asylgerichtshof aus, dass der Beschwerdeführer keine Verfestigungs- oder Integrationstatbestände verwirklicht habe. Der Beschwerdeführer weise keine familiären Bindungen in Österreich auf und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Aus der bekämpften Entscheidung geht allerdings nicht hervor, auf welcher Grundlage diese Feststellungen fußen. Insbesondere bleibt nicht nachvollziehbar, wie eine Interessenabwägung im Sinne des § 10 Abs 2 AsylG 2005 stattgefunden haben soll, wenn der Beschwerdeführer nicht zumindest zu einer Stellungnahme zu seinen persönlichen Lebensumständen in Österreich aufgefordert wurde. Immerhin waren bis zur Entscheidung des Asylgerichtshofs annähernd vier Jahre vergangen, in denen durchaus ein zu berücksichtigendes Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers hätte entstehen können (vgl. ). Der Asylgerichtshof hätte derartige Ermittlungen von Amts wegen vornehmen müssen.
3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt und die mangelnde Begründung führen dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.
4. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde (vgl. B.) kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten (vgl. ).
B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Abweisung der Beschwerde an den Asylgerichtshof gegen die Abweisung des Asylantrages sowie die Zulässigkeitsentscheidung hinsichtlich der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die Beschwerde behauptet die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art 3, 5 und 8 EMRK sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973.
Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte [s. etwa EGMR , Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 (319); , Fall Vilvarajah ua., ÖJZ 1992, 309 (309); , Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 (436 f.)] davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuweisen - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl. VfSlg. 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).
Der Asylgerichtshof hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl. VfSlg. 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005 sowie ). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.
Soweit die Beschwerde unter Bezugnahme auf die weiteren, oben bezeichneten Rechte verfassungsrechtlich relevante Fragen aufwirft, lässt auch dieses Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu diesen Rechten die behaupteten Rechtsverletzungen als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, insoweit sie die Abweisung des Asylantrages und die Entscheidung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung betrifft, abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).
Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.