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VfGH vom 21.11.2013, U76/2013

VfGH vom 21.11.2013, U76/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz und Ausweisung nach China infolge grober Begründungsmängel der ausschließlich auf die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin gestützten Würdigung durch den Asylgerichtshof

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Ent scheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973).

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerde führerin zu handen ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine am geborene Staatsangehörige der Volksrepublik China, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Beschwerdeführerin an, sie sei mittellose und unregistrierte Waise. Nachdem jene Frau, die sie aufgenommen und großgezogen habe, gestorben sei, habe die Beschwerdeführerin Geld verdienen müssen. Sie sei in ihrem Heimatdorf von einem Mann und einer Frau angesprochen worden, ob sie in der Stadt Shenzhen als Friseurin arbeiten wolle. Sie sei sehr glücklich über dieses Angebot gewesen, habe zugestimmt und sei noch am selben Tag mit den beiden mitgekommen. Sie habe die Ladefläche eines Lkw bestiegen, wo sich bereits drei andere Mädchen befunden haben. In einem Gespräch habe sie herausgefunden, dass die Mädchen aus Nachbardörfern stammen und ebenfalls als Friseurinnen arbeiten wollen. Auf dem Weg nach Shenzhen seien die Beschwerdeführerin und die anderen Mädchen einem Mann übergeben worden, der ihnen erzählt habe, dass sie an ihn verkauft worden seien und dass er erwarte, dass sie nun als Prostituierte für ihn in dessen Haus arbeiten. Die Beschwerdeführerin habe sich geweigert; sie sei mit den anderen Mädchen in ein dunkles Zimmer gesperrt worden. Nach einigen Tagen habe der Mann die Mädchen getrennt und die Beschwerdeführerin in ein Zimmer gebracht, in dem bereits ein Mann gewartet habe, den die Beschwerdeführerin "bedienen" habe sollen. Die Beschwerdeführerin habe sich jedoch gewehrt; es sei ihr gelungen, ein am Tisch liegendes Obstmesser zu ergreifen, das sie dem Mann, den sie "bedienen" habe sollen, in den Unterbauch gestoßen habe. Dieser sei schwerverletzt zu Boden gesunken. Die Beschwerdeführerin habe daraufhin die Brieftasche des Mannes an sich genommen und sei aus dem Zimmer gelaufen. Da sich niemand auf dem Gang befunden habe, sei ihr die Flucht aus dem Haus gelungen. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie, dass sie "ins Gefängnis müsse", weil sie einen Menschen verletzt habe, und dass sich jene Personen, die sie der Zwangsprostitution zuführen haben wollen, an ihr rächen würden, zumal sie genau wüssten, aus welchem Dorf die Beschwerdeführerin stamme.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und die Beschwerdeführerin in die Volksrepublik China ausgewiesen.

3. Die dagegen gerichtete Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte, wurde – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom abgewiesen.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144[a] B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles auch nicht entstanden.

Die Beschwerdeführerin ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.1. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen.

Der Asylgerichtshof erachtet das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin als unglaubwürdig und stützt diese Auffassung auf widersprüchliche Datumsangaben zur Flucht, vor allem aber auf folgende Ausführungen (Seite 13 f. der angefochtenen Entscheidung):

"Der belangten Behörde kann auch nicht entgegengetreten werden, wenn diese ausführt, dass es nicht nachvollziehbar ist, dass vier Frauen, die von einem einzelnen Mann mit Zwangsprostitution bedroht würden, mit diesem zunächst weitermarschieren und sich dann ohne Gegenwehr in einem Haus unterbringen lassen würden. Die diesbezügliche Erklärung der Beschwerdeführerin in Einvernahme vom , im Haus wären noch weitere Männer gewesen, kann keineswegs erklären, warum die Frauen nicht schon vor dem Erreichen des Hauses einen Fluchtversuch unternommen haben.

Das Bundesasylamt hat der Beschwerdeführerin überdies im angefochtenen Bescheid vorgehalten, dass sie lediglich eine Kerngeschichte angebe, befragt zu Details, die rund um dieses Vorbringen hätten passieren müssen, aber keinerlei Angaben machen könne. Sie habe beispielsweise vorgebracht, mit den drei anderen Mädchen zwei Tage und eine Nacht zusammen in einem LKW verbracht zu haben, über Befragen, was sie denn über diese Mädchen angeben könne, dann allerdings keine Angaben habe machen können, die eine derartige Fahrt glaubhaft machen würden. […]

Ebenso ist kaum nachvollziehbar, dass die angegebene 'kriminellen Bande' , die die Beschwerdeführerin zur Prostitution habe zwingen wollen, für keinerlei Maßnahmen sorgen würde, um diese an der Flucht zu hindern. Auch wenn – wie in gegenständlicher Beschwerde vorgebracht wird – davon auszugehen ist, dass derartige Verbrecher Fehler machen können, so erscheint doch wenig lebensnah, dass die Beschwerdeführerin so einfach aus dem Zimmer und aus dem Haus gehen könnte, ohne dass die Tür oder zumindest der Ausgang versperrt bzw. bewacht wäre. […]"

Die vom Asylgerichtshof hier wiedergegebenen Schlussfolgerungen sind für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar.

2.1.1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin entgegen den Ausführungen des Asylgerichtshofes sehr wohl Angaben zu jenen drei Mädchen machen konnte, die mit ihr gemeinsam auf der Ladefläche des Lkw transportiert wurden. In ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab die Beschwerdeführerin an, dass sie die Mädchen vor der Abfahrt gefragt habe, wohin sie fahren. Diese sollen geantwortet haben, dass sie nach Shenzhen gebracht würden und es dort offene Lehrlingsstellen gebe (Seite 7 des Bescheides des Bundesasylamts vom ). Weiters gab die Beschwerdeführerin Folgendes an (Seite 8 des Bescheides des Bundesasylamts vom ):

"[…] Die drei Mädchen haben miteinander fröhlich geplaudert, aber mit mir hat niemand gesprochen. […] Eines der Mädchen ist offenbar aus tristen Verhältnissen gekommen und musste irgendwelche Schulden abarbeiten."

Die Feststellung des Asylgerichtshofes, dass die Beschwerdeführerin keine Angaben zu den mitfahrenden Mädchen habe machen können, ist somit aktenwidrig. Die aus dieser Feststellung abgeleitete Schlussfolgerung, dass die Fahrt auf dem Lkw nicht glaubhaft sei, kann unter Zugrundelegung der Aussagen der Beschwerdeführerin in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt seitens des Verfassungsgerichtshofes nicht nachvollzogen werden.

2.1.2. Der Asylgerichtshof stützt die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin weiters darauf, dass es unplausibel sei, "dass vier Frauen, die von einem einzelnen Mann mit Zwangsprostitution bedroht würden, mit diesem zunächst weitermarschieren und sich dann ohne Gegenwehr in einem Haus unterbringen lassen".

Zu diesen nicht näher begründeten Annahmen des Asylgerichtshofes ist erstens festzuhalten, dass aus dem Protokoll über die Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt nicht hervorgeht, dass sich die Beschwerdeführerin gegen ihre Unterbringung in dem Haus nicht gewehrt habe. So führte die Beschwerdeführerin aus (Seite 6 des Bescheides des Bundesasylamts vom ):

"[…] Unterwegs hielt der Wagen plötzlich an. Wir mussten aussteigen und wurden einem anderen Mann übergeben, der offenbar auf uns gewartet hatte. Wir mussten diesem Mann zu Fuß folgen und während dieses Fußmarsches, hat er uns mitgeteilt, dass er von uns erwartete, dass wir für ihn als Prostituierte arbeiteten. Wir haben uns aber geweigert. Daraufhin hat er uns alle zusammen in ein kleines dunkles Zimmer gesperrt. […]"

Es ist somit nicht zutreffend, wenn der Asylgerichtshof aus den Angaben der Beschwerdeführerin ableitet, dass sie sich ohne Gegenwehr in dem Haus unterbringen habe lassen.

Zudem erscheinen die zitierten Ausführungen des Asylgerichtshofes, wonach es unplausibel sei, dass vier Frauen jenem Mann, der sie mit Zwangprostitution bedroht habe, folgen, in der hier getroffenen, nicht näher begründeten Art und Weise realitätsfern: Um zu dieser Annahme zu gelangen, hätte der Asylgerichtshof die näheren Umstände der Situation erheben und die Frage klären müssen, ob der Mann etwa bewaffnet war oder die Frauen auf andere Art und Weise eingeschüchtert hat. Die hier vom Asylgerichtshof eingeholten Informationen sind zu rudimentär, um die pauschale Annahme der Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin nachvollziehbar zu begründen. Der Asylgerichtshof hätte somit eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, um die angesprochenen Begleitumstände zu ermitteln.

2.1.3. Auch die vom Asylgerichtshof aufgezeigten Ungenauigkeiten in den Datumsangaben sind nicht geeignet, das gesamte Vorbringen als unglaubwürdig zu beurteilen. Hinsichtlich des Datums, an dem die Beschwerdeführerin ihren Heimatort verlassen hat, um als Friseurin in Shenzhen zu arbeiten, hat sie sich um vier Tage geirrt (einmal gab sie den 15. März und ein anderes Mal den 11. März an). Befragt zum Zeitpunkt ihrer Ausreise gab die Beschwerdeführerin in ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am an (Seite 6 des Bescheides des Bundesasylamts vom ):

"Frage: Wann sind Sie ausgereist?

A: Ungefähr Ende Juli.

Frage: Sie sprechen von heuer?

A: ja.

Frage: Wir haben jetzt April (Monat 4) – wie können Sie im Monat 7 ausgereist sein – das liegt ja noch in der Zukunft.

A: ich spreche von vergangenem Jahr, von 2011.

Vorhalt: Sie haben doch zuerst gerade noch angegeben, Sie würden von heuer sprechen?

A: ich habe dann voriges Jahr gemeint. Ich habe mich halt verschrieben."

Diese Fragetechnik ist nicht geeignet, die Annahme der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zu stützen. Wollte der Asylgerichtshof der Beschwerdeführerin Ungereimtheiten die Datums angaben betreffend vorwerfen, hätte er sie in einer mündlichen Verhandlung auf andere Art und Weise dazu befragen müssen.

3. Damit erweist sich die ausschließlich auf die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin gestützte Würdigung durch den Asylgerichtshof als mit groben Begründungsmängeln behaftet (; , U615/12). Der Asylgerichtshof hat die angefochtene Entscheidung daher mit Willkür belastet.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden unter ein ander verletzt worden.

2. Die Entscheidung ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.