VfGH vom 26.09.2012, U741/12

VfGH vom 26.09.2012, U741/12

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes; Unterlassung der Ermittlungstätigkeit in entscheidungswesentlichen Punkten; willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 1106,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Guinea-Bissau, stellte nach seiner illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Diesen begründete er - zusammengefasst - damit, dass sein Herkunftsstaat politisch instabil sei und von den Militärs regiert werde. Der Beschwerdeführer sei wegen eines Vorfalles, bei dem das Militär einen Generator eines Freundes des Beschwerdeführers beschlagnahmt habe, von einem Armeeangehörigen bedroht worden; nachdem er erfahren habe, dass sich Soldaten dort aufgehalten hätten, wo er regelmäßig gesessen sei, habe er die Flucht angetreten. Er fürchte sich vor dem Militär, man wisse auch nie, wann es in Guinea-Bissau wieder zu einem Krieg komme.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen und es wurde gemäß § 8 Abs 1 Asylgesetz 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Guinea-Bissau für zulässig erklärt; zugleich wurde der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 Asylgesetz 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Guinea-Bissau ausgewiesen.

3. Nachdem zuvor dem gegen die Versäumung der Berufungsfrist gerichteten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom durch das Bundesasylamt stattgegeben worden war, wies der Asylgerichtshof mit seiner angefochtenen Entscheidung vom die an ihn erhobene - als Beschwerde gewertete - Berufung in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet ab (mit der Maßgabe, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Guinea-Bissau auf § 10 Asylgesetz 2005 gestützt wurde).

Auf das Wesentliche zusammengefasst führte der Asylgerichtshof darin aus, dass eine drohende Verfolgung nicht glaubhaft gemacht worden sei und dass in Guinea-Bissau weder eine objektiv extreme Gefährdungslage noch eine konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers nach subjektiven Gesichtspunkten zu befürchten sei. "Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers sowie den Länderberichten zu Guinea-Bissau lässt sich insgesamt keineswegs eine reale Gefahr ableiten, dass etwa ein arbeitsfähiger Mann in Guinea-Bissau keinerlei Existenzgrundlage vorfinden und dadurch einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein könnte." Auch habe der Beschwerdeführer die Möglichkeit, Unterstützung bei Verwandten und Freunden bzw. bei Angehörigen seiner Volksgruppe oder seiner Kirche zu suchen.

Abschließend begründete der Asylgerichtshof die Zulässigkeit der Ausweisungsentscheidung.

4. In der dagegen gemäß Art 144a B-VG an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wird die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wegen Verletzung des Beschwerdeführers in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten beantragt.

Vorgebracht wird darin im Wesentlichen, dass sich bereits aus den vom Asylgerichtshof getroffenen Feststellungen ergebe, dass die Lage in Guinea-Bissau mehr als instabil sei und dass Willkür und Korruption an der Tagesordnung stünden. Dies werde noch dadurch bestätigt, dass es in der Nacht vom

12. auf den zu einem gewalttätigen Putsch durch das Militär gekommen sei, bei dem die verfassungsmäßige Regierung abgesetzt worden sei. Auch wenn sich die Lage wieder etwas beruhigt habe, bleibe diese unübersichtlich und instabil.

Die vom Beschwerdeführer geschilderte Bedrohung könne auf Grund der festgestellten Sicherheitslage als seriös betrachtet werden, dem Beschwerdeführer drohe im Herkunftsstaat Verfolgung.

Die Ausweisung des Beschwerdeführers stelle eine Verletzung in Art 8 EMRK dar; eine mündliche Verhandlung hätte diesbezüglich durchgeführt werden müssen.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und beantragte die Beschwerde abzuweisen. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde - unter Verweis auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung - Abstand genommen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

1.2. Der Asylgerichtshof ist - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere noch der unabhängige Bundesasylsenat ist der Asylgerichtshof nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.

Bereits in der Entscheidung VfSlg. 18.614/2008 hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass die rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Begründung einer gerichtlichen Entscheidung erfordern, dass sich Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung aus der Gerichtsentscheidung selbst ergeben; die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006).

2. Diesen Anforderungen hat der Asylgerichtshof mit seiner angefochtenen Entscheidung nicht entsprochen:

2.1. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

führte der Asylgerichtshof aus:

"Das Bundesasylamt ging insgesamt zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer eine drohende Verfolgung nicht glaubhaft machen konnte. Wie vom Bundesasylamt ausführlich und zutreffend dargelegt wurde, blieb das Vorbringen des Beschwerdefahrers vage und unplausibel. Konkrete Verfolgungshandlungen wurden nicht einmal behauptet."

Der Asylgerichtshof, der somit von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens ausgeht, unterlässt es in seiner Entscheidung gänzlich die beweiswürdigenden Argumente des Bundesasylamtes näher darzulegen; auch führt er selbst mit keinem Wort näher aus, aus welchen Gründen das Vorbringen des Beschwerdeführers als "vage und unplausibel" zu qualifizieren sei (dies vor allem auch vor dem Hintergrund der vom Asylgerichtshof herangezogenen Länderberichte, wonach "die zu starke Stellung des Militärs im politischen Machtgefüge" das Kernproblem in Guinea-Bissau darstelle).

Weiters kann der Verfassungsgerichtshof anhand des im Asylverfahren erstatteten Fluchtvorbringens (s. Punkt I.1.) nicht nachvollziehen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich keine konkrete Verfolgungshandlung behauptet hätte. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang überdies, dass eine bereits erlittene Verfolgung auch nicht Voraussetzung für die Asylgewährung ist. Maßgeblich ist vielmehr die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht im Sinne einer Prognoseentscheidung (vgl. dazu etwa schon VfSlg. 19.086/2010, mwH).

2.2. Die Entscheidung ist daher schon aus diesen Gründen aufzuheben, ohne dass auf allfällige weitere Aufhebungsgründe einzugehen wäre.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die

angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88

VfGG. In den - im verzeichneten Ausmaß zugesprochenen - Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 184,40 enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.