VfGH vom 18.09.2014, U73/2014
Leitsatz
Neuerliche Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Ersatzentscheidung des Asylgerichtshofes infolge Verkennung der auf die Judikatur des EuGH gestützten Rechtsanschauung des VfGH betreffend den "ipso facto"-Schutz eines staatenlosen Palästinensers infolge Wegfalls des Beistands der UNRWA
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, angefochtene Entscheidung und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein aus dem Gazastreifen stammender staatenloser Palästinenser. Nach illegaler Einreise nach Österreich stellte er am einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er sei – nachdem er Schutzgeldforderungen für den von ihm betriebenen Supermarkt abgelehnt habe – mehrfach von Leuten der Hamas eingesperrt und auch sein Geschäft sei niedergebrannt worden. Im Fall einer Rückkehr fürchte er, erneut von der Hamas inhaftiert und schlecht behandelt zu werden.
2. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ab. Mit der Begründung, auf Grund der prekären Sicherheitslage im Gazastreifen bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in sein Heimatgebiet der realen Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 EMRK oder des 6. bzw. 13. ZPMRK ausgesetzt wäre, erkannte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Diese wurde zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom bis zum verlängert.
2.1. Der Asylgerichtshof wies mit Entscheidung vom die – nur hinsichtlich Spruchpunkt I. (Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) erhobene – Beschwerde als unbegründet ab. Unter anderem ging der Asylgerichtshof davon aus, dass aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer als "palästinensischer Flüchtling" iSd Art 1 Abschnitt D der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955 idF BGBl 78/1974 (im Folgenden: GFK), bis zu seiner Ausreise berechtigt gewesen sei, Beistand der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (im Folgenden: UNRWA) in Anspruch zu nehmen, nichts für dessen Antrag auf Internationalen Schutz in Österreich zu gewinnen sei.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof hob diese Entscheidung mit Erkenntnis VfSlg 19.777/2013 auf. Der Asylgerichtshof hatte den Beschwerdeführer dadurch in seinem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt, dass er, obwohl der Beschwerdeführer im Asylverfahren eine Registrierungskarte der UNRWA vorgelegt hatte, zunächst nicht vom Vorliegen eines Asylausschlussgrundes nach § 6 Abs 1 Z 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) BGBl I 100/2005 ausgegangen war und sich folglich auch nicht damit auseinandergesetzt hatte, ob der Beschwerdeführer nicht deswegen "ipso facto" den Schutz der RL 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 L 304, 12 ff. (im Folgenden: Status-RL) bzw. der GFK genießt, weil ihm der Beistand der UNRWA zwar in der Vergangenheit gewährt worden war, nunmehr jedoch aus "irgendeinem Grund" iSv Art 12 Abs 1 lita zweiter Satz bzw. Art 1 Abschnitt D GFK nicht mehr gewährt wurde. Der Asylgerichtshof hatte die durch das in der Zwischenzeit ergangene Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott () geklärte Rechtslage in maßgeblicher Weise verkannt, indem er zum einen davon ausgegangen war, dass eine Registrierung bei der UNRWA zum Nachweis für die tatsächliche Inanspruchnahme des Schutzes der UNRWA nicht ausreiche, und indem er weiters angenommen hatte, dass ausschließlich bei Vorliegen individueller Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A der GFK davon auszugehen sei, dass der Schutz der UNRWA "aus irgendeinem Grund" iSd Art 1 Abschnitt D GFK und iSd Art 12 Abs 1 lita zweiter Satz Status-RL weggefallen ist.
3. Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung vom wies der Asylgerichtshof die Beschwerde im fortgesetzten Verfahren wiederum als unbegründet ab. Begründend führt der Asylgerichtshof – unter Zugrundelegung derselben beweiswürdigenden Erwägungen wie bei seiner Entscheidung im ersten Verfahrensgang, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nicht glaubwürdig sei – u.a. aus, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise den Schutz der UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen habe. Folglich sei zu prüfen, ob dieser Schutz "aus irgendeinem Grund nicht oder nicht länger gewährt wird", bejahendenfalls ihm "ipso facto" der Status eines Flüchtlings zukomme.
Dazu führt der Asylgerichtshof Folgendes aus:
"[…] Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dazu ausgesprochen, dass die nationalen Behörden für 'die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne dieser Bestimmung [...] tatsächlich nicht länger gewährt wird, […] zu prüfen [haben], ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets [zwangen] und somit daran [hinderten], den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen' (, El Kott u.a., Rz 61).
Folglich war das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Vorliegens solcher Gründe zu prüfen, zumal bei einer Rückkehrverweigerung aus 'eigenem Belieben' oder der Unmöglichkeit einer Rückkehr und neuerlichen Inanspruchnahme des Schutzes der UNRWA aus anderweitigen, nicht seinem Einfluss unterliegenden Umständen heraus, die durch Art 1 Abschnitt D GFK bzw. Art 12 der Status-RL vorgenommene Privilegierung im Hinblick auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus 'ipso facto' nicht zum Tragen käme.
[…] Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Asylgerichtshofes diese Voraussetzungen in Form der Feststellung von 'nicht (vom Beschwerdeführer) zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen' nicht gegeben.
Der Beschwerdeführer hatte, wie oben dargestellt wurde, behauptet, er sei zum Verlassen des Gaza-Streifens und somit des 'Schutzbereichs' der UNRWA gezwungen gewesen, weil ein dortiger Aufenthalt aufgrund der Ablehnung von Schutzgeldzahlungen an die Hamas und den daraus resultierenden Problemen für ihn unmöglich geworden sei. Aus den oben in der Beweiswürdigung näher dargestellten Gründen war diesem Vorbringen aus Sicht des AsylGH jedoch mangels glaubhafter Angaben des Beschwerdeführers dazu nicht zu folgen und damit schon diesbezüglich das Vorliegen von 'nicht (vom Beschwerdeführer) zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen' nicht festzustellen.
Anderweitige außerhalb des Einflussbereichs des Beschwerdeführers liegende Gründe für die Unmöglichkeit einer Rückkehr und neuerlichen Inanspruchnahme des Schutzes der UNRWA wurden weder behauptet noch waren sie von Amts wegen festzustellen, zumal auch die allgemein bekannte Lage in der Region des Nahen Ostens aktuell keine Auswirkungen in der Form zeigen würde, dass eine Rückkehr in den Gaza-Streifen grundsätzlich unmöglich wäre oder die UNRWA dort ihre Aktivitäten eingestellt hätte.
Folgerichtig war festzustellen, dass der Beschwerdeführer somit bei einer Rückkehr jedenfalls wieder den Beistand der UNRWA in Anspruch nehmen kann und er damit auch nicht den privilegierten Schutz von Art 1 Abschnitt D GFK bzw. Art 12 Abs 1 Buchst. a Satz 1 der Status-RL genießt.
[…] Nur in dem Fall, dass der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, bedarf es keiner Prüfung der Voraussetzungen des Art 1 Abschnitt A GFK. Dies ist auch insofern konsequent, zumal sich der in Art 1 Abschnitt D GFK genannte Schutz oder Beistand, welcher zu einem Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling führt, primär auf die Umstände bezieht, die zur Flucht aus dem ehemaligen Völkerbundgebiet Palästina geführt haben, und nicht auf die Situation in den jeweiligen Erstzufluchtsländern.
Im gegenständlichen Fall ist daher auch darauf hinzuweisen, dass nach Ansicht des Asylgerichthofes die zu Beginn […] dargestellten Voraussetzungen, nämlich insbesondere eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem der Gründe, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt, ebenso wenig gegeben sind.
Der Asylgerichtshof konnte sich diesbezüglich – wie bereits zuvor ausgeführt – der erstinstanzlichen Behörde anschließen, wonach der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen nicht glaubhaft machen konnte, dass er überhaupt einer zielgerichteten Verfolgung aus den genannten Gründen ausgesetzt war, noch dass er mit einer solchen pro futuro zu rechnen hätte […].
Im Übrigen indiziert eine Kriegssituation oder eine allgemein schlechte Situation bzw. Unruhen im Heimatstaat nach der ständigen Rechtsprechung, aber auch nach der Auslegung, die die Genfer Flüchtlingskonvention in anderen Staaten und auf internationaler Ebene gefunden hat, für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft.
Das Asylrecht hat nicht die Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und sonstigen Unruhen hervorgehen.
Wesentlich für den Flüchtlingsbegriff ist die Furcht vor einer gegen den Asylwerber selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlung, nicht die Tatsache, dass es Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen im Heimatstaat des BF gibt.
Besondere Umstände, dass die Vertreter staatlicher bzw. quasi-staatlich agierender Autoritäten, ein individuell sich gegen die Person des Antragstellers richtendes Interesse an einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe gehabt hätten, konnten nicht glaubhaft gemacht werden.
[…] Auch das Vorliegen eines Nachfluchtgrundes ist im gegenständlichen Fall zu verneinen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Palästinenser, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären."
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet wird. Darin wird u.a. ausgeführt, dass der Asylgerichtshof bei der Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts auf andere Umstände als die vorgebrachte individuelle Verfolgung iSv Art 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention, wie etwa die allgemeine Lage im Gaza-Streifen, die im Rahmen der Beurteilung des den ipso facto-Schutz begründenden Wegfalls des UNRWA-Beistandes ebenso zu berücksichtigen seien, nur kursorisch eingegangen sei. Insbesondere habe der Asylgerichtshof es unterlassen, die vom Beschwerdeführer beantragte, und vor dem Hintergrund des offenkundig nicht hinreichend geklärten Sachverhalts notwendige mündliche Verhandlung durchzuführen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte die Verfahrensakten, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Rechtslage
1. Die §§3 und 6 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) BGBl I 100/2005 idF BGBl I 144/2013 lauten:
"Status des Asylberechtigten
§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§2 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§6) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden ist von Amts wegen und ohne weiteres Verfahren der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn sich die Republik Österreich völkerrechtlich dazu verpflichtet hat.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
[…]
Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
§6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
1. und so lange er Schutz gemäß Art 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;
2. einer der in Art 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;
3. er aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl Nr 60/1974, entspricht.
(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt."
2. Art 1 Abschnitt D der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955 idF BGBl 78/1974, lautet:
"D. Dieses Abkommen wird auf Personen keine Anwendung finden, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten.
Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne daß die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig."
1. Die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Art 2 und 12 der zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung am noch in Geltung stehenden (vgl. Art 40 RL 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Neufassung] ABl. 2011 L 337, 9 ff.) RL 2004/83/EG des Rates vom über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 L 304, 12 ff., haben folgenden Wortlaut:
"Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) […]
b) 'Genfer Flüchtlingskonvention' das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom in der durch das New Yorker Protokoll vom geänderten Fassung;
c) 'Flüchtling' einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;
[…]
Artikel 12
Ausschluss
(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er
a) den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie;
[…]"
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach § 87 Abs 2 VfGG in der bis zum Ablauf des in Geltung stehenden Fassung waren die Verwaltungsbehörden und unter sinngemäßer Anwendung dieser Bestimmung gemäß § 88a VfGG in der bis zum Ablauf des in Geltung stehenden Fassung der Asylgerichtshof verpflichtet, dann, wenn der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (nach der seit in Kraft getretenen Fassung des § 87 Abs 2 VfGG trifft diese Verpflichtung die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden).
Die Verwaltungsbehörden bzw. der Asylgerichtshof (nunmehr die Verwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsbehörden) sind demnach bei Erlassung der Ersatzentscheidung an die vom Verfassungsgerichtshof im ersten Rechtsgang geäußerte Rechtsansicht gebunden. Diese Verpflichtung besteht für die die Aufhebung der Entscheidung tragenden Gründe bzw. die zugrunde liegenden rechtlichen Bewertungen des Verfassungsgerichtshofes. Ein bei Erlassung der Ersatzentscheidung begangener Verstoß gegen dieses Gebot verletzt den Beschwerdeführer im selben Recht wie die im ersten Rechtsgang erlassene und vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Entscheidung (VfSlg 6043/1969, 18.804/2008, 18.809/2009 mwN).
2. Ein derartiger Fall liegt hier vor:
2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , U706/2012, dargelegt hat, unterscheidet sich die Rechtsstellung von Asylwerbern, die grundsätzlich dem Schutz einer von Art 1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation unterstehen, insofern von jener anderer Asylwerber, als gemäß Art 12 Abs 1 lita Status-RL (in Entsprechung des Art 1 Abschnitt D GFK) Personen, die unter dem Schutz oder Beistand einer solchen Organisation stehen, von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind. Denn diese Personen genießen – nach der in diesem Punkt im innerstaatlichen Recht nicht umgesetzten und sohin unmittelbar anwendbaren Bestimmung des zweiten Satzes des Art 12 Abs 1 lita Status-RL (siehe , Rz 15) – dann "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw. der GFK, wenn der Schutz oder Beistand einer solchen Organisation "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird.
2.2. Der Asylgerichtshof ist der im Erkenntnis vom , U706/2012, geäußerten, auf die Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union gestützten (, Nawras Bolbol, Slg. 2010, I-5539) Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes nur insoweit gefolgt, als er in seiner Ersatzentscheidung die Vorlage der Registrierungskarte der UNRWA durch den Beschwerdeführer als Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme der Hilfe der UNRWA ausreichen ließ.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , U706/2012, aber auch die Rechtsansicht zum Ausdruck gebracht, dass – nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott – der "ipso facto"-Schutz infolge des Wegfalles des Beistandes der UNRWA "aus irgendeinem Grund" nicht ausschließlich im Fall individueller Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A GFK eintritt, sondern festzustellen ist, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen des Gebietes zwingen und somit daran hindern, den durch UNRWA gewährten Beistand zu genießen (in diesem Sinne auch ; , U1053/2012; , U2346/2012; , U1900/2013).
2.4. In der angefochtenen Ersatzentscheidung gibt der Asylgerichtshof zwar die Rechtsanschauung sowohl des Verfassungsgerichtshofes als auch jene des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott wieder, begründet die Verneinung von "nicht vom Beschwerdeführer zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen" für den Wegfall des Schutzes von UNRWA jedoch ausschließlich mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen im ersten Verfahrensgang und wiederholt die – auf die Beurteilung des Vorliegens einer individuellen Verfolgung abzielende – Beweiswürdigung des vorangegangenen Verfahrens. Über das Vorbringen des Beschwerdeführers im ersten Verfahrensgang hinausgehende Ermittlungen zu etwaigen nicht vom Beschwerdeführer zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen für das Verlassen des Einsatzgebietes der UNRWA, etwa im Rahmen einer neuerlichen Befragung des Beschwerdeführers zu seiner persönlichen Lage im Herkunftsgebiet in einer mündlichen Verhandlung, unterlässt der Asylgerichtshof gänzlich. Auch eigene aktuelle Feststellungen zur Lage im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers enthält die Begründung des Asylgerichtshofes nicht. Die Ausführungen des Asylgerichtshofes zur Lage im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers erschöpfen sich in der knappen Ausführung darüber, dass "die allgemein bekannte Lage in der Region des Nahen Ostens aktuell keine Auswirkungen in der Form zeigen würde, dass eine Rückkehr in den Gaza-Streifen grundsätzlich unmöglich wäre oder die UNRWA dort ihre Aktivitäten eingestellt hätte."
2.5. Indem der Asylgerichtshof seiner Ersatzentscheidung keine über die bereits im ersten Verfahrensgang zur Beantwortung der Frage des Vorliegens eines Asylgrundes nach § 3 AsylG 2005 gewürdigten Ermittlungen hinausgehenden Ermittlungen zur Frage des Wegfalles des Schutzes des Beschwerdeführers durch UNRWA zugrunde legt, verkennt er die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , U706/2012, Rz 17, in Anlehnung an den Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott ausdrücklich zum Ausdruck gebrachte Rechtsanschauung, wonach es bei der Beurteilung des Wegfalles des Schutzes der UNRWA gerade nicht ausschließlich auf das Vorliegen einer individuellen Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A der GFK ankommt. Ein Zwang zum Verlassen des Einsatzgebietes einer Organisation iSd Art 12 Abs 1 lita zweiter Satz Status-RL liegt nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott vielmehr dann vor, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befand und es der betreffenden Organisation oder Institution unmöglich war, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der dieser Organisation oder Institution obliegenden Aufgabe im Einklang stehen (EuGH, El Kott , Rz 65). In dieser Unterscheidung von individuellen Verfolgungsgründen iSv Art 1 Abschnitt A GFK liegt geradezu das Wesen des "ipso facto"-Schutzes nach Art 1 Abschnitt D GFK bzw. Art 12 Abs 1 lita Status-RL.
2.6. Weiters unterlässt es der Asylgerichtshof in der Begründung der angefochtenen Ersatzentscheidung darzutun, wie – abgesehen von der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf eine individuelle Verfolgung – die Zumutbarkeit der Rückkehr des Beschwerdeführers in das Einsatzgebiet der UNRWA vor dem Hintergrund der Tatsache, dass dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, zu begründen ist.
Auch hat es der Asylgerichtshof – entgegen den diesbezüglichen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis vom , U706/2012, Rz 20 – unterlassen, sich damit auseinanderzusetzen, ob in Bezug auf den konkreten Fall ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zur weiteren Klärung insbesondere der Abgrenzung der Gründe für das Eintreten des "ipso facto"-Schutzes nach Art 12 Abs 1 lita Satz 2 Status-RL bzw. Art 1 Abschnitt D GFK von einerseits asylrelevanten Fluchtgründen iSv Art 1 Abschnitt A GFK und andererseits den Gründen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes einzuleiten wäre.
2.7. Der Asylgerichtshof hat demnach die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , U706/2012, zum Ausdruck gebrachte Rechtsanschauung verkannt und den Beschwerdeführer damit erneut in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2014:U73.2014