VfGH vom 19.09.2011, U694/11

VfGH vom 19.09.2011, U694/11

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Folgeantrags wegen entschiedener Sache und Ausweisung; keine Ermittlungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Volksrepublik China, stellte am einen ersten Antrag auf Gewährung von Asyl. Der Beschwerdeführer brachte vor, er habe von 2002 bis 2003 Falun Gong Materialien verkauft. Er werde daher landesweit gesucht. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom abgewiesen (Spruchpunkt I.), die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach China für zulässig erachtet (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Volksrepublik China ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom abgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde gemäß Art 144a B-VG wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom abgelehnt.

1.2. Am beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG. Begründend brachte er vor, ihm sei am ein Haftbefehl der chinesischen Behörden zugestellt worden. Mit Beschluss vom hat der AsylGH den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgewiesen.

1.3. Am stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, die chinesische Polizei suche nach wie vor nach ihm. Neu hinzugekommen sei ein Haftbefehl gegen ihn. Mit Bescheid des BAA vom wurde dieser Antrag gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Volksrepublik China ausgewiesen (Spruchpunkt II.). Die dagegen erhobene Beschwerde an den AsylGH wurde mit Entscheidung vom gemäß § 68 Abs 1 AVG und § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Mit Beschluss vom hat der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde abgelehnt.

2.1. Am stellte der Beschwerdeführer den dritten (hier maßgeblichen) Antrag auf internationalen Schutz. Er gab wiederum an, keine neuen Fluchtgründe zu haben, aber die Polizei suche immer noch nach ihm. Im Juli oder August 2010 habe er einen Brief von seinem Bruder bekommen, dass man immer noch nach ihm suche. Er legte einen Fahndungsbefehl der chinesischen Polizei vor, den er im Oktober 2010 bekommen habe. Mit Bescheid des BAA vom wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der Beschwerdeführer in die Volksrepublik China ausgewiesen.

2.2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des AsylGH vom gemäß § 68 Abs 1 AVG und § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Begründend führte der AsylGH aus, der Beschwerdeführer habe keinerlei Vorbringen erstattet, das auf eine Sachverhaltsänderung hindeuten würde. Es liege auch keine Änderung des Sachverhaltes vor, die eine neuerliche inhaltliche Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz zuließe. Der vom Beschwerdeführer vorgelegte Fahndungsbefehl sei lediglich eine Steigerung des in den vorangegangenen Verfahren als unglaubwürdig qualifizierten Vorbringens. Die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet sei zulässig. Der Beschwerdeführer verfüge über kein relevantes Familienleben in Österreich, vielmehr lebe seine Ehefrau mit dem gemeinsamen Sohn sowie Eltern und Geschwister nach wie vor in der Volksrepublik China. Der Beschwerdeführer halte sich zwar bereits seit ca. sieben Jahren in Österreich auf, habe seinen Aufenthalt aber bisher nur auf die Stellung mehrerer Anträge auf internationalen Schutz gestützt. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wiege aber schwerer als das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und auf Achtung des Privat- und Familienlebens geltend gemacht wird.

4. Der AsylGH hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, aber keine Gegenschrift erstattet.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles auch nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.1. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem AsylGH bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidung unterlaufen:

2.1.1. Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status auch auf die Gewährung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 AsylG 2005 gerichtet. Der Umstand, dass in einem auf das AsylG 2005 gestützten Antrag auf internationalen Schutz ein Antrag auch in Bezug auf die Gewährung von subsidiärem Schutz enthalten ist, wirkt sich auch bei der Behandlung von Folgeanträgen aus: Hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren nach dem AsylG 2005 ist der AsylGH verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (; vgl. auch ).

2.1.2. Dieser Verpflichtung ist der AsylGH jedoch nicht nachgekommen. In der angefochtenen Entscheidung finden sich keine Feststellungen zu allfälligen subsidiären Schutzgründen, wie zB der gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers oder der Lage in der Volksrepublik China. Die Entscheidung enthält nicht einmal einen Verweis auf die im Bescheid des BAA getroffenen Länderfeststellungen. Mit der Frage, ob sich in dem seit dem rechtskräftigen Abschluss der ersten beiden Asylverfahren verstrichenen Zeitraum eine Änderung des Sachverhaltes dahingehend ergeben hat, dass dem Beschwerdeführer nunmehr eine dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechende Behandlung in seinem Heimatland droht, hat sich der AsylGH mit keinem Wort auseinander gesetzt. Mangels Prüfung von Sachverhaltsänderungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hat der AsylGH die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet.

Der Beschwerdeführer ist somit in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-

enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.