VfGH vom 26.09.2011, U690/10
19502
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die verfügte Ausweisung der beiden Beschwerdeführer angesichts möglicher Trennung von ihrer auf Grund der Stellung eines Asylerstreckungsantrags nicht ausgewiesenen Ehefrau bzw Mutter
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit sie die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria anordnet, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.
Die bekämpfte Entscheidung wird insoweit aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin, eine nach eigenen Angaben am geborene Staatsangehörige Nigerias, reiste am in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am einen Asylantrag. Gemeinsam mit der Beschwerdeführerin reiste außerdem der minderjährige Sohn der Beschwerdeführerin ein, der durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin - ebenso wie die am in Österreich geborene Tochter der Beschwerdeführerin - einen Asylerstreckungsantrag stellte. Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76 idF BGBl. I 101/2003, (im Folgenden: AsylG 1997) ab; gleichzeitig wurde gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung festgestellt und gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 die Ausweisung der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet verfügt. Die Asylerstreckungsanträge der beiden Kinder der Beschwerdeführerin wurden vom Bundesasylamt mit Bescheiden jeweils vom abgewiesen; eine Ausweisung wurde nicht verfügt.
Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit den Entscheidungen des Asylgerichtshofes jeweils vom - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am - gemäß §§7 und 8 Abs 1 AsylG 1997, BGBl. I 101/2003, und § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005), BGBl. I 29/2009, bzw. hinsichtlich der Asylerstreckungsanträge der beiden Kinder gemäß § 10 iVm § 11 AsylG 1997, BGBl. I 126/2002, abgewiesen.
2. In der gegen die Entscheidung der Beschwerdeführerin gemäß Art 144a B-VG erhobenen - ausdrücklich nur die Ausweisung gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 bekämpfenden - Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Ausweisungsausspruches beantragt.
3. Der belangte Asylgerichtshof hat die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie seine Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen, auf die Begründung im angefochtenen Erkenntnis verwiesen und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
1.2. Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Rechtsvorschriften werden nicht vorgebracht und sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde auch nicht entstanden.
1.3. Dem Asylgerichtshof ist allerdings ein Verstoß gegen das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens vorzuwerfen:
Im vorliegenden Fall hat der belangte Asylgerichtshof die durch das Bundesasylamt verfügte Ausweisung der Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 bestätigt. Am selben Tag wurden die Asylerstreckungsanträge der beiden minderjährigen Kinder der Beschwerdeführerin abgewiesen, ohne dass eine Ausweisung ausgesprochen wurde (eine solche ist nach der geltenden Rechtslage auch nicht möglich, sodass für diese Ausweisung die Fremdenpolizei zuständig wäre). Auf Grund der vom Asylgerichtshof ausgesprochenen Ausweisung erscheint es möglich, dass die Beschwerdeführerin das Bundesgebiet ohne ihre minderjährigen Kinder, die asylrechtlich auf Grund der Stellung von Asylerstreckungsanträgen nicht ausgewiesen wurden, zu verlassen habe. Die Ausweisung stellt somit einen Eingriff in das durch Art 8 EMRK geschützte Familienleben der Beschwerdeführerin mit ihren minderjährigen Kindern dar, welcher einer Rechtfertigung bedürfte (vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beginnend mit ; jüngst auch mwN). Da der Asylgerichtshof die Ausweisung der Beschwerdeführerin ausgesprochen hat, ohne sich mit der möglichen Trennung der Familie auseinander zu setzen, hat er eine dem Art 8 EMRK widersprechende Entscheidung getroffen.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.
Die angefochtene Entscheidung war daher im Umfang der gemäß § 10 AsylG 2005 erfolgten Ausweisung aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-
enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Fundstelle(n):
HAAAE-28727