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VfGH vom 29.06.2013, U674/2012

VfGH vom 29.06.2013, U674/2012

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags eines staatenlosen Palästinensers wegen objektiver Willkür infolge Verkennung der durch die Rechtsprechung des EuGH geklärten Rechtslage; Vorliegen eines Asylausschlussgrundes auch bei den Beistand der UNRWA kurz vor Einreichung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat tatsächlich in Anspruch nehmenden Personen; "ipso facto"-Schutz der Statusrichtlinie infolge Wegfalls des Beistands "aus irgendeinem Grund" nicht ausschließlich bei Vorliegen individueller Verfolgung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerde führer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.400,– bestimmten Prozess kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer ist staatenloser Palästinenser aus dem Libanon. Er sei im Flüchtlingslager R geboren worden, wo er bis 1999 gelebt habe und als Flüchtling bei der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (im Folgenden: UNRWA) registriert sei. 1999 sei er nach Bulgarien ausgereist, habe sich dort nach Ablauf seines auf drei Monate befristeten Visums weiterhin aufgehalten und nach religiösem Ritus die Ehe mit einer bulgarischen Staatsangehörigen geschlossen. Gemeinsam mit dieser sei er 2003 nach Österreich gezogen, wo er den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe.

Mit Bescheid vom wies das – nach Aufhebung seines im ersten Verfahrensgang ergangenen Bescheides durch den Unabhängigen Bundesasylsenat am wiederum zuständige – Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Libanon gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig und wies ihn in den Libanon aus.

2. Der Asylgerichtshof wies die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) nach Beigebung eines Rechtsberaters und Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Er begründet die Abweisung des Asylantrags damit, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Mitgliedschaft in einer Unterorganisation der Fatah keine Verfolgung behauptet habe und dass Angehörige der palästinensischen Volksgruppe im Libanon wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit keiner Verfolgung ausgesetzt seien sowie mit der Unglaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens.

Dabei geht der Asylgerichtshof auch auf den Art 1 Abschnitt D der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (im Folgenden: GFK) entsprechenden Art 12 Abs 1 lita der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 304, 12 ff. (im Folgenden: Status-RL) ein, der in seinem ersten Satz eine Ausschlussklausel normiere, während er im zweiten Teil bei Vorliegen gewisser Voraussetzung eine zwingende Schutzgewährung vorsehe.

Zunächst verneint der Asylgerichtshof das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes, weil der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom , Rs. C-31/09, Nawras Bolbol (Rz 51), festgestellt habe, dass diese Ausschlussklausel eng auszulegen sei und daher nicht auch Personen erfassen könne, die nur berechtigt seien oder waren, den Schutz oder Beistand des Hilfswerks in Anspruch zu nehmen. Daher könne die genannte Bestimmung der Status-RL – so der Asylgerichtshof – nur Personen umfassen, die aktuell Schutz und Beistand seitens der UNRWA tatsächlich in Anspruch nehmen, was im Fall des Beschwerdeführers nicht gegeben sei.

Danach prüft der Asylgerichtshof, ob dem Beschwerdeführer gemäß Art 12 Abs 1 lita zweiter Satz "ipso facto" Asyl gebührt. Aus dem Handbuch des UNHCR über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und Art 1 Abschnitt D zweiter Satz GFK schließt der Asylgerichtshof, dass sich Betroffene, die sich außerhalb des Mandatsgebiets der Hilfsorganisation aufhalten, nicht "ipso facto" auf die Schutzbestimmungen berufen können, sondern ihre Flüchtlingseigenschaft nur nach Art 1 Abschnitt A GFK feststellen lassen können, außer, der Schutz und Beistand durch die Hilfseinrichtung könne "aus irgendeinem Grund" nicht oder nicht länger gewährt werden. Dies sei der Fall, wenn die betroffene Person – auch nach freiwilliger Ausreise – entweder mangels Erlaubnis des jeweiligen Staates nicht in das UNRWA-Mandatsgebiet zurückkehren könne, in dem sie effektiven Schutz erhalten hat, oder aus anderen Gründen nicht heimkehren kann oder will, zB weil sie glaubhaft darlegen kann, in diesem Staat verfolgt zu werden. Dass es dem Beschwerdeführer nicht möglich wäre, aus allfälligen Gründen individueller Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A GFK in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren, habe der Beschwerdeführer aber nicht glaubhaft gemacht. Eine Unmöglichkeit des neuerlichen Beistandes der UNRWA, an die die Anerkennung als Flüchtling iSd Art 1 Abschnitt D GFK anknüpfe, liege nicht vor.

Die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Libanon und die Zulässigkeit seiner Ausweisung in den Herkunftsstaat bejaht der Asylgerichtshof mit näherer Begründung.

3. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde rügt der Beschwerdeführer u.a. die Verletzung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander.

Der Beschwerdeführer führt u.a. aus, dass der der Gerichtshof der Europäischen Union in der Entscheidung Rs. Bolbol nur die Auslegungsfrage geklärt habe, ob auch Personen, die vor ihrem Antrag auf internationalen Schutz den Schutz oder Beistand der UNRWA nicht tatsächlich in Anspruch genommen haben, obwohl sie Anspruch darauf gehabt hätten, unter Art 12 Abs 1 lita erster Satz Status-RL fallen. Dies habe der Gerichtshof der Europäischen Union verneint. Der Beschwerdeführer hingegen sei als Flüchtling bei der UNRWA registriert und habe dies durch die UNRWA-Registrierungsbestätigung belegt. Dies habe auch der Asylgerichtshof ausdrücklich festgestellt. Anders als im Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rs. Bolbol, stehe somit fest, dass der Beschwerdeführer tatsächlich – solange er sich im Libanon aufgehalten habe – den Schutz oder Beistand der UNRWA in Anspruch genommen habe. Somit stelle sich die Frage, ob der Beschwerdeführer unter den – mangels Umsetzung im gemäß § 75 Abs 1 erster Satz Asylgesetz 2005 anzuwendenden AsylG 1997 nach Ablauf der Umsetzungsfrist am unmittelbar anwendbaren – Art 12 Abs 1 lita zweiter Satz Status-RL falle und "ipso facto" den Schutz dieser Richtlinie genieße. Diese offene Auslegungsfrage hätte der Asylgerichtshof zwingend dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorlegen müssen. Der Asylgerichtshof habe die Status-RL aber auch denkunmöglich ausgelegt: Erstens gehe er davon aus, dass sich der erste Satz des Art 12 Abs 1 Status-RL nur auf Personen beziehe, die aktuell Schutz und Beistand seitens der UNRWA in Anspruch nähmen; bei einer solchen Auslegung hätte der zweite Satz des Art 12 Abs 1 Status-RL allerdings keinen Anwendungsbereich. Zweitens sehe der zweite Satz des Art 12 Abs 2 Status-RL vor, dass Personen "ipso facto" Schutz zukomme, wenn Schutz und Beistand durch die UNRWA "aus irgendeinem Grund" wegfielen. Die Auslegung des Asylgerichtshofes, dass ein derartiger Grund nur vorliege, wenn der Betroffene nicht in das UNRWA-Mandatsgebiet zurückkehren könne oder wenn er glaubhaft darlegen könne, dass er in diesem Staat verfolgt werde, widerspreche dem Wortlaut der Bestimmung sowie des gleichlautenden Art 1 Abschnitt D GFK, dem Sinn und Zweck dieser Regelung, den diesbezüglichen Ausführungen im UNHCR-Handbuch und Art 18 GRC.

4. Der Asylgerichtshof sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab und übermittelte die Verfahrensakten.

II. Rechtslage

1. Art 1 Abschnitt D und Art 5 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955 idF BGBl 78/1974 (im Folgenden: GFK) lauten wie folgt:

"Artikel 1

Definition des Ausdruckes 'Flüchtling'

[…]

D. Dieses Abkommen wird auf Personen keine Anwendung finden, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten. Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne daß die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig.

[…]

Artikel 5

Rechte außerhalb des Abkommens

Dieses Abkommen soll keinerlei Rechte oder Vorteile, die von einem vertragschließenden Staat vor oder neben diesem Abkommen gewährt wurden, beeinträchtigen."

2. Die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Art 2, 12 und 38 der Richtlinie 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 304, 12 ff. (im Folgenden: Status-RL) haben folgenden Wortlaut:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

[…]

b) 'Genfer Flüchtlingskonvention' das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom in der durch das New Yorker Protokoll vom geänderten Fassung;

c) 'Flüchtling' einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

[…]

Artikel 12

Ausschluss

(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er

a) den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie;

b) von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat.

[…]

Artikel 38

Umsetzung

(1) Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie spätestens bis zum nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.

[…]

Artikel 39

Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft."

3. Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005AsylG 2005) BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011:

"Übergangsbestimmungen

§75. (1) Alle am anhängigen Verfahren sind nach den Be stimmungen des Asylgesetzes 1997 mit der Maßgabe zu Ende zu führen, dass in Verfahren, die nach dem beim Bundesasylamt anhängig sind oder werden, § 10 in der Fassung BGBl I Nr 29/2009 mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass eine Abweisung des Asylantrages, wenn unter einem festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in seinen Herkunftsstaat zulässig ist, oder eine Zurückweisung des Asylantrages als Entscheidung nach dem Asylgesetz 2005 gilt. […]

[…]"

4. Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997 – AsylG), BGBl I 7 6 idF BGBl I 100/2005 (im Folgenden: AsylG 1997):

"Asylantrag

§3. (1) Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art1 Abschnitt AZ2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, begehren mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl. Ein gesonderter Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft ist nicht zulässig.

(2) Ein Asylantrag ist gestellt, wenn Fremde auf welche Weise immer gegenüber einer Sicherheitsbehörde oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu erkennen geben, in Österreich Schutz vor Verfolgung zu suchen.

(3) Ein Asylantrag ist eingebracht, wenn der Fremde entweder persönlich in einer Erstaufnahmestelle den Antrag stellt oder von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstaufnahmestelle vorgeführt (§18) wird.

[…]

Asyl auf Grund Asylantrages

§7. Die Behörde hat Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, daß ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art1 Abschnitt AZ2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlußgründe vorliegt.

Subsidiärer Schutz

§8. (1) Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§57 FrG); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

(2) Ist ein Asylantrag abzuweisen und hat die Überprüfung gemäß Abs 1 ergeben, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist, hat die Behörde diesen Bescheid mit der Ausweisung zu verbinden.

(3) Fremden, deren Asylantrag aus anderen Gründen als den Asylausschlussgründen (§13) abgewiesen wurde, ist von jener Asylbehörde mit Bescheid eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, von der erstmals festgestellt wurde, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung unzulässig ist.

(4) Bei Wegfallen aller Umstände, die einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden nach Abs 1 entgegenstehen, kann das Bundesasylamt von Amts wegen bescheidmäßig feststellen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden zulässig ist."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

3. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

4. Ein derartiger Fall liegt hier vor:

4.1. Der Beschwerdeführer legte im Asylverfahren eine auf seine Person ausgestellte "UNRWA Registration Card" vor. Bei der UNRWA handelt es sich um eine Organisation der Vereinten Nationen iSd Art 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention, auf den Art 12 Abs 1 lita der Status-RL Bezug nimmt. Die Rechtsstellung von Asylwerbern, die grundsätzlich dem Schutz einer von Art 1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation unterstehen, unterscheidet sich in folgender Hinsicht von jener anderer Asylwerber: Art 12 Abs 1 lita Status-RL sieht – in Entsprechung des Art 1 Abschnitt D GFK – einerseits vor, dass Drittstaatsangehörige oder Staatenlose von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind, wenn sie unter dem Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Art 1 Abschnitt D GFK stehen. Andererseits genießen vom Anwendungsbereich der genannten Bestimmungen erfasste Personen dann, wenn der Schutz oder Beistand einer solchen Organisation "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw. der GFK. Auf Grund dieses in Art 12 Abs 1 lita der Status-RL angeordneten "ipso facto" Schutzes sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung erfassten Personen auf Antrag den Status von Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn der Beistand einer Organisation der Vereinten Nationen iSd Art 1 Abschnitt D GFK "aus irgendeinem Grund" wegfällt und keiner der in Art 12 Abs 1 litb oder Abs 2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt (vgl. , Mostafa Abed El Karem El Kott ua. , Rz 76).

4.2. Das AsylG 1997 trat mit außer Kraft. Alle am anhängigen Verfahren – sohin auch der vorliegenden Fall – sind jedoch gemäß § 75 Abs 1 Asylgesetz 2005 nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen. Art 12 Status-RL ist für diese Verfahren nicht in österreichisches Recht umgesetzt worden.

Der zweite Satz des Art 12 Abs 1 lita Status-RL sieht die "ipso facto"-Zuerkennung von Asyl an Personen, denen gegenüber der Beistand der UNRWA "aus irgendeinem Grund" weggefallen ist, vor. Dies bewirkt insofern eine Privilegierung von Personen, die unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind, als diese – im Unterschied zu nicht unter Art 12 Abs 1 lita der Status-RL fallenden Personen – für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft machen müssen, sondern nur darzutun haben, dass sie unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind, dass dieser Beistand aus irgendeinem Grund weggefallen ist und dass keiner der in Art 12 Abs 1 litb oder Abs 2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt (vgl. , Mostafa Abed El Karem El Kott ua., Rz 76). Somit dürfte es sich bei Satz 2 des Art 12 Abs 1 lita der Status-RL um eine den Einzelnen begünstigende unionsrechtliche Regelung handeln, die mangels Umsetzung innerhalb der am abgelaufenen Umsetzungsfrist (vgl. Art 38 Status-RL) unmittelbar anzuwenden sein dürfte.

Da der Beschwerdeführer im Asylverfahren eine Registrierungskarte der UNRWA vorgelegt hat, war für die Entscheidung des Asylgerichtshofes die Auslegung des Art 12 Abs 1 Status-RL jedenfalls von Bedeutung.

Der Asylgerichtshof geht in der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass es für die Anwendbarkeit von Art 12 Abs 1 lita erster Satz Status-RL notwendig wäre, dass der Beschwerdeführer aktuell den Schutz und Beistand seitens der UNRWA tatsächlich in Anspruch nimmt, was beim Beschwerdeführer (der sich nicht im Mandatsgebiet der UNRWA, sondern in Österreich aufhält) nicht der Fall sei. Im Gegensatz dazu entschied der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem am – und somit nach der vorliegenden Entscheidung des Asylgerichtshofes ergangenen – Urteil Rs. C-364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott ua., Rz 52, dass Art 12 Abs 1 lita erster Satz Status-RL so auszulegen ist, dass der Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling in dieser Bestimmung nicht nur bei den Personen vorliegt, die zur Zeit den Beistand der UNRWA genießen, sondern auch bei denjenigen, die diesen Beistand kurz vor Einreichung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat tatsächlich in Anspruch genommen haben.

Der Asylgerichtshof geht weiters davon aus, dass dem Beschwerdeführer "ipso facto"-Schutz nicht zukomme, weil es ihm nicht aus Gründen individueller Verfolgung unmöglich sei, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren und dort wiederum den Schutz der UNRWA in Anspruch zu nehmen. In seiner Entscheidung in der Rechtssache El Kott ist der Gerichtshof der Europäischen Union hingegen nicht davon ausgegangen, dass der "ipso facto"-Schutz infolge des Wegfalls des Beistandes "aus irgendeinem Grund" ausschließlich im Fall individueller Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A der GFK eintritt; er hat vielmehr ausgeführt, dass die nationalen Behörden für "die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne dieser Bestimmung […] tatsächlich nicht länger gewährt wird, […] zu prüfen [haben], ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (, Mostafa Abed El Karem El Kott ua., Rz 61).

4.3. Der Asylgerichtshof hat somit die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union geklärte Rechtslage in maßgeblicher Weise verkannt und damit objektiv Willkür geübt.

Der Verfassungsgerichtshof hat auch nach Klärung von unionsrechtlichen Rechtsfragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union dadurch offenkundig gewordene Fehler in der rechtlichen Beurteilung des Asylgerichtshofes aufzugreifen. Er hat nämlich eine festgestellte Rechtswidrigkeit der Gesetzesanwendung im Sinne der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts in jedem Stadium des Verfahrens zu beachten, und zwar auch dann, wenn die korrekte Auslegung des Unionsrechts erst im Zuge des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof offenkundig wurde (VfSlg 15.448/1999; ; , U706/2012).

5. Im fortgesetzten Verfahren wird der Asylgerichtshof zu prüfen haben, ob er über die Beschwerde auf Grund des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtsache El Kott entscheiden kann, oder ob er vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles gegebenenfalls weitere Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union richten muss.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.